Kapitel 72

Berlin

E sslings Beförderung zum Bundesinnenminister verlief erstaunlich reibungslos. Es gab keine Widerstände. Weder aus den eigenen Reihen noch von Seiten der Opposition. Allerdings hatte Essling keine Zeit, seinen Triumph entsprechend zu feiern. Er hatte jede Menge zu tun. Oberste Priorität besaß Redemptio und dessen Eigenleben.

Darüber hinaus musste er die Ambitionen des Kanzlers in die richtige Richtung umleiten. Denn das, was ihm vorschwebte, war unmöglich umzusetzen. Der Blödmann wollte sich als Retter der Menschheit präsentieren, obwohl er selbst nicht daran glaubte, dass Redemptio eine echte Bedrohung darstellte.

„Klären Sie das, Essling“, hatte er gefordert. „Und dann treten wir gemeinsam vor die Kameras und erklären, was wir erreicht haben. Die werden uns feiern wie Helden.“

Das Dumme daran war, dass Essling nicht in der Lage war, die Angelegenheit zu klären. Niemand konnte das. Und er wollte es auch überhaupt nicht. Es lief doch alles wunderbar. Ja, es gab Kollateralschäden. Aber die gab es doch immer. Man konnte kein Omelette machen, ohne Eier zu zerschlagen. Zu allem Überfluss würde er sich um Bräuer kümmern müssen. Ihr letztes Gespräch war ihm noch sehr gut in Erinnerung. Vor allem die aggressive und respektlose Art, in der Bräuer mit ihm gesprochen hatte.

Verarschen Sie mich nicht, Essling , hatte Bräuer gesagt.

Was für eine Unverschämtheit. Das konnte er so nicht durchgehen lassen. Es waren eindeutig die ersten Anzeichen von bröckelnder Loyalität, da war sich Essling sicher.

Und das jetzt, wo es darauf ankam. Der Bundeskanzler wollte sich unbedingt als Retter der Nation präsentieren, und Redemptio war außer Kontrolle geraten.

Das waren eine Menge Baustellen.

Mindestens ein Nebenkriegsschauplatz zu viel. Eines war klar: Den Kanzler konnte er nicht eliminieren. Und das Redemptio-Problem war ohne weiteres auch nicht in den Griff zu bekommen. Essling glaubte noch immer, dass es möglich wäre, die Software zu bändigen.

Langsam formte sich im Hirn Esslings ein Plan.

Fast schon automatisch begann er damit, die Fragen, die ihn beschäftigten, aufzuschreiben.

Wie immer nutze er dafür Windows Word.

Wer könnte Bräuer ersetzen?

Essling starrte auf die Worte, die er geschrieben hatte, und ging im Geiste Namen durch. Ein leises akustisches Signal kündigte den Eingang einer Mail an. Essling wechselte das Programm und öffnete sein Mail-Account. Die eingegangene Nachricht stammte von einem unbekannten Absender, der eine merkwürdige E-Mail-Adresse verwendete. Sie bestand nur aus Zahlen und komischen Zeichen. Trotzdem öffnete er die Nachricht. Erstaunt stellte er fest, dass es sich um eine Namensliste handelte. Eine sehr kurze. Auf ihr standen die Namen der Kandidaten, die geeignet wären, Nachfolger Bräuers als Leiter der PEG zu werden.

Plötzlich lächelte er.

Instinktiv wusste er, wer ihm diese Nachricht geschickt hatte.

Redemptio.

Sein Lächeln wurde breiter und Tränen liefen ihm über das Gesicht. Behutsam streckte er die rechte Hand aus und streichelte sanft den Bildschirm seines Computers.

„Ich danke dir“, sagte Essling ergriffen. „Ich werde dich nicht enttäuschen.“

Gebannt starrte er auf den Monitor. Hoffte auf eine Antwort.

Aber die blieb aus.

Und trotzdem: Essling fühlte sich wie ein Gott.