Kapitel 12

I ch bin noch nie so enttäuscht worden.« Persh’al holte fünf blaue Plastikkarten aus seinem Geldetui und legte sie auf den Tisch. Die Karten und der Tisch blinkten gemeinsam, dann verschwand seine Zahlung. »Das war ein totaler Scherz, Mann. So viel Veréle für einen winzigen Haufen gebratenes Angarfat und ein paar Krümel zerbröselten Grylyf auszugeben, wofür? Präsentation ? Sie sollten das Gericht in ›Teuerster Snack aller Zeiten, der nicht einmal nach Grylyf schmeckt‹ umbenennen.«

Cheyenne richtete die zweizinkige Gabel auf den Turm aus mintgrünem Gelee an der Seite ihres Tellers und stieß ihn noch einmal vorsichtig an. Hunderte winziger Bläschen erschienen auf der Oberfläche, als das Gelee wackelte und öffneten sich nacheinander, um milchig-weiße Augen zum Vorschein zu bringen, die sie anstarrten. »Das Zeug hat Augen.«

»Nun, ja. Das ist es, was es knusprig macht. Willst du es nicht essen?«

Sie legte den Kopf schief und legte die Gabel auf dem Teller ab. »Ich mag es nicht, von meinem Essen angestarrt zu werden.«

»Hm. Kann ich es dann haben?«

Cheyenne schob ihm den Teller über den Tisch und der Troll grinste. Sie konnte nicht mit ansehen, wie er das Gelee in drei riesigen Bissen verschlang. Die Gabel fiel klirrend auf den Teller und Persh’al nahm einen langen Schluck des leicht gesüßten, kostenlosen Wassers.

»Okay. Das ist ein bisschen besser. Aber der Rest hat dir doch geschmeckt, oder?«

»Das Brot, das immer wieder nachwächst, bis ich es mir schließlich komplett in den Mund stecke?« Sie rümpfte die Nase und schüttelte den Kopf. »Es fühlt sich an, als würde es immer noch in meinem Magen wachsen.«

»Aber es hat gut geschmeckt. Es wird dir für den Rest des Tages im Gedächtnis bleiben, nicht wahr?« Er kicherte und verließ den Tisch, wobei er seinen Rucksack hinter sich herschleppte. »Oh, ja. Ich kann auch mit einem halb vollen Tank arbeiten. Lass uns an die Arbeit gehen.«

Cheyenne nahm ihren Rucksack und schaute sich im Restaurant um. Die meisten der speisenden magischen Wesen ignorierten sie, als Persh’al sie in die Mitte der hinteren Wand führte. Diejenigen, die aufschauten, um einen Blick auf einen blauen Troll und eine finster dreinblickende junge Drow zu erhaschen, die mit ihrem Gepäck herumschlenderten, verdrehten die Augen.

Es ist nicht das erste Mal, dass ich gegen die Kleiderordnung verstoße. Sie werden es überleben.

An der gegenüberliegenden Wand befand sich ein hohes, gewölbtes Tor, das mit wirbelnden, silbernen Ranken und Metallblättern verziert war, die von selbst flatterten. Persh’al klopfte leicht an die massive Metallwand im Inneren des Bogens und drehte sich zu ihr um, um mit den Augenbrauen zu wackeln. »Die richtige Party ist immer im Hinterzimmer, weißt du?«

»Klar doch.« Ich gehe zwar nicht auf Partys, aber ich habe das Gefühl, dass diese hier viel mehr an Bianca Summerlins Soireen erinnert als alles andere.

Die Türöffnung schimmerte und die Wand verschwand in einem nebligen, blauen Licht, das es irgendwie nicht in den makellos sauberen Speisesaal schaffte. Persh’al nickte ihr zu. »Du weißt, wonach du suchen musst.«

»Ja.« Sie folgte ihm durch einen weiteren kurzen Tunnel und ihre Haut kribbelte, als sich die Wand hinter ihnen wieder verfestigte. »Hintertüren zum stadtweiten Hauptrechner von Hangivol. Die geschlossenen.«

»Mach sie nur nicht auf. Das Letzte, was wir auf dieser Reise brauchen, ist, einen Alarm auszulösen.«

»Du meinst, abgesehen von dem, den du in dieser einen Stadt ausgelöst hast?«

Persh’al schnaubte. »Ich schulde dir was, wenn wir uns darauf einigen können, dass das nie passiert ist.«

»Von mir aus.« Cheyenne lachte, während sein schlaffes, orangefarbenes Haar gegen seinen Nacken hüpfte, weil er den Kopf schüttelte.

Die Musik im Hinterzimmer wurde lauter, bevor sie den Durchgang verließen. Ernsthaft? Jetzt ist es O’gúleesh-Dubstep und keine Soiree .

Der riesige Raum dahinter war dunkel und voll mit geruchlosem Smog, der in Formen und Symbolen in verschiedenfarbigen Lichtern aufleuchtete. An der Decke hängende Laternen flackerten mit grünen und violettfarbenen Flammen und warfen dünne Lichtstrahlen auf die magischen Wesen, die sich unter ihnen hin und her bewegten. In der Mitte des Raumes befand sich eine runde Bar, an der metallische Fäden baumelten, die im Takt der dröhnenden Musik zitterten und an der ein schlangenäugiges übernatürliches Wesen mit durchsichtiger Haut und vier Armen Getränke ausschenkte. Eine Bühne nahm die linke Wand ein, obwohl das fliegende Wesen, das unter einem violettfarbenen Scheinwerfer Radschläge machte, sie offensichtlich nicht brauchte. Die Tanzfläche war von einer dunklen, wippenden Masse aus Köpfen, Haaren und zuckenden Gliedmaßen bedeckt und der Rest des Raumes war mit weiteren Tischen und Stühlen gesäumt, die so standen, dass jeder jeden sehen konnte.

Persh’al wippte mit dem Kopf zur Musik und drehte sich um, um Cheyenne breit anzulächeln. »Besser, oder?«

»Als das Vorderzimmer? Ja.« Sie schloss zu ihm auf und musste ihre Stimme über die Musik erheben. »Sollen die Leute nicht wissen, dass es hier hinten ist?«

»Nein, das weiß jeder, aber ein hochnäsiger kleiner Troll, der in Uppertech wohnt, wird nicht in einen Club gehen, wo alle anderen ihn sehen können. Die anderen magischen Wesen hier tun alle so, als ob sie nicht auch versuchen, etwas zu verbergen.«

»Was im Club passiert, bleibt im Club, hm?«

»Du sagst es. Willst du ein Getränk?«

Cheyenne schnaubte und drehte sich um, um den drei Meter großen Kerl zu beobachten, der ein Baum hätte sein können, wenn er nicht so sehr zur Musik abgegangen wäre. »Klar. Grog oder so was.«

»Hier oben ist das keine Option, Kleine. Ich trinke auch nichts Starkes.«

Sie erreichten die Bar und die Barkeeperin, deren Körper transparent war, nickte, als sie vor ihren anderen Kunden drei schwarze Schalen abstellte, auf deren Oberfläche rosafarbene Flammen züngelten. Die für einen Opernabend gekleideten magischen Wesen griffen hysterisch lachend nach den Schalen und leerten sie.

Man könnte mich nicht mal dafür bezahlen, dass ich mich wie etwas anziehe, das ich nicht bin, damit ich im Geheimen ich selbst sein kann .

»Was wollt ihr?« Die Barkeeperin legte zwei vierfingrige Hände auf die Theke und ihre schlangenartigen Augen richteten sich erst auf Persh’al, dann auf Cheyenne.

»Zwei Schlammsäfte.«

Die Barkeeperin runzelte die Stirn und öffnete den Mund, um eine bissige Bemerkung auszusprechen, als ein Schwarm kleiner, silberner Kugeln von der Decke herabschwebte und bunte Lichter blinkten. Sie blieben über den Köpfen von Persh’al und Cheyenne stehen und schwebten langsam um die runde Bar.

Cheyenne schaute sich eines aus dem Augenwinkel an. Auch über diese Dinger gibt es keine Informationen.

Die Barkeeperin betrachtete die sich drehenden Kugeln und kratzte sich mit einer dritten Hand an ihrem haarlosen, transparenten Kopf. Sie schloss ihren Mund und zwang sich zu einem Lächeln gegenüber ihren neuen Kunden. »Ich muss etwas aus dem hinteren Bereich holen. Wenn es euch nichts ausmacht zu warten, natürlich.«

Persh’al zuckte mit den Schultern. »Kein Problem.«

Die Barkeeperin schenkte ihm ein weiteres schmallippiges Lächeln und griff mit einer vierten Hand nach oben, um etwas auf dem Ring über der Bar zu berühren. Mit einer anderen Hand hob sie zwei kleine Gläser unter dem Tresen hervor und eine weitere griff in die Tasche ihres ärmellosen, schwarzen Overalls. Dann drehte sie sich um, um zwei weiteren Kunden zu helfen.

Persh’al und Cheyenne tauschten einen Blick aus und als er eine Augenbraue hochzog und den immer noch schwebenden Kugeln zunickte, schüttelte die Halbdrow den Kopf. Er lehnte sich gegen den Tresen. »Mit ein paar Drinks in der Hand ist es einfacher zu reden. Du weißt schon, um die Stimmung aufzulockern.«

»Wie locker?« Sie musterte ihn von der Seite und zwang sich zu einem Lächeln.

Der Troll zeigte mit dem Finger durch den Raum. »Locker genug, um genauso viel Spaß zu haben wie der Rest dieser Glückspilze. Das ist es, was ich anstrebe.« Er hielt ihren Blick fest und neigte leicht den Kopf.

Das habe ich auch gedacht. Jemand beobachtet uns, genau wie d ie Barkeeper in und alle anderen. Wenn das bedeutet, dass wir uns betrunken benehmen müssen, werde ich das Spielchen eben mitspielen .

Cheyenne lehnte sich mit dem Rücken an die Bar, stützte sich mit den Unterarmen ab und wippte mit dem Kopf zu der Musik, die sie mit ihrem temporären Aktivator ganz leise gedreht hatte. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal versucht habe, nur so zu tun, als würde mir etwas Spaß machen .

Eine Gruppe von Orks, die an einem der Tische an der Wand stand, lachte laut und hob ihre Getränke. In der nächsten Sekunde holte einer von ihnen aus und verpasste seinem Nachbarn einen Schlag ins Gesicht. Das getroffene magische Wesen brüllte vor Wut, als sein Glas zu Boden fiel und zersprang, sodass sich die schimmernde Flüssigkeit überall verteilte. »Du bist aus der Reihe getanzt, Forul. Wenn du das noch einmal machst, werde ich …«

»Du wirst was? Mich mit noch mehr Veréle bewerfen? Deine Bezahlung ist nutzlos. Ich will das, wofür ich gekommen bin.«

»Nun, dann wirst du enttäuscht abreisen.«

Die Orks funkelten einander an, stellten sich auf die Zehenspitzen und knurrten durch ihre hervorstehenden Stoßzähne. Die anderen in ihrer Gruppe traten weg und schauten woanders hin, kippten ihre Getränke hinunter und taten so, als hätten sie nichts mit ihren streitenden Freunden zu tun.

Cheyenne verengte ihre Augen. Ein Ork-Kampf mit nur einem Schlag? Warum halten sie sich zurück ?

Ein kurzer Blick auf die anderen Tische zeigte, dass die anderen magischen Wesen, die den Kampf offensichtlich mitbekommen hatten, ganz offensichtlich versuchten, den Vorfall zu vergessen. Die beiden Orks starrten sich immer noch an, grunzten und versuchten, den anderen zum Nachgeben zu bewegen. Ein paar grüne Funken sprühten aus den Fingern desjenigen, der den Schlag ausgeführt hatte und ein anderer Ork kam schnell von seinem Platz an der Ecke des Clubs auf die beiden zu.

Cheyenne stupste Persh’al am Arm an und nickte so subtil wie möglich in Richtung des Streits.

»Das reicht«, knurrte der dritte Ork. Er trug einen gut geschnittenen, schwarzen Anzug mit dreiviertellangen Ärmeln und zwei silbernen Streifen, die sich diagonal auf seiner Brust kreuzten.

Ein Türsteher nach der neuesten Mode. Die Halbdrow versuchte, nicht das Gesicht zu verziehen.

Der Türsteher stand dicht bei den wütenden Orks, steckte sein Gesicht mitten in ihren Kampf und murmelte etwas, das nur sie hören konnten. Dann schnippte er mit den Fingern und ein schwebendes, silbernes Tablett raste durch den Raum und blieb neben seiner ausgestreckten Hand stehen. Er zog zwei zentimetergroße Fläschchen aus dem Tablett und reichte jedem von ihnen eines.

Die wütenden Orks warfen einen Blick auf das, was sie bekommen hatten, dann öffneten sie die Verschlüsse der Fläschchen und hielten die Behälter an ihre riesigen Nasenlöcher, um kurz und heftig zu schnaufen. Der Türsteher öffnete seine Hand wieder und wartete, bis die Fläschchen zurückgegeben wurden, bevor er sich entfernte. Die Streitenden schüttelten den Kopf, dann weiteten sich ihre gelben Augen und sie blickten sich gegenseitig an. Derjenige, der zuerst zugeschlagen hatte, stieß ein wildes Lachen aus und klopfte dem anderen auf die Schulter, dann fielen sie einander in die Arme, grölten und schubsten sich wie beste Freunde.

Der Türsteher ging langsam durch den Club, die Hände in die Taschen gesteckt, während er die anderen magischen Wesen um sich herum beobachtete, die sich amüsierten. Als er an Cheyenne vorbeiging, fing er ihren Blick auf, hob eine Augenbraue und senkte den Kopf. Ein geschwungener, silberner Ohrring hing an seinem dunkelgrünen Ohr und sie richtete ihre Aufmerksamkeit darauf, bevor der Ork in der Menge verschwand.

Mist. Das ist kein Türsteher. Das ist ein Drogendealer, der den Frieden bewahrt .

Sie trat von der Bar weg, um ihn wiederzufinden, aber Persh’al wandte sich ihr zu und zuckte mit den Schultern. »Wie lange dauert es hier, bis man ein anständiges Glas Schlammsaft bekommt?«

Cheyenne wandte sich wieder der Bar zu. Richtig. Ich bin hier, um zuzuschauen. Das war’s .

Als ob die vielschichtige Frage des Trolls es geschehen ließe, glitt eine dünne Lamelle in der Oberfläche der Bar zur Seite und eine hohe, breite, dunkelblaue Glasflasche ragte langsam aus der Öffnung. Die Barkeeperin schnappte sie sich und brach den Deckel mit bloßen Händen auf, bevor sie die dunkelbraune Flüssigkeit in zwei kurze Gläser goss. Als sie Cheyenne und Persh’al die Getränke reichte, flackerte ihr Blick in Richtung der kleinen Metallkugeln, die sich immer noch in langsamen Kreisen um die Bar bewegten. Ihr Lächeln wirkte noch gezwungener als die Worte, die aus ihrem Mund zischten. »Auf Kosten des Hauses.«

»Wirklich?« Persh’al warf einen Blick auf den braunen, blubbernden Schlammsaft und legte den Kopf schief.

»Für die Wartezeit.«

Cheyenne griff nach einem Glas und hob es mit einem Nicken zu der angestrengt wirkenden Barkeeperin. »Ausgezeichnet.«

Sobald die Halbdrow das Angebot angenommen hatte, entfernten sich die schwebenden Kugeln und verschwanden wieder in der dunklen Decke, um zu beobachten und zu warten. Die Barkeeperin schüttelte den Kopf und schaute keinen der beiden an, bevor sie um die Theke herumging, um die Bestellung eines anderen Kunden aufzunehmen.

Persh’al stieß sein Glas gegen das von Cheyenne und deutete mit einem Nicken auf die Tische an den Wänden. »Wenn wir leise genug sind und für die schwebenden Kameras lächeln, können wir darüber reden, was gerade passiert ist.«

Cheyenne setzte ein wildes Grinsen auf.

Der Troll nahm einen großen Schluck von seinem Getränk und schüttelte den Kopf. »Schon gut. Du konzentrierst dich darauf, nicht wie eine Verrückte auszusehen und ich werde glücklich genug für uns beide aussehen.«

Das kecke Lächeln, das er ihr als Antwort schenkte, sah echt aus. Cheyenne setzte ihre überzeugendste Miene der gelangweilten Überlegenheit auf und hob das Glas an ihre Lippen. Der Schlammsaft prickelte in ihrem Mund und brachte sie fast zum Husten. »Ist das das Beste, was es gibt, wenn es keinen Grog gibt?«

Persh’al nickte mit Blick auf ihr Glas und lachte. »Ich wette, in Peridosh ist noch keine einzige Flasche von diesem Zeug aufgemacht worden. Zu teuer. In Uppertech ist es ein Gesöff.«