Kapitel 31

B yrd, Lumil und Corian waren damit beschäftigt, die überlebenden Loyalisten, die mit flackernden Seilen aus knisternder, silberner Magie gefesselt waren, zusammenzutreiben. Mehr als zwei Dutzend magischer Wesen, die das Stierkopf-Emblem als Anhänger oder Aufnäher trugen, hatten den Kampf überlebt, den sie auf der Nós Aní -Zeremonie gestartet hatten. Sie knurrten und wehrten sich gegen ihre Fesseln, aber Lumil war mit ihrer aufgeladenen Magie, die rote Symbole um ihre Fäuste drehte, bereit. Ein Schlag damit reichte aus, um die Gefangenen ruhigzustellen. Die meisten von ihnen warfen Gúrdu, der die kniende Reihe der Loyalisten bewachte, jedoch rachsüchtige Blicke zu. Der Raug grunzte, spottete über sie und knabberte an etwas, das aussah wie eine winzige, trocken gealterte Hand, bevor Cheyenne wegschaute.

Sie blieb neben Maleshi stehen. Ich möchte nicht wissen, was sie denkt, aber das darf nicht noch einmal passieren.

»Also, was jetzt?«

Maleshi warf ihr einen kurzen Blick zu, bevor sie den letzten Loyalisten anknurrte, den Lumil ins Gras gestoßen hatte. »Bist du verletzt?«

»Nein.«

»Gut. Du kannst das uns überlassen, Cheyenne. Wir machen das schon.«

Cheyenne warf einen Blick auf Corian, der über die Lichtung marschierte, um sich der Generalin anzuschließen. »Keiner hat es aus der Lichtung geschafft.«

Maleshi nickte knapp. »Und das wird auch niemand.« Ihre silbernen Krallen glitten mit einem unheilvollen Geräusch aus ihren Fingern und glitzerten in der Nachmittagssonne.

»Warte einen Moment.« Cheyenne trat vor die Nachtpirscher-Kriegsgeneralin und zwang Maleshi, sie anzuschauen. »Das kannst du nicht machen.«

»Das ist nicht deine Entscheidung, Cheyenne.« Die dunkle Oberlippe der Generalin verzog sich zu einem leichten Lächeln. »Ich bitte dich nur einmal, zur Seite zu treten.«

»Bitte darum, soviel du willst.« Die Halbdrow ballte die Fäuste und hielt dem silbern glühenden Blick der Frau stand. »Ich werde mich nicht bewegen.«

»Diese magischen Wesen sind Kriegsgefangene«, knurrte Maleshi. »Wenn wir uns dieser Bedrohung nicht sofort stellen, können wir uns auch gleich eine Zielscheibe auf die Brust malen und ihnen sagen, dass sie auf uns schießen sollen.«

»Sie können im Moment nichts tun.« Cheyenne zeigte hinter sich auf die gefesselten magischen Wesen, die auf den Knien waren und von denen die meisten Flüche spuckten und zischten. »Das macht sie zu einer viel geringeren Bedrohung als damals, als sie uns töten wollten.«

Maleshi stieß ein leises Knurren aus und beugte sich zu der Halbdrow vor. »Cheyenne.«

»Du hast mir dein Wort gegeben, dass wir die Vergangenheit hinter uns lassen, solange sich das, was am ersten Portalkamm passiert ist, nicht wiederholt. Wenn du den Befehl gibst, diese Loyalisten zu töten, während sie gefesselt im Gras knien, werde ich dich aufhalten und dann ist es aus mit uns.« Cheyenne ballte ihre Fäuste und beugte sich zur Generalin vor, um ihr starr in die Augen zu sehen. »Ich will wirklich nicht, dass das passiert.«

Die Nachtpirscherin blickte finster drein und atmete tief durch ihre flatternden Nasenlöcher ein. »Was sollen wir sonst mit ihnen machen? Wir haben kein eigenes Chateau D’rahl.«

»Nein, aber ich kenne die Leute, die das tun.« Cheyenne drehte sich um und warf den aufgereihten Gefangenen einen flüchtigen Blick zu. »Und ich wette, dass keines dieser Arschlöcher in einem bestimmten System auf dieser Seite auftauchen wird.«

Maleshi knurrte. »Du willst, dass ich unsere Feinde an einen Haufen hochmütiger Menschen ausliefere, die mit Fellwaffen spielen?«

»Wir haben alle denselben Feind. Stimmt’s?« Cheyenne legte den Kopf schief. »Stimmt’s

Die Generalin musterte die Halbdrow und zischte. Sie hob eine Hand zwischen ihre Gesichter und verengte die Augen, um sicherzugehen, dass Cheyenne die glitzernden, rasiermesserscharfen Spitzen sah, die ihr zur Verfügung standen. Cheyenne zischte sofort zurück und schoss einen Schwall violettfarbener Funken aus den Fingerspitzen beider Hände.

Ich kann ihr Spiel spielen. Sie wird sich beruhigen. Und das sollte sie auch.

Ein leises, humorloses Lachen entrang sich Maleshis Kehle. Ihre tödlichen Krallen zogen sich zurück und sie beugte sich vor, bis sich ihre Nasen fast berührten. »Triff die Entscheidung, Cheyenne. Wenn deine anderen Freunde die Sache nicht so gut in den Griff bekommen, wie ich es getan hätte, ist es deine Sache, was danach passiert.«

»Wenigstens ist es nicht noch mehr Blut.«

»Nein. Heute nicht.« Mit einem Knurren drehte sich Maleshi von ihr weg und stakste über die Lichtung. Ihre Finger bewegten sich schnell und ein neues Portal öffnete sich wenige Meter vor ihr.

Corian warf Cheyenne einen misstrauischen Blick zu und lief dann der Generalin hinterher. »Maleshi, warte.«

Sie wirbelte herum und schlug mit der Hand in die Richtung seines Gesichts. Ein silberner Lichtstrahl flammte zwischen ihnen auf, mit einem Klirren, das klang, als würden Klingen aufeinandertreffen. Als das Licht verblasste, waren Corians Krallen mit denen von Maleshi verbunden. Sie knurrte ihn an. »Nicht jetzt.«

»Wir haben vielleicht keine andere Chance mehr«, murmelte er.

Cheyenne wandte ihren Blick von ihnen ab und versuchte stattdessen, sich auf die Reihe der knienden Loyalisten vor ihr zu konzentrieren. Ich sollte das nicht hören .

Ihr Aktivator blinkte einen Befehl zum Verringern der Lautstärke auf und sie schnippte mit dem Finger, um ihn zu akzeptieren. Corians Stimme drang als leises, gedämpftes Dröhnen zu ihr durch. Schau mal einer an. Ich habe mich entschieden, nicht zu lauschen, weil ich es verhindern kann .

Das angespannte Gespräch der Nachtpirscher ging weiter, dann riss Maleshi ihre Hand von ihm weg, wobei Funken zwischen ihren Klauen aufloderten und verschwand durch ihr Portal. Nachdem sich das Portal geschlossen hatte, stand Corian ganz still, sein Rücken war angespannt.

»Ich habe von den beiden gehört«, knurrte ein Ork. »Sieht aus, als wären sie immer noch …«

Lumils feuerrote Faust krachte in sein Gesicht und er fiel zurück. Ein abgebrochenes Stück Stoßzahn flog über drei Gefangene hinweg und landete im Gras. »Braucht noch jemand Hilfe dabei, seine verdammte Meinung für sich zu behalten?«

»Das zählt doch nicht für mich, oder?« Persh’al stieß ein Lachen aus und zuckte sofort schmerzerfüllt zusammen. Er saß in der Nähe der Reihe der Gefangenen und Ember hielt seine Seite, während Byrd sich hinkniete und ihn im Gras stützte. »Weil das tut echt weh, Mann.«

»Corian«, rief Cheyenne.

Der Nachtpirscher drehte sich um, sah den blutüberströmten, blauen Troll und ging auf Persh’al zu.

Ein schwarzer Lichtstrahl umhüllte die Reihe der gefesselten, knienden Gefangenen. Jeder von ihnen stieß Schmerzensschreie aus, wand sich, schüttelte den Kopf und fixierte ohne zu blinzeln den Himmel.

Cheyenne drehte sich um und sah sie an. »Was ist los?«

Corian gesellte sich zu ihr, sein Kiefer arbeitete unter den gelbbraunen Fellbüscheln auf seinen Wangen. Er betrachtete die aufheulenden magischen Wesen und schluckte. »Das muss er dir erklären.«

L’zar trat zwischen den Bäumen neben Ember hervor. »Ich kann mich nicht erinnern, dass du je so sehr wegen Fleischwunden gejammert hast, Persh’al.«

Persh’al drehte sich so weit er konnte um und schnaubte, als er den Drow auf sich zukommen sah. »Es ist kein Jammern, wenn es die Wahrheit ist, Mann.«

»Oh, sicher. Du quäkst so, um meine Aufmerksamkeit zu bekommen.« L’zar kniete sich neben seinen Freund. »Wie lautet das Zauberwort?«

Der Troll kicherte. »Bastard.«

»Hmm.« L’zar riss das letzte Stück Schrapnell aus Persh’als Seite und warf es ins Gras, während der Troll vor Schmerz brüllte. »Scheint passend zu sein, nicht wahr?«

Persh’al blickte in das grinsende Gesicht des Drows. »Tu es einfach, verdammt!«

L’zar schlug seine Handfläche auf die Wunde, der blaue Troll schrie auf und goldenes Licht flammte unter der Hand des Drows auf. Als die Heilung beendet war, zog L’zar seine Hand weg und stand auf. Byrd schlüpfte hinter Persh’al hervor und kam auf die Beine. Der Troll ließ sich keuchend auf den Rücken ins Gras fallen und sah blinzelnd in den klaren, blauen Himmel.

Byrd sah ihn an.

»Lass mich einfach hier, Mann. Ich benötige eine Sekunde, um mich darüber zu freuen, dass ich nicht sterbe.«

Der Kobold schüttelte den Kopf und ging zu Lumil, der vor der Reihe der Gefangenen auf und ab ging.

»Hast du etwas davon gesagt, dass du ein spezielles Aufräumteam herbeirufen willst?«

Cheyenne sah ihren Vater an, als er sich lässig auf sie zubewegte, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Die knienden Gefangenen hatten aufgehört zu schreien und wimmerten und stöhnten stattdessen mit hängenden Köpfen dort, wo man sie auf der Lichtung zurückgelassen hatte. »Was hast du mit ihnen gemacht?«

»Niemand darf wissen, dass ich bei dir bin, Cheyenne.« Er warf ihr einen Seitenblick zu, bevor sein Blick wieder zu den Gefangenen zurückflackerte. »Erst, wenn die Zeit reif ist.«

»Denk nicht mal daran.«

»Woran?«

»Diese Gefangenen zu ermorden, nachdem sie gefangen genommen wurden.« Cheyennes Zorn brannte durch ihre Adern, zusammen mit ihrer Drowmagie. »Ich habe Maleshi gerade ein Versprechen gegeben, von dem ich hoffe, dass ich es nicht halten muss.«

L’zar kicherte leise und schloss die Augen. »Ich bringe niemanden um. Jedenfalls nicht im Moment.«

»Und, was hast du gemacht?«

Er wandte sich an seine Tochter und deutete auf die Gefangenen. »Wir haben jetzt ein paar Dutzend taubstumme und blinde Loyalisten, die wir deinen Freunden in Schwarz ausliefern müssen. Ich hoffe sehr, dass sie kompetenter sind, als sie sich bisher erwiesen haben.«

»Was?« Cheyenne starrte die stöhnenden Loyalisten an, die in einer ordentlichen, unterwürfigen Reihe knieten.

»Es wäre vielleicht besser für sie gewesen, wenn du Generalin Hi’et ihre Sache hättest machen lassen, aber du hast deine Wahl getroffen.«

»Das ist nicht in Ordnung.« Die Halbdrow schüttelte den Kopf und ballte die Fäuste, während sie alle Möglichkeiten durchspielte, was auf die Loyalisten zukommen könnte. »Du tötest sie vielleicht trotzdem, nur dass es sich jetzt länger hinauszögert.«

»Ganz und gar nicht. Sie werden zurückgewinnen, was sie verloren haben, sobald sie wieder einen Fuß in ihr Heimatland setzen.«

»Wie sollen sie den Übergang schaffen, wenn sie nichts sehen können?«

»Nun, darum muss sich jemand anderes kümmern, nicht wahr?« L’zar begegnete ihrem Blick wieder. »Du hast die Verantwortung für diese magischen Wesen übernommen, als du Maleshi aufgehalten hast. Die Generalin hat tausende von Jahren Erfahrung im Abwägen von Vor- und Nachteilen, Cheyenne und es gibt eine einzige Wahrheit in all dem, die sie sehr gut versteht. Sie ist nicht die Einzige.«

»Ach, ja?« Die Halbdrow schenkte ihm ein schmallippiges, missbilligendes Lächeln. »Was ist das?«

»Alles hat seinen Preis.«

Eine kalte Welle des Unglaubens überspülte ihren Körper. Auf keinen Fall haben L’zar und Bianca Notizen ausgetauscht. »Was hast du gesagt?«

»Du hast mich gehört. Es ist an der Zeit, dass du lernst, was das für die Art und Weise bedeutet, wie wir die Dinge von jetzt an angehen. Die Art und Weise, wie wir mit diesem Krieg umgehen und ihn hoffentlich stoppen, bevor er richtig teuer wird.«

»Und was ist mit dem Preis, dass du verschwunden bist, als wir angegriffen wurden? Du bist abgehauen und hast dich im Wald versteckt, während der Rest von uns sich dem Kampf gestellt hat, um die anderen zu beschützen, die du hierher eingeladen hast.« Als ihr Vater nicht antwortete und sie nicht einmal zur Kenntnis nahm, beugte sich Cheyenne zu ihm und murmelte: »Wie viele deiner loyalen Rebellen wissen, dass sie einem Feigling folgen?«

»Wie ich schon sagte, niemand darf wissen, dass ich bei dir bin.« L’zar zog eine dünne, knochenweiße Augenbraue hoch und nickte dann Ember zu. »Im Moment interessiert mich viel mehr, was mit deiner Nós Aní passiert ist. Das Portal, das sie geschlossen hat, war eine direkte Verbindung zu Ambar’ogúl.«

Cheyenne blickte ihm hinterher, als er über die Lichtung ging. Sie blendete das leise Stöhnen der Gefangenen hinter sich aus und ging steif auf Ember und den Rest der Gruppe zu, die sich um sie versammelt hatte. Als Ember sie kommen sah, hob ein violettfarbenes Licht sie aus dem Gras und setzte sie in dem Rollstuhl ab, den Persh’al schnell zu ihr schob.

Auf der Lichtung herrschte eine angespannte Stille. Dann blickte Ember in die Gesichter derer, die sie neugierig musterten und zuckte mit den Schultern. »Will mir jemand sagen, was zum Teufel gerade passiert ist?«

»Als Cheyennes Nós Aní hattest du deinen ersten Vorgeschmack auf das, was möglich ist«, erklärte Corian mit einem leichten Nicken. »Und das hat wohl einen großen Teil deiner Magie geweckt, wenn nicht sogar den größten Teil.«

»Ja, das habe ich selbst herausgefunden. Ich spreche von dem Portal oder besser gesagt von dem großen Portal. Wer war das?«

L’zar schaute Cheyenne an und legte den Kopf schief. »Das Portal hat sich direkt von der anderen Seite geöffnet, Ember.«

»Was?« Die Fae schaute Cheyenne fragend an, aber die Halbdrow konnte nur mit den Schultern zucken und den Kopf schütteln. »Wie ist das überhaupt möglich?«

»Mit einer Menge Magie, die die Krone gar nicht haben sollte.« L’zar hob sein Kinn und sah erst Corian, dann Persh’al an. »Sieht aus, als wären wir auf der richtigen Spur gewesen. Die Krone zapft jetzt die Magie aus dem Land und ihren Untertanen ab, was bedeutet, dass wir noch weniger Zeit haben, als ich dachte.«

Cheyenne schluckte. »Weil sie jetzt von Ember weiß.«

»Jetzt weiß sie es.« Corian nickte. »Ein Kind von L’zar, das die Prüfungen bestanden hat und an eine Nós Aní gebunden ist, ist eine größere Bedrohung, als sie es sich vorstellen konnte. Die Krone wird ihre Anstrengungen verdoppeln, um dich aufzuhalten und sie wird erwarten, dass du den nächsten Schritt machst.«

Cheyenne schnaubte. »Diese dumme Münze.«

»Was sie nicht erwarten wird, ist, mich an deiner Seite zu finden, Cheyenne.« L’zar senkte zustimmend den Kopf. »Wenn wir die Dinge lange genug eingedämmt kriegen, damit Corian und ich beenden können, was wir angefangen haben.«

Die Halbdrow wartete darauf, dass einer der beiden mehr Informationen über diese kleine Bemerkung preisgeben würde. Als dies nicht der Fall war, breitete sie ihre Arme aus. »Wollt ihr uns sagen, was das ist?«

»Wir müssen L’zar über die Grenze bringen, ohne dass die Krone alarmiert wird«, murmelte Corian. »Sie hatte Hunderte von Jahren Zeit, ihre Methoden zu perfektionieren, um ihn von Ambar’ogúl fernzuhalten.«

»Das ist wahrscheinlich ein verdammt gutes Sicherheitssystem.«

L’zar kicherte und drehte sich zu seiner Tochter um. »Wenn man die richtigen Schlösser knacken kann, spielt das alles keine Rolle. Wir warten nur darauf, dass alles passt.«

»Genau. Denn du bist der beste O’gúleesh-Dieb, den die Welt je gesehen hat.«

»So ähnlich.«

»Wir sollten gehen«, fügte Corian hinzu. »Ember hat uns viel Zeit verschafft, bevor die Krone einen weiteren Versuch wie diesen starten wird, aber ich würde es lieber nicht übertreiben. Je früher wir gehen, desto schwieriger wird es für ihre Leute sein, uns wieder aufzuspüren.«

»Auf jeden Fall.« L’zar senkte den Kopf und wartete darauf, dass Corian ein weiteres Portal auf der Lichtung öffnete. Die ganze Zeit betrachtete er Ember und beäugte sie, wie jemand anderes ein Stück Schokoladenkuchen beäugen würde.

Die Fae begegnete seinem Blick und lehnte sich zurück. »Was auch immer du denkst, lass es sein.«

Er grinste und schloss die Augen.

Corians Portal glitzerte in dunklem Licht, als es sich öffnete und er gab den anderen ein Zeichen, durch die Öffnung in Persh’als Lagerhaus zu gehen. Bevor sich noch jemand rührte, rollte Ember über das Gras auf die Öffnung zu. »Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich will hier raus.«

»Bin direkt hinter dir, Em.« Cheyenne nickte, als ihre Freundin ihr ein dünnes Lächeln schenkte, bevor sie über den Betonboden der Lagerhalle rollte.

Byrd und Lumil waren die nächsten. Die Koboldfrau warf noch einen Blick auf die aufgereihten Gefangenen und schnaubte. Dann trat L’zar hindurch, das Kinn erhoben und die goldenen Augen auf etwas gerichtet, das nur er sehen konnte. Persh’al schnappte sich eine der runden Flugmaschinen, die Cheyenne vom Himmel geschossen hatte, warf sie einmal von einer in die andere Hand und nickte, als er den anderen folgte.

Corian fing Cheyennes Blick auf, die sich von dem Portal ab und den Gefangenen zu wandte, die in der Mitte der Lichtung festsaßen. »Ich muss mich erst um das hier kümmern«, erklärte Cheyenne.

»Ich verstehe.« Mit einer Bewegung seines Handgelenks schloss sich das Portal. »Ich werde warten.«

»Danke.« Sie kramte in der Tasche ihres schicken, neuen Trenchcoats und holte ihr Handy heraus. Das wird mit Sicherheit einer meiner seltsamsten Anrufe. »Hey, wo sind wir jetzt gerade?«

Corian hob eine Augenbraue.

»Ich meine, geografisch.«

Der Nachtpirscher presste die Lippen zusammen und wandte sich ab, um ein Lächeln zu verbergen. »Savage River State Forest.«

»Scheiße. Das ist Stunden von ihnen entfernt.« Cheyenne seufzte und rief Rhyneharts Nummer auf. »Das wird nicht schön werden.«

»Es muss nicht schön sein, Mädchen. Hauptsache, es wird erledigt.«

»Ja, ich habe bemerkt, dass ihr bei den meisten Dingen so vorgeht, aber es gibt verschiedene Ebenen. Etwas zu erledigen, muss nicht immer in einem Konflikt enden.«

Ein langsames Lächeln breitete sich auf Corians Katzengesicht aus. »Dem habe ich schon immer zugestimmt, Cheyenne. Das ist etwas, was L’zar immer noch nicht ganz verstanden hat.«

Sie lachte leise. »Nun, ich bin nicht hier, um L’zars Mist aufzuräumen. Nur meinen eigenen.«

Das Handy klingelte zweimal, bevor Rhynehart ihren Anruf entgegennahm. »Ich habe nicht damit gerechnet, so schnell wieder von dir zu hören.«

»Es ist ja nicht so, dass ich jemals vorhabe, dich anzurufen.« Mit einem kurzen Blick auf Corian trat Cheyenne von ihm weg und tat so, als würde das einen Unterschied machen.

»Warum hast du es dann getan?«

»Zuerst sollte ich dir wahrscheinlich sagen, dass ich nichts über das Wie oder das Warum sagen kann. Überhaupt nicht.«

»Aha.«

»Das gehört dazu, wenn man miteinander arbeitet, oder? Das muss etwas sein, von dem du mir sagst, dass du damit umgehen kannst, ohne Fragen zu stellen, weil ich sie nicht beantworten kann.«

Rhynehart hielt am anderen Ende der Leitung inne und räusperte sich. »Nun, was kannst du mir sagen?«

»Vor mir sind zwei Dutzend gefesselter magischer Wesen.«

»Vor dir ist was?«

»Wirst du mir zuhören oder soll ich jemand anderen anrufen?«

Rhynehart seufzte. »Tut mir leid. Sprich weiter.«

»Ich bin mir zu neunundneunzig Prozent sicher, dass keiner von ihnen in eurem System ist. Kein einziger. Und selbst wenn, wirst du ihre Namen nicht aus ihnen herausbekommen.«

»Was hast du getan?«

»Mein Gott, ich habe nichts getan! Ich versuche, die Sache so gut wie möglich zu bereinigen und im Moment ist das so, dass ich den einen Mann anrufe, der mir vertraut, dass ich weiß, was ich tue. Sag mir nicht, dass ich die falsche Entscheidung getroffen habe.«

»Klingt so, als ob mehr dahintersteckt.«

Cheyenne atmete langsam aus und zwang ihre Wut zurück. Es gibt eine Zeit und einen Ort. Das hier ist es nicht. »Ja, es gibt noch viel mehr, aber ich hoffe, dass du für diesen Fall ein paar spezielle FRoE-Tricks in petto hast. Diese magischen Wesen sind nicht registriert und haben hier eine Menge Probleme verursacht.«

»Das fällt genau in meinen Zuständigkeitsbereich.«

»Ich weiß. Es ist nur ein bisschen heikler. Im Moment sind sie zu nichts anderem zu gebrauchen, als Platz wegzunehmen und die einzige Möglichkeit, das zu ändern, ist, sie zurück über die Grenze zu bringen. Ich meine, an der Hand.«

»Äh, du weißt doch, dass meine Jungs diesen Übergang nicht machen.«

»Ja, aber ihr schickt ein paar von den faulen Eiern durch die Res-Portale zurück. Gib jemandem einen Freifahrtschein, wenn er diese Leute durchschleust. Im schlimmsten Fall stellt sich niemand zur Verfügung und du schickst sie trotzdem durch.«

»Im besten Fall werden wir zwei Dutzend Idioten los, die sich irgendwie vor unserer Nase eingeschlichen haben, plus denjenigen, der unser Angebot als Schleuser annimmt.«

Cheyenne nickte. »Genau.«

»Das klingt nach einer Win-win-Situation für die FRoE. Was springt für dich dabei heraus?«

Die Halbdrow schloss die Augen und senkte ihren Kopf. Ich kann es als Verhandlungsmasse benutzen. Das war’s. »Ich werde sie nicht töten müssen.«

Rhynehart räusperte sich erneut. »Gut, das ist ein Grund, den ich akzeptieren kann. Wenn ich ein Team losschicke, um dir die Jungs abzunehmen, werden sie dann in etwas hineingeraten, wofür sie sich nicht gemeldet haben?«

»Nicht, wenn sie es schnell machen.«

»Hmm. Sieht aus, als hätten wir einen Deal. Wo bist du?«

»Savage River State Park.«

»Kein Scheiß. Ich habe ein Transportteam, das etwa eine Stunde von dort entfernt eine Lieferung ins Reservat macht. Ich schicke sie rüber. Du wartest, bis sie da sind.«

»Tut mir leid. Ich muss woanders hin, aber diese Typen gehen nirgendwo hin.«

»Hast du sie in einem Keller angekettet oder so?«

»Nein. Sorge nur dafür, dass dein Team weiß, dass sie kommen, um magische Wesen abzuholen, die nicht sehen, hören oder sprechen können, okay?«

»Sehr nutzlos also. Das war wirklich kein Scherz.«

Cheyenne warf einen Blick auf die Reihe der Gefangenen und legte den Kopf schief. »Ich weiß. Ich schicke dir den Standort.«

»Ja, das wird helfen.«

»Und danke. Dafür, dass du nicht versucht hast, zu tief zu graben.«

Rhynehart kicherte ins Telefon. »Du wirst doch nicht schon weich, oder?«

»Nicht mal annähernd.« Sie legte auf, um ihren Standpunkt zu bekräftigen und stellte sich vor, wie der Typ lachte, als er merkte, dass die Leitung tot war. Danach schickte sie dem Agenten ihren Standort auf der GPS-Karte und steckte das Handy zurück in ihre Jackentasche. Als sie sich wieder umdrehte, sah sie Corian mit verschränkten Armen dastehen. »Was?«

»Weißt du, ich habe eine lange Zeit damit verbracht, dir dabei zuzusehen, wie du dich in mehr oder weniger große Schwierigkeiten gebracht hast und wie du dich dann wieder herausgewühlt hast.«

»Dir ist klar, wie unheimlich das klingt, oder?«

Corian schnaubte. »Ich gebe es zu. Aber ich muss sagen, das war das erste Mal, dass ich gesehen habe, wie du eine Sauerei beseitigt hast, ohne sie weiter zu verschlimmern. Das war wirklich sauber.«

»Nicht ganz.« Sie blickte wieder zu den Gefangenen, als sie sich ihm näherte. »Diese Jungs werden die Grenze überqueren, egal was passiert. Entweder sie schaffen es und bekommen alle ihre Sinne zurück oder sie enden als Monsterfutter und ich werde nie erfahren, was von beidem es war.«

»Stimmt. Ich werde dich nicht anlügen und sagen, dass du das schnell wieder vergessen wirst, aber sie haben eine Chance. Das ist mehr, als sie hätten, wenn du dich nicht darauf eingelassen hättest.«

»Ja. Fühlt sich aber nicht so an.« Cheyenne sah zu, wie er seinen Zauber sprach, um ein weiteres Portal in das Lagerhaus zu beschwören, dann blinzelte sie und schaute in die Bäume. »Wo ist Gúrdu?«

Corian lächelte breit, als sich das Portal vor ihnen auftat. »Es ist schwer, einen Raug im Auge zu behalten. Noch schwieriger ist es, ein Orakel im Auge zu behalten.«

»Er kann keine Portale öffnen, richtig?«

»Nö. Ich würde mir aber keine Sorgen um ihn machen.«

»Nein, ich mache mir nur Sorgen um denjenigen, der ihm begegnet, bevor er sich wieder in seinem gruseligen Thronsaal einschließt.«

Kichernd gab der Nachtpirscher ihr ein Zeichen, das Lagerhaus zu betreten. »Ich habe schon vor Jahrhunderten aufgehört, aus ihm schlau werden zu wollen.«