Kapitel 83
Harz
A ls Wernhardt am nächsten Tag nach Osterode aufbrach, um in das System von Redemptio einzudringen, nutzten Lasker und Sybille diese Gelegenheit, um Anabel, Dost und Harry über ihre Erkenntnisse ins Bild zu setzen.
Anabel schüttelte fassungslos den Kopf. „Warum tut er das? Ich meine, er hätte doch schon längst diese Höllenmaschine abstellen können.“
„Wir vermuten, dass er sich auf irgendeine Art und Weise für den Tod seines Sohnes rächen will“, erklärte Sybille.
„Und dafür braucht er Redemptio“, schloss Vincent.
„Sieht so aus, ja“, bestätigte Lasker.
„Eines ist klar, ohne ihn hätten Henry und ich es niemals von La Palma zurück nach Deutschland geschafft. “, sagte Vincent leise. Dann blickte er zu Anabel. „Und deinen Arsch hat er auch gerettet. Also, was hat er vor?“
„Das haben wir auch schon besprochen“, bestätigte Anabel. „Es ist uns schleierhaft, welches Ziel er verfolgt, beziehungsweise, warum er uns geholfen hat.“
„Aus irgendeinem Grund scheint er uns zu brauchen“, sagte Harry. „Warum sonst der ganze Aufwand?“
„Wir werden ihn zur Rede stellen müssen“, meinte Lasker. „Spekulationen bringen uns nicht weiter.“ Er sah zu Harry. „Was hat euer Besuch bei Bräuer ergeben?“
„Er hat Todesangst“, antwortete Harry. „Wollte sich uns nicht anschließen. Aber er hat uns etwas gegeben.“ Harry legte die CD auf den Tisch.
„Was ist da drauf?“, wollte Lasker wissen.
„Alle dunklen Geheimnisse unserer Politiker und Wirtschaftsbosse. Redemptio hat sie besorgt, weil Essling diese Informationen angefordert hatte. Er will wohl J. Edgar Hoover spielen. Der war ja schließlich so viele Jahrzehnte Chef des FBI, weil er über jeden eine Akte angelegt hatte. Alle wussten, dass, wenn sie sich ihn zum Feind machen würden, er sie vernichten konnte. Sogar die Kennedys hatten Angst vor ihm“, antwortete Harry.
„Das passt zu Essling“, sagte Sybille voller Verachtung.
„Habt ihr schon reingeguckt?“, wollte Lasker wissen.
Harry schüttelte den Kopf. „Nein, dafür hatten wir noch keine Zeit.“
„Ich bin gespannt, ob da auch was über mich drinsteht“, sagte Lasker.
„Über mich bestimmt“, meinte Sybille.
Beide sahen sich an. Sie hatten denselben Gedanken. Zwar hatten sie damals Vorsicht walten lassen, wenn sie sich trafen, aber hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht.
Sybille lächelte. „Ist jetzt auch egal, oder?“
Lasker erwiderte das Lächeln. „Aber sowas von.“
Harry sah die beiden an. „Worum geht es bei diesem merkwürdigen Dialog?“
„Ist doch offensichtlich“, sagte Anabel und auch sie lächelte.
Harry sah ratlos von einem zum anderen. Dann fiel der Groschen auch bei ihm.
Er lief rot an. „Ach so, na ja, schön …“, stammelte er verlegen.
„Wie wollen wir in Bezug auf Wernhardt vorgehen?“, kam Vincent wieder zum Thema zurück. „Wollen wir ihm eine Falle stellen?“
Anabel schüttelte den Kopf. „Nein, das würde ich nicht machen. Stellt euch vor, er merkt das und haut ab. Dann können wir nichts mehr unternehmen.“
Vincent sah sie an. „Okay, was schlägst du vor?“
„Ich war schon immer der Meinung, eine direkte Konfrontation ist der beste Weg. Darüber hinaus läuft uns die Zeit davon. Also ich plädiere dafür, ihn zur Rede zu stellen.“
„Eine sehr gute Idee“, sagte Sybille.
„Einen Versuch wäre es wert“, bestätigte Lasker.
„Okay versuchen wir es.“, stimmte Vincent zu. „Wollen wir ihn alle mit unserem Verdacht direkt konfrontieren, oder etwas … subtiler vorgehen?“
„Ich würde es gerne zunächst auf die subtile Art versuchen“, antwortete Sybille.
„Weil du so harmlos wirkst“, meinte Lasker.
Sybille schüttelte den Kopf. „Nein. Aber ich habe Erfahrungen mit solchen Gesprächen.“
Die daraufhin einsetzende Stille wurde von einem Brummen unterbrochen.
Harry runzelte die Stirn und griff zu seinem Handy.
Er hatte eine Kurznachricht erhalten.
„Verdammt …“, sagte er leise.
„Was ist passiert?“, wollte Anabel wissen.
„Ludger Bräuer ist höchstwahrscheinlich tot“, antwortete er tonlos.
Dann las er die Nachricht laut vor.
Diese Höllenmaschine hat uns erwischt. Tretet ihnen allen in den Arsch, alter Freund.
„O mein Gott“, sagte Anabel betroffen. „Das nimmt kein Ende.“
Dost schlug mit der Faust auf den Tisch. „Es reicht. Ich habe die Schnauze voll, hier rumzuhängen und dabei zuzuschauen, wie diese beschissene Software reihenweise Menschen umbringt. Lasst uns endlich etwas dagegen unternehmen.“
Sybille sah ihn an. „Was schlägst du vor?“
Dost stand auf. „Wir fangen mit dem an, was wir haben.“
„Und was wäre das?“, wollte Lasker wissen.
Dost wandte sich an Harry. „Dieser Bräuer hat dir eine CD mit Informationen gegeben, richtig?“
Harry nickte bestätigend. „Ja, korrekt.“
„Damit fangen wir an.“
Sie gingen alle zum Esstisch. Dort lag ein Laptop, den Dost jetzt startete. Dann legte er die CD in den Schacht ein und schloss diesen. Sofort begann das Laufwerk sich zu drehen und die CD startete. Ohne dass sie ein Passwort eingeben mussten, öffnete sich das Menü und eine enorme Menge an Ordern erschienen auf dem Bildschirm. Es waren hunderte. Alphabetisch sortiert und mit Namen gekennzeichnet.
„Fangen wir mit mir an“, schlug Sybille vor. „Ich kann die Echtheit der Informationen verifizieren, da es ja um mich geht.“
Keiner hatte etwas dagegen einzuwenden. Dost suchte den entsprechenden Ordner und öffnete ihn. Es fing unspektakulär mit ihren persönlichen Daten wie Geburtsdatum- und Ort, aktuelle Anschrift und Telefonnummern an. Dann folgte ihr Lebenslauf in allen Details. Erst jetzt folgte der erste Schock. In der Akte stand, dass Sybille mit sechzehn ihren ersten Sex hatte und auch Drogen konsumierte.
„Woher wissen die das?“, fragte sie leise.
„Es stimmt also?“, vergewisserte sich Dost.
„Ja.“
Dann folgte der nächste Schreckmoment.
„Hier steht, dass du bei deiner Doktorarbeit ein klein wenig geschummelt hast“, sagte Dost. „Weiter heißt es, man könne dir zwar kein Plagiat vorwerfen, aber es reicht, um deinen Ruf zu schädigen.“
„Na großartig“, meinte Sybille.
Nach erfolgreichem Studium und den ersten Jobs folgte ihr Werdegang in der Politik. Dann kam das, wovon sie ahnte, dass es kommen würde.
„Okay. Hier steht, dass du ein Verhältnis mit Henry Lasker hattest, welches man gegen dich verwenden könnte, da Henry zu dem Zeitpunkt noch verheiratet war. Mein Gott, hier kann man sogar nachlesen, wann und wo ihr euch getroffen habt. Laut Akte ging eure Affäre über fast drei Jahre.“
Sybille überprüfte die Daten und nickte schließlich. „Stimmt alles. Natürlich kann ich mich heute nicht mehr an jeden einzelnen Tag erinnern, aber die Hotels stimmen.“
„Okay, jetzt ich“, forderte Lasker.
Dost suchte die entsprechende Datei und öffnete sie. Auch hier begann es mit den persönlichen Daten. Was folgte, war eine Auflistung der Unternehmen, für die er gearbeitet hatte. Dann kamen sie zu den Informationen über seine eigenen Unternehmen.
„Hier“, sagte Dost. „Hier steht, dass man dir bei folgenden Geschäften Insiderhandel vorwerfen könnte.“ Dost las die abgeschlossenen Transaktionen der Reihe nach vor.
Lasker wirkte auf einmal sehr nachdenklich.
Sybille sah ihn an. „Und? Was meinst du?“
„Ich selber habe niemals Insiderhandel betrieben. Aber ich erinnere mich an das eine oder andere Geschäft, das hier erwähnt wird. Das waren Tipps von Leuten, denen ich vertraut habe. Ob die ihr Insiderwissen missbraucht haben, kann ich nicht sagen. Aber natürlich würde es mir schaden, wenn diese Informationen gestreut werden würden. Irgendetwas bleibt immer hängen.“
„Also können wir sagen, dass die Infos, die hier stehen, den Tatsachen entsprechen“, stellte Dost fest.
„Ich würde sagen, dass das zutrifft“, meinte Sybille.
„Dann schauen wir doch mal, was da über unseren lieben Bundeskanzler steht“, sagte Dost und suchte die Datei.
Nachdem sie den Inhalt gelesen hatten, schwiegen sie eine Weile betroffen. Bevor jemand etwas dazu sagen konnte, hörten sie draußen ein Fahrzeug ankommen.
„Wernhardt ist da“, sagte Vincent, der aus dem Fenster schaute.
„Na dann“, sagte Anabel. „Fangen wir an.“