Kapitel 3

Berlin

H enry Lasker war zwar mit der Innenministerin befreundet, aber auch er bekam bei ihr nicht innerhalb von einem Tag einen Termin. Lasker musste zwei Tage warten, dann aber empfing ihn die Bundesinnenministerin in deren erstaunlich schmucklosem Büro. Sybille Schneider war fünfundvierzig Jahre alt, schlank und attraktiv. Sie hatte glattes, schwarzes Haar, grüne Augen und strahlte etwas Exotisches aus. Kaum jemand wusste, dass sie und Lasker für kurze Zeit eine leidenschaftliche Affäre hatten.

Nach ein wenig Smalltalk kam Lasker zur Sache. „Wärst du an einem Computerprogramm interessiert, das Anschläge und Verbrechen vorhersehen kann?“

Innenministerin Schneider lachte. „Wer wäre das nicht?“

Als Lasker ihr Lachen nicht erwiderte, wurde Schneider schnell wieder ernst. „Das ist ein Scherz, oder?“

„Nein. Das ist mein absoluter Ernst.“

Auf der Stirn der Ministerin erschien eine Falte. „Aber wie soll das möglich sein?“

Lasker erklärte ihr die Funktion Redemptios.

Ihre Falte wurde tiefer. „Klingt großartig. Aber das kriegen wir niemals durch.“

Lasker nickte, als würde er dem zustimmen. „Die Menschen dürsten nach Sicherheit, Sybille. Denk an all die Anschläge der letzten Jahre. Die Zeiten der großen Attacken sind vorbei. Jetzt sind es Einzeltäter, die aktiv werden. Dem ist nicht beizukommen.“

„Wie denn auch?“, sagte die Innenministerin leise. „Wir können unmöglich alle im Auge behalten.“

Kaum, dass sie es ausgesprochen hatte, schien sie die Tragweite des Ganzen erkannt zu haben und blickte Lasker an.

Der lächelte. „Ja, genau. Mit diesem Programm können wir sie im Auge behalten. Alle. Rund um die Uhr.“

Innenministerin Schneider kaute auf ihrer Unterlippe. „Wenn es doch nur einen Weg gäbe, diese Software zu nutzen, ohne dass jemand davon erfährt. Ich garantiere dir, es würde nicht einmal durch den Kontrollausschuss kommen, geschweige denn durch den Bundestag.“

Lasker nickte verständnisvoll. „Ich meine mich zu erinnern, dass vor einiger Zeit eine Reform der Bundespolizei auf eurer Agenda war. Die Kosten dafür wurden mit etwa drei Milliarden Euro veranschlagt.“

Schneider nickte. „Ja, das stimmt. Die Hälfte davon übernimmt der Bund, den Rest die Länder.“

„Du sagst, übernimmt , nicht sollten übernehmen “, bemerkte Lasker. „Ist da wieder Bewegung reingekommen?“

„Ja. Die Entscheidung dafür ist so gut wie durch.“

„Sehr gut“, murmelte Lasker. „Im Zuge dieser Reform kannst du das Programm mit einbauen und niemand bekommt es mit. Das Einzige, was wir dann brauchen, ist eine bundesweit aufgestellte Spezialeinheit, die die Fälle bearbeitet, die vom Programm entdeckt werden.“

„Warum eine neue Spezialeinheit?“, wollte die Innenministerin wissen.

„Weil beim SEK oder MEK sofort Fragen nach der Quelle der Informationen auftauchen würden. Bei einer neuen Einheit, die auf das Programm von Anfang an eingeschworen ist, besteht diese Gefahr nicht.“

Innenministerin Schneider nickte nachdenklich. „Das ergibt Sinn. Du meinst, ich soll die Kosten für das Programm in die Kalkulation der Reform einfließen lassen?“

„Ja. Die brauchen doch bestimmt neue Hard- und Software, oder?“

„Das ist Bestandteil der Reform.“

„Wunderbar. Damit hätten wir die Lösung.“

„Und diese neue Einheit? Die kostet doch Geld ...“

„Wo ist das Problem? Und du unterstellst die Spezialeinheit direkt deinem Ministerium. Dann bezahlst du das aus deinem eigenen Etat. Auch kein Problem. Ich will die eine Milliarde für die Software nicht in einer Summe. Drei Raten sind vollkommen ausreichend.“

Es war allgemein bekannt, dass dem Innenministerium im vergangenen Jahr einen Etat von rund neunzehn Milliarden Euro zur Verfügung gestanden hatte. Offiziell. In Wahrheit sahen die Zahlen ein klein wenig anders aus. Etwas über dreihundert Millionen Euro pro Jahr für etwas abzuzweigen, dass es eigentlich nicht gab, wäre nicht einfach. Es war aber auch nicht unmöglich.

„Henry, wenn ich das tue, riskiere ich alles, was ich mir aufgebaut habe.“

„Ja, es gibt ein gewisses Risiko. Da stimme ich dir zu. Aber beantworte mir eine Frage: Willst du Bundeskanzlerin werden?“

„Was soll das, Henry? Du kennst die Antwort.“

„Ich will es hören. Jetzt. Von dir.“

Sybille Schneider funkelte ihn wütend an. Schließlich seufzte sie ergeben. „Ja verdammt. Ich will Bundeskanzlerin werden.“

„Und das schaffst du auch. Vor allem dann, wenn unter deiner Leitung das Innenministerium einen signifikanten Rückgang von Schwerverbrechen verzeichnen kann.“

Lasker konnte sehen, wie es in ihr arbeitete. Wie Sybille Schneider alle Pros und Kontras gegeneinander abwägte. Schließlich schien sie zu einem Entschluss gekommen zu sein.

„Okay Henry. Ich nehme dieses Programm auf. Aber nur unter einer Bedingung.“

„Und die wäre?“

„Diese drei Entwickler müssen sie gesetzeskonform umschreiben. Ich will nicht das Risiko eingehen, dass mir die ganze Geschichte um die Ohren fliegt.“

„Wenn du das Programm kastrierst, dann kannst du keine bahnbrechenden Ergebnisse erwarten.“

Sie lächelte ihn an. „Wie frisst man einen Elefanten?“

Lasker sah sie an. Natürlich wusste er, was sie damit sagen wollte. Einen Elefanten schluckte man nicht am Stück. Man fraß ihn Stück für Stück. Übertragen auf die Software bedeutete dies, dass sie mit einer harmloseren Version anfangen wollte. Sollte die sich bewähren, könnte man zu einem späteren Zeitpunkt immer noch aufrüsten.

„Okay, einverstanden“, sagte Lasker.

Schneider runzelte die Stirn. „Ich brauche einen Beweis, dass das Programm tatsächlich funktioniert.“

Das Lächeln von Lasker wurde breiter. „Aber natürlich brauchst du den. Und du bekommst ihn.“

„Und ich möchte diese drei jungen Männer kennenlernen, die das Programm erfunden haben.“

Lasker Lächeln verschwand. „Warum das denn?“

„Weil ich, wenn ich das Programm ohne Zustimmung des Kontrollausschusses und unter Umgehung sämtlicher Entscheidungsgremien in Betrieb nehme, ein enormes Risiko eingehe. Da will ich zumindest wissen, wem ich hier meine Existenz anvertraue.“

„Die drei sind etwas … sonderbar …“

„Ich arbeite, seit ich denken kann, in der Politik. Glaube mir, wenn ich dir sage, dass ich sämtliche Varianten von sonderbar kennengelernt habe.“