L ’zar hat also endlich einen Nachkommen, der es überlebt hat.« Das zweite federbedeckte magische Wesen verschränkte die Arme, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und musterte Cheyenne. »Hat sie ihre Prüfungen schon bestanden?«
Foltr knallte seinen Stock auf den Boden und lehnte sich vor. »Sie wäre nicht hier, wenn sie es nicht getan hätte.«
Cheyenne schnaubte. »Sie kann für sich selbst sprechen. Wenn du eine Frage hast, warum schaust du mir nicht in die Augen und fragst?«
Der alte Raug stieß ein leises Grunzen aus und die anderen magischen Wesen am Tisch warfen der Halbdrow flüchtige Blicke zu.
Selbst diese Leute wollen mich nicht ansehen.
»Ich verstehe immer noch nicht, warum du sie hierher gebracht hast.« Der gehörnte Kerl mit der rotschwarzen Haut fuhr sich mit seiner schwarzen Zunge über die Lippen und biss dann die Zähne aufeinander. »Direkt vor der Nase der Krone, Persh’al. Ich glaube, du hast zu viel Zeit damit verbracht, dein Gehirn in dem anderen Reich verrotten zu lassen.«
»Hey, es ist der letzte Ort, an dem die Krone nach ihr suchen wird.« Persh’al öffnete seinen Rucksack auf seinem Schoß, hielt inne und musterte die Gesichter am Tisch. »Und wir mussten sehen, was los ist, bevor alle anderen Teile ins Spiel kommen.«
»Die Dinge haben sich geändert, seit du das letzte Mal an diesem Tisch gesessen hast.« Die verhüllte Gestalt strich mit der behandschuhten Hand über das schwarze Holz vor ihm und zischte leise. »Nicht zum Besseren.«
»Ja, das haben wir ziemlich schnell herausgefunden.« Persh’al zog zwei große, metallene, verschließbare Boxen aus seinem Rucksack und schob sie in die Mitte des Tisches. »Die sind direkt von L’zar. Macht damit, was ihr wollt, wenn Cheyenne und ich weg sind.«
»Deshalb seid ihr hier?«, fragte der schwarzhäutige Ork. »Um uns billige Geschenke zu bringen?«
Persh’al schaute ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Es ist nicht so billig, wenn ich dir sage, dass L’zar alles in Bewegung setzt. Das nächste Mal, wenn ihr ihn seht, wird er direkt neben seiner Tochter stehen. Vielleicht, bevor sie den letzten Ritus abschließt, vielleicht auch danach, aber er wird kommen.«
»Worauf wartet er?«
»Wir sind auf eine Straßensperre gestoßen, okay?« Persh’al schaute Cheyenne an und verdrehte die Augen. »Es ist wahrscheinlich schwer, hier unten in dieser schicken, dunklen Höhle Echtzeit-Updates zu bekommen, aber falls ihr es noch nicht gehört habt: Es öffnen sich neue Portale, vielleicht sogar in diesem Moment. Wer weiß?«
Ein nervöses Gemurmel ertönte am Tisch. Der alte Raug bewegte sich auf seinem Sitz, um dem blauen Troll ins Gesicht zu sehen und beugte sich über die Spitze seines Stocks. »Erkläre das.«
»Kann ich nicht.«
»Es ist die Krone«, platzte es aus Cheyenne heraus. Alle Augen richteten sich auf sie und Persh’al räusperte sich. »Zumindest glauben wir das.«
Als sie ihn fragend ansah, gab er ihr ein Zeichen, weiterzumachen und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Du übernimmst das, Kleine. Ich bin des Redens müde.«
»Mach weiter«, knurrte Foltr und sein orangebrauner Blick musterte ihr Gesicht.
Ich schätze, dass ich in diese Rolle schlüpfe, ob es mir gefällt oder nicht .
Cheyenne holte tief Luft. »Als wir heute rüberkamen, war alles zerstört – das Land, die Tierwelt, alles. Ziemlich fieses Zeug.«
»Wo war das?«
Persh’al schlug mit der Faust auf den Tisch. »In den Outers, Jara’ak. Was meinst du, wo sonst?«
»Lass die Aranél sprechen!« Foltr klopfte erneut auf seinen Stock und schaute sich am Tisch um. »Der nächste Dae’bruj , der den Mund aufmacht, wenn er nicht an der Reihe ist, wird den Rest des Abends damit verbringen, einem alten Raug die schmerzenden Gelenke mit Valdischkraut einzureiben. Haben wir uns verstanden?«
Cheyenne blickte auf die knorrigen Hände des Raug, aus denen weißgraue Haare sprossen und auf die Schichten orangefarbenen Schmutzes unter seinen Nägeln, die eher aussahen wie Krallen. In diese rissige Haut würde ich nichts reiben wollen.
Als der magische Alte sie wieder ansah und langsam nickte, erwiderte sie die Geste und runzelte die Stirn. »Was soll das heißen? ›Aranél ‹.«
Foltr lachte und schenkte Persh’al ein wissendes Lächeln. Der blaue Troll beugte sich zu ihr und murmelte: »Ein Kosewort. Meistens.«
»Aha.« Sie warf einen Blick auf die amüsierten Gesichter am Tisch und legte den Kopf schief. »Wir waren uns nicht sicher, was in den Outers passiert, bis wir näher an Hangivol herankamen. Was auch immer die Krone hier tut, es bringt Tod und Verfall über die Stadt hinaus und es beginnt, aus Ambar’ogúl herauszusickern. Es entstehen neue Portale. Sie bringen Dinge auf die Erde, die eigentlich nur zwischen den Welten sein sollten.«
Ein muskulöser Kobold mit goldenen Ringen, die die verlängerten Hinterseiten beider Ohren durchbohren, verengte seine Augen. »Das klingt nicht nach etwas, das L’zar etwas angeht.«
»Das tut es, wenn die Krone diese neuen Portale benutzt, um Kriegsmaschinen über die Grenze zu schmuggeln«, schnauzte Persh’al. »Diees Arschloch hat bereits ein Kopfgeld auf Cheyenne ausgesetzt. Sie hat L’zars Kind noch nicht gefunden und das wird sie auch nicht, bis Cheyenne und L’zar beim Rahalma vor ihr stehen. Das wird sehr viel schwieriger sein, wenn die Krone zuerst unsere Ressourcen auf der Erde aufbraucht.«
»Überlasst die Erde sich selbst«, rief die Frau mit den Federn. »Wir haben hier genug zu tun.«
»Die Erde sich selbst überlassen?« Cheyenne lehnte sich über den Tisch nach vorne. »Das ist keine Option.«
»Du magst die Tochter von L’zar sein, Aranél , aber niemand hier hat dir die Treue geschworen. Das andere Reich ist nutzlos und schwach. Wenn die Krone es einnimmt, bevor wir beenden, was wir angefangen haben, macht das kaum einen Unterschied.«
»Es gibt Milliarden von Menschen in diesem anderen Reich!« Cheyenne schlug die Hände auf den Tisch und stand knurrend auf. »Wir lassen sie nicht schutzlos zurück.«
»Was hat die Erde für uns getan?« Ein anderer Ork stieß Cheyenne einen fleischigen Finger entgegen und grunzte. »Sie haben uns den einzigen Drow genommen, der auf dieser Seite etwas bewirken kann, während wir versuchen, die letzten bröckelnden Teile eines alten Zyklus zusammenzuhalten, der nicht Terror und Tod gesät hat.«
Cheyenne knirschte mit den Zähnen, denn es juckte sie, ihre Magie zu entfesseln, die heißer denn je durch ihr Blut brannte. »Es hat noch viel mehr bewirkt als das. Ohne ›das andere Reich‹ wäre ich nicht hier. Ihr hättet ein weiteres namenloses Kind von L’zar Verdys, das tot zu seinen Füßen liegt. Oder vielleicht gar keines.«
»Du hast eine Schwäche für die Menschen, Aranél .« Das schwarzrote magische Wesen grinste sie an. »Das kommt nicht von L’zar. War es etwa deine dumme Mutter?«
»Vorsichtig.«
»Hat sie dich als auf der Erde geborene Drow aufgezogen und dir beigebracht, die Schwachen zu verteidigen, weil sie vergessen hat, welches Blut durch ihre Adern fließt?«
Wut kochte in Cheyennes Körper auf und sie versuchte nicht einmal, die violettfarbenen Funken zu stoppen, die aus ihren Fingerspitzen sprühten. Die magischen Wesen, die ihr am nächsten saßen, lehnten sich zurück, bis auf Persh’al und der alte Raug. »Die Erde ist mein Zuhause, Arschloch. Du hast eine völlig falsche Vorstellung davon, was Menschen wert sind und wozu sie fähig sind.«
»Siehst du? Du hängst zu sehr an ihnen.«
»Ich hänge an ihnen, weil ich eine von ihnen bin!« Schwarze Flammen loderten aus den Augen der Halbdrow und ihre violettfarbenen Funken züngelten wie ein elektrischer Strom über ihre Haut, bevor sie schnell wieder verschwanden.
Die sechzehn anderen magischen Wesen, die um den Tisch versammelt waren, sahen sie mit großen Augen an.
»Ist das wahr?«, fragte ein Koboldmann und senkte seine Hand. Er knirschte mit den Zähnen.
Persh’al seufzte. »Es ist …«
»Nein, ich mache das schon«, fiel Cheyenne ihm ins Wort, streckte ihm ihre Hand entgegen und bedeutete ihm zu warten. »Ich bin kein vollwertiger Mensch, aber meine Mutter ist einer. Ich sage euch, wenn ich zwischen ihr und irgendjemandem in diesem Raum wählen müsste, würde ich mich immer für sie entscheiden. Nicht, weil sie meine Mutter ist, sondern weil dieser Mensch mit ein paar gut platzierten Worten und einem kleinen Druckmittel ganze Armeen vernichten könnte. Es ist mir scheißegal, wer L’zar oder mir die Treue geschworen hat. Wir werden die Erde nicht opfern, nur damit ihr das Gefühl habt, L’zar hätte eure Zeit nicht verschwendet.«
Der verhüllte Übernatürliche mit den glühend roten Augen fing wieder an zu lachen, wobei seine Gestalt zwischen einer humanoiden Form und einem Schwarm schwarzer Flecken, die über seinem Stuhl schwebten, hin und her wechselte. Das schwarzrote magische Wesen mit den kleinen Hörnern auf seinem Kopf zischte die Halbdrow an, widersprach ihr aber nicht mehr.
»Nun.« Foltr lehnte sich in seinem Stuhl zurück und hob seinen Stock an, um ihn auf seinen Schoß zu legen. »Es lässt sich nicht leugnen, wer der Vater dieses Kindes ist, oder?«
Ein leises, angespanntes Kichern erhob sich unter den versammelten magischen Wesen.
»Du kannst dich setzen, Kleine.« Persh’al nickte, als sie auf ihn herabblickte. »Du hast dich klar ausgedrückt.«
Cheyenne sank in ihren Stuhl und verschränkte die Arme. Ich bin ausgeflippt. Anscheinend ist das nötig, damit sie es endlich kapieren .
»Du hast nicht unrecht mit den Portalen.« Nu’ek, die zu groß für einen der Stühle am Tisch war, machte einen langsamen Schritt von dort nach vorne, wo sie an der Seite des Raums gestanden hatte. »Wenn sie sich auf der anderen Seite von selbst öffnen, ist die Lage hier schlimmer, als wir alle ahnen.«
»Es ist schon schlimm genug«, fügte die Frau mit den Federn hinzu.
»Das haben wir uns schon gedacht.« Persh’al nickte und schaute sich am Tisch um. »Wir waren im Wildhafen, als Nu’ek uns gefunden hat. Die Friedenstruppen halten sich nicht nur in Spitzenrestaurants und Uppertech-Nachtclubs auf, oder?«
»Nein.« Der Ork mit den schwarzen Hauern verzog das Gesicht vor Abscheu. »Sie sind überall. Die Krone hat den Verstand verloren und reißt die ganze verdammte Stadt mit sich.«
»Wir haben gehört, dass die Outernóre in Scharen die Grenze überqueren«, fügte das getarnte magische Wesen hinzu, das sich für das Gespräch vollständig materialisiert hatte. »Das hat schon genügend Probleme verursacht, aber was haben sie sonst für eine Wahl? Sie sind am Verhungern. Sie sind verängstigt. Natürlich rührt die Krone keinen Finger gegen die Plünderer, die jetzt alles, was in den Outers übrig ist, an sich reißen. Sie haben nicht einmal die Mittel, um sich den Weg in die Stadt zu erkaufen, in der alle anderen denken, dass sie sicher ist.«
»Und die, die ein paar Veréle haben, bewegen sich so nah an Hangivol heran, wie sie können, wenn nicht sogar direkt hinein.« Eine Trollfrau mit einer dünnen Silberkette, die zwischen zwei Ohrsteckern baumelte, schüttelte den Kopf. »Die verfluchte Mutter zieht ihre verblendeten Kinder unter dem Deckmantel von Luxus und Sicherheit immer näher heran, aber dieser Ort ist ein Irrenhaus und die Krone hat es unmöglich gemacht, ihn zu verlassen.«
»Ich schätze, oberhalb von Uppertech wird es noch schlimmer«, murmelte Persh’al.
»Natürlich. In den unteren Ebenen ist es nicht so schlimm wie in den inneren Kreisen.«
»Was ist, wenn man in der Stadt ist?« Der blaue Troll musterte die um den Tisch versammelten Gesichter. »Wir haben gesehen, wie ein Mann in einer Wand verschwunden ist, nur weil er die Wahrheit gesagt hat. Zugegeben, er war lauter, als er hätte sein sollen, aber wenn die meisten magischen Wesen zu viel Angst haben, so laut zu sein, frage ich mich, warum der Exodus von Hangivol noch nicht stattgefunden hat.«
»Oh, wir können alle kommen und gehen, wie wir wollen«, antwortete Nu’ek. »Wenn man außerhalb der Stadt etwas zu erledigen hat, klar. Solange man gleich wieder zurückkommt.«
Persh’als Augen verengten sich. »Und niemand hat außerhalb einer Stadt, die alle Geschäfte mit sich selbst macht, viel zu tun.«
»Die Krone hat die Outers im Stich gelassen.« Foltr grunzte. »Von Simmara bis nach Teridól würde es jetzt genauso aussehen, wenn es nicht die Verwalter gäbe. Sie versuchen, die Krone zu besänftigen und gleichzeitig ihre Wächter in den Territorien zu schützen.«
»Aber hier«, fügte die Trollfrau hinzu, »können die O’gúleesh tun, was sie wollen und wann sie wollen. Die Technik erledigt heutzutage die meiste Arbeit und die glücklichen Hangivol-Bewohner leben auf allen Ebenen außerhalb des Edhilór.«
»Was ist ihr Grund, alles den Bauern zu überlassen?«, fragte Persh’al. »Ich weiß verdammt gut, dass es nicht darum geht, ihren blendenden Ruf zu wahren.«
»Totale Kontrolle, getarnt als völlige Freiheit.« Nu’ek verschränkte die Arme. »Und Zugang zu einer ganzen Metropole der Magie, aus der sie nach Belieben schöpfen kann.«
»Richtig. Das ist die Ursache der Fäulnis.«
»Die Ursache. Das, was sie aufrechterhält. Vielleicht sogar der Versuch, sie zu verbergen. Aber solange der verdorbene Fluss des Vergnügens durch Hangivol fließt, haben die Menschen hier weniger Gründe, weiter zu schauen als bis zum nächsten Gift, das sie als Privileg bezeichnen«, knurrte der Ork mit den schwarzen Hauern, während er mit der Hand über den Tisch strich. »Es sei denn, man lässt sich die Tat entgehen. Schon ein Hauch von Unzufriedenheit bringt einen ins Visier der Nacht und des Kreises.«
Persh’als Augen weiteten sich. »Die Nacht und der Kreis?«
»Es ist nicht mehr ehrenvoll, der Krone zu dienen, lugahw’o .« Der Raug neigte seinen Kopf in Richtung des blauen Trolls und schloss die Augen.
Am Tisch wurde es still, dann kicherte Persh’al und schüttelte den Kopf. »Ich frage mich, ob sie ihre Meinung ändern werden, wenn Generalin Hi’et ihnen die Todesflamme unter dem Hintern anzündet.«
»Generalin Hi’et hat ihren Posten verlassen«, murmelte der gefiederte Mann.
Cheyenne sah ihn stirnrunzelnd an. »Na ja, sie hat sich auf der Erde einen Neuen geholt.«
»Was?«
»Das würde sie nie tun!«
»Generalin Hi’et ist weg.«
Überraschung und Ungewissheit breiteten sich am Tisch aus und Cheyenne blickte Persh’al an. »Wann hast du das letzte Mal Updates hierher geschickt?«
Er schüttelte den Kopf und winkte ab. »Das ist länger her, als es hätte sein sollen. Wir hatten viel zu tun, Kleine. Das weißt du doch.«
»Klingt so, als hätten wir diese kleine Information gleich zu Beginn dieses blöden Treffens preisgeben sollen.« Als Persh’al nur mit den Schultern zuckte, schloss Cheyenne ihre Augen und atmete tief durch. L’zar hat einen Shitstorm hinter sich gelassen, um auf der Erde einen neuen zu beginnen. Sie müssen die Macken in diesem Prozess ausbügeln.