Kapitel 24

Hannover

A nabel war sauer. Erst wurde ihr der Fall weggenommen, dann verschwand ihr ehemaliger Partner ohne Vorwarnung. Sie brauchte ein Ventil, um Luft abzulassen. Einfach nur eine ihrer Pillen zu nehmen würde da nicht ausreichen. Es war Freitagnachmittag und sie entschloss sich, in ihr Dojo zu fahren. Als sie nach Braunschweig gezogen war, entdeckte sie eine Kampfsportschule – ein Dojo – in dem neben Krav Maga, einer israelischen Selbstverteidigungstechnik, Kickboxen und Straßenkampf angeboten wurde. Schnell erwarb sie sich den Ruf einer ausgezeichneten, aber auch gnadenlosen Kämpferin.

Der Inhaber des Dojo, Philipe, ein kleiner schlanker Portugiese, beobachtete sie genau. Er erkannte die grenzenlose Wut, die ihr Inneres beherrschte. Ihm war klar, dass Anabels Leben einem Ritt auf der Rasierklinge glich. Jederzeit lief sie Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren. Er nahm sie unter seine persönlichen Fittiche. Um sie zu beschützen. Aber auch, um den Rest der Menschheit vor ihr zu schützen, wie er lachend anfügte. Von ihm lernte sie spezielle Atemübungen und andere Entspannungstechniken, die sie davor bewahren sollten, zu explodieren.

Philipe hatte eine Tochter im gleichen Alter wie Anabel. Auch in Bezug auf Größe und Gewicht ähnelten sie sich. Sie hieß Sara und war mehrfache Welt- und Europameisterin im Kickboxen. Nachdem Anabel sämtliche Männer des Dojos im Zweikampf besiegt hatte, wollte sie unbedingt gegen Sara kämpfen.

Philipe lehnte ab.

Also kämpfte sie weiter gegen das andere Geschlecht. Ihr Trainer besorgte Anabel sogar Kämpfer aus anderen Schulen. Keiner von ihnen hatte eine Chance gegen sie. Obwohl sie kräftige waren, und länger als sie ihren Sport ausübten, verloren sie regelmäßig gegen Anabel. Philipe betrachtete das mit einer Mischung aus Stolz und Sorge. Stolz, weil sie neben seiner Tochter die beste Kämpferin war, die er kannte und ausbilden durfte.

Sorge, weil er sich nicht sicher war, ob er nicht einen großen Fehler gemacht hatte, ihre Ausbildung fortzusetzen. Anabel war eine Waffe und psychisch labil. Keine besonders gute Kombination. Als Anabel das Dojo betrat, wurde sie von dem typischen Geruch empfangen. Einer Mischung aus Schweiß, Turnhalle und Gummi. Sie begrüßte Philipe, der sie lange prüfend musterte.

„Es ist so weit“, sagte er.

„Was meinst du?“

„Heute kämpfst du gegen Sara.“

Die Männer und Frauen, die Zeugen dieses Kampfes wurden, verloren sich in Superlativen wie gigantisch oder sogar episch. Zuerst belauerten sich die beiden Frauen gegenseitig. Es war Anabel, die zuerst attackierte. Sie machte einen Ausfallschritt, um dann sogleich einen Tritt gegen den Oberschenkel ihrer Gegnerin anzutäuschen. Ihr wahres Ziel war jedoch der Kopf. Sara verteidigte geschickt und ließ nun ihrerseits eine Abfolge von Schlägen und Tritten folgen, die Anabel alle parierte. Als Anabel den ersten Treffer landete, ging ein erstauntes Raunen durch das Dojo. Es war ihr gelungen, Sara einen Aufwärtshaken durch ihre Deckung zu verpassen. Sara, die bislang mit angezogener Handbremse gekämpft hatte, ließ alle Zurückhaltung fallen und ging in die Offensive. In rasender Geschwindigkeit deckte sie Anabel mit Schlägen und Tritten ein.

Nur mit äußerste Mühe gelang es Anabel, sich aus diesem wilden, aber durchdachten Trommelwirbel zu befreien. Dann ließ sie sich urplötzlich zu Boden fallen und schickte Sara mit einem Wischer zu Boden. Was folgte, war ein Nahkampf, der so verbissen geführt wurde, dass Philip eingreifen musste, um ihn zu beenden. Sie Urteil kam für alle überraschend.

„Unentschieden.“