KAPITEL 8
DIE MACHT DES RESPEKTS
Z WISCHEN MEINER ERNENNUNG und Michaels Ausscheiden gab es eine sechsmonatige Wartezeit. Ich musste mich sehr auf das Tagesgeschäft konzentrieren, freute mich aber darauf, eine Verschnaufpause und Zeit zu haben, um meine Gedanken nach diesem langen Nachfolgeprozess zu sortieren. Ich ging davon aus, dass die Uhr meiner »ersten 100 Tage« in dem Moment anfangen würde zu ticken, in dem Michael das Gebäude verließ. Bis dahin konnte ich sozusagen unter dem Radar fliegen und meine Pläne geduldig und methodisch verfolgen.
Es kam natürlich völlig anders. Unmittelbar nach der Ankündigung des Wachwechsels an der Spitze des Konzerns stellte jeder – die Presse, die Investorengemeinde, die übrige Unterhaltungsbranche und unsere Mitarbeiter – dieselbe Frage: Welche Strategie verfolgen Sie, um das Unternehmen wieder auf den richtigen Kurs zu bringen, und wie schnell können Sie sie umsetzen? Wegen seiner Geschichte und weil Michael es auf so dramatische Weise transformiert hatte, gehörte Disney zu den am meisten beobachteten Unternehmen der Welt. Die sehr öffentlichen Probleme, mit denen wir in den vorhergehenden Jahren zu kämpfen gehabt hatten, erhöhten nur die Neugier darauf, zu erfahren, wer ich war und was ich vorhatte. Es gab viele Skeptiker, die mich immer noch als Interims-CEO betrachteten, als kurzfristige Übergangslösung, bis der Verwaltungsrat einen externen Star gefunden hatte. Die Neugier war groß und die Erwartungen niedrig, und mir wurde sehr schnell klar, dass ich bereits vor meiner offiziellen Amtsübernahme die Zielrichtung des Unternehmens bestimmen und einige zentrale Dinge auf den Weg bringen musste.
In der ersten Woche meiner Zeit als CEO in Wartestellung rief ich meine engsten Berater – Tom Staggs, der zu unserem neuen CFO ernannt worden war; Alan Braverman, unseren Chefjustiziar, und Zenia Mucha, unseren Kommunikationsvorstand – zu mir ins Büro und ging mit ihnen die Liste der wichtigsten Punkte durch, die in den folgenden sechs Monaten erledigt werden mussten. »Als Erstes müssen wir versuchen, das Kriegsbeil mit Roy zu begraben«, sagte ich. Roy Disney empfand eine gewisse Genugtuung darüber, dass Michael zum Rücktritt gezwungen worden war. Aber er war immer noch wütend, dass der Verwaltungsrat nicht früher reagiert hatte. Zudem kritisierte er dessen Entscheidung, mich zum neuen CEO zu ernennen, vor allem, nachdem ich öffentlich für Michael Partei ergriffen hatte. Ich glaubte nicht, dass Roy viel tun konnte, um mir an diesem Punkt zu schaden, aber ich hatte das Gefühl, es wäre wichtig für das Image des Unternehmens, nicht in anhaltende Auseinandersetzungen mit einem Mitglied der Disney-Familie verwickelt zu sein.
»Zweitens müssen wir versuchen, die Beziehungen zu Pixar und Steve Jobs zu reparieren.« Das Ende der Partnerschaft mit Pixar war für Disney ein herber Schlag, sowohl aus finanzieller als auch aus PR-Sicht. Steve gehörte damals zu den meistrespektierten Menschen der Welt, was Technologie, Geschäftssinn und Unternehmenskultur betraf. Seine Ablehnung und die harsche Kritik, die er an Disney übte, waren so öffentlich, dass jede Annäherung als ein großer erster Erfolg gewertet werden würde. Außerdem war Pixar inzwischen zum Vorreiter im Bereich Animation avanciert. Zwar hatte ich keine genaue Vorstellung davon, wie schlecht Disney Animation dastand, aber ich wusste, dass jede erneute Partnerschaft gut für unser Geschäft war. Ich wusste auch, dass die Chancen gering waren, dass ein so eigensinniger Mensch wie Steve offen für einen Neuanfang wäre. Nichtsdestotrotz musste ich es versuchen.
Zu guter Letzt musste ich damit beginnen, unseren Entscheidungsprozess zu verändern. Und das bedeutete eine Restrukturierung der Abteilung Strategische Planung, das heißt eine Veränderung seiner Größe, seines Einflusses und seiner Mission. Während die ersten beiden Prioritäten im Wesentlichen auf unser öffentliches Image abzielten, ging es bei dieser dritten Priorität um eine veränderte Innenwahrnehmung unseres Unternehmens. Das würde eine Weile dauern, und es würde mit Sicherheit Ärger und Widerstand bei der Strategischen Planung auslösen, mit dem ich mich würde auseinandersetzen müssen. Doch wir mussten damit beginnen, den ganzen Apparat neu zu konfigurieren und die strategische Verantwortung möglichst schnell auf die Sparten zurück übertragen. Meine Hoffnung war, dass wir die Stimmung im Unternehmen allmählich verbessern konnten, wenn es uns gelänge, den eisernen Griff zu lockern, mit dem die Strategische Planung alle unsere Sparten kontrollierte.
Zuerst musste ich mich aber um die Versöhnung mit Roy Disney kümmern. Bevor ich jedoch auf ihn zugehen konnte, platzten die Aussichten auf eine Beilegung des Konflikts. Innerhalb von wenigen Tagen nach der Bekanntgabe meiner Ernennung verklagten Roy und Stanley den Verwaltungsrat wegen des, wie sie es nannten, »betrügerischen Nachfolgeprozesses«. Der Vorwurf war völlig absurd – es sei ein abgekartetes Spiel gewesen und meine Ernennung hätte von vornherein festgestanden –, aber es war auch eine große Ablenkung. Ich hatte meine Arbeit noch gar nicht offiziell aufgenommen und war bereits mit der ersten Krise konfrontiert: einem hässlichen, öffentlich ausgetragenen Rechtsstreit über meine Legitimität als CEO.
Ich beschloss, Stanley persönlich und nicht über einen Rechtsanwalt anzurufen, um zu sehen, ob er zu einem Gespräch bereit wäre. Bis zu seinem und Roys Rücktritt im Herbst 2003 waren Stanley und ich beide Mitglieder des Leitungsgremiums gewesen. In dieser Zeit wurde mir bewusst, dass Stanley mich nicht respektierte, aber ich dachte, er wäre zumindest bereit, mir zuzuhören, denn er war weniger emotional und praktischer veranlagt als Roy. Ich dachte, ich könne ihm vielleicht nahebringen, dass ein langer Rechtsstreit mit Disney niemandem dienlich wäre. Er willigte ein, und wir trafen uns in seinem Country Club, der nicht weit von dem Disney-Gelände entfernt war.
Ich begann das Gespräch, indem ich Stanley die Strapazen schilderte, die ich gerade durchgemacht hatte: die vielen Interviews, die Headhunting-Firma, die zahlreichen Mitbewerber, die der Verwaltungsrat in sechs Monaten unermüdlicher öffentlicher Beobachtung in Erwägung gezogen hatte. »Es war ein sehr gründlicher Prozess«, sagte ich. »Der Verwaltungsrat hat viel Zeit in seine Entscheidung investiert.« Ich wollte, dass Stanley verstand, dass es keine Grundlage für diesen Rechtsstreit gab und er daher keine Erfolgschancen hatte.
Stanley käute alles noch einmal wieder, trug erneut die ganze Litanei an Kritik vor, die er und Roy an Michael und seiner Amtsführung der vergangenen Jahre geübt hatten. Ich widersprach ihm nicht, sondern hörte einfach nur zu und wiederholte, dass all das der Vergangenheit angehöre und der Entscheidungsprozess des Verwaltungsrats unangreifbar sei. Im Zuge unseres Gesprächs wurde Stanley etwas versöhnlicher. Er deutete an, ein Großteil seines Unmutes rühre daher, dass Roy verletzt sei; er habe sein Mandat aus Protest vorzeitig niedergelegt, weil Michael auf das festgelegte Höchstalter für die Mitgliedschaft im Verwaltungsrat verwiesen habe, um ihn hinauszudrängen. Das sei respektlos gewesen. Roys Beziehung zu dem Unternehmen, das er als sein Zuhause betrachtete, sei beschädigt worden, so Stanley. Roy werfe dem Verwaltungsrat vor, nicht auf ihn gehört zu haben, als er die Kampagne zu Michaels Ablösung initiiert hatte. Zwar hätte sich der Verwaltungsrat letzten Endes von Michael getrennt, aber Roy habe das Gefühl, er habe in dieser ganzen Angelegenheit einen unfairen Preis gezahlt.
Am Ende unseres Gesprächs sagte Stanley: »Wenn Sie Roy irgendwie zurückholen können, dann lassen wir die Klage fallen.« Ich hätte nie erwartet, dass er das laut aussprechen würde. Nach dem Meeting rief ich sofort George Mitchell an. Auch George war sehr darauf erpicht, dieses unselige Kapitel abzuschließen. Er flehte mich an, mir irgendetwas zu überlegen. Dann rief ich Stanley an und sagte, ich wolle direkt mit Roy sprechen. Ich machte mir zwar keine große Hoffnung, hatte aber das deutliche Gefühl, der einzige Weg zur Bereinigung dieses Konflikts sei ein persönliches Gespräch.
Roy und ich trafen uns im selben Country Club. Es war ein offenes, aber nicht besonders angenehmes Gespräch. Ich sagte ihm, ich sei mir seiner Geringschätzung meiner Person bewusst, aber ich bitte ihn, die Realität zu akzeptieren, dass ich zum CEO ernannt worden war und der Entscheidungsprozess keine Mängel aufwies. »Roy«, sagte ich, »wenn ich scheitere, werden weitaus mehr Leute meinen Kopf fordern als Sie und Stanley.«
Er machte deutlich, dass er mit größtem Vergnügen seinen Krieg gegen das Unternehmen fortsetzen würde, falls er den Eindruck gewinne, es steuere in die falsche Richtung. Doch er zeigte auch eine verwundbare Seite, die ich noch nie an ihm wahrgenommen hatte. Die Entfremdung von Disney war schmerzhaft für ihn, und der andauernde Streit schien ihn erschöpft zu haben. In den zwei Jahren, seit er den Verwaltungsrat verlassen hatte, war er sichtlich gealtert und kam mir auf eine Weise bedürftig und zerbrechlich vor, die ich in der Vergangenheit nie an ihm wahrgenommen hatte. In Wahrheit hatte sich nicht nur Michael mit Roy überworfen. Abgesehen von Stanley hatten ihm nicht genügend Leute bei Disney – einschließlich seines lange verstorbenen Onkels Walt – den Respekt entgegengebracht, den er seiner Meinung nach verdiente. Ich hatte nie eine echte Verbindung zu Roy, aber nun spürte ich seine Verwundbarkeit. Es war nichts damit gewonnen, ihn zu beleidigen oder ihm das Gefühl zu geben, er sei bedeutungslos. Er wollte einfach respektiert werden, und sich Respekt zu verschaffen, war ihm offenbar noch nie leichtgefallen. Das war ein sehr persönlicher Konflikt, an dem viel Stolz und Ego beteiligt waren, und diesen Kampf trug er nun schon seit Jahrzehnten aus.
Sobald ich Roy in diesem Licht sah, dachte ich, es könne vielleicht einen Weg geben, ihn zu besänftigen und diesen Konflikt beizulegen. Welche Lösung ich auch immer dafür fand – ich würde nicht zulassen, dass er mir oder dem Unternehmen zu nahe kam. Ich machte mir Sorgen, er würde unvermeidlicherweise versuchen, einen Aufstand von innen anzuzetteln. Außerdem konnte ich mich auf nichts einlassen, das Michael gegenüber respektlos gewesen wäre oder wie eine Validierung von Roys Kritik an Michael aussehen könnte. Hier war große Besonnenheit gefragt. Ich rief Michael an, erklärte ihm mein Dilemma und bat ihn um Rat. Er war zwar nicht glücklich darüber, dass ich Roy die Friedenspfeife anbot, aber er erkannte an, dass eine Beilegung des Konflikts wichtig war. »Ich vertraue darauf, dass Sie das Richtige tun«, sagte er. »Machen Sie aber nicht zu viele Zugeständnisse.«
Dann kontaktierte ich Stanley erneut und machte folgenden Vorschlag: Ich würde Roy eine Emeritus-Rolle im Verwaltungsrat anbieten und ihn zu Filmpremieren, Themenpark-Eröffnungen und besonderen Unternehmensveranstaltungen einladen. (Er würde allerdings nicht an den Sitzungen des Verwaltungsrats teilnehmen.) Außerdem würde ich ihm ein geringfügiges Beratungshonorar zahlen und ihm ein Büro zur Verfügung stellen, damit er nach Belieben kommen und gehen und Disney wieder als sein Zuhause betrachten könne. Im Gegenzug würde er die Klage fallenlassen, keine öffentlichen Siegesverlautbarungen abgeben und sich öffentlicher Kritik enthalten. Zu meiner Verblüffung sagte Stanley, wir sollten eine Vereinbarung aufsetzen, die innerhalb von 24 Stunden in Kraft treten solle.
So einfach wurde eine Krise beendet, die meine erste Zeit als CEO zu überschatten drohte. Der Friedensschluss mit Roy und Stanley wurde von einigen als eine Art Kapitulation angesehen, aber ich kannte die Wahrheit, und das war mehr wert als jede Wahrnehmung von außen.
Lassen Sie sich bei der Suche nach der bestmöglichen Entscheidung nicht von Ihrem Ego behindern.
Das Drama mit Roy bekräftigte eine Lektion, die gerne übersehen wird, wenn über Unternehmensnachfolge diskutiert wird: Lassen Sie sich bei der Suche nach der bestmöglichen Entscheidung nicht von Ihrem Ego behindern. Ich war innerlich aufgebracht, als Roy und Stanley den Verwaltungsrat verklagen wollten, weil er mich zum CEO ernannt hatte. Natürlich hätte ich mich im Namen des Unternehmens auf einen Rechtsstreit einlassen können, den ich höchstwahrscheinlich sogar gewonnen hätte, aber das wäre zu großen Lasten des Unternehmens geschehen und eine gewaltige Ablenkung von den wirklich wichtigen Dingen gewesen. Meine Aufgabe war, das Unternehmen zurück auf den Wachstumskurs zu führen, und der erste Schritt war die Beilegung dieses überflüssigen Konflikts. Die einfachste und produktivste Methode, Frieden zu schließen, bestand darin, Roys Bedürfnis nach Respekt anzuerkennen und ihm diesen zu gewähren. Ihm war es viel wert, und es kostete mich und das Unternehmen so gut wie nichts.
Ein wenig Respekt kann sehr viel bewirken; ein Mangel an Respekt kann dagegen oft sehr teuer zu stehen kommen. In den folgenden Jahren, in denen wir unsere großen Akquisitionen tätigten, die das Unternehmen neu ausrichteten und ihm eine neue Dynamik einhauchten, spielte diese einfache, scheinbar abgedroschene Idee eine genauso große Rolle wie alle Due Diligence dieser Welt: Wenn man Menschen Respekt und Empathie entgegenbringt und sie auf diese Weise für sich gewinnt, kann das scheinbar Unmögliche wahr werden.
Wenn man Menschen Respekt und Empathie entgegenbringt und sie auf diese Weise für sich gewinnt, kann das scheinbar Unmögliche wahr werden.
SOBALD DER FRIEDENSVERTRAG mit Roy unterschrieben war, musste ich als Nächstes erkunden, ob es irgendeine Chance gab, die Beziehung zu Steve Jobs und Pixar zu kitten. Zwei Monate, nachdem ich Steve angerufen hatte, um ihm mitzuteilen, dass ich zum neuen CEO ernannt worden war, rief ich ihn erneut an. Mein letztendliches Ziel war, die Dinge wieder geradezurücken, aber ich konnte nicht gleich zu Beginn darum bitten. Steves Groll gegenüber Disney saß zu tief. Der Riss, der sich zwischen Steve und Michael aufgetan hatte, war letztendlich ein Zusammenprall von zwei Platzhirschen, deren jeweilige Unternehmen in unterschiedliche Richtungen strebten. Als Michael bemängelte, die Tech-Industrie habe nicht genügend Respekt für die Inhalte, war Steve beleidigt. Als Steve andeutete, Disney sei kreativ am Ende, war Michael beleidigt. Michael war sein Leben lang eine kreative Führungskraft. Weil Steve mit Pixar ein aufstrebendes Animationsstudio führte, glaubte er, er wüsste alles besser. Als Disney Animation ernsthaft ins Schlingern geriet, wurde Steve Michael gegenüber noch arroganter, weil er davon überzeugt war, dass wir auf ihn angewiesen waren – und Michael hasste den Umstand, dass Steve am längeren Hebel saß.
Ich hatte mit all dem nichts zu tun, aber darauf kam es nicht an. Steve einfach zu bitten, es sich noch einmal zu überlegen, nachdem er die Partnerschaft mit Disney höchst öffentlichkeitswirksam beendet und Disney verhöhnt hatte, wäre ihm viel zu wenig. Es würde nicht leicht werden.
Ich hatte allerdings eine Idee, die nichts mit Pixar zu tun hatte, und von der ich glaubte, dass sie Steve interessieren könnte. Ich sagte ihm, ich sei ein großer Musikliebhaber und hätte meine gesamte Musik auf meinem iPod gespeichert, den ich ständig mitführte. Ich hätte über die Zukunft des Fernsehens nachgedacht und dann habe mir gedämmert, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis wir alle TV-Sendungen und Filme auf dem Computer sehen könnten. Ich wusste nicht, wie schnell sich die Mobiltechnologie weiterentwickeln würde (das iPhone sollte erst zwei Jahre später auf den Markt kommen). Was mir also vorschwebte, sei eine iTunes-Plattform für das Fernsehen. »Stellen Sie sich vor, Sie könnten auf Ihrem Computer die gesamte Fernsehhistorie abrufen«, sagte ich. Wenn Sie die letzte Folge der Serie Lost oder irgendeine Folge aus der letzten Staffel I Love Lucy sehen wollen, kein Problem. »Stellen Sie sich vor, Sie könnten sich beliebig oft alle Folgen von Twilight Zone ansehen!« Ich war sicher, dass diese Technik kommen würde, und ich wollte, dass Disney ganz vorne auf dieser Welle reiten würde. Ich dachte, dafür wäre es das Beste, Steve von der Unvermeidlichkeit dieser Entwicklung – ich nannte sie ihm gegenüber »iTV« – zu überzeugen.
Steve schwieg eine Weile und dann sagte er schließlich: »Ich werde mich in dieser Sache bei Ihnen melden. Ich arbeite an etwas, das ich Ihnen zeigen möchte.«
Einige Wochen später flog er nach Burbank und kam in mein Büro. Steves Vorstellung von Smalltalk war, aus dem Fenster zu blicken, eine kurze Bemerkung über das Wetter zu machen und dann sofort auf den Punkt zu kommen. Genau das tat er auch an diesem Morgen. »Sie dürfen mit niemandem darüber sprechen«, sagte er. »Das, was Sie erwähnt haben, also was man mit Fernsehsendungen machen kann, das ist genau das, worüber wir nachgedacht haben.« Langsam zog er ein Gerät aus der Hosentasche. Auf den ersten Blick wirkte es wie der iPod, den ich besaß.
»Das ist unser neuer Video-iPod«, sagte er. Das Gerät war nur so groß wie ein paar zusammengelegte Briefmarken, aber Steve sprach darüber, als sei es eine IMAX-Leinwand. »Damit können sich die Menschen auf unseren iPods Videos ansehen, und nicht nur Musik hören«, sagte er. »Wenn wir dieses Produkt auf den Markt bringen, würden Sie dann Ihre TV-Sendungen beisteuern?«
Ich sagte sofort zu.
Jede Produktdemo, die Steve vorführte, war beeindruckend, aber dies war eine ganz persönliche Demonstration. Ich konnte seinen Enthusiasmus spüren, als ich auf das Gerät starrte, und ich hatte das ausgeprägte Gefühl, die Zukunft in den Händen zu halten. Es konnte Komplikationen geben, wenn wir unsere Sendungen auf dieser Plattform zeigten, aber im Moment wusste ich nur instinktiv, dass es die richtige Entscheidung war.
Steve reagierte auf Wagemut, und ich wollte ihm signalisieren, dass es von jetzt an eine andere Art geben könnte, mit Disney Geschäfte zu machen. Zu seinen vielen Frustrationen gehörte auch das Gefühl, es sei oft viel zu kompliziert, irgendetwas mit uns umzusetzen. Jede Vereinbarung musste bis ins kleinste Detail geprüft und analysiert werden. Das war einfach nicht sein Arbeitsstil. Ich wollte ihm vermitteln, dass das auch nicht mein Arbeitsstil war, dass ich die Autorität besaß, Dinge zu entscheiden, und dass ich dieses Zukunftsszenario unbedingt mit ihm gemeinsam verwirklichen wollte, und zwar schnell. Ich dachte, falls er meine Instinkte und meine Bereitschaft, ein Risiko einzugehen, anerkannte, dann würde sich die Tür vielleicht – nur ganz vielleicht – erneut für eine Zusammenarbeit zwischen Disney und Pixar öffnen.
Also bekräftigte ich noch einmal, dass wir dabei waren.
»Okay«, sagte er. »Dann melde ich mich, wenn es mehr zu besprechen gibt.«
Im Oktober, fünf Monate nach unserem ersten Gespräch (und zwei Wochen, nachdem ich offiziell meine Arbeit als CEO aufgenommen hatte), standen Steve und ich gemeinsam bei der Apple-Produktpräsentation auf der Bühne und verkündeten, dass fünf Disney-Sendungen, darunter drei unserer beliebtesten Fernsehserien, nämlich Desperate Housewives , Lost und Grey’s Anatomy , nun auf iTunes zum Herunterladen bereitstünden und auf dem neuen iPod mit dem Videoplayer angesehen werden könnten.
Im Wesentlichen hatte ich diese Vereinbarung mit Steve allein ausgehandelt, mit Unterstützung von Anne Sweeney, die ABC leitete. Die Unkompliziertheit und das Tempo, mit dem wir unser Projekt umsetzten, in Kombination mit der Tatsache, dass es Bewunderung für Apple und seine Produkte ausdrückte, beeindruckte Steve zutiefst. Er sagte mir, er habe noch nie irgendjemanden aus dem Unterhaltungsgeschäft kennengelernt, der bereit gewesen wäre, etwas auszuprobieren, das sein eigenes Geschäftsmodell zerstören würde.
Als ich an jenem Tag auf die Bühne ging, um unsere Partnerschaft mit Apple zu verkünden, war das Publikum zunächst verwirrt und dachte: Warum steht dieser Typ von Disney mit Steve auf der Bühne? Dafür kann es nur einen Grund geben. Ich hatte kein Redeskript, aber das Erste, was ich sagte, war: »Ich weiß, was Sie denken, aber das ist nicht der Grund, warum ich hier bin!« Es gab Gelächter und Seufzer. Niemand wünschte sich diese Verkündung mehr als ich.
EINIGE TAGE, NACHDEM ICH im März 2005 offiziell meine Position angetreten hatte, poppte in meinem Kalender ein Meeting über die Eintrittspreise für den Themenpark in Hongkong auf, den wir in Kürze eröffnen wollten. Die Terminanfrage kam aus dem Büro von Peter Murphy, dem Leiter der Strategischen Planung. Ich rief die Person an, die damals für die Sparte Parks und Resorts verantwortlich war, und fragte, wer zu dem Meeting eingeladen habe.
»Peter«, sagte er.
»Peter beruft ein Meeting ein, um über die Eintrittspreise in Hongkong zu sprechen?«
»Ja.«
Ich rief Peter an und fragte nach dem Grund.
»Wir müssen sicherstellen, dass sie das Richtige tun«, sagte er.
»Wenn sie nicht in der Lage sind, selbst die richtigen Eintrittspreise festzulegen, dann sind sie eine Fehlbesetzung in ihrem Job«, erwiderte ich. »Wenn wir aber glauben, dass sie keine Fehlbesetzung sind, dann sollten sie auch ihre Eintrittspreise selbst bestimmen.« Anschließend veranlasste ich die Streichung des Meetings. Das war zwar kein hoch dramatischer Moment, aber der Anfang vom Ende der Strategischen Planung, wie wir sie kannten.
Peter ist hoch intelligent und ein erstklassiger Denker. Er besitzt eine fast beispiellose Arbeitsethik, und Michael hatte sich, wie zuvor erwähnt, im Zuge des Unternehmenswachstums immer stärker von ihm abhängig gemacht, bis er sich fast ausschließlich auf ihn stützte. Peter sicherte und hütete seine beträchtliche Machtfülle. Seine Kompetenz und sein Intellekt ließen ihn gegenüber anderen ranghohen Führungskräften oft verächtlich werden. Infolgedessen war er nicht sehr beliebt und wurde von einigen sogar gefürchtet. Daraus hatte sich eine angespannte und zunehmend dysfunktionale Dynamik entwickelt.
Soweit ich wusste, was das nicht immer so. Als Michael und Frank Wells Mitte der 1980er-Jahre die Unternehmensführung übernahmen, gründeten sie die Abteilung Strategische Planung, damit sie sie bei der Identifizierung und Analyse einer Reihe neuer Geschäftschancen unterstützte. Nach Franks Tod im Jahr 1994 und der Übernahme von Cap Cities/ABC im Jahr 1995 brauchte Michael Unterstützung bei der Leitung des fusionierten Konzerns. In Ermangelung einer eindeutig definierten Nummer zwei stützte er sich bei der Lenkung der verschiedenen Geschäftsfelder und der Entscheidungsfindung immer stärker auf die Strategische Planung. Ich kannte und schätzte den Wert ihrer Beiträge, aber ich konnte auch erkennen, dass die Abteilung mit jedem Jahr immer größer und mächtiger wurde, während die Verantwortlichen unserer einzelnen Sparten immer ohnmächtiger wurden. Zum Zeitpunkt meiner Ernennung als COO besaß die Strategische Planung rund 65 Mitarbeiter und hatte fast alle kritischen Geschäftsentscheidungen des Unternehmens an sich gerissen.
Alle Verantwortlichen wussten, dass die strategischen Entscheidungen in ihrer jeweiligen Sparte – Parks und Resorts, Konsumprodukte, Walt Disney Studios und so weiter – letztlich nicht von ihnen getroffen wurden. Die gesamte Macht konzentrierte sich auf diese eine Abteilung in Burbank, wobei Peter und seine Leute eher als »Unternehmenspolizei« betrachtet wurden denn als unterstützende Partner unserer geschäftsverantwortlichen Führungskräfte.
Man kann seine Geringschätzung für andere aber nicht so offen zur Schau tragen.
In vielerlei Hinsicht war Peter ein Futurist. Er hatte das Gefühl, unsere geschäftsverantwortlichen Führungskräfte seien Manager alter Schule, deren Ideen bestenfalls Variationen des Status quo waren. Damit hatte er nicht Unrecht. Zu jener Zeit gab es viele Leute im Unternehmen, die nicht die analytischen Fähigkeiten und die aggressive Haltung besaßen, die Peter und sein Team verkörperten. Man kann seine Geringschätzung für andere aber nicht so offen zur Schau tragen. Damit bewirkt man nur, dass sich die Leute entweder aus Angst unterwerfen oder dass sie wütend und frustriert werden und die Hände in den Schoß legen. Auf jeden Fall nimmt man ihnen den Stolz auf ihre Arbeit. Michael verließ sich ausschließlich auf die analytische Strenge der Strategischen Planung, und irgendwann hatten fast alle seine Führungskräfte die Verantwortung an Peter und seine Abteilung abgegeben.
Aber irgendwann muss man auch erkennen, dass es keine hundertprozentige Gewissheit geben kann.
Nach meinem Dafürhalten wägte die Abteilung aber oft viel zu lange ab – jede Entscheidung wurde haarklein und bis ins letzte Detail seziert. Alle Vorteile, die sich möglicherweise daraus ergaben, dass diese Gruppe an hochkompetenten Experten jedes Vorhaben mit der Lupe prüfte, um ganz sicher zu gehen, dass es auch zu unserem Vorteil war, büßten wir wieder ein, weil ihre Analysen so viel Zeit in Anspruch nahmen, in der wir nicht handeln konnten. Das soll nicht heißen, dass Recherchen und eine sorgfältige Abwägung nicht wichtig sind. Natürlich muss man seine Hausaufgaben machen, und man muss vorbereitet sein. Man kann keine große Akquisition tätigen, ohne die notwendigen Modelle erstellt zu haben, die einem bei der Entscheidung helfen, ob die geplante Transaktion gut oder schlecht ist. Aber irgendwann muss man auch erkennen, dass es keine hundertprozentige Gewissheit geben kann. Egal wie viele Daten man auch prüft, letztlich bleibt ein gewisses Restrisiko, und die Entscheidung, ob man dieses Risiko eingehen will oder nicht, hängt vom eigenen Instinkt ab.
Peter sah überhaupt kein Problem mit einem System, in dem er und seine Analysten praktisch alle Unternehmensentscheidungen trafen. Unterdessen passten sich alle Unternehmen um uns herum an die neuen Marktbedingungen an, die sich rasend schnell veränderten. Wir mussten uns auch verändern und agiler werden, und zwar schnell.
Ungefähr eine Woche nach dem kurzen Hongkong-Intermezzo rief ich Peter in mein Büro und teilte ihm mit, ich würde die Abteilung Strategische Planung komplett restrukturieren, und zwar würde ich sie drastisch verkleinern und unsere Entscheidungsprozesse rationalisieren, indem ich sie vermehrt in die Hände der jeweiligen Geschäftsverantwortlichen legen würde. Wir wussten beide, dass er nicht in dieses Vorhaben passte und es keinen Sinn machte, dass er im Unternehmen blieb.
Kurz nach unserem Gespräch gab ich eine Pressemitteilung in Auftrag, in der Peters Rückzug aus dem Unternehmen und die Restrukturierung der Abteilung Strategische Planung bekannt gegeben wurden. Ich schrumpfte die Abteilung von 65 auf 15 Mitarbeiter. Tom Staggs, mein CFO, schlug vor, Kevin Mayer zurück ins Unternehmen zu holen, um die verschlankte und neu ausgerichtete Einheit zu führen. Kevin hatte früher bei Disney gearbeitet, hatte den Konzern aber einige Jahre zuvor verlassen. Kevin würde an Tom berichten, und er und sein Team würden sich auf potenzielle Akquisitionen fokussieren, mit dem klaren Mandat, dass jede Akquisition unsere drei Kernprioritäten erfüllen musste.
Die Neuausrichtung der Strategischen Planung erwies sich als wichtigste Errungenschaft in den sechs Monaten Wartezeit, bis ich offiziell mein Amt als CEO antrat. Ich wusste, dass diese Entscheidung unverzüglich Wirkung entfalten würde. Tatsächlich änderte sich mit der Verkündung, dass diese Abteilung unser Unternehmen nicht mehr länger in ihrem eisernen Klammergriff hielt, augenblicklich die allgemeine Stimmung. Es war, als hätte man alle Fenster geöffnet und als wehe plötzlich ein frischer Wind durch das Unternehmen. Einer unserer Topmanager sagte damals zu mir: »Wenn alle Disney-Kirchtürme Glocken hätten, würden sie jetzt läuten.«