Kapitel 16

E in Flammenball erwachte in Nu’eks Handfläche zum Leben und sie bedeutete Cheyenne und Persh’al mit einer Kopfbewegung, ihr in eine andere Gasse auf der linken Seite zu folgen.

Cheyenne beugte sich zu dem Troll und flüsterte: »Mein Aktivator ist abgeschmiert.«

»Oh, ja?«

»Einfach ausgeschaltet. Tat ein bisschen weh.«

Er kicherte und Nu’ek drehte sich mit einem wissenden Lächeln über ihre Schulter um, wobei ihr dunkles Gesicht von den tanzenden Schatten der Flammen auf den Mauern erhellt wurde. »Die Schutzwälle hinter diesen Mauern haben Jahrhunderte überdauert. Wir mussten auf der Innenseite zusätzliche Schichten anbringen, um unsere Spuren zu verwischen.«

»Weißt du, ich habe etwas gespürt«, sagte Persh’al und richtete seinen Rucksack neu aus. »Ich schätze, das hat deinen Aktivator lahmgelegt, Kleine.«

»Das hält uns die Krone vom Hals«, fügte die Golra hinzu. »Wenn wir uns ins Dunkle zurückziehen, wird sie blind.«

»Na, das habt ihr aber wörtlich genommen.« Persh’al schnaubte und deutete auf das Licht in Nu’eks Hand.

Sie ignorierte den Scherz und führte sie um eine Biegung des Ganges, bevor sie an einer weiteren Tür anhielten, die aus dickem, schwarzem Holz geschnitzt und an beiden Seiten mit Stahlbolzen versehen war. Die Tür war mindestens einen halben Meter höher und viel breiter als ihre geflügelte Begleiterin und Nu’ek griff nach dem Eisenring an der Seite der Tür, bevor sie sie ruckartig öffnete.

Durch wie viele Türen müssen wir an diesem Ort gehen?

Weiches, warmes Licht drang durch die offene Tür, gefolgt vom Klang eines Dutzends leiser Stimmen. Die Golra verschwand in dem Raum dahinter und Persh’al drehte sich zu Cheyenne um und wackelte mit den Augenbrauen. »Geh das hier mal ganz offen und aufgeschlossen an, ja?«

»Was?«

Er antwortete nicht, sondern trat durch die massive Türöffnung. Cheyenne schürzte ihre Lippen und folgte ihm. Was kommt da auf mich zu ?

Es war ein Raum, der fast dreimal so groß war wie das Lagerhaus von Persh’al in DC. Der Raum wurde von schwebenden Fackeln und Lichtkugeln beleuchtet, die an den Steinwänden hin und her wippten. Ein riesiger Tisch aus glitzerndem, schwarzem Metall nahm die Mitte des Raumes ein, aber die zwanzig Stühle um ihn herum waren leer. Auf der anderen Seite der Höhle befand sich ein steinerner Brunnen, der noch tiefer in die Erde von Ambar’ogúl eindrang und dunkles, schimmerndes Licht schwebte über dem Rand wie die Lichtwand zwischen den Säulen der neuen Portalkämme. Sessel mit hohen Lehnen standen in Gruppen von drei oder vier in dem Raum und an den Wänden waren über zwanzig unterschiedlich große Tunneleingänge verteilt. Jeder von ihnen war mit einem O’gúleesh-Symbol gekennzeichnet, das in verschiedenen Farben leuchtete, aber ohne einen funktionierenden Aktivator hatte Cheyenne keine Ahnung, was sie bedeuteten.

»Beim Blute des Op’paro«, rief jemand und unterbrach damit die Unterhaltung im Raum. »Persh’al Tenishi. Du atmest ja noch.«

Persh’al breitete seine Arme aus. »Darin bin ich ziemlich gut geworden, ja.«

Cheyenne zählte schnell die magischen Wesen, die sie anblickten. Die meisten waren Trolle, Orks und Kobolde. Zwei von ihnen waren mit Stacheln bedeckt, deren Spitzen hellgrün waren und ein weiteres hätte für eine Nachtpirscherin gehalten werden können, wären da nicht die orangefarbenen Flammen in ihren Augen und die fünf buschigen Schwänze gewesen, die hinter ihr herumflatterten. Ein anderes magisches Wesen hatte blutrote Haut, die mit schwarzen Spinnweben bedeckt war und kleine Hornknospen, die aus seinem Kopf sprossen.

Einer der Übernatürlichen, der in einen dicken, schwarzen Umhang gehüllt war, der alles bis auf zwei glühend rote Augen verbarg, trat vor. In der nächsten Sekunde löste sich die Gestalt in Millionen schwärmender, wirbelnder, schwarzer Flecken auf, die durch den Raum huschten und sich dreißig Zentimeter vor Persh’al wieder materialisierten, wobei der Mantel um seine Knöchel peitschte, ohne auch nur einen Millimeter des Körpers des magischen Wesens zu enthüllen. »Glaubst du, du kannst einfach durch diese Tür gehen und wir empfangen dich mit offenen Armen zurück?«

Stirnrunzelnd betrachtete Persh’al das magische Wesen und zuckte dann mit den Schultern. »Ich habe es erwartet. Nur nicht von dir, Berloth.«

Die Gestalt hob eine vierfingrige Hand, die einen schwarzen Lederhandschuh trug, unter ihrem Mantel hervor und streckte sie langsam nach Persh’als Hals aus.

Cheyenne ballte ihre Fäuste und sah aufmerksam zu. Wenn das hier schiefgeht, habe ich kein Problem damit, uns den Weg hier raus zu sprengen.

Dann ertönte ein leises Kichern aus dem schwarzen Loch unter der Kapuze der Gestalt und die Hand umklammerte Persh’als Schulter und drückte sie fest zusammen. Der Lederhandschuh knarrte. »Das hat aber lange gedauert.«

Der blaue Troll lächelte. »Du hast schon länger gewartet.«

Die magischen Wesen, die zuschauten, kicherten und gingen auf die Neuankömmlinge zu. Nu’ek stellte sich zur Seite, verschränkte die Arme und beobachtete das Zusammentreffen aus einem Abstand von mindestens einem Meter über den anderen. Die verhüllte Gestalt ließ Persh’als Schulter los und trat einen Schritt zurück. »Und wie lange müssen wir noch auf den Rest warten?«

Persh’al senkte den Kopf. »Wir sind fast bereit.«

»Aber du hast eine falsche Drow mitgebracht.« Eines der magischen Wesen mit grünen Federkielen legte den Kopf schief und streckte seine grüngraue Zunge zwischen dunklen Lippen hervor.

Das rot-schwarzhäutige Wesen warf Cheyenne einen finsteren Blick zu. »Wir nehmen keine Streuner auf.«

Cheyenne senkte den Kopf und funkelte ihn an. »Du hast mich nicht gerade einen Streuner genannt.«

»Sieh dir das an.« Das magische Wesen grinste sie an, seine schwarzen Augen funkelten. »Es spricht.«

»Was zum Teufel soll das?« Cheyenne richtete ihren Blick jetzt auf Persh’al.

Der Troll schüttelte langsam den Kopf, verschränkte die Arme und blickte auf die Gruppe der magischen Wesen, die sich unterhalb der Stadt versteckt hielt. Sie versammelten sich langsam vor ihrem alten Freund und der Halbdrow und strahlten Misstrauen und Argwohn aus, was Cheyenne fast schmecken konnte.

Er sollte besser wissen, was er tut.

Persh’al hob sein Kinn und musterte die Gesichter seiner angeblichen Freunde. »Wer hat ein Problem mit der Drow, die neben mir steht?«

»Wir alle«, zischte eine Koboldfrau mit einem verbrannten, geschwärzten Fleck auf der Stirn, der mit Narben übersät war. »Wir kennen sie nicht und eine Drow, die wir nicht kennen, ist eine Drow, die alles zerstören wird.«

»Sieh noch mal hin.« Persh’al zeigte auf Cheyenne, ohne den Blick von den spöttischen Gesichtern abzuwenden. »Kommt euch etwas bekannt vor?«

Jemand zischte und für unerträglich lange zehn Sekunden kribbelte Cheyennes Haut unter fünfzehn prüfenden Blicken.

Sie wandte sich an Persh’al. »Ich mache das nicht mit.«

»Warte einfach.«

»Hey, ich weiß, wann ich nicht erwünscht bin und ich bin nicht hierhergekommen, um wie ein Freak im Zirkus angestarrt zu werden.« Sie drehte sich um und ging auf die offene Tür zu, die in den dunklen Gang dahinter führte.

»Cheyenne.«

Als sie die riesige Holztür erreichte, schwang sie mit einem lauten Knall von selbst zu. Sie wirbelte herum und starrte auf Persh’als Hinterkopf und seinen schlaffen Irokesen. »Sag mir, was hier los ist oder ich sprenge mir den Weg frei!«

»Blut verbindet sich mit Blut.« Die tiefe Stimme hallte von der anderen Seite des riesigen Raums wider und eine hünenhafte, dunkle Gestalt erschien aus einem der offenen Tunnel unter einer rot leuchtenden O’gúleesh-Rune. Als der riesige Raug ins Licht trat und sich alle umdrehten, um ihn anzusehen, wurde es totenstill in dem Raum.

Wie zum Teufel ist Gúrdu vor uns hierhergekommen ?

Aber es war nicht Gúrdu. Dieser Raug war viel älter, seine graue Haut war faltig und vom Alter gezeichnet. Er schlurfte vorwärts und schlug bei jedem Schritt mit seinem knorrigen Stock auf den Boden. Persh’al drehte sich um, um Cheyennes Blick zu begegnen und senkte den Kopf.

»Das hast du schon mal gehört, nicht wahr?«, knurrte der Raug, während er zum Eingang des Raums humpelte.

Cheyenne biss die Zähne zusammen und zwang sich, zu antworten. »Mehr als einmal.«

Der Raug trat auf den breiter werdenden Weg, den die anderen magischen Wesen für ihn gebahnt hatten und ging an Persh’al ohne einen zweiten Blick vorbei. Er blieb vor Cheyenne stehen und überragte sie um mindestens einen Kopf. Er schnupperte lange pfeifend an der Luft und schnaubte ihr dann ins Gesicht.

Sie lehnte ihren Kopf von dem heißen Atem weg, der durch ihr Haar rauschte, aber sie wandte ihren Blick nicht von den glühenden, orangebraunen Augen ab, die sie studierten. »Tritt zurück.«

Persh’al holte scharf Luft.

Die Augen des Raug verengten sich, dann trat er zur Seite und schlug seinen Stock mit einem Knall auf den Steinboden, bevor er sich an die anderen wandte. »Das ist nicht der Drow, den wir in unserer Mitte zu sehen hofften, aber sie ist auch nicht die falsche Drow.«

Die anderen magischen Wesen schlurften mit den Füßen und tauschten misstrauische Blicke aus.

»Das kannst du nicht wissen.« Ein Ork, dem ein halbes Ohr fehlte, verzog das Gesicht und seine dicke Unterlippe kräuselte sich um zwei dicke, schwarz gefärbte Stoßzähne.

»Persh’al sagte, ihr sollt genauer hinschauen.« Der Raug schnaubte und winkte Cheyenne mit einer roten Klaue zu. »Und ihr Idioten habt eure Augen geschlossen. Macht sie auf und seht, wer vor euch steht.«

Der Alte verließ Cheyennes Seite und ging zurück durch die verstreuten magischen Wesen. Sein pochender Stock hielt vor dem massiven, schwarzen Tisch, wo er sich in einen Stuhl sinken ließ und mit einem langen, knurrenden Seufzer die Augen schloss.

Die katzenartige Frau mit den fünf Schwänzen neigte den Kopf und zeigte auf Cheyenne. »Sag uns, wer du bist.«

Die Halbdrow hob ihr Kinn. »Cheyenne Summerlin.«

Persh’al warf einen wachsamen Blick auf die misstrauische Menge, dann eilte er zu ihr und blieb mit dem Rücken zu den anderen stehen. Er beugte sich leicht zu ihr und flüsterte: »Ich weiß, dass es dir nicht gefällt, Kind, aber du musst ihnen sagen, was sie hören wollen. Dein Name hat in diesem Raum keine Bedeutung, aber du kennst den Namen, der es tut.«

Sie warf ihm einen Seitenblick zu. »Willst du mich verarschen?«

Er begegnete ihrem Blick und hob die Augenbrauen.

Das ist meine Coming-out-Party, was? Das musste wohl früher oder später passieren.

Mit geblähten Nasenflügeln wandte Cheyenne den Blick von dem blauen Troll neben ihr ab und verschränkte die Arme. Es war viel einfacher, die Worte zu sagen, die sie hasste, wenn sie auf die hintere Wand des Raums starrte und nicht auf die hungrigen Augen der misstrauischen magischen Wesen.

»Mein Name ist Cheyenne Summerlin. Ich …« Sie schluckte und biss sich auf die Unterlippe. Sag es einfach, verdammt. »Mein Vater ist L’zar Verdys.«

Ihre Worte hallten durch den Raum, aber niemand rührte sich.

Persh’al stupste sie mit seinem Ellbogen an, während sich ein langsames, triumphierendes Lächeln auf seinen Lippen ausbreitete. »Gut gemacht.«

Cheyenne schüttelte den Kopf und starrte weiter auf die Rückwand.

»Persh’al«, knurrte das schwarzrote magische Wesen. »Was soll das heißen?«

Der blaue Troll trat vor und zeigte auf die Halbdrow. »Ihr habt die Drow gehört. Das musste als Nächstes passieren.«

»Er hat es geschafft?« Ein Troll mit Ringen aus gezackten, schwarzen Tattoos auf den Armen schaute Persh’al und Cheyenne an. »Er hat die Prophezeiung überlistet?«

»Komm schon. Du hast das Gütesiegel von Foltr und hast es direkt aus Cheyennes Mund gehört. Das hier ist L’zars Tochter, die hier steht. Wie viele Beweise brauchst du noch?«

Das Wesen im schwarzen Umhang bäumte sich auf und lachte laut. Das erschreckende Geräusch schien die anderen aus ihrer schockierten Stille zu reißen und alle fingen an zu wirr umherzurufen.

»Dieser verdammte Drow hätte selbst kommen sollen!«

»Warum hast du sie hierher gebracht?«

»Wir müssen jetzt los!«

Als Cheyenne ihren Blick langsam von der Rückwand des Raums abwandte, legte sie den Kopf schief und sah Nu’ek an. Die Golra stand wie eine riesige Statue an der Seite der Kammer und hatte ihre rotpelzigen Arme verschränkt. Dann begegnete sie Cheyennes Blick und schüttelte leicht, kaum merklich, den Kopf.

L’zar hat sie alle hier zurückgelassen und erwartet , dass alle abwarten und auf sein Signal warten würden. Er hätte mit Chaos rechnen müssen.

»In Ordnung, wartet.« Persh’al hob die Hände, um die anderen zu beruhigen, aber es war nutzlos.

»Direkt hier in der Stadt, Persh’al? Hast du den Verstand verloren?«

»Nicht, als ich es das letzte Mal gecheckt habe.«

»Wenn sie hier entdeckt wird, verlieren wir alles!«

»Sie wird nicht entdeckt.«

»Wir brauchen L’zar. Weiß seine Tochter überhaupt, was von ihr verlangt wird?«

Persh’al ballte die Fäuste. »Weißt du was? Wenn du die Klappe hältst und mir zuhörst, werde ich es dir sagen.«

»Wir warten schon seit Jahrhunderten still und leise! Wenn L’zar nicht hier ist, um es uns selbst zu sagen, was zum Teufel sollen wir dann tun?«

Das Geschrei ging weiter und Persh’al ließ seine Hände fallen. Er sah Nu’ek an und die Golra verdrehte die Augen. Dann stampfte sie mit ihrem Klauenfuß auf, wobei ihre Krallen kratzend auf den Steinboden schlugen, einen Funkenregen auslösten, und brüllte. Der Raum bebte, Staub löste sich von der Decke und alle blieben stehen.

»Haltet eure nutzlosen Mäuler und setzt euch hin!« Nu’ek knurrte, während sie die magischen Wesen, die behaupteten, L’zars Sache treu zu sein, mit ihren ausgebreiteten Flügeln anfunkelte. »Wenn ihr eure verdammten Antworten wollt, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um zuzuhören. Ihr wisst, wem wir dienen.«

Einer nach dem anderen warfen die magischen Wesen ihr böse Blicke zu und drehten sich um, um an dem massiven, schwarzen Tisch Platz zu nehmen. Foltr, der Raug, saß regungslos auf seinem Stuhl, die Hände mit den Krallen über dem knorrigen Stock gefaltet, die Augen immer noch geschlossen. Niemand sagte ein weiteres Wort und Persh’al kehrte an Cheyennes Seite zurück und senkte seine Stimme. »Das lief nicht ganz so, wie ich erwartet hatte, aber ich glaube, sie haben die Botschaft verstanden.«

Cheyenne sah ihn stirnrunzelnd an. »Was machen wir hier? Sie wollen L’zar, nicht mich.«

»Halte einfach durch, Kleine. Okay? Ich kümmere mich um den Rest.« Er stupste sie am Arm an. »Das ist aber mal ein Auftritt, was?«

Sie schnaubte. »Ehrlich gesagt, dachte ich, wir müssten uns den Weg hier raus erkämpfen.«

Persh’al zuckte mit den Schultern und gab ihr ein Zeichen, ihm zu dem großen, schwarzen Tisch mit den anderen zu folgen. »Das können wir immer noch. Aber wenigstens können wir ihnen vorher sagen, was los ist, oder?«

»Oh, sicher. Ich fühle mich so viel besser.« Ihr wütender Blick hatte den gegenteiligen Effekt und brachte ihn zum Kichern.