KAPITEL 13
INTEGRITÄT IST UNBEZAHLBAR
R UPERTS ENTSCHEIDUNG, ZU VERKAUFEN, war eine direkte Reaktion auf dieselben Kräfte, die uns veranlasst hatten, eine völlig neue Strategie für unser Unternehmen zu formulieren. Bei der Betrachtung der Zukunft seines Unternehmens in einer vollkommen revolutionierten Welt kam er zu dem Schluss, dass es das Klügste wäre, zu verkaufen und seinen Aktionären und seiner Familie die Chance zu bieten, ihre Aktien an 21st Century Fox in Disney-Aktien zu verwandeln, weil er glaubte, dass wir gemeinsam stärker und besser positioniert wären, um dem Wandel standzuhalten.
Man kann die erdrutschartige Revolutionierung unserer Industrie gar nicht stark genug betonen, aber seine Entscheidung, das Unternehmen aufzubrechen, das er einst praktisch von null aufgebaut hatte, war ein deutliches Signal für die Unaufhaltsamkeit der Veränderungen, die sich bereits vollzogen. Gerade als Rupert und ich in die erste Phase der fast zweijährigen Verhandlungen über eine gewaltige Transaktion eintraten, die die Medienlandschaft verändern sollte, begann sich auch ein grundlegender sozialer Wandel zu vollziehen, der noch wesentlich tiefergreifend war als die technologischen Veränderungen, die wir erlebten. Zahlreiche schwerwiegende Vorwürfe über vollkommen inakzeptable Verhaltensweisen, insbesondere in der Unterhaltungsindustrie, wurden zum Katalysator für eine längst überfällige Reaktion – die Vorwürfe handelten von schweren sexuellen Übergriffen, von Chancengleichheit und gleicher Bezahlung für Frauen in Hollywood und anderswo. Sehr konkrete und schlimme Anschuldigungen gegen Harvey Weinstein öffneten die Schleusentore und gaben vielen anderen endlich den Mut, mit ihren eigenen Missbrauchserfahrungen an die Öffentlichkeit zu treten. Fast jedes Unternehmen in der Unterhaltungsindustrie musste sich mit ähnlichen Vorwürfen auseinandersetzen.
Bei Disney waren wir immer davon überzeugt, dass es lebenswichtig ist, eine Umgebung zu schaffen und zu kultivieren, in der sich die Menschen sicher fühlen.
Bei Disney waren wir immer davon überzeugt, dass es lebenswichtig ist, eine Umgebung zu schaffen und zu kultivieren, in der sich die Menschen sicher fühlen. Inzwischen war aber klar, dass wir noch viel mehr tun mussten, um sicherzustellen, dass sich jede Person, die Opfer von sexueller Belästigung oder Zeuge einer Belästigung geworden war, offen melden konnte, in dem Wissen, dass sie angehört und ernstgenommen wurde, dass die Vorwürfe verfolgt und die Opfer vor Vergeltungsmaßnahmen geschützt würden. Wir empfanden die dringende Notwendigkeit, zu überprüfen, ob unsere Standards eingehalten und unsere Werte gelebt wurden, und daher beauftragte ich unsere Personalabteilung mit der Durchführung einer gründlichen Analyse, zu der die Initiierung eines Dialogs mit den Mitarbeitern und die Einführung von Verfahren auf allen Organisationsebenen gehörten, um eine offene Ansprache von Problemen zu fördern und unser Versprechen zu bekräftigen, alle zu schützen, die einen Vorfall meldeten.
Im Herbst 2017 kam uns zu Ohren, dass sich Frauen und Männer bei Pixar über John Lasseter beschwerten und ihm vorwarfen, er habe sich ihnen gegen ihren Willen körperlich genähert. Jeder wusste, dass John zu Distanzlosigkeit neigte. Zwar taten viele sein Verhalten als harmlos ab, aber es wurde schnell deutlich, dass nicht jeder diese Auffassung teilte. Ich hatte einige Jahre zuvor schon mit John darüber gesprochen, aber diese neuen Vorwürfe waren ernster. Mir war klar, dass ich ihn damit konfrontieren musste.
Alan Horn und ich trafen uns im November jenes Jahres mit John. Gemeinsam verständigten wir uns darauf, dass es für ihn am besten war, eine sechsmonatige Auszeit zu nehmen, um über sein Verhalten nachzudenken und uns die Zeit zu geben, die Situation angemessen zu bewerten. Bevor John das Unternehmen verließ, schrieb er seinen Teams eine Mitteilung. »Alle zusammen bedeutet ihr für mich die Welt«, schrieb er. »Und ich entschuldige mich zutiefst, falls ich euch enttäuscht habe. Vor allem möchte ich mich bei all denjenigen entschuldigen, die eine unerwünschte Umarmung oder irgendeine andere Geste von mir empfangen haben, die nach ihrem Empfinden auf irgendeine Weise eine Grenze überschritten hat. Egal wie harmlos meine Absichten waren, hat jeder das Recht, seine eigenen Grenzen zu setzen, und jeder hat ein Recht darauf, dass diese Grenzen respektiert werden.«
Während Johns Abwesenheit zogen wir bei Pixar und Disney Animation eine Führungsstruktur ein und führten Dutzende von Interviews mit Mitarbeitern beider Studios, um zu bestimmen, wie die Organisation am besten mit der Situation umgehen sollte.
DIE FOLGENDEN SECHS MONATE, in denen wir an unserer D2C-Strategie arbeiteten, mit öffentlichkeitsträchtigen Personalproblemen rangen und einen möglichen Deal mit Fox analysierten und verhandelten, gehörten zu den stressigsten Zeiten in meiner Karriere. Ich war zunehmend davon überzeugt, dass das, was Fox im Hinblick auf Inhalte, globale Reichweite, Kompetenz und Technologie zu bieten hatte, von transformativer Bedeutung für uns sein würde. Wenn wir diese Ressourcen übernehmen und sie möglichst schnell und reibungslos integrieren konnten, während wir gleichzeitig unsere D2C-Vision verwirklichten – eine wirklich furchterregende Anzahl von Ungewissheiten –, würde Disney der Zukunft aus einer stärkeren Position heraus entgegensehen als je zuvor.
Im Zuge unserer fortschreitenden Gespräche offenbarte sich, dass Rupert drei Aspekte wichtig waren. Der erste Punkt war, dass Disney von allen möglichen Unternehmen, die daran interessiert sein könnten, Fox zu übernehmen, die größte Wahrscheinlichkeit aufwies, dass die Übernahme von den Regulierungsbehörden genehmigt würde. Der zweite Punkt betraf den Wert der Disney-Aktie. Entweder Rupert würde weiterhin eine Mehrheitsbeteiligung an Fox halten und das Unternehmen müsste sich im Konkurrenzkampf gegen wesentlich größere Fische behaupten, oder er könnte eine Beteiligung an einem durchaus robusteren fusionierten Konzern halten. Der dritte Punkt war sein Vertrauen, dass wir in der Lage waren, die beiden Unternehmen reibungslos zu integrieren und den fusionierten Konzern auf einen dynamischen Wachstumskurs zu führen.
Zu Ruperts zahlreichen Herausforderungen, die sich im Verlauf unserer Verhandlungen im Herbst stellten, gehörte das Management seiner Entscheidung gegenüber seinen Söhnen Lachlan und James. Als Kinder hatten sie miterlebt, wie ihr Vater das Unternehmen eigenhändig aufgebaut hatte, und sie hatten gehofft und waren letztlich davon ausgegangen, dass es eines Tages ihnen gehören würde. Nun verkaufte er es an Dritte. Das war keine leichte Situation für sie, wobei mein Standpunkt von Anfang an war, Rupert das Management seiner Familiendynamiken zu überlassen und mich ganz auf den geschäftlichen Aspekt unserer Diskussionen zu konzentrieren.
Im Verlauf des Herbstes trafen Kevin Mayer und ich uns mehrmals mit Rupert und seinem CFO John Nallen. Wir waren bereit, ein reines Aktienangebot zu unterbreiten und 28 Dollar pro Anteilsschein – oder 52,4 Milliarden Dollar – für die Akquisition zu bezahlen. In den Monaten nach unserem ersten Gespräch mit Rupert war in der Öffentlichkeit durchgesickert, dass er über einen Verkauf nachdachte. Das veranlasste andere Wettbewerber, ebenfalls eine Akquisition von Fox in Erwägung zu ziehen. Comcast, zum Beispiel, gab eine Offerte ab, die erheblich über unserem Angebot lag. Wir waren allerdings zuversichtlich, dass der Verwaltungsrat von Fox eine Übernahme durch uns dennoch vorziehen würde, zum Teil wegen der regulatorischen Herausforderungen, mit denen Comcast wahrscheinlich konfrontiert wäre (ihnen gehörte bereits NBCUniversal sowie eine der größten Vertriebsgesellschaften des Landes, und sie würden höchstwahrscheinlich genauestens unter die Lupe genommen werden).
Am Ende des Wochenendes nach Thanksgiving trafen Kevin und ich uns noch einmal mit Rupert und John in Ruperts Weinbergen in Bel Air. Wir vier unternahmen einen langen Spaziergang durch die Weinstockreihen. Kurz vor Ende unseres Spaziergangs teilte uns Rupert mit, dass er nicht unter 29 Dollar pro Aktie gehen würde, was sich in eine zusätzliche Summe von 5 Milliarden Dollar übersetzte, die wir nicht kalkuliert hatten. Ich vermutete, dass er glaubte, ich wäre über das Angebot von Comcast besorgt und daher bereit, unser Angebot nachzubessern. So sehr ich an dieser Akquisition interessiert war, war ich jedoch gewillt, darauf zu verzichten, falls die Konditionen nicht stimmten. Ich war auf zahlreiche Bereiche des Unternehmens erpicht und hatte begonnen, mir im Detail vorzustellen, wie sie unser neues Geschäft beflügeln könnten, aber es waren auch gewaltige umsetzungsbedingte Risiken damit verbunden. Damit alles wie geplant funktionierte, würden wir ungeheuer viel Zeit und Energie investieren müssen. Selbst wenn wir zu einer Einigung kamen, die Genehmigung der Wettbewerbsbehörden erhielten und die zwei Unternehmen erfolgreich zusammenführten, gab es immer noch sehr viel marktrelevante Unbekannte, die uns Sorgen machten. Außerdem war ich mir unsicher, was die Verlängerung meines Vertrags um weitere drei Jahre betraf. Wäre das gut für mich oder für Disney? Ich war mir nicht ganz sicher, hatte aber nicht viel Zeit, darüber nachzudenken. Am Ende unseres Treffens hatte ich das Gefühl, es sei überaus wichtig, dass wir den bestmöglichen Wert aus der Transaktion zögen, daher sagte ich Rupert bei unserem Abschied: »28 ist das Maximum; höher können wir nicht gehen.«
Ich weiß nicht, ob Rupert verwundert war, dass ich standhaft blieb. Kevin befürchtete jedenfalls, dass wir den Deal verlieren könnten, wenn wir unser Angebot nicht nachbesserten. Ich war jedoch zuversichtlich, dass wir zum Zuge kommen würden – dass die Risiken einer Entscheidung für das Angebot von Comcast für Fox zu groß waren. Als ich am folgenden Montag ins Büro kam, sagte ich Kevin, er solle Nallen anrufen und ihm sagen, wir bräuchten bis zum Abend eine definitive Antwort. Am Abend rief Rupert an, akzeptierte unser Angebot und lud mich erneut auf sein Weingut ein – Lachlan würde auch dabei sein, und ich fragte mich, wie das Ganze bei ihm ankam –, um auf den Deal anzustoßen. In den folgenden zwei Wochen arbeiteten wir an den Details. Anschließend flog ich zur Premiere der Episode Star Wars: Die letzten Jedi , die am 12. Dezember in London stattfand. Während meines Aufenthalts in London ging ich in Ruperts Büro, wo ein Foto von uns gemacht wurde, wie wir uns auf seinem Balkon die Hände schüttelten. Dieses Foto wurde zusammen mit der Ankündigung der Transaktion am 14. Dezember veröffentlicht.
Am 13. Dezember flog ich zurück nach L.A. Nach meiner Ankunft am Spätnachmittag begab ich mich direkt in das Vorbereitungsmeeting für die Ankündigung am nächsten Morgen. Ich sollte um 7 Uhr morgens (EST) in der Sendung Good Morning America auftreten, und das hieß, dass ich um 3 Uhr morgens (PST) im Studio auf dem Disney-Gelände sein musste, um geschminkt zu werden und bereit zu sein, um 4 Uhr live auf Sendung zu gehen. Mitten in unserem Vorbereitungsmeeting kam Jayne Parker, unsere Personalleiterin herein und fragte mich, ob John Skipper, Präsident von ESPN, mich kontaktiert habe.
»Nein«, sagte ich. »Was ist los?«
Jaynes Gesichtsausdruck sagte mir, dass es ein Problem gab, und ich fragte sofort, ob es etwas war, worum ich mich augenblicklich kümmern musste, oder ob es bis nach der Bekanntgabe des Deals am folgenden Tag warten könne. »Es ist ernst«, sagte Jayne. »Aber es kann warten.«
Der 14. Dezember gehörte zu den fragmentiertesten Arbeitstagen meiner Karriere. Wenn ich auf meine Notizen im Kalender zurückblicke, sehe ich Folgendes: um 4 Uhr morgens Ankündigung in der Sendung Good Morning America , Telefonkonferenz mit Investoren um 5 Uhr, CNBC Live um 6 Uhr, Bloomberg um 6:20 Uhr, Webcast mit Investoren um 7 Uhr. Von 8 Uhr bis zum Mittag Telefonate mit den Senatoren Chuck Schumer und Mitch McConnell, dann mit der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi und mehreren anderen Kongressmitgliedern in Vorwegnahme der bevorstehenden Prüfung der Übernahme durch die Wettbewerbsbehörden. Anschließend kam Jayne in mein Büro, um mit mir über das Thema zu sprechen, das wir am Tag zuvor angerissen hatten. Sie teilte mir mit, John Skipper habe eingestanden, ein Drogenproblem zu haben, das zu anderen schwerwiegenden Komplikationen in seinem Leben geführt hatte und das Potenzial besaß, unser Unternehmen in Gefahr zu bringen. Ich setzte für den folgenden Tag ein Telefonat mit John an, dann fuhr ich nach Hause und – weil ich es schon lange eingeplant hatte, bevor ich überhaupt wissen konnte, dass all diese Dinge gleichzeitig zusammentreffen würden – skypte mit einer Gruppe Studenten vom Ithaca College, meiner Alma Mater, über die Zukunft der Unterhaltungs- und Medienindustrie.
Am folgenden Morgen sprach ich mit John. Er räumte ein, er habe fürchterliche private Probleme. Ich sagte ihm, dass wir ihn auf Basis von Jaynes Schilderungen, die er soeben bestätigt habe, auffordern würden, am folgenden Montag seinen Rücktritt einzureichen. Ich schätzte John sehr. Er ist klug und weltgewandt und war eine fähige, loyale Führungskraft. Dies war jedoch ein klares Beispiel dafür, dass die Integrität eines Unternehmens von der Integrität seiner Mitarbeiter abhängt. Zwar hatte ich eine hohe persönliche Wertschätzung für John und machte mir Sorgen um ihn. Allerdings hatte er sich entschieden, die Regeln von Disney zu brechen. Es war schmerzhaft, ihn gehen zu lassen, aber es war die richtige Entscheidung – selbst wenn es bedeutete, dass ausgerechnet zu einer Zeit, die für das Unternehmen und für mich zu den belastendsten Phasen gehörten, die ich seit meiner Ernennung zum CEO erlebt hatte, unsere beiden wichtigsten Sparten ESPN und Animation führungslos waren.
DIE VEREINBARUNG MIT RUPERT setzte eine komplizierte Wettbewerbsprüfung in Gang. Zu diesem Prozess gehört die Einreichung umfangreicher Unterlagen bei der US-Börsenaufsicht SEC, in der die Details der Akquisition dargelegt werden, die finanziellen Aspekte für beide Unternehmen und eine transparente chronologische Schilderung der Entstehungsgeschichte der Transaktion (dazu gehörte in unserem Fall auch die Beschreibung des ersten Treffens mit Rupert und alle unsere nachfolgenden Gespräche). Der Ablauf ist folgendermaßen: Nachdem die SEC die Unterlagen zur Prüfung angenommen hat, senden beide Unternehmen ihren jeweiligen Aktionären einen Proxy-Stimmzettel, der alle Details der besagten Unterlagen enthält, zusammen mit der Empfehlung der Verwaltungsräte beider Unternehmen an ihre Aktionäre, für die Transaktion zu stimmen. Außerdem wird ein Abstimmungszeitraum festgelegt, der mit einer Aktionärsversammlung endet, bei der alle Stimmen ausgezählt werden. Dieser ganze Prozess kann bis zu sechs Monate dauern, und in dieser Zeit können weiterhin andere Unternehmen ihre eigenen Übernahmeangebote abgeben.
So komplex unsere geplante Transaktion auch war, gingen wir davon aus, dass die Wettbewerbsbehörden keine Einwände erheben würde (was wiederum einer der Gründe war, aus dem der Verwaltungsrat von Fox unserem Angebot gegenüber der Comcast-Offerte den Vorzug gegeben hatte) und die Übernahme von den Fox-Aktionären auf ihrer im Juni 2018 stattfindenden Aktionärsversammlung ratifiziert werden würde. Es gab nur einen möglichen Fallstrick. Während die Prüfung der Transaktion in vollem Gange war, wurde vor dem Bezirksgericht in New York über eine Klage des US-Justizministeriums verhandelt, das kartellrechtliche Bedenken gegen die Übernahme von Time Warner durch den Telekommunikationsanbieter AT&T angemeldet hatte. Comcast beobachtete diesen Prozess sehr genau. Falls das Urteil zugunsten des Justizministeriums ausfiel und AT&T die Übernahme von Time Warner untersagt wurde, würde Comcast zu dem Schluss kommen, dass sie bei einem Angebot zur Übernahme von Fox mit ähnlichen Hürden rechnen müssten. Falls AT&T den Prozess jedoch gewinnen sollte, würden sie sich in ihrer Position gestärkt fühlen und ein höheres Angebot abgeben, in der Annahme, dass der Verwaltungsrat und die Aktionäre von Fox mögliche regulatorische Hürden nicht mehr fürchten würden.
In dieser Situation konnten wir nichts anderes tun, als einfach weiterzumachen und davon auszugehen, dass die Transaktion wie geplant stattfinden würde, und uns auf diese Realität vorzubereiten. Kurz nachdem wir uns mit Rupert auf den Deal geeinigt hatten, begann ich mich auf die Frage zu konzentrieren, wie wir diese beiden riesigen Unternehmen miteinander verschmelzen würden. Wir konnten sie nicht einfach dem Konzern hinzufügen; wir mussten sie sorgfältig integrieren, um den vorhandenen Wert zu erhalten und neuen Wert zu generieren. Daher fragte ich mich: Wie würde, könnte oder sollte das fusionierte Unternehmen aussehen? Wenn ich heute die Geschichte ausradieren und mit all diesen Ressourcen etwas ganz Neues aufbauen sollte, wie würde ich diese Organisation strukturieren? Nach den Weihnachtsfeiertagen schleppte ich ein Whiteboard in den Konferenzraum neben meinem Büro und begann Planspiele zu machen. (Es war das erste Mal seit meinen Meetings mit Steve Jobs im Jahr 2005, dass ich wieder vor einem Whiteboard stand!)
Als Erstes trennte ich »Inhalte« von »Technologie«. Wir würden drei Inhaltsgruppen haben: Filme (Walt Disney Animation, Disney Studios, Pixar, Marvel, Lucasfilm, 20th Century Fox, Fox 2000, Fox Searchlight), Fernsehen (ABC, ABC News, unsere Fernsehstationen, Disney-Kanäle, Freeform, FX, National Geographic) und Sport (ESPN). Alle drei landeten auf der linken Seite des Whiteboards. Auf der anderen Seite notierte ich: Apps, Benutzeroberflächen, Kundenakquisition und -bindung, Datenmanagement, Verkauf, Vertrieb und so weiter. Die Idee war, dass sich die für die Inhalte verantwortlichen Leute auf die Kreativität und die Technikexperten auf die Vertriebskanäle und die Frage konzentrieren sollten, wie sich am besten Umsatz generieren ließ. In die Mitte des Whiteboards schrieb ich »Physische Unterhaltung und Güter« als Dach, unter dem ich verschiedene große, ausgedehnte Geschäftsbereiche ansiedelte: Konsumprodukte, Disney-Stores, unsere gesamten globalen Merchandising- und Lizenzvereinbarungen, Kreuzfahrten, Hotelanlagen und unsere sechs Themenparks.
Dann trat ich einen Schritt zurück, blickte auf das Board und dachte: Das ist es. So sollte ein modernes Medienunternehmen aussehen. Allein der Blick auf diese Struktur verlieh mir Energie, und die folgenden Tage verbrachte ich damit, die Struktur zu verfeinern. Am Ende der Woche lud ich mein Team ein – Kevin Mayer, Jayne Parker, Alan Braverman, Christine McCarthy und meine Stabschefin Nancy Lee –, damit sie einen Blick darauf warfen. »Ich möchte Ihnen etwas ganz Neues vorstellen«, sagte ich und zeigte ihnen das Whiteboard. »So würde das neue Unternehmen aussehen.«
»Das haben Sie gerade gemacht?«, fragte Kevin.
»Ja. Was halten Sie davon?«
Er nickte. Ja, es ergab einen Sinn. Unsere folgende Aufgabe lautete, nun die richtigen Namen an die richtigen Plätze zu setzen. In dem Moment, in dem wir die Transaktion bekannt gaben, machte sich in beiden Unternehmen verständlicherweise Nervosität über die Fragen breit, wer für was verantwortlich wäre, wer an wen berichten würde, wessen Rollen erweitert oder verkleinert würden, und auf welche Weise. Im Verlauf des Winters und des Frühjahrs reiste ich zu allen möglichen Meetings mit Fox-Führungskräften in L.A., New York, Indien und Lateinamerika, um sie und ihre Geschäftsbereiche kennenzulernen, ihre Fragen zu beantworten, ihre Sorgen zu beschwichtigen und sie mit ihren Kollegen von Disney zu vergleichen. Nach der Annahme der Akquisition durch die Aktionäre – immer unter der Annahme, dass das Urteil im AT&T-Prozess Comcast nicht zu einem erneuten Übernahmeversuch veranlasste – würde ich sehr schnell zahlreiche schwierige Personalentscheidungen treffen müssen, und ich musste mich darauf vorbereiten, die Restrukturierung sehr schnell in Angriff zu nehmen.
ENDE MAI, WÄHREND WIR GESPANNT das Urteil des New Yorker Bezirksgerichts und kurz darauf das Votum der Fox-Aktionäre erwarteten, traf ich eines Morgens kurz vor 7 Uhr im Büro ein und öffnete eine E-Mail von Ben Sherwood, Präsident von ABC. Sie enthielt den Text eines Tweets, den die Komikerin Roseanne Barr an diesem Morgen versandt hatte und in dem sie sagte, Valerie Jarrett, langjährige Beraterin des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama sei »ein Produkt aus Muslimbruderschaft und Planet der Affen«. Ben schrieb dazu: »Wir haben hier ein sehr ernstes Problem … Das ist grauenhaft und vollkommen inakzeptabel.«
Ich antwortete unverzüglich: »Allerdings haben wir ein Problem. Ich bin im Büro. Ich bin mir nicht sicher, ob die Serie das überleben wird.«
Ein Jahr zuvor, im Mai 2017, hatten wir angekündigt, dass wir Roseanne wieder in die Hauptsendezeit von ABC zurückverlegen würden. Ich war sehr von dieser Idee angetan, zum Teil, weil ich Roseanne aus unserer Zusammenarbeit Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre während meiner Zeit als verantwortlicher Leiter von ABC Entertainment sehr schätzen gelernt hatte, und zum Teil, weil mir die Idee der Serie – die Widerspiegelung einer ganzen Bandbreite an politischen Reaktionen auf umstrittene Gegenwartsthemen – sehr gefiel.
Ich war mir der umstrittenen Tweets, die Roseanne in der Vergangenheit bereits gepostet hatte, bevor wir beschlossen, die Sendung wie früher zur Hauptsendezeit auszustrahlen, nicht bewusst gewesen. Doch sobald die Serie wieder lief, nahm Roseanne ihre Twitter-Aktivitäten erneut auf und ließ über verschiedene Themen einige unüberlegte und bisweilen verletzende Dinge vom Stapel. Wenn sie so weitermachte, würde das zu einem Problem werden. Im April, einige Wochen vor ihrem Tweet über Valerie Jarrett, hatte ich mich mit ihr zum Mittagessen getroffen. Wir unterhielten uns prächtig. Roseanne hatte mir selbstgebackene Kekse mitgebracht und sagte mir im Laufe unserer Unterhaltung, dass ich einer der Wenigen gewesen war, die schon früher auf ihrer Seite gestanden hätten und dass sie mir immer vertraut hätte.
Gegen Ende des Mittagessens sagte ich: »Sie müssen sich von Twitter fernhalten.« Die Serie hatte unglaublich hohe Einschaltquoten, und ich empfand eine persönliche Zufriedenheit darüber, Roseanne wieder aufblühen zu sehen. »Sie haben da eine tolle Sache am Laufen«, sagte ich. »Machen Sie sie nicht kaputt.«
»Ja, Bob«, sagte sie mit ihrer witzigen, langgezogenen nasalen Stimme. Sie versprach nicht mehr zu twittern, und als wir uns verabschiedeten, war ich mir sicher, dass sie verstanden hatte, dass ihr Erfolg etwas Fragiles war, das sich leicht in Luft auflösen konnte.
Was ich vergessen oder in meinem Kopf heruntergespielt hatte, war die Tatsache, wie unberechenbar und schwankungsanfällig Roseanne schon immer gewesen war. In der ersten Phase meiner Zeit als Präsident von ABC Entertainment hatten wir einen sehr guten Draht zueinander. Ich hatte die Serie, die sich damals in der ersten Staffel befand, geerbt und fand Roseanne äußerst talentiert, aber ich erlebte auch aus unmittelbarer Nähe, wie wechselhaft sie sein konnte. Es gab Zeiten, in denen sie so depressiv war, dass sie nicht aus dem Bett kam. Manchmal suchten Ted Harbert und ich sie zu Hause auf und redeten auf sie ein, bis sie in die Gänge kam. Vielleicht hatte es mit meinem Vater und seinen Depressionen zu tun, dass ich Mitgefühl mit ihr hatte, jedenfalls hatte ich das Bedürfnis, mich um sie zu kümmern, und sie wusste das zu schätzen.
»Wir müssen tun, was jetzt das Richtige ist, nicht, was politisch korrekt ist, und auch nicht, was aus kommerzieller Sicht richtig ist.«
Nachdem ich Bens E-Mail gelesen hatte, sprach ich mit Zenia, Alan, Ben und Channing Dungey, der damaligen Chefin von ABC Entertainment, und bat sie um ihre Meinung, wie wir mit der Situation verfahren sollten. Sie erwogen verschiedene Möglichkeiten, von einer unbezahlten Suspendierung bis zu einer ernsthaften Verwarnung, begleitet von einer öffentlichen Rüge, aber nichts schien dem Vorfall gerecht zu werden. Zwar sprach niemand aus, dass wir sie feuern sollten, aber ich wusste, dass jeder daran dachte. »Wir haben eigentlich keine Wahl«, sagte ich schließlich. »Wir müssen tun, was jetzt das Richtige ist, nicht, was politisch korrekt ist, und auch nicht, was aus kommerzieller Sicht richtig ist. Wenn irgendeiner unserer Mitarbeiter einen Tweet posten würde, wie sie ihn gepostet hat, würde er fristlos gekündigt.« Ich sagte ihnen, sie sollten ruhig Einwände erheben oder mir sagen, ich sei verrückt, aber niemand widersprach.
Zenia entwarf eine Stellungnahme, die Channing schließlich veröffentlichte. Ich rief Valerie Jarrett an, entschuldigte mich bei ihr und teilte ihr mit, dass wir soeben beschlossen hätten, die Serie einzustellen und diese Entscheidung in 15 Minuten bekannt geben würden. Sie dankte mir und rief mich später noch einmal an, um mir zu sagen, sie sei am Abend bei MSNBC zu einer Expertenrunde zum Thema Rassismus eingeladen, im Zusammenhang mit der Nachricht, Starbucks habe seine Cafés an diesem Tag geschlossen, um eine Sensibilitätsschulung durchzuführen. »Darf ich erwähnen, dass Sie mich angerufen haben?«, fragte sie. Ich bejahte.
Dann sandte ich unserem Verwaltungsrat eine E-Mail mit folgendem Inhalt: »Heute Morgen sind wir alle mit einem Tweet von Roseanne Barr aufgewacht, in dem sie Valerie Jarrett als ein Produkt aus der Muslimbruderschaft und Planet der Affen bezeichnet hat. Wir fanden diesen Kommentar, unabhängig von seinem Kontext, bedauernswert und inakzeptabel und haben die Entscheidung getroffen, Roseannes Serie aus dem Programm zu nehmen. Ich möchte nicht auf einem hohen Ross sitzen, aber als Unternehmen haben wir stets versucht zu tun, was wir als richtig empfinden, unabhängig von politischen oder kommerziellen Erwägungen. In anderen Worten: Es ist unverzichtbar, dass wir von allen unseren Leuten und Produkten Qualität und Integrität fordern. Bei einer offenen Überschreitung der Grenzen, die unser Unternehmen auf irgendeine Weise in Misskredit bringen, gibt es keinen Raum für eine zweite Chance oder Toleranz. Roseannes Tweet hat gegen diesen Glaubenssatz verstoßen, und wir konnten in diesem Fall nur tun, was moralisch richtig ist. In wenigen Momenten wird dazu eine Stellungnahme veröffentlicht.«
Es war eine leichte Entscheidung. Ich fragte nie danach, welche finanziellen Folgen sie haben würde, und es interessierte mich auch nicht. In Momenten wie diesen muss man über mögliche kommerzielle Verluste hinausblicken und sich von der einfachen Regel leiten lassen, dass es nichts Wichtigeres gibt als die Qualität und Integrität der eigenen Leute und Produkte. Alles hängt davon ab, dass man unter allen Umständen an diesem Prinzip festhält.
Im Verlauf des Tages und der restlichen Woche erhielt ich viel Lob, wurde von einigen aber auch verurteilt. Ich freute mich, dass die Anerkennung aus zahlreichen unterschiedlichen Bereichen kam: von Studioleitern, Politikern, einigen Leuten aus der Sportwelt, darunter auch Robert Kraft, dem Eigentümer der New England Patriots. Valerie Jarrett schrieb mir unverzüglich, um mir mitzuteilen, wie sehr sie unsere Reaktion zu schätzen wusste. Auch Präsident Obama sprach mir seine Anerkennung aus. Präsident Trump griff mich auf Twitter an, fragte, wo meine Entschuldigung ihm gegenüber sei, und sagte irgendetwas über die »grauenhaften« Kommentare, die wir über ihn gemacht hätten, während die Nachrichten auf ABC gesendet wurden. Kellyanne Conway kontaktierte den Leiter von ABC News, James Goldston, und fragte, ob ich Trumps Tweets gesehen hätte und ob ich eine Antwort darauf hätte. Meine Antwort lautete: »Ja. Und nein.«
UNGEFÄHR ZUR SELBEN ZEIT des Roseanne-Debakels und des Voranschreitens unserer geplanten Übernahme von 21st Century Fox, endete John Lasseters sechsmonatige Auszeit. Nach mehreren Gesprächen kamen er und ich übereinstimmend zu dem Schluss, dass es klug wäre, wenn er aus Disney ausscheiden würde. Wir einigten uns im Zusammenhang mit dieser Entscheidung auf eine absolute Vertraulichkeit.
Da war die schwierigste und komplexeste Personalentscheidung, die ich je getroffen habe. Nachdem John das Unternehmen verlassen hatte, ernannten wir Pete Docter zum Kreativvorstand von Pixar und Jennifer Lee, Drehbuchautorin und Regisseurin des Films Die Eiskönigin , zum Kreativvorstand von Walt Disney Animation. Beide sind brillante, hoch geschätzte, inspirierende Personen, und ihre Führung war ein Silberstreifen am Horizont dieser ansonsten sehr schmerzhaften Zeit für das Unternehmen.