L ’zar hatte zwei klappbare Metallstühle von Persh’als Tischen weggerückt und setzte sich nun auf einen davon. Er bedeutete Cheyenne, sich auf den anderen zu setzen, aber sie blieb einen Meter vor ihm stehen und verschränkte die Arme. Ein kleines Lächeln umspielte seinen Mund und er neigte den Kopf. »In der Regel, Cheyenne, kommen Halbwesen nicht nach Ambar’ogúl und wenn sie es doch tun, halten sie nicht lange genug durch, um den Rückweg anzutreten. Aber du hast es getan.«
»Den Teil haben wir abgedeckt.« Sie warf einen Blick auf das Metallarmband um ihr Handgelenk und nahm es ab, bevor sie es in die Vordertasche ihres Kapuzenpullis steckte.
»Ja. Was wir nicht besprochen haben, ist, was passiert, wenn eine Halbdrow ein zweites Mal den Übergang macht, um in diese Welt zurückzukehren.« Er sah sie langsam an und hob die Augenbrauen. »Denn soweit ich weiß, ist das noch nie passiert.«
Mit einem kurzen Blick auf die Aktivatorspule, die Persh’al in seinen Händen hin und her drehte, runzelte Cheyenne die Stirn. »Du meinst also, ich konnte ein Stück hoch entwickelter O’gúl-Technologie durch das Portal mitnehmen, weil ich eine Halbdrow bin?«
»Das vermute ich, ja.«
»Es könnte auch ein Zufall sein«, fügte Corian hinzu.
»Sie hat ihn benutzt .« L’zar verschränkte die Arme in seinem Stuhl und musterte seine Tochter. »Mit perfekter Genauigkeit, nehme ich an.«
»Ja.« Rhynehart wurde ziemlich präzise zu Boden gebracht, das ist sicher .
Er kicherte noch einmal leise, dann hielt er inne und hob eine Hand, damit sie warten konnte. »Ich halte die Ironie für amüsant, mehr nicht.«
»Welche Ironie?«
»Dieser Taratas Lex und seine Leute haben herausgefunden, wie man Maschinen aus der alten Welt mit menschlicher Technik verbindet und jetzt sind wir völlig ungeplant einen Schritt weiter.« L’zars düsteres, verrücktes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. »Du, Cheyenne, bist das Netz.«
»Den letzten Teil verstehe ich nicht.«
Corian strich sich über das Kinn und räusperte sich. »Zwei Welten, Mädchen.«
»Und ich bin ein Teil von beiden. Das weiß ich.« Die Halbdrow atmete tief durch und ließ ihre Drowmagie verblassen, um in ihre schwarzhaarige, bleichhäutige menschliche Gestalt zurückzukehren. »Nur damit das klar ist: Ich verwandle mich nicht in einen Kurier, der fortschrittliche Technologie von der anderen Seite hierher transportiert.«
»Nun, wir müssen die Theorie noch beweisen.« L’zar rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her.
Vielleicht habe ich ihn vorhin wirklich verletzt. Cheyenne beobachtete ihren Vater und wartete darauf, dass er diesen Gedanken fortsetzte.
»Wenn wir es wiederholen können, haben wir unsere Antwort.«
»Ich werde diese Reise nicht noch einmal machen, nur damit du dir selbst beweisen kannst, dass du recht hast.«
»Nein.« Er sah sie an und verengte seine Augen, während er ein dünnes Lächeln aufsetzte. »Das nächste Mal, wenn du den Übergang machst, komme ich mit dir. Bis dahin können wir hier eine Menge tun, um mehr über diese Entdeckung zu erfahren.«
»Zum Beispiel, indem wir dieses Ding benutzen, um den Rest von Lex’ verdammten Maschinen zu finden.« Persh’al fuchtelte mit dem Aktivator herum und steckte ihn hinter sein Ohr.
Cheyenne wandte sich an Corian. »Ich dachte, ihr hättet schon alles zusammengetrieben?«
Der Nachtpirscher zuckte mit den Schultern. »Byrd und Lumil haben seine Operationsbasis gefunden, mehr oder weniger.«
Lumil schnaubte. »Diese Eidechse hat ganz schön fiese Angewohnheiten, das steht fest.«
Corian ignorierte sie. »Aber ich bin nicht überzeugt, dass sie alles gefunden haben. Vor allem, nachdem deine Wohnung letzte Nacht überfallen wurde.«
»Toll. Wir können uns also auf weitere lustige Käfermaschinen freuen.«
»Was zum Teufel?« Persh’al schlug sich an den Kopf und blickte finster auf den Boden. »Komm schon!«
Alle anderen starrten ihn an, bis er schließlich die silberne Spule von der Rückseite seines Ohrs riss und auf Cheyenne zustürmte. »Versuch es noch einmal.«
»Was?«
»Zieh das verdammte Ding einfach an und sag mir, was passiert, Kleine.«
Sie nahm ihm den Aktivator ab und steckte ihn zaghaft hinter ihr eigenes Ohr. Sie spürte ein leichtes Zwicken und ein Summen, aber das war auch schon alles. »Es passiert nichts.«
»Du siehst jedenfalls nicht aus wie eine Drow, die gerade erst den Übergang gemacht hat«, murmelte L’zar.
»Hm.« Cheyenne setzte ihre Drowmagie ein und verwandelte sich erneut. In dem Moment, in dem ihre Haut ihren violettgrauen Farbton annahm, flammte hinter ihren Augen die Magie auf. Die Mauern um das Lagerhaus leuchteten in hellen, schimmernden Linien auf und sie blinzelte schnell gegen das grelle Licht in ihrer Sicht. Ein einziger Gedanke dämpfte die Helligkeit. »Ja, das hat geholfen.«
»Willst du mich verarschen?« Persh’al knurrte verständnislos.
Corian grinste hingehen. Lumil trat auf den blauen Troll zu und klopfte ihm auf die Schulter. »Diesmal hast du den Kürzeren gezogen, Kumpel.«
Persh’al wandte sich von ihr ab und schüttelte den Kopf. »Mit dem Ding könnte ich uns alle für den Rest unseres Lebens ausrüsten und das Mädel ist die Einzige, die es benutzen darf.«
»Es macht mir nichts aus, dir zu helfen.«
Er schaute Cheyenne an und verengte seine Augen. »Ja, das war klar.« Dann stapfte er durch das Lagerhaus, ließ sich in seinen Bürostuhl fallen und ging zu seinem Monitor, um mit der Arbeit an einer viel weniger fortschrittlichen Technologie zu beginnen, die er benutzen konnte.
Byrd schnaubte. »Wer hätte das gedacht, oder? L’zars Halbdrowkind ist die einzige magische Erdenbürgerin, die das Beste aus beiden Welten hat – Magie und ernsthafte, neue Technologie. Scheiße, das könnte dich zum mächtigsten Wesen diesseits der Grenze machen.«
Lumil schlug ihm auf den Arm und schüttelte den Kopf.
»Was? Es ist wahr.«
L’zar winkte mit einem leisen Lachen ab. »Übertreibe es nicht. Ich bin noch nicht bereit, die Zügel aus der Hand zu geben.« Byrd lachte nervös und L’zar sah Cheyenne an, die jetzt viel besorgter lächelte. »Also komm nicht auf dumme Gedanken.«
Dafür hält er sich also, hm? Das mächtigste Wesen auf der Erde . Nicht, nachdem ich ihn angezündet und durch den Raum geworfen habe .
»Du kannst ihn jetzt ablegen, Cheyenne«, sagte Corian.
Cheyenne drehte sich und betrachtete Persh’als komplizierte Anlage. Der Aktivator leuchtete in ihrem Blickfeld auf und zeigte ihr die Daten an, die sie jetzt lesen konnte, auch ohne auf einen seiner Monitore zu schauen. »Ich will wirklich helfen. Ehrlich gesagt, mit diesem Ding würde ich gerne herausfinden, was Persh’al mit diesem System vorhat.«
»Denk nicht mal dran«, fuhr der Troll sie an. »Meine Anlage, meine Regeln.«
Lumil brach in Gelächter aus.
»Gib ihm etwas Zeit«, fügte Corian hinzu. »Er wird seinen Groll überwinden und dann wird er sicher dankbar sein für jede Hilfe, die du ihm geben kannst.«
»Die wird er so oder so akzeptieren.« L’zar sagte es laut genug, dass Persh’al es hören konnte und die Andeutung war völlig klar.
Cheyenne drehte sich zu ihrem Vater um, der die Augen wieder geschlossen hatte und abwesend lächelte. Das heißt, Persh’al wird mich nicht von seinem System fernhalten, wenn L’zar ihm befiehlt, dass ich es ausprobieren darf. Warum lassen sich die Jungs seinen Scheiß gefallen ?
»Aber nicht heute Nacht.« L’zars goldene Augen glühten, als er sie wieder öffnete und seinen Blick auf die Halbdrow richtete.
»Gibt es noch etwas, das du uns über deine Reise erzählen kannst, was Persh’al nicht kann?«, fragte Corian.
»Nicht wirklich.«
»In Ordnung, dann lassen wir ihn alles allein durchgehen. Du musst dich etwas ausruhen.«
Cheyenne schnaubte. »Du hast ja keine Ahnung.«
»Wir sagen dir Bescheid, wenn wir bereit sind, weiterzumachen.« L’zar nickte Corian zu und der Nachtpirscher ging ein paar Schritte zurück, bevor er ein weiteres Portal beschwor.
»Nimm das verdammte Ding ab, Kleine«, rief Persh’al von seinem zentralen Monitor aus. »Behalte es für Notfälle bei dir, aber lauf nicht in Virginia herum und versuche, mit deiner schicken, neuen Ausrüstung alles auf einmal zu sehen. Du würdest die magischen Frequenzen aufleuchten lassen wie eine explodierte Bombe, hörst du mich?«
»Ja, ich verstehe schon.« Sie zog den Aktivator hinter ihrem Ohr hervor und verzog das Gesicht, als sie das Kribbeln zwischen ihren Zähnen spürte, weil die Verbindung getrennt wurde. Dann steckte sie die silberne Spule in ihre Tasche und drehte sich zu Corians offenem Portal um.
Byrd näherte sich ihr mit ihrem Rucksack in der Hand und nickte. »Schön, dass du heil zurückgekommen bist, Halbdrow. Wir haben uns schon Sorgen gemacht.«
»So leicht bin ich nicht unterzukriegen. Danke.« Sie nahm den Rucksack von ihm und nickte.
Corian zeigte auf sein Portal und sie warf L’zar noch einen flüchtigen Blick zu, bevor sie sich dem Nachtpirscher am schimmernden Oval aus dunklem Licht anschloss.
»Ihm geht es gut«, murmelte Corian. »Das hast du gut gemacht, Mädchen. Lass dir das nicht von dem anderen Scheiß verderben, ja?«
»Ja, okay.« Was soll ich dazu sagen? Cheyenne nickte, trat durch das Portal und stand in der Mitte ihres Wohnzimmers. Das Portal schloss sich hinter ihr.
Ember lag schlafend auf der Couch unter einer ihrer Decken, eine Hand über die Seite gelegt, sodass ihre Finger fast den Teppichboden berührten.
Wenigstens ist sie in Sicherheit und hat keine Ahnung, was gerade passiert ist. Ich brauche eine Dusche .
* * *
Nachdem Cheyenne den Tag in Ambar’ogúl von ihrem Körper und vorübergehend auch aus ihrem Kopf gewaschen hatte, zog sie sich ein übergroßes Van-Halen-T-Shirt und eine weite, graue Pyjamahose an und setzte sich auf die lilafarbene Samtdecke auf ihrem Bett. Sie warf einen Blick auf die Kissen und lachte über das schwarze, das ihr im weichen Licht der Kronleuchterlampe den weißen Mittelfinger zeigte. »Ich brauche Ruhe, hm? Daraus wird im Moment nichts.«
Sie stand auf und nahm sich ihre blutverschmierte, zerrissene Hose, um die silberne Spule aus der Vordertasche zu holen. Sie drehte sie in ihren Händen und schritt durch ihr Zimmer. Meine ganze Wohnung ist mit Schutzwänden versehen. Wenn niemand reinkommt, kommen auch keine magischen Frequenzen raus .
Mit einem kurzen Nicken schlüpfte sie in ihre Drowgestalt und steckte den Aktivator hinter ihr Ohr unter ihr leicht feuchtes Haar. Das Zwicken und Kribbeln durchfuhr sie und ihre Augenlider flatterten, als sich das Gerät mit ihrer Magie und ihrem Gehirn synchronisierte. Dann schaute sie sich in ihrem Zimmer um und kicherte. »Heilige Scheiße. Neben den Schutzwänden hier sieht das Lagerhaus wie ein Witz aus.«
Dicke, schimmernde Linien in Orange und Rot umrahmten die Ränder ihres Zimmers. Cheyenne trat leise ins Wohnzimmer und schaute auf die nach Norden ausgerichtete Fensterwand und die blinkende Magie, die in ihrem Blickfeld aufleuchtete. Das O’gúleesh-Hornissennetz, das von der Kante des Minilofts baumelte, pulsierte mit rotem und schwarzem Licht wie ein Leuchtfeuer.
In ihrem Blickfeld leuchtete ein Befehl zum Abbau der Schutzeinrichtungen auf und sie verkniff sich ein Lachen. Das ist die einzige Empfehlung, die dieses Ding hat, was? Nö .
Sie bewegte sich langsam durch den Rest der Wohnung und fing die dünnen, auseinanderliegenden Linien der technischen Daten des Fernsehers auf, die in dem langen, schwarzen Tisch neben der Tür und in der Uhr über dem Küchenherd versteckt waren. Dann warf sie einen Blick in Embers Zimmer, wo grünes Licht durch den Spalt unter der Tür pulsierte. Cheyenne schaute kurz zur Couch, um sicherzugehen, dass Ember noch schlief und ging dann zum Schlafzimmer ihrer Freundin.
Es wird Zeit, dass ich herausfinde, was ich mit diesem Ding auf der Erde machen kann .
Das grüne Licht leuchtete in ihrem Blickfeld auf, als sie Embers Schlafzimmertür öffnete, aber es wurde schnell wieder schwächer. Die Scherben der zerstörten Käfer-Maschinen lagen noch immer im ganzen Zimmer verstreut, unberührt seit der Nacht zuvor. Jeder Splitter und jedes Metallstück leuchtete grün.
Das Mindeste, was ich tun kann, ist, hier ein bisschen aufzuräumen.
In dem Moment, in dem sie es dachte, blitzten die Befehle in ihrer Vision auf, einer nach dem anderen und gaben ihr Zugang zu Zaubersprüchen, die zu lernen sie viel Zeit gekostet hätte und die sie wahrscheinlich nicht hätte wirken können. Cheyenne lachte erstaunt. »Wenn ich Videospiele spielen würde, würde ich sagen, das hier ist so nah an VR dran, wie es nur geht, nur besser.«
Sie winkte mit der Hand in Richtung des ersten vorgeschlagenen Befehls des Aktivators und der Haufen zerquetschter Kriegsmaschinen zu ihren Füßen hob sich vom Boden, wurde zu einem kleinen Tornado aus winzigen Teilen aufgewirbelt, schwebte dort und wartete. »Oh, ja.«
Der Mülleimer neben Embers Bett schoss nach einer weiteren Handbewegung auf sie zu und sie lenkte den sich drehenden Minitornado aus O’gúl-Metallteilen hinein. Die Teile prallten gegen den Mülleimer und Cheyenne biss bei dem Geräusch die Zähne zusammen. Ruhig und leise. Lass es einfach geschehen .
Sie deutete auf die verstreuten Teile auf dem Bett, die auf ihren Aktivatorbefehl hin quer durch den Raum rasten, bevor sie sanft in den Papierkorb fielen.
Sie brauchte eine Viertelstunde, um alle Reste in den Mülleimer zu zaubern und Embers Schlafzimmer gründlich nach grünem Glühen abzusuchen. Als sie mit der Aufräumaktion zufrieden war, stellte sie den Mülleimer an die Wand neben der Tür und zeigte auf das Bett. Die ungemachten Laken und die zerknitterte Bettdecke flogen an ihren Platz, gefolgt von den riesigen Kissen und der zweiten, grauen Überwurfdecke, die sich am Fußende zusammenfaltete.
»Da haben wir’s.« Immer noch überglücklich nickte Cheyenne und verließ den Raum, wobei sie die Tür hinter sich offen ließ. Sie wird ausflippen, wenn sie das sieht. S ieh mal einer an, ich benutze die fortschrittlichste Technologie zur Verbesserung der Magie in zwei Welten, um gute Taten zu vollbringen.
Sie lachte leise, als sie das Wohnzimmer durchquerte. Ember schnarchte erschreckend laut und schmatzte mit den Lippen. Cheyenne schlich zurück in ihr eigenes Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich.
Der Aktivator löste sich mit einem weiteren Zwicken, bevor die Halbdrow ihn auf ihre schwarze Kommode legte. Sie betrachtete die silberne Spule einen Moment lang und kletterte dann in ihr lächerlich weiches Bett. Ich habe mich schon lange nicht mehr so gut gefühlt.