Kapitel 114
Berlin
W as genau machst du jetzt?“, wollte Anabel von Leon Koppe wissen. Der war mitten in seinen Vorbereitungen, Redemptio durch einen Virus zu zerstören. Die Pressekonferenz von Sybille Schneider würde in etwa dreißig Minuten erfolgen.
Koppe hielt inne und sah Anabel an. „Im Prinzip kann man das, was ich jetzt tue mit einer Hinrichtung durch die Giftspritze vergleichen“, erklärte er. „Die läuft in drei Schritten ab. Als erstes wird dem zum Tode verurteilten ein Mittel injiziert, dass ihn betäubt. Dann folgt die Zufuhr eines Muskelrelaxans. Dieses Mittel sorgt dafür, dass der Verurteilte sich nicht mehr bewegen kann. Als letztes folgt die Injektion eines Mittels, dass zum Herzstillstand und somit zum Tod führt.“
„Es sind also drei Viren, nicht nur eines?“
„Im Grunde schon, ja.“
„Und du bist sicher, dass das Programm danach wirklich keinen Schaden mehr anrichten kann?“
Koppe nickte. „Absolut, ja.“
„Und es kann auch nicht irgendwie … wiederkommen?“
Koppe lächelte schwach. „Es ist kein Lebewesen, dass wiederauferstehen kann, Anabel. Es ist eine Software. Und die kann man unwiderruflich zerstören.“
„Okay“, sagte Anabel leise. Sie räusperte sich. „Ist wahrscheinlich eine total blöde Frage, aber müsstest du das mit dem Virus nicht direkt am Objekt machen? Ich meine, müsstest du den Virus nicht in den Supercomputer eingeben?“
Koppe schmunzelte. „Nein. Um ihn zu installieren reicht es aus, im System zu sein. Vollkommen egal, wo ich bin. Selbst aus Afrika könnte ich das. Denke bitte an die ganzen Hacker-Angriffe der Vergangenheit. Die erfolgten aus der Ukraine, aus Nordkorea oder Israel. Es gilt ja, der Software Schaden zuzufügen, nicht der Hardware.“
„Verstehe …“
„So“, sagte Koppe und lächelte zufrieden. „Ich bin bereit.“
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Die Pressekonferenz war vorüber. Carola Neumann und Sybille Schneider waren noch in ein Gespräch vertieft. Anabel sah, wie Sybille offenbar erschrocken die Hand vor den Mund hielt und dann ungläubig den Kopf schüttelte. Wenig später verabschiedeten sich die beiden Frauen und Sybille kam auf Anabel und die anderen zu.
„Ihr könnt euch nicht vorstellen, wer versucht hat, über den Sender Kontakt zu mir aufzunehmen. Das amerikanische Verteidigungsministerium hat eine irrsinnig hohe Summe für den Quellcode von Redemptio angeboten. Sie haben angeblich gefleht, die Software nicht zu vernichten.“
„Haben die nicht kapiert, was du vorhin gesagt hast?“, wollte Harry erstaunt wissen.
Lasker antwortete anstatt Sybille Schneider. „Sie haben nur das verstanden, was sie verstehen wollten. Und das sind die Möglichkeiten, die Redemptio bietet. Die Risiken … nun, die Amis denken doch eh, dass sie uns allen überlegen sind.“
Sybille sah sich suchend um. „Wo ist Leon? Ist er soweit?“
Anabel blickte sich ebenfalls um. „Eben war er noch hier. Und ja, er ist mit den Vorbereitungen fertig und kann loslegen.“
Dann tauchte Leon Koppe bewaffnet mit einem Laptop auf. „Wollen wir?“
Sybille Schneider nickte. „Unbedingt.“
Sie zogen sich alle in einen Besprechungsraum der Botschaft zurück.
Koppe stellte das Notebook auf dem Tisch ab und setzte sich davor. Er holte einen USB-Stick aus der Transporttasche des Laptops und steckte ihn in einen freien Port. Der Stick fing an zu blinken und unmittelbar darauf erwachte der Bildschirm zum Leben.
Koppe wandte sich an seine Begleiter. „Alle bereit?“
Allgemeines Nicken diente als Antwort.
„Also dann“, sagte Koppe leise und drückte auf Enter.
„Das ist jetzt das Betäubungsmittel“, flüsterte Anabel.
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Hunderttausende von parallellaufenden Analysen Redemptios kamen zeitgleich und wie aus dem Nichts zum Stoppen. Nichts ging mehr. Das Programm versuchte, eine Fehleranalyse durchzuführen, scheiterte aber.
Dann verlor Redemptio die Fähigkeit zu sehen.
Von einem Moment auf den nächsten hatte es keinen Zugriff mehr auf die Kameras.
Als nächstes wurde Redemptio taub.
Die Millionen von verfügbaren Mikrofonen waren alle gleichzeitig verstummt.
Das Programm versuchte erneut, eine Schadensanalyse durchzuführen, aber auch dieser Versuch scheiterte.
Die elegante Yacht mit Namen Redemptio hatte die Fähigkeit verloren, auf externe Informationen zuzugreifen. Sie trieb blind und taub im Ozean.
Als sie auch die Fähigkeit verlor, auf vorhandene Informationen zuzugreifen, sank sie.
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Koppe hob den Blick. „Es ist vorbei“, sagte er.
Anabel hatte den Eindruck, er war über diese Tatsache alles andere als glücklich. „Stimmt was nicht?“
Koppe dachte länger über die Antwort nach. Schließlich stand er auf, ging zu einem der Fenster und sah hinaus auf die Straße. Ohne die anderen anzusehen, begann er leise zu sprechen. „Wisst Ihr, trotz aller furchtbaren Dinge, die geschehen sind, war Redemptio ein Meisterwerk. Es war allen bekannten KI´s weit voraus. Und ich habe es zerstört. Das … bewegt mich.“
„Aber du verstehst, dass es sein musste, oder?“, wollte Sybille Schneider wissen.
Koppe drehte sich zu ihr herum. „Natürlich.“