IV

Sprachlos starrten alle den Inhalt der Kiste an. Ebenfalls schweigend, wie eine feierliche Prozession, die Opfergaben auf einem Altar platziert, kamen die anderen Mädchen, die an der Tür gestanden waren, und stellten Kisten auf den Schreibtisch des Direktors.

»In meiner Kiste lag ein Zettel«, sagte das erste Mädchen. »Hier ist er.«

Vorsichtig nahm Captain Wise das mit Sirup verklebte Papier entgegen und las vor, »›Ein Geschenk für Elsie, Lacie und Tillie. Vom Verrückten Hutmacher.‹ Also, ich werd nicht mehr! Elsie, Lacie und …«

»Genau das habe ich zu meiner Freundin auch gesagt«, verkündete das Mädchen. »Es macht keinen Sinn. Ich heiße Dolores. Keine von uns heißt …«

Mit kühler Kompetenz schnitt Miss Jones ihr das Wort ab, »Elsie, Lacie und Tillie heißen die drei kleinen Mädchen, die auf dem Grund eines Sirup-Brunnens lebten, Captain Wise.«

»Was in aller Welt reden Sie da, Miss Jones«, rief er gereizt. »Sirup-Brunnen?«

»Das ist ein Teil der Geschichte des Siebenschläfers aus ›Alice im Wunderland‹. Bei der Teeparty des Verrückten Hutmachers, wie Sie sich vielleicht erinnern«, erwiderte Miss Jones gelassen.

»Ich verstehe«, sagte Captain Wise. »Wo haben Sie diese Kisten her?«

»Die sind für das Tennisturnier heute Nachmittag. Sie standen im Pavillon«, antwortete wieder das erste Mädchen.

»Nun gut, entschuldigen Sie diesen bedauerlichen Vorfall, Miss Page. Teddy, gehst du bitte mit den Damen zum Lager und gibst ihnen neue Tennisbälle? Und dann komm wieder her. Ach, und frag den Koch, ob eine Dose Sirup fehlt.«

»Ach, Mr Wise«, hörte Paul das Mädchen zu Teddy sagen, als die Gruppe hinausmarschierte, »ich bin so froh, dass Sie mitkommen. Ehrlich. Ich fühle mich nicht sicher, solange so ein gemeingefährlicher Irrer frei herumläuft.«

Captain Wise zog die Augenbrauen hoch und zuckte mit den Schultern. »Das genau habe ich befürchtet«, sagte er. »Wenn wir nicht aufpassen, wird aus diesem Scherzbold noch Jack the Ripper.«

»Können wir irgendwie helfen?«, fragte ein Mitglied des Komitees, ein junger Mann mit einem eckigen Kiefer, er sah aus wie jemand, der in jedem Club oder Komitee unweigerlich die Rolle des Sekretärs, Witzbolds und Mädchen für alles übernimmt, und es war auch tatsächlich so.

Captain Wise rieb sich mit dem Kinn über die Fingerspitzen. Ein seltener Moment von Unentschlossenheit, fast schon Ratlosigkeit, schien ihn erfasst zu haben.

»Sehr freundlich von Ihnen, Mr Easton«, sagte er schließlich. »Aber ich glaube nicht, dass ich irgendjemand von Ihnen darum bitten könnte. Das wäre nicht fair. Sie sind hier im Urlaub, und es ist Sache der Direktion, dafür zu sorgen, dass man Ihnen den Urlaub nicht verdirbt.«

»Das würde ihn sicher nicht verderben – ich spreche natürlich nur für mich selbst. Aber ich bin mir sicher, dass das auch die Meinung der anderen Komiteemitglieder ist«, beharrte der junge Mann, der sich für seine neue Arbeit erwärmte. »Ich meine, es wäre doch was Neues für uns alle. Ein neuer Wettbewerb – findet den Verrückten Hutmacher. Verstehen Sie, was ich meine? Man könnte sogar einen Preis ausschreiben, irgendeine Art von Belohnung für denjenigen, der Informationen liefert, die zur Verhaftung des Verrückten Hutmachers führen. Wecken Sie das Interesse aller. Das könnte doch funktionieren. Das wäre doch eine Idee, Captain Wise.«

Der Direktor beäugte ihn kritisch und blickte dann in die Runde. Die Mitglieder des Komitees – wie es bei Komitees üblich ist – äußerten sich alle gleichzeitig und steuerten mehr oder weniger Relevantes bei.

»Das ist eine Idee.«

»Meiner Meinung nach haben wir kein Mandat der anderen Gäste, etwas in diese Richtung zu unternehmen. Wir sind ein Sportkomitee.«

»Na ja, diesen Typen zu jagen wäre eine Art Sport. Jagdsport, könnte man sagen.«

»Ich missbillige Jagdsport. Die Liga der …«

»Mein Chef geht zweimal die Woche zum Jagen. Er ist ein sehr freundlicher Gentleman. Ich würde sagen, dass er keiner Fliege etwas zuleide tun kann. Er ist Verleger. Er hat mir mal erzählt …«

»Meine Flo sagt, es ist für sie ein Hangen und Bangen, seit der Verrückte Hutmacher aufgetaucht ist. Immerhin hat sie Jiu Jitsu gelernt. Ich glaube, sie würde ihm eine ganz schöne Abreibung verpassen. Kann deinen Arm so leicht brechen wie ein Streichholz.«

»Unser Billy hat sein Zaubertrick-Set in der Schule gegen eine Anleitung für Streiche getauscht. Richtig gemeine Tricks. Hab ihm den Hintern versohlt. Ich würde sagen …«

»Hat jemand von Ihnen«, unterbrach Miss Gardiner, eine massige Lehrerin mit respekteinflößendem Blick, »die Psychologie des Schalks studiert?«

»Ich halte nichts von diesen Psychologen. Erst kehren sie dein Innerstes nach außen, und was hast du dann davon?«

»Deine Gedärme, vermutlich.«

»Die Motivation des Witzbolds«, beharrte Miss Gardiner in einem Tonfall, der an eine Roboterbrigade erinnerte, die einen desorganisierten Feind wegfegte, »ist im Allgemeinen ein Gefühl von Unterlegenheit. Seine Libido und sein Machthunger lassen ihn zu Mitteln greifen, die die Gemeinschaft auf sein Niveau herunterziehen. Da er selbst verspottet wurde, bemüht er sich, die Gemeinschaft als Ganzes lächerlich zu machen.«

»In etwa ›Wie du mir, so ich dir‹, meinen Sie?«

»Das wäre eine grobe Vereinfachung der Psychose«, erwiderte Miss Gardiner ernst. »Oft handelt es sich auch um eine Person mit einem ausgeprägten, aber unterdrückten Drang nach Zurschaustellung. Söderman beschreibt einen Fall, es geht um ein Mitglied der freiwilligen Feuerwehr, der Mann beging mehrmals Brandstiftung, nur um in der Öffentlichkeit Uniform tragen zu können. Adler behauptet …«

»Was für eine Uniform trägt dieser Verrückte Hutmacher überhaupt? Ein Tschako?«

»Einen Zylinder, natürlich, Dummerchen.«

An dieser Stelle unterbrach der Direktor sie taktvoll, »Ich denke wir müssen diese interessante Diskussion beenden und uns um wirklich Wichtiges kümmern. Ich kann Ihnen versichern, dass Ihre Vorschläge berücksichtigt werden, und ich würde Sie gegebenenfalls später noch einmal einbestellen. Es ist immerhin möglich, dass unser Scherzbold sich dazu entscheidet, es gut sein zu lassen. Also dann …«

Das Komitee begann, das Programm für Montag zu besprechen. Das Hauptereignis sollte die Schnitzeljagd am Nachmittag sein. Die Route und die Hinweise dafür waren bereits von der Direktion vorbereitet worden. Es war Aufgabe der Komiteemitglieder, das Personal dabei zu unterstützen, die Hinweise auszulegen, die Strecke zu ›überwachen‹ und andere Vorbereitungen zu treffen. Die Hinweise steckten in versiegelten Umschlägen, die heute beim Abendessen verteilt werden würden, sodass besonders eifrige Schatzsucher bereits die Gelegenheit hatten, sie ausführlich zu studieren.

Nach dem Treffen ging Paul Perry hinaus zu den Tennisplätzen. Es wurden ein paar nicht allzu ernste Partien gespielt – das wöchentliche Turnier begann nicht vor Dienstag. Paul erblickte Mr Thistlethwaites kolossale Gestalt, die in einem Liegestuhl saß, gleich neben dem Platz, auf dem Sally und Mr Morley gegen ein anderes Paar ein Doppel spielten. Er setzte sich neben Mr Thistlethwaites Stuhl ins Gras, um zuzusehen.

»Sie spielen ebenfalls, Sir?«, erkundigte sich dieser.

»Ein wenig. Mir bleibt dieser Tage allerdings nicht viel Zeit dafür.«

»Ah. Als Mann der Feder schmähen Sie natürlich Vergnügungen und verbringen stattdessen arbeitsreiche Tage. Eine Laufbahn, die einiges abverlangt, aber nur weniges bietet gleichermaßen Belohnung.«

»Ihre Tochter spielt gut. Sie scheint ihren Partner zu motivieren.«

»Das liegt in der Familie, Sir. Ich selbst hatte einmal ein wenig Talent für Ballspiele.«

Albert Morley sprang verzweifelt zur Seitenlinie, um einen Drive abzufangen, verfehlte den Ball und fiel der Länge nach hin. Seine Gegner lachten, selbst Sally musste lächeln. Mr Morley rappelte sich auf, strahlte gutmütig in die Runde und nahm seinen Platz am Netz wieder ein.

»Ein guter Sportsmann, dieser Mr Morley«, sagte Mr Thistlethwaite. »Er verträgt ausnahmslos jeden Witz. Das ist einer der herausragenden Aspekte unseres Nationalcharakters, finden Sie nicht auch, Sir? Zeigen Sie mir einen Mann, der über sich selbst lachen kann, und Sie zeigen mir einen wahren Gentleman.«

Paul machte keinen Versuch, diese Behauptung anzufechten. Stattdessen erkundigte er sich, »Wie reagieren die Leute hier auf diesen Witzbold? Werden sie etwas unruhig?«

»Sie sind überwiegend ruhig und gefasst. Ein Brite lässt sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Alles wie gehabt, oder sollte ich sagen, Vergnügen wie gehabt, lautet die momentane Parole in Wunderland.«

»Ich frage mich, was er als Nächstes vorhat. In Sirup getauchte Tennisbälle sind nicht ganz auf dem Niveau von versuchtem Ertränken.«

» Reculer pour mieux sauter , möglicherweise, Sir. Die Überlegung ist nicht ganz uninteressant.« Mr Thistlethwaite drehte sich zu Paul, wobei sein Liegestuhl gefährlich knarzte. »Sie haben den Ausdruck ›Scherzbold‹ verwendet, Sir. Haben Sie die Implikationen bedacht?«

»Was meinen Sie?«

»Implikationen von was, Daddy?« Sally hatte ihr Spiel beendet und sich mit Albert Morley zu ihnen gesetzt.

»Ich sprach gerade von diesem Individuum, das sich der Verrückte Hutmacher nennt. Meinem Urteil nach ist das Wesentliche eines Scherzes oder Streichs, dass der Täter nicht nur die Not seines Opfers beobachten kann, sondern auch, dass er gebührenden Beifall für seinen Einfallsreichtum erfährt. Ein Streich, den man mit niemandem teilen kann, außer mit sich selbst, kann einen unmöglich vollkommen zufriedenstellen. Was können wir in der gegenwärtigen Situation also daraus schließen?«

»Sie meinen«, antwortete Paul nach einer kurzen Pause, »dass der Kerl einen Komplizen – oder mehrere – hat, mit denen er den Streich teilen kann.«

»Eine Möglichkeit, Sir«, sagte Mr Thistlethwaite.

»Ich glaube, der Bursche ist ein bisschen verrückt«, warf Mr Morley ein.

»Das wäre ebenfalls eine plausible Hypothese. Ein Verrückter«, fuhr Mr Thistlethwaite gelassen fort, »ist das einzig lebende Geschöpf, das einen Streich mit sich selbst teilen kann.«

»Oh Daddy, bitte sei still. Du machst mir Angst.«

»Er könnte auch ein Fall von gespaltener Persönlichkeit sein«, sagte Paul. »Ein Individuum, das abwechselnd das Narrenkleid trägt und dann wieder ganz respektabel wirkt, eine Person, wie Sie es sind.«

»Wollen Sie sagen, dass Daddy der Verrückte Hutmacher ist? Seien Sie vorsichtig, Mr Paul Schnüffler.«

»Ich habe mir lediglich eine wissenschaftliche Verallgemeinerung erlaubt, da müssen Sie gar nicht spitzfindig werden.«

»Es gibt noch eine dritte Alternative, die diese bizarren Ereignisse erklären könnte«, verkündete ihr Vater. Er legte seine Fingerspitzen aneinander und machte eine dramatische Pause. »Vielleicht ist der Verrückte Hutmacher weder jemand, der Streiche spielt, noch ist er verrückt. Er ist womöglich so zurechnungsfähig wie Sie oder ich.«

»Aber Daddy, das ist unmöglich. Entweder er …«

»Wenn man eine kriminelle Handlung analysiert, also eine, die gegen gesellschaftliche Normen verstößt, muss man sich nicht nur fragen, wer daraus einen Nutzen zieht, sondern auch, wer dabei etwas zu verlieren hat.«

»Na ja, du hast etwas zu verlieren gehabt. Wenn diese furchtbare Person mich noch länger unter Wasser gehalten hätte, dann wäre deine hübsche Tochter jetzt eine arme, starre Leiche.«

Ihr Vater lehnte sich zu ihr, strich ihr über den Kopf und lächelte. Ein eher einfältiges Lächeln, dachte Paul. Aber auf seltsame Weise ließ es ihn wirklicher scheinen. Mr Thistlethwaite hatte solch eine Präsenz, dass man ihn kaum mit einem Privatleben samt menschlichen Schwächen und Beziehungen in Verbindung brachte.

»Nein«, sagte er und spulte vorsichtig seine maßgeschneiderten, taktvollen Sätze ab, »Es sind nicht so sehr die Gäste, als vielmehr die Wunderland GmbH selbst, die im Falle einer Fortführung dieser Ausschreitungen etwas zu verlieren hat.«

»Dann muss es sich bei dem Witzbold um jemanden handeln, der einen Groll gegen das Unternehmen hegt«, sagte Paul.

Mr Thistlethwaite neigte in feierlicher Billigung seinen Kopf – so sah er möglicherweise aus, wenn ein Lehrling, unter seiner fachmännischen Anleitung, den perfekten Stoff ausgewählt hatte.

»Aber ist das nicht eine sehr seltsame Art, sich an dem Unternehmen zu rächen – indem man die Besucher verstört?«, warf Sally ein.

»Vielleicht die einzige Art und Weise, auf die man das schafft, meinen Sie nicht?«, kam es von Mr Morley unerwartet.

»Ganz richtig, Mr Morley. Und das liefert uns einen Hinweis auf den Übeltäter, oder nicht?«

»Wie meinen Sie?«

»Er ist eine Person ohne Einfluss oder sozialen Status. Er selbst befindet sich nicht in der Position, seinen Feind anzugreifen, außer mit diesen hinterhältigen und würdelosen Tricks – ganz gleich, ob es sich bei dem Feind um das gesamte Unternehmen handelt oder um einen Angestellten, wie Captain Wise. Er könnte seinen Posten verlieren, sollte sich von diesem Skandal ein Großteil der Besucher vertreiben lassen.«

Mr Thistlethwaite holte einmal tief Luft und strich über die Falten seiner makellosen Flanellhose.

»Einer der Angestellten vielleicht, der gefeuert wurde?«, schlug Paul vor. »Aber man würde nicht erwarten, dass die so bewandert in den Werken Lewis Carrolls sind.«

»Ich nehme an, dass auch Angestellte lesen können«, erwiderte Sally. »Außerdem muss man ›Alice im Wunderland‹ nicht gelesen haben, um den Verrückten Hutmacher zu kennen. Das gibt es auch als Kindertheater.«

»Ich würde annehmen, dass Elsie, Lacie und Tillie darin nicht vorkommen«, gab Mr Thistlethwaite zu bedenken.

Paul Perry erstarrte und besah ihn sich gründlich.

»Der Faktor Zeit ist ebenfalls von Interesse«, fuhr Mr Thistlethwaite fort. »Die Mehrheit der Besucher in Wunderland bleibt nur eine Woche. Sollten sich die Vorfälle bis in die zweite Woche hinziehen, kämen nur noch das Personal und die übriggebliebenen Besucher als Verdächtige infrage.«

»Sie haben sich eingehender mit der Sache befasst, wie ich sehe«, sagte Paul.

»Ich habe mich damit beschäftigt, Sir. Als Amateur-Kriminologe habe ich …«

»Was haben Sie da unter Ihrem Fingernagel?«, fragte Paul plötzlich und zeigte auf Mr Thistlethwaites Mittelfinger, mit dem er immer noch über die Falte des Hosenbeins fuhr.

»Sirup, fürchte ich«, antwortete Mr Thistlethwaite unbeirrt. »Ich war zufällig in der Nähe, als die junge Frau die Tennisbälle gefunden hat, und ich habe an einem von ihnen mit meinem Nagel gekratzt, um festzustellen, was für eine Substanz daran klebte.«

»Aha, ich verstehe«, stellte Paul enttäuscht fest. »Deshalb wussten sie von Elsie, Lacie und Tillie?«

»So ist es.« Ein Ausdruck traurigen Vorwurfs kam über Mr Thistlethwaits bluthundartige Züge. »Sie haben doch sicherlich nicht mich der Beteiligung an diesen Vorkommnissen verdächtigt, Sir?«

»Nein. Nein, natürlich nicht. Ich habe nur …«

»Oh doch, das hast du, Paul Schnüffler. Versuchen Sie nicht, sich da herauszuwinden. Sie blicken ganz schuldig drein, und Sie werden rot.«Sally war wirklich wütend. Ihre grauen Augen versprühten ein winterliches Feuer. »Sie schnüffeln herum. Ja, ich hab Sie gesehen, wie Sie in Ihr kleines Notizbuch schreiben, wenn Sie glauben, dass niemand zusieht. Und Sie wagen es, Daddy zu beschuldigen … Dabei sind Sie genau der Typ für solche gemeinen Streiche. Und Ihre Fingernägel sind übrigens auch nicht so sauber.«

»Da wir von Sirup sprechen«, mischte sich Mr Thistlethwaite diskret ein, »Das erinnert mich an eine Episode, die sich zu meiner Lehrzeit in Oxford zugetragen hat. Es drehte sich um niemand Geringeren als den seligen König Edward VII . Ein großer Gentleman, König Teddy. Und ein Vorreiter in Sachen Mode. In der Tat ein sehr ausgelassener junger Gentleman, wenn er im Palast war. Es war das Ergebnis einer Wette zwischen dem König und dem Herzog von Hamilton. Der Herzog ging in einen Lebensmittelladen und fragte nach einem Pfund Sirup. Als der Verkäufer ihn fragte, ob sein nobler Kunde denn ein Gefäß für den Sirup mitgebracht habe, erwiderte der Herzog, ›Füllen Sie ihn in meinen Hut.‹ Der Verkäufer leistete dem Folge, woraufhin der Herzog dem Verkäufer den Hut aufsetzte, eine Goldmünze auf die Theke warf und sich davonmachte. Ach, ja. Seine selige Majestät war voller Esprit.«

»Ein wahrhaft königlicher Scherz«, sagte Paul säuerlich.

»Ich verstehe nicht, warum sie den Sirup nicht bereits in einer Dose oder in einem Gefäß hatten. In dem Laden, meine ich«, merkte Albert Morley an.

»Wollen Sie die Richtigkeit meiner Anekdote in Zweifel ziehen, Sir?«

»Oh, nein. Nein. Ich habe mich nur gefragt.«

Würden wir mit den hier Anwesenden »Alice im Wunderland« besetzen, dachte Paul, wäre Albert ganz bestimmt der Siebenschläfer. Mr Thistlethwaite wäre zweifellos Vater William. Und ich? Na ja, mir gefällt die Grinsekatze recht gut. Und Sally ist vorlaut und naiv genug, um Alice zu sein. Paul blickte neugierig auf seine Hand, die Sally gerade in ihre genommen hatte, um die angebliche Unsauberkeit seiner Nägel vorzuführen. Die Betrachtung rief zu seiner Überraschung eine derart starke Erregung in ihm hervor, dass er gezwungen war, aufzustehen und unversehens ohne ein Wort zu gehen.

Im Büro des Direktors, hoch oben über dem ruhigen Meer, unterhielten sich Captain Wise und sein Bruder.

»So sieht es aus, Teddy. Lass mich zusammenfassen, was wir bisher herausgefunden haben. Schreiben Sie das bitte mit, Miss Jones. Es wird uns noch zugutekommen, sollten wir die Sache an die Polizei übergeben.«

Miss Jones brachte ihr Erstaunen und ihre Missbilligung nur mit einem leichten Schürzen ihrer Lippen zum Ausdruck. Im Gegensatz zu Teddy.

»Na, aber jetzt, alter Junge. Nicht die Bullen. Das ist wirklich … also, wir müssten innerhalb von zwei Wochen schließen.«

»Mein lieber Teddy, wenn dieser Scherzbold so weitermacht, müssen wir in einer Woche schließen. Ich werde die Polizei nicht einschalten, bis die Gäste mich dazu zwingen; aber das werden sie, wenn wir den Verrückten Hutmacher nicht schon bald überführen. Nun gut. Die Ansage über die Lautsprecher gestern Abend. Niemand konnte Informationen dazu liefern. Der Kerl hätte aus der Konzerthalle kommen können oder durch eine der Türen neben der Bühne; oder es könnte jemand von der Band sein. Eigentlich könnte es verdammt nochmal jeder gewesen sein, du oder ich oder Miss Jones hier.«

»Nicht ich, alter Junger. Ich habe mit Sally im Scheinwerferlicht das Tanzbein geschwungen.«

»Stimmt. Als Nächstes, das Untertauchen. Es ist wahrscheinlich ein Mann, auf jeden Fall stark, große Hände. Fünfundneunzig Leute waren am Badestrand. Wir werden einige von ihnen ausschließen können, wenn wir jeden Einzelnen fragen, wer zu dem Zeitpunkt, an dem die Leute untergetaucht wurden, gerade in seiner Nähe stand, aber auch dann bleiben noch viele Verdächtige. Du hast die Nummern der Plaketten aller notiert, die den Strand verlassen haben, die Namen derer, die ihre Plakette nicht dabeihatten, und die Reihenfolge, in der sie gegangen sind. Aber das bedeutet immer noch keine hundertprozentige Kontrolle. Der Scherzbold hat die Sache womöglich verkompliziert, indem er sich die Plakette von jemand anderem genommen hat. Drittens, der Zettel am Schwarzen Brett. Außer er hat einen Komplizen, muss der Kerl ihn selbst aufgehängt haben. Miss Jones schwört, dass der Zettel um zwölf Uhr noch nicht da hing. Aufgrund dessen muss er ihn nach seinem Bad aufgehängt haben. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit war er einer der Ersten, die den Strand verlassen haben. Denn je länger er damit gewartet hätte, ihn aufzuhängen, desto mehr Leute wären in der Nähe der Eingangshalle unterwegs gewesen. Damit kommen nur die ersten Namen auf unserer Liste infrage. Wir sehen sie uns gleich nochmal an. Zu guter Letzt, die Sache mit dem Sirup. Der Koch hat sein Lager durchgesehen, als du zu ihm gegangen bist, aber es fehlte keine Dose Sirup. Der Bursche muss seinen eigenen mitgebracht haben, was bedeutet, dass er gut vorbereitet war, und das wiederum bedeutet, dass er sein Werk noch lange nicht vollendet hat. Wir könnten die Chalets durchsuchen, aber das würde uns nicht besonders beliebt machen, und mittlerweile wird er die Dose auch weggeworfen haben, wenn er halbwegs bei Sinnen ist. Die Tennisbälle wurden irgendwann zwischen 12:45, als die Spieler sie im Pavillon verstaut haben, und 14:15, als sie wieder herausgeholt wurden, mit dem Sirup übergossen. Ein verdammt großes Zeitfenster, für das wir Nachforschungen anstellen müssen. Vielleicht haben wir Glück, und es gibt Leute, die gesehen haben, wie jemand später zum Mittagessen kam oder früher wieder ging. Alles verdammt vage.«

Captain Wise raufte sich entnervt das lichter werdende Haar. »Wir brauchen ein Kommando der Geheimpolizei oder irgendetwas in der Art.«

»Soll ich versuchen, Gerätschaften für ein Fingerabdruckverfahren zu organisieren?«, fragte Miss Jones, Bleistift und Notizbuch parat.

»Fingerabdruckver…? Ach, ich verstehe. Ja, auf dem Mikrofon hätten wir Spuren finden können. Na ja, vielleicht …«

»Möchtegern-Kriminelle tragen heutzutage doch Handschuhe, oder?«, sagte Teddy.

»Verdammt verzwickt. Wir können die Gäste nicht wie eine Bande Kriminelle behandeln. Ich …«

Da klopfte es an der Tür. Paul Perry kam herein. »Tut mir leid«, sagte er, »ich dachte, Sie wären allein.«

»Allein? Sind Sie etwa gekommen, um Ihre Verbrechen zu gestehen?«, fragte Captain Wise ein wenig zu gut gelaunt.

»Nein. Aber ich dachte mir, dass ich Ihnen vielleicht von Nutzen sein könnte. Bei dieser Sache mit dem Verrückten Hutmacher. Wissen Sie … ich sollte Ihnen wohl lieber zuerst erzählen, wieso ich nach Wunderland gekommen bin …«