Kapitel 15
Hannover
A nabel fuhr auf Umwegen zum Ziel.
Achten Sie auf Verfolger!
Entweder hatte die Kofler einen Nervenzusammenbruch erlitten, oder aber sie hatte etwas entdeckt. Vollkommen gleichgültig, was es war, Anabel würde vorsichtig sein. Die Zieladresse war ein Geschäftshaus im Zentrum der Stadt. Anstatt den freien Parkplatz direkt vor dem Gebäude zu nehmen, fuhr Anabel daran vorbei, bog die nächste Straße rechts ab und suchte sich dort eine Parkmöglichkeit. Anschließend ging sie den Rest des Weges zu Fuß. Immer darauf achtend, ob ihr jemand folgte. Dem schien nicht so zu sein. Anabel betrat das Gebäude und fuhr mit dem Aufzug in die dritte Etage. Links war ein Anwaltsbüro. Rechts ein Zahnarzt. Sie wandte sich nach rechts und betrat die Praxis. Sofort schlug ihr der typische Praxisgeruch entgegen. Eine Mischung aus Desinfektionsmittel und eugenolhaltigen Materialien. Am Empfangstresen sagte sie ihren Namen und fragte nach Doktor Hütter.
„Bitte folgen Sie mir“, sagte die Arzthelferin, kam um den Tresen herum und ging links in einen Flur. Anabel lief ihr hinterher. Die Mitarbeiterin der Praxis blieb vor einer verschlossenen Tür stehen, klopfte kurz und streckte den Kopf ins dahinterliegende Zimmer.
„Frau Plate ist da.“
Anabel vernahm eine gedämpfte Antwort. Die junge Frau machte den Weg frei, sodass Anabel ins Zimmer gehen konnte. Dort saß eine völlig aufgelöste Margarete Kofler.
Ihre rot unterlaufenen Augen verrieten, dass sie geweint hatte. Neben ihr stand ein Mann in einem dunklen Anzug.
„Mein Name ist Udo Lier. Ich bin der Anwalt des verstorbenen Herrn Kofler“, stellte er sich vor.
Anabel sah zu Frau Kofler. „Was ist passiert?“
Sie berichtete ihr von der Aufräumattacke, dem Paketboten und dem Brief ihres Mannes.
„Ich bin dann sofort hierhergefahren“, endete sie.
„Und?“
Kofler blickte hoch zu Lier, der antwortete. „Etwa einen Monat vor dem Tod von Herrn Kofler suchte er mich in meiner Kanzlei auf. Er bat mich, ein Kuvert für ihn aufzubewahren und im Falle seines Ablebens dieses an Frau Kofler zu übergeben.“
Anabel blickte auf den Tisch. Dort lag ein geöffneter DIN-A4-Umschlag, daneben ein Zettel und ein USB-Stick.
„Waren das die Dinge, die sich im Kuvert befanden?“, wollte sie wissen.
Kofler nickte. „Ja. Ein Abschiedsbrief und dieses Ding da.“
„Darf ich den Brief lesen?“, wollte Anabel von Kofler wissen.
Schluchzend nickte sie.
Anabel nahm sich den Brief und las.
Liebe Margarete,
ich war nicht der beste Ehemann. Aber glaube mir, wenn ich schreibe, dass ich dich geliebt habe. Nur war ich nicht immer in der Lage, das auch zu zeigen. Bitte verzeih mir.
Vor ein paar Monaten habe ich etwas erfahren, was für die gesamte Republik eine große Gefahr darstellt. Ich habe alle Informationen, die ich sammeln konnte, auf diesem USB-Stick gespeichert. Das Passwort hat etwas mit dem zu tun, wie wir uns kennengelernt haben. Ich hoffe, du weißt, was ich meine. Wenn du diesen Brief liest, dann bin ich mit meinem Versuch, dieses Komplott aufzudecken gescheitert. Auch wenn es möglicherweise wie ein Unfall aussehen mag, glaube mir, dass man mich umgebracht hat. Es tut mir leid, dass ich dir kein besserer Gefährte war. 9.748105 & 52.383684. Er weiß, was zu tun ist.
In Liebe, dein Ehemann
„Und?“, wollte Anabel wissen. „Konnten Sie den Stick öffnen?“
Kofler schüttelte den Kopf. „Ich habe es gar nicht erst versucht, weil ich nicht in der Lage bin, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat.“
„Wissen Sie, was diese Ziffern zu bedeuten haben?“, fragte der Anwalt.
Anabel schüttelte den Kopf. „Nein, keine Ahnung.“
„Was machen wir denn jetzt bloß“, wollte Margarete Kofler verzweifelt wissen.
Anabel wandte sich an den Anwalt. „Gibt es noch irgendetwas, was Sie uns sagen können? Etwas, das vielleicht ein klein wenig mehr Licht ins Dunkel bringen könnte?“
Lier schüttelte betrübt den Kopf. „Es tut mir wirklich aufrichtig leid, aber die Antwort lautet nein.“
Anabel nickte, griff sich den USB-Stick und verstaute ihn zusammen mit dem Brief in ihrer Jackentasche. Sie bedankte sich bei Lier und blickte zu Frau Kofler. „Wir beide gehen jetzt einen Kaffee trinken. Kommen Sie.“
Sie verabschiedeten sich von dem Anwalt und gingen in ein in der Nähe gelegenes Café.
Als sie saßen, sah Anabel Kofler prüfend an. „Kennen Sie diesen Lier?“
„Nein. Wir haben einen anderen Anwalt, der sich um unsere Angelegenheiten kümmert. Herrn Lier habe ich noch nie zuvor gesehen.“
„Hat er Sie in irgendeiner Form bedrängt?“
Margarete Kofler riss entsetzt die Augen auf. „Sie meinen sexuell?“
„Nein, Frau Kofler. Ich meine, ob er Sie irgendwie gedrängt hat, etwas preiszugeben. Hat er Sie gefragt, was Ihr Mann herausgefunden hat. Sowas meine ich.“
„Nein. Er war überaus korrekt. Er hat mir eine kurze Erklärung gegeben und dann sofort das Kuvert überreicht. Er wollte sogar den Raum verlassen, damit ich ungestört bin. Aber das wollte ich nicht. Als ich den Brief gelesen habe, schrieb ich Ihnen sofort diese Nachricht. Ich wollte Sie erst anrufen. Aber er riet mir zu dieser … SMS.“
„Okay, dann steckt er offenbar nicht mit drin.“
„Sie haben ihn in Verdacht gehabt?“, fragte Kofler erschrocken nach.
„Nicht unbedingt. Aber ich halte es für angebracht, nicht jedem offenherzig und vertrauensvoll zu begegnen.“
Kofler nickte. „Sie haben recht. Aber sagen Sie, irre ich mich, oder wissen Sie, was die Ziffern zu bedeuten haben?“
Anabel grinste. „Es sind Längen- und Breitengrade. Ich wette, sie geben uns eine Adresse. Und da finden wir jemanden, der den Stick öffnen kann.“
Sie zahlten den Kaffee und fragten die Kellnerin, ob sie wusste, wo in der näheren Umgebung ein Internetcafé zu finden war. Die junge Frau, vermutlich eine Studentin, erklärte ihnen den Weg. Das gewünschte Ziel war nur wenige Minuten Fußmarsch vom Café entfernt. Sie machten sich sofort auf den Weg und fanden das Geschäft ohne Mühe. An der Kasse zahlten sie zwei Euro für eine Stunde Computernutzung und nach wenigen Augenblicken kannten sie die Adresse.