KAPITEL 9
DISNEY-PIXAR UND EIN NEUER WEG IN DIE ZUKUNFT
D IE MONATE, DIE ICH mit Steve im Gespräch war, um unsere Fernsehsendungen auf seinen neuen iPod zu laden, mündeten allmählich – sehr langsam und zögerlich – in Überlegungen über eine mögliche Neuauflage der Partnerschaft zwischen Disney und Pixar. Steve war ein wenig zugänglicher geworden, aber nur ein wenig. Er war grundsätzlich bereit, darüber zu sprechen, aber seine Vorstellungen über eine neue Vereinbarung waren immer noch sehr einseitig zugunsten von Pixar. Wir überlegten eine Weile hin und her, wie eine Vereinbarung aussehen könnte, kamen aber nicht richtig weiter. Ich bat Tom Staggs, sich an der Diskussion zu beteiligen und zu sehen, ob ihm dazu etwas einfiel. Außerdem zogen wir mit Gene Sykes einen Vermittler von Goldman Sachs hinzu, dem wir vertrauten und der Steve gut kannte. Über Gene leiteten wir verschiedene Ideen an Steve weiter, aber Steve ging nicht darauf ein. Seine Unwilligkeit hatte einen ganz einfachen Hintergrund: Steve liebte Pixar, und Disney war ihm egal, daher würde jeder Vorschlag, zu dessen Prüfung er sich herablassen würde, gewaltige Vorteile für Pixar und hohe Kosten für uns bedeuten.
Einer der Vorschläge sah vor, dass wir Pixar die wertvollen Folgerechte für die Filme abtreten sollten, die wir bereits gemeinsam gemacht hatten, so zum Beispiel Toy Story , Monster AG und Die Unglaublichen . Im Gegenzug sollten wir einen Anteil von 10 Prozent an Pixar, Sitze in Pixars Verwaltungsrat und die Vertriebsrechte für alle neuen Pixar-Filme erhalten. Außerdem sollte es eine große Presseankündigung über die Fortsetzung der Disney-Pixar-Partnerschaft geben. Die finanziellen Vorteile wogen jedoch eindeutig zum Vorteil von Pixar. Sie würden Filme und Folgefilme unter der Marke Pixar produzieren, und wir wären im Wesentlichen auf die Rolle eines passiven Vertriebskanals beschränkt. Es gab noch einige weitere ähnlich lautende Vorschläge, die ich alle ablehnte. Nach jeder neuen Verhandlungsrunde blickten Tom und ich uns an und fragten uns, ob wir vielleicht verrückt waren, weil wir nicht einfach irgendeinen Deal mit Steve abschlossen. Doch am Ende setzte sich immer die Überzeugung durch, dass jede Vereinbarung, die wir eingingen, langfristigen Wert besitzen musste. Eine Pressemitteilung über die erneuerte Partnerschaft erfüllte dieses Kriterium nicht.
Die Realität war, dass Steve alle Hebel der Welt in der Hand hielt. Pixar war zu diesem Zeitpunkt führend in innovativen, ausgefeilten Animationstechniken, und Steve schien kein Problem damit zu haben, auf eine Vereinbarung zwischen Disney und Pixar zu verzichten. Unser einziges Faustpfand war, dass wir zu diesem Zeitpunkt die Folgerechte an früheren gemeinsam produzierten Filmen hielten. Als die Partnerschaft mit Pixar zwei Jahre zuvor geendet hatte, hatten wir unter Michaels Ägide tatsächlich einige Folgefilme herausgebracht. Steve wusste natürlich, dass wir uns angesichts des Zustands, in dem sich Disney Animation befand, sehr schwertun würden, irgendetwas wirklich Kreatives hervorzubringen, und er forderte uns beinahe dazu auf, es zu versuchen.
DER 30. SEPTEMBER 2005 war Michaels letzter Tag als CEO des Unternehmens, das er 20 Jahre lang geleitet hatte. Es war ein trauriger und irgendwie unangenehmer Tag. Mit seinem Abgang endete jede Verbindung zwischen ihm und Disney – kein Sitz im Verwaltungsrat, keine Emeritus- oder Beraterrolle – ein »kalter Entzug«, wie er im Buche stand. Er zeigte mir gegenüber Wohlwollen, aber ich konnte dennoch die Spannung zwischen uns spüren. So hart die letzten Jahre auch gewesen waren, wollte Michael eigentlich nicht gehen, und ich fand einfach nicht die richtigen Worte.
Ich empfand tiefes Mitgefühl mit ihm, aber ich wusste, dass ich nichts tun konnte, um es ihm leichter zu machen.
Ich traf mich kurz mit Zenia Mucha, Tom Staggs und Alan Braverman und teilte ihnen mit, mein Bauchgefühl sage mir, es sei »besser, ihn in Ruhe zu lassen«; daher hielten wir uns auf respektvoller Distanz und ließen ihm die Ruhe, seinen Abgang zu seinen eigenen Bedingungen zu gestalten. Michaels Frau Jane und einer ihrer Söhne kamen zum Mittagessen, und später fuhr er dann zum letzten Mal vom Parkplatz. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sich das angefühlt haben muss. Zwei Jahrzehnte zuvor war er in das Unternehmen eingetreten und hatte es gerettet. Nun fuhr er davon, in dem Wissen, dass seine Ära endgültig vorbei war und die Organisation, die er in den größten Unterhaltungskonzern der Welt verwandelt hatte, ohne ihn weitermachen würde. Ich stelle mir vor, dass das einer von diesen Momenten ist, in denen man nicht mehr genau weiß, wer man eigentlich ist ohne diese Bindung, den Titel und die Position, die man so lange innehatte. Ich empfand tiefes Mitgefühl mit ihm, aber ich wusste, dass ich nichts tun konnte, um es ihm leichter zu machen.
Drei Tage später, am Montag, den 3. Oktober, übernahm ich offiziell mein Amt als sechster CEO der Walt Disney Company. Zum ersten Mal in meiner Karriere berichtete ich ausschließlich an den Verwaltungsrat, und nach dem langen Nachfolgeprozess und der sechsmonatigen Wartezeit war ich nun kurz davor, meine erste Verwaltungsratssitzung zu leiten. Meistens bitte ich meine Spartenleiter, mich vorher auf den neuesten Stand zu bringen, damit ich den Verwaltungsrat über die Geschäftsergebnisse, wichtige Themen, Herausforderungen und Chancen informieren kann. Bei meiner ersten Sitzung stand allerdings nur ein Punkt auf der Tagesordnung.
Vor der Sitzung hatte ich unseren Studioleiter Dick Cook und seine Nummer zwei, Alan Bergman, gebeten, eine Präsentation über die Entwicklungen von Disney Animation in den vergangenen zehn Jahren zu erstellen: mit jedem Film, den wir herausgebracht hatten, den Einnahmen an der Kinokasse und so weiter. Beide waren sehr besorgt. »Das wird hässlich«, sagte Dick. »Die Zahlen sind furchtbar«, ergänzte Alan. »Das ist wahrscheinlich nicht der beste Start für Sie.«
Unabhängig davon, wie entmutigend oder alarmierend die Präsentation werden würde, sagte ich dem Studioteam, sie sollten sich keine Sorgen machen. Dann bat ich Tom Staggs und Kevin Mayer, Recherchen über unsere Hauptzielgruppe, Mütter mit Kindern unter 12 Jahren, und ihre Einstellung zu Disney Animation im Vergleich zu unseren Wettbewerbern anzustellen. Auch Kevin sagte, das Ergebnis würde ziemlich unschön ausfallen. »Das ist in Ordnung«, sagte ich. »Ich möchte nur eine schonungslose Bewertung unserer Situation.«
All das sollte einer radikalen Idee dienen, in die ich nur Tom eingeweiht hatte. Eine Woche zuvor hatte ich ihn gefragt: »Was halten Sie davon, wenn wir Pixar kaufen?«
Zunächst dachte er, ich würde einen Witz machen. Als ich ihm aber sagte, dass ich es ernst meinte, sagte er: »Steve wird niemals an uns verkaufen. Und selbst wenn, dann nicht zu einem Preis, den wir vertreten könnten oder dem der Verwaltungsrat zustimmen würde.« Wahrscheinlich hatte er recht, aber ich wollte trotzdem dafür werben, und dafür brauchte ich eine ungeschminkte, detaillierte Präsentation über den gegenwärtigen Zustand von Disney Animation. Tom zögerte, zum Teil, weil er mich schützen wollte, und zum Teil, weil er als CFO Verantwortung gegenüber dem Verwaltungsrat und unseren Aktionären trug, was bedeutete, dass er nicht immer unterstützte, was sich ein CEO ausdachte.
MEINE ERSTE VERWALTUNGSRATSSITZUNG als CEO war eine abendliche Zusammenkunft. Neben mir versammelten sich zehn weitere Mitglieder um den langen Konferenztisch in unserem Konferenzsaal. Ich konnte die gespannte Erwartung spüren. Für mich war es eine der bedeutendsten Sitzungen in meinem Leben. Der Verwaltungsrat wiederum lauschte zum ersten Mal in mehr als 20 Jahren einem neuen CEO.
Die Mitglieder hatten in den vergangenen zehn Jahren einiges verkraften müssen: die schmerzhafte Entscheidung, Michael an der Unternehmensspitze abzulösen, den endlosen Kampf mit Roy und Stanley, den feindlichen Übernahmeversuch von Comcast, die Aktionärsklage gegen die Abfindung in Höhe von mehr als 100 Millionen Dollar für Michael Ovitz, einen Rechtsstreit mit Jeffrey Katzenberg über die Bedingungen seines Abgangs im Jahr 1994 – die Liste ließe sich fortsetzen. Sie hatten viel Kritik über sich ergehen lassen müssen, und genau wie ich waren sie im Verlauf des Nachfolgeprozesses und der Machtübergabe mikroskopisch genau beobachtet worden. Die Atmosphäre war sehr aufgeladen, weil sie schon bald für ihre Entscheidung beurteilt werden würden, mich zum CEO ernannt zu haben, und sie wussten, dass es immer noch viele Skeptiker gab. Einige von ihnen (zwei oder drei, wenngleich ich mir nie ganz sicher war, um wen es sich handelte) hatten sich bis zuletzt gegen meine Ernennung gesträubt. Ich betrat den Saal in dem Wissen, dass, selbst wenn der Verwaltungsrat sich einstimmig für mich entschieden hätte, einige Leute am Tisch nicht erwarteten oder sogar gar nicht wollten, dass ich lange im Amt blieb.
George Mitchell eröffnete die Sitzung mit einem kurzen, eindringlichen Kommentar über die Bedeutung dieses Moments. Er gratulierte mir dafür, dass ich »diesen Prozess durchgehalten« hatte, wie er es ausdrückte, und gab anschließend das Wort an mich ab. Ich war von einer so ruhelosen Energie und dem intensiven Bedürfnis ergriffen, sofort auf das Kernthema zu sprechen zu kommen, dass ich mir alle einleitenden Floskeln sparte und unmittelbar sagte: »Wie Sie alle wissen, befindet sich Disney Animation in einem katastrophalen Zustand.«
Das hatten sie zwar schon gehört, aber ich wusste, dass die Realität wesentlich finsterer war, als irgendjemand von ihnen ahnte. Bevor ich die Finanzzahlen und die Ergebnisse der Markenrecherchen präsentierte, die wir vorbereitet hatten, erinnerte ich sie an einen Moment, der einige Wochen zuvor bei der Eröffnung von Hong Kong Disneyland stattgefunden hatte. Es war die letzte große Veranstaltung unter Michaels Ägide, zu der mehrere von uns angereist waren. Die Eröffnung hatte an einem glühend heißen Nachmittag stattgefunden. Tom Staggs, Dick Cook und ich hatten beisammen gestanden, als die Eröffnungsparade durch die Hauptstraße zog. Ein Paradewagen nach dem anderen war an uns vorbei gefahren. Auf den Wagen waren Figuren aus Walts legendären Filmen zu sehen gewesen: Schneewittchen , Aschenputtel , Peter Pan und so weiter. Außerdem Figuren großer Kinoerfolge, die im ersten Jahrzehnt von Michaels Amtsführung entstanden waren: Arielle, die Meerjungfrau , Die Schöne und das Biest , Aladdin und Der König der Löwen . Und es hatte Wagen mit Figuren aus den Pixar-Filmen gegeben: Toy Story , Monster AG und Findet Nemo .
Ich hatte mich an Tom und Dick gewandt und gefragt: »Fällt Ihnen an der Parade irgendetwas auf?« Sie hatten verneint. »Es sind praktisch keine Disney-Figuren aus den letzten zehn Jahren dabei«, hatte ich gesagt.
Wir konnten Monate damit verbringen zu analysieren, was schiefgelaufen war, aber hier wurde es uns direkt aufs Auge gedrückt. Die Filme waren nicht gut, und das bedeutete, die Figuren waren nicht beliebt beziehungsweise hatten sich nicht eingeprägt. Das hatte erhebliche Auswirkungen auf unsere Geschäfte und unsere Marke. Disney gründete auf Kreativität, einer fantasievollen Storyline und einer erstklassigen Animation. Kaum einer unserer jüngsten Filme erfüllte diese Kriterien.
Ich beendete meinen Vortrag und dimmte anschließend das Licht. Es wurde still im Raum, als wir die Liste der Filme auf eine Leinwand projizierten, die Disney Animation in den vergangenen zehn Jahren produziert hatte: Der Glöckner von Notre Dame , Hercules , Mulan , Tarzan , Fantasia 2000 , Dinosaurier , Ein Königreich für ein Lama , Atlantis , Lilo & Stitch , Der Schatzplanet , Bärenbrüder und Die Kühe sind los . Einige waren mäßige Kassenerfolge gewesen, andere eine echte Katastrophe. Keiner hatte überschwängliche Rezensionen erhalten. Insgesamt hatte Animation damit fast 400 Millionen Dollar verloren. Mit der Produktion dieser Filme hatten wir mehr als 1 Milliarde Dollar ausgegeben, wir hatten sie aggressiv vermarktet und trotzdem nur eine magere Rendite erzielt.
Im selben Zeitraum hatte Pixar einen kreativen und kommerziellen Erfolg nach dem anderen auf den Markt gebracht. Technologisch betrachtet machte Pixar mit digitaler Animation Dinge, die wir – Disney! – nur dilettantisch betrieben hatten. Vor allem aber sprachen sie auf sehr wirksame Weise Eltern und Kinder an. Nachdem ich dieses düstere finanzielle Bild gezeichnet hatte, bat ich Tom, die Ergebnisse unserer Markenrecherche zu präsentieren. In der demografischen Zielgruppe der Mütter mit Kindern unter 12 Jahren hatte Pixar Disney als Marke übertrumpft, die Mütter als »gut für ihre Familie« betrachteten. In einem direkten Vergleich mit Pixar stellte sich heraus, dass Pixar wesentlich beliebter war – wir konnten nicht einmal annähernd mithalten. Ich bemerkte, dass einige der Anwesenden sich gegenseitig etwas zuflüsterten, und spürte, wie sich Verärgerung breitmachte.
Sie wussten, dass Animation schon seit einiger Zeit in Schwierigkeiten steckte und Pixar der neue Stern war, aber sie waren nie derart schonungslos mit der Realität konfrontiert worden. Sie wussten nicht, wie schlecht die Zahlen waren, und sie hatten nie über eine Markenrecherche nachgedacht. Als ich fertig war, fielen einige sofort über mich her. Gary Wilson, der während des Nachfolgeprozesses mein schärfster Gegner gewesen war, sagte: »Sie waren in dieser Zeit fünf Jahre lang COO. Sind Sie nicht dafür verantwortlich?«
Wir können aber viel dafür tun, dass die Zukunft besser wird, und damit müssen wir hier und jetzt beginnen.
Mit einer Verteidigungshaltung konnte ich nichts gewinnen. »Disney und Michael verdienen viel Anerkennung für die Gründung der Partnerschaft mit Pixar«, erwiderte ich. »Das war keine einfache Zusammenarbeit, aber es sind großartige Dinge aus ihr entstanden.« Ich erklärte, dass das Management des Unternehmens nach der Übernahme von ABC schwieriger geworden war und Animation nicht die Aufmerksamkeit erhalten hatte, die es gebraucht hätte. Dieses Problem wurde dadurch verstärkt, dass sich die verschiedenen Studiochefs die Türklinke in die Hand gegeben hatten, wobei keiner von ihnen die Sparte besonders gut geführt hatte. Und dann wiederholte ich, was ich schon während des Nachfolgeprozesses immer wieder gesagte hatte: »Hier geht es nicht um Vergangenheitsbewältigung. Wir können die schlechten kreativen Entscheidungen, die wir getroffen, und die Flops, die wir produziert haben, nicht rückgängig machen. Wir können aber viel dafür tun, dass die Zukunft besser wird, und damit müssen wir hier und jetzt beginnen.«
Ich wies den Verwaltungsrat darauf hin, dass »Disney Animation bestimmt, wie es dem gesamten Unternehmen geht«. In vielfacher Hinsicht verkörperte die Sparte Animation die Marke Disney. Sie war der Motor, der zahlreiche unserer weiteren Geschäftsfelder antrieb, darunter Konsumprodukte, Fernsehen und Themenparks, und in den vergangenen zehn Jahren hatte die Marke stark gelitten. Das Unternehmen war damals, vor der Übernahme von Pixar, Marvel und Lucasfilm, wesentlich kleiner. Daher lastete auf Animation ein enormer Leistungsdruck, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Stärkung unserer Marke, sondern auch, was das Wachstum unserer Geschäftsfelder betraf. »Ich empfinde einen enormen Druck, dieses Problem zu lösen«, sagte ich. Ich wusste, dass die Aktionäre und Analysten mir keine Schonzeit gewähren und mich als Erstes an meiner Fähigkeit messen würden, ob mir der Turnaround von Disney Animation gelänge. »Die Trommeln schlagen schon laut und vernehmlich. Sie verlangen, dass ich etwas unternehme.«
Anschließend skizzierte ich drei mögliche Lösungswege. Der erste lautete, am gegenwärtigen Management festzuhalten und zu sehen, ob ihnen der Turnaround gelingen würde. Angesichts der bisherigen Ergebnisse äußerte ich allerdings meine Zweifel an dieser Option. Die zweite Alternative lautete, neue Führungskräfte zur Leitung des Studios ins Unternehmen zu holen. Allerdings hatte ich in den sechs Monaten Wartezeit bis zu meiner offiziellen Amtseinführung die gesamte Animations- und Filmwelt durchkämmt, um nach geeigneten Kandidaten zu suchen, und war nicht fündig geworden. »Oder«, schlug ich vor, »wir kaufen Pixar.«
Daraufhin brach ein solcher Tumult aus, dass ich eigentlich einen Richterhammer gebraucht hätte, um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen.
»Ich weiß nicht, ob sie zum Verkauf stehen«, sagte ich. »Falls ja, wird der Preis vermutlich schwindelerregend sein.« Als börsennotiertes Unternehmen lag Pixars Marktwert bei ungefähr 6 Milliarden Dollar, wobei Steve Jobs die Hälfte der Anteile hielt. »Es ist also höchst unwahrscheinlich, dass Steve überhaupt verkaufen will.« Diese Vorbehalte schienen einigen Verwaltungsratsmitgliedern eine gewisse Erleichterung zu bieten, veranlasste andere aber zu einer langwierigen Diskussion über die Frage, ob es irgendwelche Umstände gebe, die eine milliardenschwere Transaktion rechtfertigten.
»Wenn wir Pixar kaufen, könnten wir John Lasseter und Ed Catmull – zusammen mit Steve Jobs Pixars visionäre Unternehmensführer – zu Disney holen«, sagte ich. »Sie könnten Pixar weiterführen und gleichzeitig Disney Animation neues Leben einhauchen.«
»Warum können wir sie nicht einfach anheuern?«, fragte jemand.
»Zum einen steht John Lasseter bei Pixar unter Vertrag«, erwiderte ich. »Außerdem stehen sie fest zu Steve und dem, was sie dort aufgebaut haben. Ihre Loyalität gegenüber Pixar, den Mitarbeitern und Pixars Mission ist enorm. Es ist naiv zu glauben, wir könnten sie abwerben.« Ein anderes Verwaltungsratsmitglied meinte, wir bräuchten nur mit einem Lastwagen voll Geld vor ihrer Tür parken. »Diese Leute gewinnt man nicht mit Geld«, sagte ich. »Sie ticken anders.«
Nach der Sitzung meldete ich mich sofort bei Tom und Dick, um mich zu erkundigen, wie sie die Präsentation erlebt hätten. »Wir haben nicht geglaubt, dass Sie da als CEO wieder rauskommen«, sagte Tom. Er klang, als mache er einen Scherz, aber tief in meinem Inneren wusste ich, dass es kein Scherz war.
Als ich an dem Abend nach Hause kam, fragte mich Willow, wie es gelaufen war. Ich hatte nicht einmal sie in meine Pläne eingeweiht. »Ich habe ihnen vorgeschlagen, Pixar zu kaufen«, sagte ich.
Auch Willow blickte mich an, als sei ich verrückt geworden, und dann wiederholte sie, was alle anderen schon gesagt hatten: »Steve wird niemals an dich verkaufen.« Aber dann erinnerte sie mich an etwas, das sie mir nicht lange nach meiner Ernennung zum CEO gesagt hatte: »Die durchschnittliche Amtszeit eines CEO eines Unternehmens der Fortune 500 beträgt weniger als vier Jahre.« Damals war es ein Scherz, den wir gerne machten, damit meine Erwartungen realistisch blieben. Nun wiederholte sie den Satz jedoch in einem Ton, der implizierte, dass ich wenig zu verlieren hatte, wenn ich rasch handelte. Im Wesentlichen lautete ihr Rat: »Sei wagemutig.«
Was die Haltung des Verwaltungsrats anging, waren einige vehement dagegen und machten das auch sehr deutlich. Die meisten waren jedoch interessiert genug, um mir »gelbes Licht« zu geben, das heißt, die Idee auszuarbeiten, aber mit Bedacht vorzugehen. Insgesamt vertraten sie die Auffassung, das Ganze sei so unwahrscheinlich, dass sie uns ruhig den Spaß gönnen konnten, die Möglichkeiten für ein solches Vorhaben auszuloten.
Am folgenden Morgen bat ich Tom, eine weitere gründliche Analyse der Finanzzahlen durchzuführen, allerdings sagte ich ihm auch, es sei nicht eilig. Zu einer späteren Stunde des Tages wollte ich mit dieser Idee an Steve herantreten, wobei ich mir dachte, es könne gut sein, dass die ganze Angelegenheit bereits in wenigen Stunden gegenstandslos sei. Ich verbrachte den Morgen damit, meinen ganzen Mut zusammenzunehmen, um Steve anzurufen, und konnte mich am frühen Nachmittag endlich dazu aufraffen. Zu meiner Erleichterung konnte ich ihn nicht erreichen, aber als ich gegen 18:30 Uhr auf dem Nachhauseweg war, rief er zurück.
Das war ungefähr eineinhalb Wochen vor unserer Ankündigung über den Video-iPod, daher sprachen wir die ersten Minuten über dieses Projekt, bevor ich sagte: »Hey, ich habe noch eine andere verrückte Idee. Kann ich morgen oder übermorgen vorbeikommen, um sie Ihnen vorzustellen?«
Mir war nicht voll bewusst, wie sehr Steve radikale Ideen liebte. »Spucken Sie’s gleich aus«, erwiderte er.
Während wir telefonierten, fuhr ich die Auffahrt zu unserem Haus hoch. Es war ein lauer Oktoberabend. Ich stellte den Motor ab. Die warmen Temperaturen und meine nervöse Anspannung ließen mich in Schweiß ausbrechen. Dann rief ich mir Willows Rat in Erinnerung – sei wagemutig. Steve würde wahrscheinlich wie aus der Pistole geschossen nein sagen. Möglicherweise würde er auch über die wahrgenommene Arroganz der Idee beleidigt sein. Wie konnte ich es wagen zu denken, Pixar sei etwas, das Disney mal eben im Vorbeigehen einsacken konnte? Doch selbst wenn er mir sagte, ich solle mir meinen Vorschlag sonst wo hinstecken, wäre das Telefonat beendet und ich stünde wieder da, wo ich bereits stand. Ich hatte also nichts zu verlieren. »Ich habe über unsere jeweilige Zukunft nachgedacht», begann ich. »Was halten Sie von der Idee, dass Disney Pixar übernimmt?« Ich wartete darauf, dass er einfach auflegen oder in lautes Gelächter ausbrechen würde. Die Stille, bevor er endlich antwortete, erschien endlos.
Stattdessen sagte er: »Wissen Sie, das ist nicht die abwegigste Idee der Welt.«
Ich hatte mich so auf eine Abfuhr eingestellt, dass mir der unerwartete Umstand, dass er die Idee nicht rundheraus ablehnte, einen echten Adrenalinschub bescherte – trotz der rationalen Erkenntnis, dass zwischen diesem Moment und seiner Verwirklichung eine Million weiterer Hürden standen. »Okay«, sagte ich. »Großartig. Wann können wir darüber sprechen?
MANCHMAL SCHRECKEN MENSCHEN vor großen Vorhaben zurück, weil sie bei der Analyse der Chancen bereits kleinmütig werden und sich viele Argumente einfallen lassen, warum etwas nicht geht, noch bevor sie überhaupt den ersten Schritt gemacht haben. Eines der Dinge, die ich immer instinktiv gespürt habe – und die in meiner Zusammenarbeit mit Leuten wie Roone und Michael sehr verstärkt wurden – ist, dass gewaltige Herausforderungen üblicherweise gar nicht so gewaltig sind, wie sie erscheinen. Roone und Michael waren beide von ihrer eigenen Macht und der Fähigkeit ihrer Organisationen überzeugt, Dinge zu bewegen. Sie glaubten, dass sich mit entsprechender Energie, Besonnenheit und Engagement selbst die kühnsten Ideen umsetzen ließen. In meinen nachfolgenden Gesprächen mit Steve versuchte ich, mir diese Einstellung zu bewahren.
Einige Wochen nach dem Telefonat, das wir auf meinem Nachhauseweg geführt hatten, trafen wir uns im Vorstandssaal von Apple im kalifornischen Cupertino – einem langgestreckten Raum, in dessen Mitte ein fast ebenso langer Tisch stand. Eine Wand war aus Glas und gab den Blick über den Eingang zum Apple-Gelände frei, und an der gegenüberliegenden Wand hing ein fast 8 Meter langes Whiteboard. Steve sagte, er liebe Whiteboard-Darstellungen, bei denen jeder, der den Tafelschreiber in der Hand hielt, eine komplette Vision mit allen Gedanken, Designs und Berechnungen aufzeichnen konnte.
Ich war nicht überrascht, dass Steve den Tafelschreiber in der Hand hielt. Man konnte spüren, dass er an diese Rolle gewöhnt war. Da stand er nun, mit dem Stift in der Hand und kritzelte VORTEILE auf die eine Seite und NACHTEILE auf die andere. »Sie beginnen«, sagte er. «Irgendwelche Vorteile?«
Ich war viel zu nervös, um den Anfang zu machen, daher überließ ich ihm den Vortritt. »Okay«, sagte er. »Also ich habe einige Nachteile.« Und dann schrieb er mit einer gewissen Befriedigung: »Disneys Kultur wird Pixar zerstören!« Ich konnte es ihm nicht verübeln. Seine bisherigen Erfahrungen mit Disney hatten keine Hinweise auf das Gegenteil ergeben. Dann fuhr er fort und schrieb alle Nachteile, die ihm einfielen, in ganzen Sätzen an die Tafel. »Der Turnaround von Disney Animation wird zu lange dauern und John und Ed auspowern.« »Es gibt zu viele alte Wunden, deren Heilung Jahre in Anspruch nehmen wird.« »Der Börse wird es nicht gefallen.« »Ihr Verwaltungsrat wird Ihnen das nie genehmigen.« »Pixar wird Disney als Eigentümer ablehnen, wie ein Körper ein Spenderorgan abstößt.« Es gab noch viele weitere Einwände, aus denen einer in Großbuchstaben hervorstach: »DIE ABLENKUNG WIRD PIXARS KREATIVITÄT ZERSTÖREN.« Ich nahm an, er meinte, dass der eigentliche Übernahmeprozess und die anschließende Integration ein zu großer Schock für das System seien, das sie errichtet hatten. (Einige Jahre später schlug Steve vor, Disney Animation komplett zu schließen und alle Zeichentrickfilme nur noch von Pixar produzieren zu lassen. Selbst John Lasseter und Ed Catmull lehnten diese Idee ab, und ich auch.)
Es schien sinnlos zu sein, dass ich diese Liste noch weiter ergänzte, daher machten wir uns an die Vorteile. Ich machte den Anfang und sagte: »Pixar wird Disney retten, und wir alle werden glücklich bis an unser Ende leben.«
Steve lächelte, aber schrieb es nicht auf. »Wie meinen Sie das?«
Ich sagte: »Animation wieder auf den Erfolgspfad zu führen, wird die Wahrnehmung über Disney völlig verändern und unsere Zukunftsaussichten verbessern. Außerdem werden John und Ed in wesentlich größeren Dimensionen agieren können.«
Zwei Stunden später waren die Vorteile immer noch dünn gesät und die Liste der Nachteile lang, selbst wenn einige von ihnen nach meiner Auffassung etwas kleinkariert waren. Ich fühlte mich entmutigt, hätte aber darauf vorbereitet sein sollen. »Also gut«, sagte ich. »Es war eine nette Idee. Ich kann allerdings nicht erkennen, wie das gehen soll.«
Einige solide Vorteile wiegen mehr als Dutzende Nachteile.
»Einige solide Vorteile wiegen mehr als Dutzende Nachteile«, erwiderte Steve. »Was sollten wir als Nächstes tun?« Eine weitere Lektion: Steve war großartig darin, alle Aspekte einer Fragestellung abzuwägen und nicht zuzulassen, dass die negativen Punkte die positiven erdrückten, vor allem, wenn es sich um Dinge handelte, die er unbedingt umsetzen wollte. Das war eine seiner wirklich eindrucksvollen Eigenschaften.
Sechs Jahre später starb er. Kurz nach seinem Tod wurde ich Mitglied des Verwaltungsrats von Apple. Jedes Mal, wenn ich zu einer Sitzung ging und auf dieses riesige Whiteboard blickte, sah ich Steve vor mir – eindringlich, energiegeladen, engagiert und sehr offen für die Möglichkeit, dieses Vorhaben (und ich vermute, viele weitere) in die Tat umzusetzen.
»Ich muss Pixar besuchen«, sagte ich. Ich war noch nie dort gewesen. Gegen Ende unseres alten Vertrags hatten sich die Beziehungen zwischen unseren beiden Unternehmen so verschlechtert, dass kaum noch eine Zusammenarbeit stattfand, und niemand wusste, woran der andere gerade arbeitete. Wir hatten noch einen letzten gemeinsamen Film – Cars – im Vertrieb, aber niemand bei Disney hatte ihn sich je angesehen. Wir hatten gehört, dass Pixar an einem Film über Ratten in einem Pariser Restaurant arbeitete, für den die Leute von Disney nur Spott übriggehabt hatten. Die Kommunikation war völlig zum Erliegen gekommen, da sich beide Unternehmen auf die endgültige Trennung vorbereiteten.
Wenn ich aber dafür plädieren würde, Pixar zu kaufen, dann musste ich viel mehr über ihre Arbeitsweise erfahren. Ich wollte die wichtigsten Leute kennenlernen, mich über ihre Projekte informieren und ein Gespür für die Unternehmenskultur bekommen. Wie fühlte es sich an, bei Pixar zu arbeiten? Was machten sie anders als wir, das dazu führte, dass sie konstant erstklassige Filme produzierten?
Steve stimmte meinem Wunsch sofort zu. Er erklärte John und Ed, dass wir im Gespräch seien. Zwar machte er keinerlei Zusagen und würde ohne ihr Einverständnis auch keine machen, aber er fand, es lohne sich, mir das Unternehmen zu zeigen. In der folgenden Woche kam ich allein zum Pixar-Gelände in Emeryville. Johns Assistentin empfing mich in der Lobby und führte mich in ihr riesiges Atrium, an dessen Design Steve mitgewirkt hatte. Zu beiden Seiten erstreckten sich Cafeteria-Bereiche und am Ende befand sich der Haupteingang zu ihrem Kino. Überall wandelten Leute umher, die sich in kleinen Gruppen zusammenfanden; es wirkte eigentlich mehr wie eine Studentengewerkschaft als wie eine Filmgesellschaft. Alle schienen glücklich zu sein, bei Pixar arbeiten zu dürfen.
Wenn ich die besten zehn Tage nennen müsste, die ich je in einem Job verbracht habe, dann würde dieser erste Besuch bei Pixar weit oben auf der Liste stehen. John und Ed begrüßten mich herzlich und erklärten, ich würde die erste Hälfte des Tages jeden Direktor kennenlernen und dann würden sie mir Elemente der Filme zeigen, an denen sie gerade arbeiteten – Rohschnitte von Filmszenen, Storyboards, Konzeptkunst, Originalpartituren und Darstellerlisten. Dann würde ich ihre neue »Technologie-Pipeline« zu sehen bekommen und einen Eindruck von dem Zusammenwirken der technischen und der kreativen Seite erhalten.
John war zuerst dran. Er zeigte mir den fast fertig geschnittenen Film Cars , und ich saß da und war völlig verzaubert von der Qualität der Animation und ihrer Technik, die sich seit ihrem letzten Film unglaublich weiterentwickelt hatte. Ich erinnere mich zum Beispiel, dass ich von der Art und Weise fasziniert war, wie sich das Licht in der Metallic-Lackierung der Rennwagen brach. Solche Bilder hatte ich bei einer computergenerierten Animation noch nie gesehen. Anschließend zeigte mir Brad Bird seine Arbeit, den verspotteten »Rattenfilm« Ratatouille . Auf mich wirkte er wie der thematisch raffinierteste und erzählerisch originellste Film, den Pixar je gemacht hat. Der Regisseur Andrew Stanton, der mit Findet Nemo seinen ersten eigenen Langfilm gedreht hatte, führte mir einen Ausschnitt aus Wall∙E vor, einer Dystopie über einen einsamen Roboter, der sich in einen anderen Roboter verliebt, verbrämt mit einer Botschaft über die sozialen und ökologischen Gefahren eines frenetischen Konsumismus. Darauf folgte die Vorstellung von Pete Docters Oben , einer Liebesgeschichte, die vor der beeindruckenden Kulisse Südamerikas stattfindet und sich mit Sterblichkeit und Trauer auseinandersetzt. (Nach Oben führte Pete Regie bei Alles steht Kopf .) Und Gary Rydstrom zeigte mir eine Story über das Aussterben von Tiergattungen, erzählt aus der Perspektive eines Abenteuers zweier Blaufußtölpel. Später gab Pixar dieses Projekt auf, aber ich war völlig begeistert von der Fantasie und der Intelligenz, die in Garys Präsentation zum Ausdruck kam. Brenda Chapman führte mir Merida – Legende der Highlands vor. Lee Unkrich, der anschließend Regie bei Toy Story 3 und Coco führen sollte, stellte mir einen Film über Haustiere in einem Apartmentgebäude auf der Upper West Side von Manhattan vor. (Ratatouille , Wall∙E , Oben , Toy Story 3 , Merida , Alles steht Kopf und Coco wurden alle mit einem Oscar für den besten Animationsfilm ausgezeichnet).
Zum Schluss verbrachte ich einige Stunden mit Ed Catmull und den Ingenieuren, die mir ausführlich die technische Plattform erklärten, die den gesamten kreativen Unternehmensbereich untermauerte. Ich sah aus erster Hand, was John mir am Morgen gleich nach der Begrüßung erklärt hatte. Seinen Worten zufolge forderten die Animationsfilmzeichner und Regisseure die Ingenieure ständig heraus, damit sie ihnen die Instrumente lieferten, mit denen sie ihre kreativen Träume verwirklichen konnten – zum Beispiel, damit sich Paris auch wie Paris anfühlte . Ed und sein Ingenieursteam entwickelten ihrerseits aus eigener Initiative ständig neue Instrumente, die sie dann den Künstlern vorstellten, um sie dazu anzuregen, Dinge auf eine völlig neue Art und Weise zu betrachten. »Sehen Sie mal, wie wir Schnee, Wasser oder Dunst erzeugen!« Ed zeigte mir die raffiniertesten Animationsinstrumente, die je erfunden wurden – ein technologischer Einfallsreichtum, der Kreativität in ihrer höchsten Form ermöglichte. Dieses Yin und Yang war die Seele von Pixar. Alles andere ergab sich daraus.
Am Ende des Tages stieg ich in mein Auto, das auf dem Parkplatz des Pixar-Geländes stand, und machte mir sofort Notizen. Dann rief ich Tom Staggs an und sagte, ich müsse ihn gleich nach meiner Landung in L.A. sehen. Ich hatte keine Idee, ob der Verwaltungsrat mitmachen würde, aber ich wusste, dass Steve seine Meinung in einer Laune ändern konnte. Atemlos beschrieb ich Tom das technische und kreative Niveau, den kreativen Ehrgeiz, das unbedingte Qualitätsdenken, das fantasievolle Storytelling, die Technologie, die Führungsstrukturen und die Atmosphäre enthusiastischer Zusammenarbeit und sogar das Gebäude und seine Architektur. Dort herrschte eine Kultur, die jeder, der kreativ arbeitet – nein, eigentlich jeder, egal in welchem Bereich – gerne hätte. Und all das war allem, was wir machten und aus eigener Kraft leisten konnten, so haushoch überlegen, dass ich das Gefühl hatte, wir müssten alles tun, um diese Fusion Wirklichkeit werden zu lassen.
Als ich in mein Büro in Burbank zurückkehrte, setzte ich mich unverzüglich mit meinem Team zusammen. Zu sagen, dass sie meinen Enthusiasmus nicht teilten, wäre eine Untertreibung. Ich war der Einzige, der aus eigener Anschauung das Wesen, die Essenz, von Pixar erlebt hatte; für sie war die Idee immer noch viel zu wenig praktikabel. Zu viele Risiken, winkten sie ab. Viel zu hohe Kosten. Sie machten sich Sorgen, weil ich ihrer Meinung nach, kaum dass ich CEO geworden war, bereits meine Zukunft und die Zukunft des Unternehmens riskierte.
Das sollte in fast jeder Diskussion, die ich über Pixar führte, ein wiederkehrendes Thema sein. Immer und immer wieder hieß es, das Ganze sei zu riskant und fehlgeleitet. Viele Leute dachten, Steve sei viel zu unberechenbar und würde hinterher versuchen, das fusionierte Unternehmen zu leiten. Außerdem wurde ich ermahnt, ein gerade erst ernannter CEO solle keine großen Akquisitionen tätigen. Ich sei »durchgeknallt«, wie es einer unserer Investmentbanker ausdrückte, weil das finanziell nicht zu stemmen sei und sich der Börse unmöglich »verkaufen« lasse.
Zu sagen, Führungskräfte sollten einfach ihrem Bauchgefühl folgen, ist vielleicht nicht der verantwortungsvollste Rat in einem Buch wie diesem.
Der Investmentbanker hatte recht. Es stimmt, dass sich die Sinnhaftigkeit der Transaktion auf dem Papier nicht erschloss. Aber ich war mir sicher, dass dieses Maß an Originalität und Einfallsreichtum mehr wert war, als irgendjemand von uns verstand oder damals berechnen konnte. Zu sagen, Führungskräfte sollten einfach ihrem Bauchgefühl folgen, ist vielleicht nicht der verantwortungsvollste Rat in einem Buch wie diesem, weil er dahin gehend interpretiert werden könnte, dass ich Impulsivität vor Besonnenheit und Spekulation vor einer sorgfältigen Prüfung den Vorzug geben würde. Wie bei allem liegt auch hier der Schlüssel in dem Bewusstsein und der Abwägung und Gewichtung aller Faktoren – Ihrer eigenen Motive, der Meinung der Leute, denen Sie vertrauen, den Ergebnissen einer sorgfältigen Prüfung und Analyse sowie der Dinge, die Ihnen die Analysen nicht verraten werden. Sie wägen alle diese Faktoren gegeneinander ab, in dem Wissen, dass keine zwei Umstände einander gleichen. Und wenn Sie die Person sind, die die letzte Entscheidung trifft, ist es letztlich eine Frage Ihres Instinkts. Ist die Entscheidung richtig oder nicht? Nichts ist sicher, aber zumindest müssen Sie bereit sein, große Risiken zu wagen. Ohne den Mut zum Risiko sind auch keine großen Erfolge möglich.
Was Pixar betraf, hatte ich einen ausgeprägten Instinkt. Ich war davon überzeugt, dass uns diese Akquisition völlig transformieren würde: Sie würde Disney Animations wieder auf Erfolgskurs bringen; sie würde Steve Jobs, die einflussreichste Stimme auf dem Gebiet der technologischen Entwicklungen, ins Boot holen; sie würde eine Kultur der Exzellenz und des Ehrgeizes in unser Unternehmen tragen, die sich auf dringend benötigte Weise über die gesamte Organisation verbreiten würde. Letztlich konnte der Verwaltungsrat die Akquisition ablehnen, aber ich wollte diese Chance nicht aus Angst vor einem Nein von vornherein vertun. Ich sagte meinem Team, dass ich ihre Meinungen respektierte und wüsste, dass sie sich um mich sorgten, was ich sehr zu schätzen wisse, aber dass ich davon überzeugt sei, dass wir die Akquisition vorantreiben sollten. Zumindest würde ich mich nicht kampflos geschlagen geben.
Man hätte es als Schwäche werten können, aber in diesem Fall bewährte sich der aufrichtige Enthusiasmus.
Am Tag nach meinem Besuch in Emeryville rief ich Steve an. Bevor ich seine Nummer wählte, ermahnte ich mich, zu versuchen, meinen Enthusiasmus im Zaum zu halten. Natürlich musste ich ihm Lob und Bewunderung aussprechen, denn Steve war überaus stolz auf Pixar, aber dieses Telefonat könnte zugleich der Beginn ernsthafter Verhandlungen sein, und ich wollte ihm nicht das Gefühl geben, ich sei so verzweifelt hinter diesem Deal her, dass er völlig astronomische Forderungen stellen konnte. In dem Moment, in dem Steve ans Telefon ging, war mein mühselig aufgesetztes Pokerface jedoch dahin. Der Enthusiasmus, den ich verspürte, überwältigte alle sorgfältig zurechtgelegten Gedanken. Ich beschrieb ihm den Tag in Emeryville von Anfang bis Ende und hoffte, meine Ehrlichkeit würde am Ende mehr nützen als irgendeine »clever« vorgetäuschte Nüchternheit. Man hätte es als Schwäche werten können – wenn man zeigt, dass man etwas unbedingt haben möchte, lässt einen der Verkäufer im Allgemeinen dafür bluten –, aber in diesem Fall bewährte sich der aufrichtige Enthusiasmus. Ich beendete meinen Bericht mit den Worten, ich wolle dieses Vorhaben wirklich umsetzen – als sei das noch nicht klar geworden.
Steve sagte, er würde die Idee nur dann ernsthaft in Erwägung ziehen, wenn John und Ed mit im Boot wären. Im Anschluss an unser Telefonat sprach er mit ihnen und teilte ihnen mit, er sei offen für Verhandlungen, versprach ihnen aber, dass er ohne ihre Zustimmung keinen Deal eingehen würde. Es war geplant, dass ich mich mit jedem von ihnen einzeln treffen sollte, um ihnen meine Vorstellungen näher darzulegen und ihre jeweiligen Fragen zu beantworten. Anschließend würden sie entscheiden, ob sie an einer Fortsetzung der Verhandlungen interessiert wären.
Einige Tage später flog ich in die San Francisco Bay Area, um mit John und seiner Frau Nancy in ihrem Haus in Sonoma zu Abend zu essen. Wir hatten sofort einen Draht zueinander und führten eine lange, angenehme Unterhaltung. Ich gab ihnen einen kurzen Abriss meiner bisherigen Karriere, der Zeit bei Wide World of Sports und schilderte ihnen die Erfahrung, von Capital Cities übernommen zu werden, die Jahre der Programmverantwortung für das Primetime-Programm von ABC und schließlich die Übernahme durch Disney und den langen Weg bis zu meiner Ernennung als CEO. John erzählte mir von seiner Zeit bei Disney Animation, die mehr als zwanzig Jahre zurücklag und in die Zeit vor Michaels Ära fiel. (Er war entlassen worden, weil seine und Disneys damalige Ansichten über die Zukunft der Computeranimation auseinanderdrifteten!)
»Ich weiß, wie es ist, wenn man von einem anderen Unternehmen übernommen wird«, sagte ich. »Selbst unter den besten Umständen ist der Integrationsprozess eine heikle Sache. Man kann die Umstellung nicht erzwingen, und definitiv nicht bei einem Unternehmen wie Ihrem.« Ich fügte hinzu, selbst wenn es unbeabsichtigt geschehe, zerstöre der Käufer häufig die Kultur des Unternehmens, das er gekauft hat, und das vernichte Wert.
In einer kreativen Branche liegt der wahre Wert eines Unternehmens in den Menschen, die dort arbeiten.
Viele Unternehmen kaufen andere, ohne sich viele Gedanken darüber zu machen, was sie eigentlich kaufen. Sie glauben, sie würden damit physische Vermögenswerte, Fertigungsressourcen oder intellektuelles Kapital einkaufen (das trifft auf einige Industrien mehr zu als auf andere). Meistens übernehmen sie jedoch in erster Linie Menschen. In einer kreativen Branche liegt der wahre Wert eines Unternehmens in den Menschen, die dort arbeiten. Ich unternahm große Anstrengungen, um John zu versichern, dass es für Disney nur sinnvoll sei, Pixar zu übernehmen, wenn wir ihre einzigartige Kultur schützten. Die Integration von Pixar in unseren Konzern würde eine gewaltige Transfusion von Führungsqualität und Kompetenz bedeuten, und das müssten wir von Anfang an richtig aufsetzen. »Pixar muss Pixar bleiben«, sagte ich. »Wenn wir die Kultur, die Sie geschaffen haben, nicht schützen, zerstören wir genau das, was Ihr Unternehmen so wertvoll macht.«
John sagte, er freue sich, das zu hören. Dann stellte ich ihm meinen großen Plan vor. »Ich möchte, dass Sie und Ed auch Disney Animation leiten.«
All diese Jahre später sagte John, er müsse immer noch darüber grinsen, dass er einst bei Disney gefeuert wurde, aber er habe großen Respekt vor dem Erbe von Disney Animation. So wie es mir nicht gelungen war, meinen Enthusiasmus vor Steve zu verbergen, gelang es John nicht, seinen Enthusiasmus über die Aussicht zu verbergen, Disney Animation zu leiten. »Das wäre ein echter Traum«, sagte er.
Einige Tage später flog Ed Catmull nach Burbank, um sich mit mir zu treffen. (Wir gingen in ein Steakhouse in der Nähe des Disney-Geländes, obwohl wir beide kein Fleisch aßen.) Auch diesmal unternahm ich große Anstrengungen, Ed meine Philosophie über Akquisitionen zu erklären – dass die Kultur, die sie aufgebaut hatten, der Schlüssel zu der Magie darstellte, die sie erzeugen konnten, und dass ich überhaupt kein Interesse daran hätte, sie zu zwingen, sich und ihre Kultur aufzugeben. Außerdem sprach ich über die zweite Chance, die sich mit der Fusion präsentierte, nämlich dass ich wollte, dass er und John Disney Animation neues Leben einhauchten.
Wenn John extrovertiert und emotional ist, ist Ed das genaue Gegenteil. Er ist ein stiller, nachdenklicher, introvertierter Doktor der Computerwissenschaften, der einen Großteil der Technologie entwickelt hat, auf der Pixars digitale Animation gründet. Wir lagen weit hinter ihrem technischen Standard zurück, aber andere Teile des Disney-Konzerns verfügten über technische Ressourcen, auf die Ed gerne Zugriff gehabt hätte. In seiner nüchtern-zurückhaltenden Art sagte er: »Es wäre spannend zu sehen, was wir dort machen könnten.«
Am folgenden Tag rief mich Steve an und teilte mir mit, John und Ed hätten ihm grünes Licht gegeben, um mit mir Verhandlungen aufzunehmen. Nicht lange danach trat der Verwaltungsrat von Disney erneut zusammen, dieses Mal in New York.
Ich berichtete über den Besuch bei Pixar und die Treffen mit John und Ed, und dass Steve verhandlungsbereit sei. Tom Staggs, der nach wie vor skeptisch war, hielt eine Präsentation über die wirtschaftlichen Aspekte der Akquisition, einschließlich der Frage einer möglichen Kapitalerhöhung und der damit verbundenen potenziellen Verwässerung der Disney-Aktien, sowie seiner Einschätzung über die Reaktion der Investment-Gemeinde, die er bestenfalls als gemischt bis leicht negativ beschrieb. Die Verwaltungsratsmitglieder hörten aufmerksam zu. Zwar waren sie am Ende der Sitzung immer noch grundsätzlich skeptisch, aber sie gaben uns die Genehmigung, mit Steve zu verhandeln und ihnen konkretere Vorschläge zu unterbreiten.
Tom und ich flogen direkt von dieser Sitzung nach San Jose, Kalifornien, und trafen uns am folgenden Tag mit Steve in Apples Konzernzentrale. Während wir das Gebäude betraten, dachte ich, dass ich keinen langen Verhandlungsprozess wollte. Ein langes, kompliziertes Tauziehen lag nicht in Steves Natur (die schleppenden, erbitterten Verhandlungen mit Michael waren ihm noch gut im Gedächtnis). Er mochte schon die Art und Weise nicht, wie Disney Vereinbarungen traf, und ich fürchtete, dass er das Ganze abblasen würde, falls wir uns an irgendeinem Punkt festhaken sollten.
Sobald wir uns hingesetzt hatten, sagte ich: »Ich will ganz offen zu Ihnen sein. Dies ist etwas, dass wir nach meinem Gefühl unbedingt tun müssen.« Steve stimmte mir zu, aber anders als in der Vergangenheit nutzte er seinen Vorteil nicht, um völlig illusorische Summen zu fordern. Egal, auf was wir uns einigten, würde ihm dieser Deal sehr zugute kommen, aber er wusste, dass sich seine Vorstellungen im Bereich des Möglichen bewegen mussten, und ich glaube, er schätzte meine Offenheit.
Im Verlauf der folgenden Monate arbeiteten Tom und Steve intensiv und sehr ausführlich an einer möglichen finanziellen Struktur und einigten sich schließlich auf einen Preis: 7,4 Milliarden Dollar. Für jede Pixar Aktie wurden 2,3 Disney-Aktien geboten. Die Gesamtsumme bestand aus 6,4 Milliarden Dollar in Aktien und 1 Milliarde aus Pixars Barmitteln. Selbst wenn Steve darauf verzichtete, überzogene Forderungen zu stellen, war das immer noch eine gewaltige Summe, die unserem Verwaltungsrat und den Investoren nur schwer zu verkaufen sein würde.
Außerdem verhandelten wir über einen »sozialen Pakt«, eine zweiseitige Liste mit kulturell bedeutsamen Themen und Dingen, die wir zu erhalten versprachen. Sie wollten das Gefühl haben, sie seien immer noch Pixar, und alles, was dieses Gefühl wahrte, war wichtig. Ihre E-Mail-Adressen würden weiterhin Pixar-Adressen sein; auf den Schildern an ihren Gebäuden würde weiterhin Pixar stehen; sie würden ihre Rituale zur Begrüßung und Einführung neuer Mitarbeiter und ihre traditionellen monatlichen Bier-Partys beibehalten. Wesentlich sensiblere Verhandlungen fanden über die Markenpolitik für Filme, Merchandising und Themenpark-Attraktionen statt. Unseren Recherchen zufolge hatte Pixar Disney als Marke inzwischen übertrumpft – ein Umstand, dessen sie sich wohl bewusst waren –, aber ich war davon überzeugt, dass die stärkste Markenkraft für Pixar-Filme im Verlauf der Zeit aus der Kombination Disney-Pixar erwachsen würde, vor allem, wenn Disney Animation von John und Ed geleitet würde. Und darauf einigten wir uns auch schließlich. Pixars berühmte »Luxo Junior«-Animation sollte nach wie vor jeden Film eröffnen, aber vorher würde die Disney-Castle-Animation erscheinen.
DIE HERAUSFORDERUNG, die nun vor mir lag, bestand darin, unseren Verwaltungsrat von der Sinnhaftigkeit dieser Übernahme zu überzeugen. Meiner Meinung nach sollten die Mitglieder direkt mit Steve, John und Ed sprechen. Niemand konnte den Deal besser verkaufen als diese drei. Und so kamen wir an einem Wochenende im Januar 2006 alle in einem Konferenzsaal von Goldman Sachs in L.A. zusammen. Mehrere Mitglieder des Verwaltungsrats waren noch immer gegen die Akquisition, aber in dem Moment, als Steve, John und Ed das Wort ergriffen, wurde es im Raum mucksmäuschenstill. Steve, John und Ed hatten weder Notizen noch Foliensätze noch irgendwelche visuellen Hilfsmittel mitgebracht; allein mit lebendigen Worten erklärten sie ihre Philosophie, ihre Arbeitsweise, die gemeinsamen Projekte, von denen wir bereits träumten, und wer sie als Personen waren.
John sprach mit Leidenschaft über seine lebenslange Liebe zu Disney und seinen Wunsch, Disney Animation wieder zu seinem alten Ruhm und Glanz zu verhelfen. Ed hielt eine faszinierende, intellektuelle Präsentation über die Zukunft der Technologie und wie Disney und Pixar davon profitieren könnten. Und was Steve betrifft, kann man sich kaum einen besseren Verkäufer für ein derart ambitioniertes Vorhaben vorstellen. Er sprach darüber, wie wichtig es sei, dass große Unternehmen großen Wagemut bewiesen; über Disneys vergangenen Ruhm und die Dinge, die der Konzern tun müsse, um eine radikale Kursänderung vorzunehmen. Er erwähnte mich und die Beziehung, die bereits zwischen uns entstanden war – mit dem iTunes-Projekt, aber auch mit den anhaltenden Diskussionen über den Erhalt der Pixar-Kultur. Und er umriss seinen Wunsch zur Zusammenarbeit, um diese verrückte Idee zum Erfolg zu führen. Als ich ihn so sprechen hörte, empfand ich zum ersten Mal die Zuversicht, dass es klappen würde.
Der Verwaltungsrat sollte am 24. Januar zur abschließenden Entscheidung zusammentreten, allerdings begann die Nachricht von einer Fusion bereits an die Öffentlichkeit durchzusickern. Plötzlich erhielt ich von allen Seiten Anrufe von Leuten, die mich drängten, davon Abstand zu nehmen. Unter anderem auch von Michael Eisner. »Bob, das können Sie nicht machen«, sagte er. »Das ist das Dümmste auf der Welt.« Alle äußerten die gleichen Befürchtungen: zu teuer, zu riskant. Steve ins Unternehmen zu holen, wäre eine Katastrophe. »Sie können den Turnaround von Animation auch allein schaffen«, sagte er. »Dazu brauchen Sie Pixar nicht. Pixar ist nur einen Misserfolg davon entfernt, ein ganz durchschnittliches Unternehmen zu sein.« Er rief sogar Warren Buffett an, weil er glaubte, wenn Warren die Akquisition für eine unkluge Investition hielt, dann könne er die Mitglieder des Verwaltungsrats, die er kannte, umstimmen. Warren hielt sich aber aus der Sache heraus, und so rief Michael erst Tom Murphy an, um ihn zu bearbeiten, und anschließend wandte er sich an George Mitchell und bat ihn, sich direkt an den Verwaltungsrat wenden zu dürfen.
Daraufhin rief George mich an und erzählte mir von Michaels Bitte. »George«, sagte ich, »Sie lassen das doch nicht zu, oder? An diesem Punkt?« Michael war schon seit vier Monaten nicht mehr im Unternehmen. Seine Verbindungen zu Disney hatten an seinem letzten Tag im Konzern geendet. Ich wusste, dass es schwierig für ihn war, aber ich fühlte mich von seiner Einmischung sehr gekränkt. Ein solches Vorgehen hätte er in seiner Zeit als CEO niemals toleriert.
»Er wird nicht weit kommen«, erwiderte George. »Lassen Sie ihn machen. Wir zeigen ihm, dass wir ihn respektieren, und hören ihm zu. Und dann tragen Sie Ihre Argumente vor.« Das war George, wie er leibt und lebt. Nach Jahren im US-Senat, einschließlich einer kurzen Zeit als Mehrheitsführer und Vorsitzender der Friedensverhandlungen im Nordirlandkonflikt war er der perfekte Staatsmann. Er hatte das aufrichtige Gefühl, Michael verdiene diesen Respekt, aber er wusste auch, dass Michael in dieser Angelegenheit ein aggressiver Kontrahent sein könnte, der versuchen würde, den Verwaltungsrat von außen zu beeinflussen. Daher glaubte er, es sei besser, ihn an der Verwaltungsratssitzung teilnehmen und ihn reden zu lassen, um mir die Gelegenheit zu geben, seine Argumente direkt im Anschluss zu widerlegen. Es ist das Einzige, das George als Chairman je tat, das mich gewurmt hat, aber ich konnte nichts dagegen tun und musste mich auf seinen Instinkt verlassen.
Am Tag der abschließenden Entscheidung kam Michael zur Sitzung und trug seine Argumente vor. Es waren dieselben, die er mir gegenüber bereits geäußert hatte – der Preis sei viel zu hoch, Steve sei schwierig und herrisch und würde die Kontrolle einfordern, und Animation lasse sich auch so wieder auf den Erfolgspfad zurückführen. Er blickte mich an und sagte: »Bob kann Animation wieder profitabel machen.« Ich erwiderte: »Michael, Sie konnten es nicht, und jetzt sagen Sie, ich könne es?«
Vor der Sitzung hatte mich George in meinem Büro aufgesucht und gesagt: »Ich glaube, Sie werden es schaffen. Aber es ist noch nicht in trockenen Tüchern. Sie müssen hineingehen und sich mit ganzem Herzen dafür einsetzen. Sie müssen im übertragenen Sinne mit der Faust auf den Tisch hauen. Lassen Sie die Mitglieder des Verwaltungsrats Ihre Leidenschaft spüren. Verlangen Sie ihre Unterstützung.«
»Ich dachte, das hätte ich bereits«, entgegnete ich.
»Dann müssen Sie es jetzt nochmal machen.«
Ich betrat den Sitzungssaal mit einer Mission. Bevor ich eintrat, hielt ich sogar noch einmal kurz inne, um einen Blick auf Theodore Roosevelts Ansprache »Der Mann in der Arena« zu werfen, die mir seit Langem als Inspiration diente: »Es ist nicht der Kritiker, der zählt; nicht der Mann, der darauf deutet, wie der Starke stolpert, oder wo derjenige, der Taten vollbringt, es hätte besser machen können. Die Anerkennung gebührt dem Mann, der gerade in der Arena steht und dessen Gesicht von Staub, Schweiß und Blut verschmiert ist.« Mein Gesicht war zwar nicht von Staub, Schweiß und Blut verschmiert und der Sitzungssaal war nicht die schlimmste aller Arenen, aber ich musste jetzt dort hineingehen und für etwas kämpfen, von dem ich wusste, dass es ein Risiko darstellte. Wenn sie ja sagten und es sich als gute Entscheidung erwies, würde ich der Held sein, der die Geschicke des Unternehmens zum Guten gewendet hätte. Wenn sie ja sagten, und das Ganze am Ende scheiterte, würde ich meinen Job an den Nagel hängen müssen.
Ich sprach mit so viel Verve, wie ich nur aufbringen konnte. »Die Zukunft des Unternehmens liegt hier, genau hier«, sagte ich. »Sie liegt in Ihren Händen.« Und dann wiederholte ich einen Satz, den ich bei meiner ersten Verwaltungsratssitzung als CEO im Oktober bereits gesagt hatte: »Der Zustand von Disney Animation bestimmt den Zustand des gesamten Unternehmens. Das galt 1937 für Schneewittchen und die sieben Zwerge und im Jahr 1994 für Der König der Löwen . Und es gilt heute immer noch. Wenn Animation Erfolg hat, ist Disney erfolgreich. Wir müssen das machen. Unser Pfad in die Zukunft beginnt genau hier und heute Abend.«
Als ich fertig war, begann George mit der Abstimmung und bat jedes Verwaltungsratsmitglied in alphabetischer Reihenfolge, seine Entscheidung laut kundzutun. Zudem bot er jedem Einzelnen die Möglichkeit an, sich kurz zu äußern. Es wurde ganz still im Saal. Ich erinnere mich, dass sich meine Blicke kurz mit Tom Staggs und Alan Braverman trafen. Sie waren sich sicher, dass die Abstimmung zu unseren Gunsten ausgehen würde. Ich war mir da nicht so sicher. Nach allem, was der Verwaltungsrat in den vergangenen Jahren erlebt hatte, schien es durchaus möglich, dass sich eine Risikoaversion durchsetzen würde. Die ersten vier Mitglieder stimmten mit Ja, das fünfte Mitglied auch, allerdings mit der Ergänzung, er würde der Übernahmen nur aus Gründen meiner Unterstützung zustimmen. Von den übrigen fünf Mitgliedern stimmten zwei dagegen, so dass es am Ende neun Stimmen für die Akquisition und zwei dagegen waren. Der Deal war beschlossene Sache.
Anschließend gab es eine kurze Diskussion, ob eine weitere Abstimmung erfolgen solle, um ein einstimmiges Ergebnis zu erzielen, aber George wehrte den Vorschlag rasch mit dem Argument ab, der Prozess müsse transparent sein und das genaue Abstimmungsergebnis widerspiegeln. Irgendjemand sorgte sich, wie die Öffentlichkeit über eine Entscheidung denken würde, die nicht einstimmig getroffen wurde, aber ich sagte, das sei mir egal. Alles, was die Öffentlichkeit wissen musste, war, dass der Verwaltungsrat die Akquisition abgesegnet hatte. Die Einzelheiten der Abstimmung mussten nicht veröffentlicht werden, und falls irgendjemand fragen sollte, ob sie einstimmig getroffen wurde, sollten wir die Wahrheit sagten. (Jahre später gestand Michael mir gegenüber ein, er habe sich geirrt, was Pixar betraf. Ich fand das sehr anständig von ihm.)
AM TAG DER ANKÜNDIGUNG der Akquisition reisten Alan Braverman, Tom Staggs, Zenia Mucha und ich zu Pixar nach Emeryville. Steve, John und Ed waren da, und der Plan lautete, die Ankündigung gleich nach Börsenschluss um 13 Uhr Pacific Standard Time (PST) zu veröffentlichen, um anschließend eine Pressekonferenz und eine Betriebsversammlung mit den Mitarbeitern von Pixar abzuhalten.
Kurz nach Mittag kam Steve auf mich zu und nahm mich beiseite. »Lassen Sie uns einen Spaziergang machen«, sagte er. Ich wusste, dass Steve gerne ausgedehnte Wanderungen unternahm, oft in Begleitung von Freunden oder Kollegen, aber ich war überrascht, dass er mich ausgerechnet jetzt darum bat – und auch etwas alarmiert. Ich wandte mich an Tom und fragte ihn, was Steve seiner Meinung nach von mir wollen könnte. Wir waren uns einig, dass er entweder einen Rückzieher machen oder Nachforderungen stellen wollte.
Als ich mit Steve das Gebäude verließ, blickte ich auf die Uhr. Es war 12:15 Uhr. Wir spazierten eine Weile und dann setzten wir uns auf eine Bank mitten in Pixars wunderschönem, gepflegtem Gartengelände. Steve legte mir von hinten seinen Arm auf die Schulter, was ich als eine schöne, unerwartete Geste empfand. Dann sagte er: »Ich werde Ihnen jetzt etwas sagen, dass nur Laurene« – seine Frau – »und meine Ärzte wissen.« Er bat mich um absolute Verschwiegenheit, und dann offenbarte er mir, seine Krebserkrankung sei erneut ausgebrochen. Jahre zuvor hatte man bei ihm eine seltene Form von Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert, und nach einer Operation hatte er verkündet, er sei komplett geheilt. Nun war der Krebs zurück.
»Steve, warum erzählen Sie mir das?«, fragte ich. »Und warum gerade jetzt?«
»Ich werde Ihr größter Aktionär und ein Mitglied Ihres Verwaltungsrats werden«, sagte er. «Ich finde, angesichts dieser Nachrichten schulde ich Ihnen das Recht, aus dem Deal auszusteigen.«
Ich blickte erneut auf meine Uhr. Es war 12:30 Uhr, knapp 30 Minuten vor der Bekanntgabe der Akquisition. Ich war mir nicht sicher, wie ich reagieren sollte, und hatte Mühe, diese überraschenden Nachrichten zu verarbeiten. Dabei fragte ich mich auch, ob damit irgendwelche Offenlegungspflichten verbunden waren. Musste ich unseren Verwaltungsrat einweihen? Konnte ich unseren Chefjustiziar dazu befragen? Steve hatte sich völlige Verschwiegenheit ausgebeten, daher konnte ich nur sein Angebot annehmen und den Deal, den ich so dringend wollte und den wir so dringend brauchten, abblasen. Schließlich sagte ich: »Steve, in weniger als 30 Minuten verkünden wir einen Deal über mehr als 7 Milliarden Dollar. Was sollte ich meinem Verwaltungsrat sagen? Dass ich kalte Füße bekommen habe?« Steve antwortete, ich solle die Schuld auf ihn schieben. Dann fragte ich: »Gibt es noch irgendetwas, das ich darüber wissen sollte? Helfen Sie mir, eine Entscheidung zu treffen.«
Steve erzählte mir, der Krebs habe bereits seine Leber befallen und es sehe nicht gut aus. Er würde alles tun, um den Highschool-Abschluss seines Sohns Reed zu erleben, sagte er. Als er mir sagte, das sei in vier Jahren, war ich tief erschüttert. Es war unmöglich, über beides gleichzeitig zu sprechen – seinen bevorstehenden Tod und die Transaktion, die wir in wenigen Minuten vollziehen würden.
Ich beschloss, das Angebot, aus dem Deal auszusteigen, abzulehnen. Selbst wenn ich es angenommen hätte, hätte ich es unserem Verwaltungsrat nicht erklären können, der der Transaktion nicht nur zugestimmt, sondern auch meine monatelangen eindringlichen Plädoyers erduldet hatte. In zehn Minuten würden die Pressemitteilungen verschickt werden. Ich hatte keine Ahnung, ob ich das Richtige tat, aber ich kalkulierte in Windeseile, dass Steve für die Transaktion an sich nicht von ausschlaggebender Bedeutung war, auch wenn er für mich überaus wichtig war. Schweigend kehrten wir zum Atrium zurück. Später sprach ich mit Alan Braverman, dem ich vertraute wie einem leiblichen Bruder, und weihte ihn ein. Er unterstützte meine Entscheidung, was eine große Erleichterung für mich war. Abends weihte ich auch Willow ein. Willow kannte Steve seit vielen Jahren – lange, bevor ich ihn kennenlernte –, und anstatt auf einen ganz großen Moment in meiner ersten Zeit als CEO anzustoßen, weinten wir beide über Steves Nachricht. Egal was er mir gesagt hatte und wie entschlossen er gegen seine Krebserkrankung ankämpfen wollte, graute uns vor dem, was ihm bevorstand.
Der Pixar-Deal wurde um 13:05 Uhr bekannt gegeben. Nachdem Steve und ich mit der Presse gesprochen hatten, standen wir mit John und Ed auf einer Plattform in dem riesigen Pixar-Atrium vor fast tausend Pixar-Mitarbeitern. Bevor ich das Wort ergriff, überreichte mir jemand eine Luxo-Lampe als Andenken an diesen Moment. Spontan bedankte ich mich bei der Belegschaft und sagte ihnen, sie würde von nun an unser Disney-Schloss beleuchten. Und das hat sie seitdem getan.