Kapitel 96
Berlin
L asker steuerte den Wagen durch den Kreisverkehr am Ernst-Reuter-Platz und fuhr auf die Straße des 17. Juni. Wenig später bog er rechts ab in die Bachstraße. Sie waren auf dem Weg zum vereinbarten Treffpunkt mit Leon Koppe. Plötzlich standen sie in einem kleinen Stau. Als sie erkannten, weshalb es diese Verzögerung gab, erstarrten sie. Eine Polizeikontrolle. Lasker, Dost und Harry müssten sich keine Gedanken machen. Lasker und Harry standen auf keiner Fahndungsliste. Dost hatte neue Ausweispapiere. Aber Sybille Schneider war als ehemalige Innenministerin eine bekannte Persönlichkeit.
„Was machen wir jetzt?“, wollte Sybille wissen.
„Wenn wir jetzt umdrehen, fällt das auf“, sagte Dost. „Wir müssen durch die Kontrolle. Aber danach fahren wir zurück zu Wernhardt. Es ist zu gefährlich für uns, durch Berlin zu fahren. Wer weiß, wie viel Kontrollen es noch gibt.“
+
Polizeiobermeister Kühn war geschockt. Innerhalb von wenigen Wochen hatte Deutschland den Verlust von zwei Bundeskanzlern zu beklagen. War der erste noch eines natürlichen Todes gestorben, so lag bei Bundeskanzler Essling der Fall anders. Der Begriff Terroranschlag hatte die Runde gemacht. Daher die großflächige Abriegelung des Regierungsviertels.
Er glaubte zwar nicht, dass die Terroristen mit einem PKW auf dem Weg zum Kanzleramt waren, aber es beruhigte die Menschen, dass die Polizei Präsenz zeigte. Mit einer lässigen Handbewegung forderte er das nächste Fahrzeug auf, auf ihn zuzurollen.
Es war ein dunkler SUV mit getönten Scheiben.
Kühn kniff die Augen zusammen und erkannte mindestens drei Personen, die sich im Fahrzeug befanden. Der SUV kam neben ihm zum Halten und der Fahrer ließ die Scheibe herunterfahren.
„Fahrzeugpapiere und Ausweise bitte“, sagte Kühn und streckte die Hand aus. Dabei versuchte er zu erkennen, wer hinten saß.
Als er die Frau erkannte, hätte er fast Haltung angenommen.
„Frau Innenministerin“, entfuhr es ihm. „Ist alles in Ordnung?“
Sybille lächelte ihn verkrampft an. „Alles bestens. Danke der Nachfrage.“
Kühn warf nur einen flüchtigen Blick auf die Ausweispapiere, reichte sie zurück an den Fahrer und wünschte ihnen noch einen schönen Tag.
Als der SUV wegfuhr, machte er Meldung.
+
Der Leiter der PEG, Trautmann, erfuhr von der Sichtung der ehemaligen Innenministerin als einer der ersten. Zum Glück hatte sich der Beamte das Kennzeichen des Fahrzeuges notiert, in dem die ehemalige Innenministerin saß. Von einem seiner letzten Gespräche mit Essling wusste Trautmann, dass der Kanzler sehr beunruhigt über das spurlose Verschwinden von Sybille Schneider gewesen war. Er hatte sie für eine Bedrohung gehalten.
Und auch jetzt, nach dem Tod Esslings, hatte sich daran nichts geändert. Er leitete sofort eine Fahndung nach dem SUV ein. Nur verfolgen, nicht eingreifen, so lautete sein Befehl. Er wollte herausfinden, wo Schneider hinwollte. Mit wem sie unterwegs war, würde er in ein paar Minuten erfahren. Am Standort der Kontrolle, in die Schneider und ihre Begleiter geraten waren, gab es natürlich Überwachungskameras. Die Bilder waren schon per Mail auf dem Weg zu ihm.
Wenige Minuten später erhielt Trautmann die Mail mit den Aufzeichnungen.
Er erkannte Henry Lasker sofort.
Das Gesicht des Beifahrers schickte er durch eine Gesichtserkennungssoftware. Dann erkannte Trautmann die Person, die hinten neben Sybille Schneider saß.
„Heilige Scheiße“, flüsterte er. „Was macht denn Dost da im Wagen?“
Dann durchfuhr es ihn wie ein Blitz: Warum hatte es keinen Alarm gegeben, als die Kamera das Gesicht eines mit Haftbefehl gesuchten Mannes erfasste? Er griff zum Telefon und alarmierte einen kleinen Eingreiftrupp. Er selbst würde ihn anführen. Wo auch immer die hinwollten, er würde sie da wieder rausholen.
Tod oder lebendig.
Bevor er sein Büro verlassen konnte, klingelte sein Handy. Sie wussten nun, was das Ziel von Sybille Schneider und ihrer Begleiter war. Quitzowstraße 12.
Trautmann zog seine Jacke wieder aus und startete den Computer. Er öffnete das Suchprogramm der PEG und gab die Adresse ein. Nach wenigen Sekunden wusste er, wem das Haus in der Quitzowstraße 12 gehörte. Michael Wernhardt. Bei dem Namen schwang bei ihm eine Saite an. Langsam und sehr leise. Der Name hatte eine Bedeutung. Er gab den Namen ein und erfuhr, dass es sich bei ihm um einen Professor für Informatik handelte.
Und dass er einen Sohn hatte. Bei ihm handelte es sich um einen der drei Männer, die Redemptio entwickelt hatten. Und die von der Sondereinheit beseitigt worden waren.
Was zum Teufel war hier los …