X

Nigel Strangeways kam mit klarem, wenn auch relativ leerem Kopf in Wunderland an. Das kurze Telefongespräch mit Mr Thistlethwaite hatte ihm nicht viel mehr verraten, als dass sich seltsame Dinge im Camp zugetragen hatten. Dem Anschein nach spielte irgendjemand Streiche, doch Mr Thistlethwaite hatte dunkle Hintergründe und turbulente Verwicklungen durchscheinen lassen. Nigel hatte nicht einmal Zeit gehabt, vor seinem Aufbruch Erkundigungen über diese Wunderland GmbH einzuziehen, und hatte nicht die leiseste Ahnung, was man sich unter einem Urlaubscamp vorzustellen hatte.

Er war zweifellos nicht auf die weitläufigen, hollywoodgleichen Anlagen gefasst, die sich ihm darboten, als das Auto auf den Parkplatz fuhr. Man hatte einen Angestellten geschickt, um ihn vom Bahnhof abzuholen, aber Nigel war während der Fahrt mit seinen Gedanken woanders gewesen und hatte kaum Fragen gestellt. Um genau zu sein, machte er sich Sorgen um seinen Anzug. Das Thema Kleidung beherrschte seine Gedanken normalerweise nicht übermäßig, doch wenn man Mr Thistlethwaite gegenübertreten musste, für den Kleider sehr wohl Leute machten, bereute man, dass man nicht mehr Geld für Bügelpresse, Reinigung und Kleiderbügel ausgegeben hatte.

Die grauen Flanellhosen mit Nadelstreifen, die er trug, waren zwar von Mr Thistlethwaite selbst angefertigt worden, allerdings mehrere Jahre zuvor, und Nigel hatte sich seitdem angewöhnt, Konfektionskleidung zu tragen. Hatte ihm Mr Thistlethwaite diesen Verrat verziehen? Falls nicht, konnte Nigel sich auf etwas gefasst machen. Obwohl es schon mehr als zwölf Jahre zurücklag, dass Nigel als unerfahrener Student schüchtern das Etablissement Thistlethwaites betreten hatte, blieb seine Ehrfurcht vor dem massigen Mann unvermindert. Er erschauderte leicht, als er an diese Begebenheit zurückdachte. Es war das erste und letzte Mal gewesen, dass er es gewagt hatte, Mr Thistlethwaites Urteil infrage zu stellen. Es war um Knöpfe gegangen. Nigel hatte an dem Straßenanzug, den Mr Thistlethwaite sich bereit erklärt hatte, für ihn anzufertigen, nur zwei Knöpfe haben wollen. Mr Thistlethwaite hatte ihn darauf hingewiesen, dass ein Gentleman nicht länger nur zwei Knöpfe trug – drei war die korrekte Anzahl. Mit unüberlegtem und fatalem Trotz hatte Nigel auf zwei bestanden, woraufhin Mr Thistlethwaite sich zu seiner vollen Größe aufgerichtet hatte, bis er wie eine zürnende Gottheit das Allerheiligste, seine Anprobe, ausfüllte und verkündete, »Wenn Sie insistieren, Sir, dann bekommen Sie zwei Knöpfe. Ich kann allerdings nur sagen«, und hier nahm seine Stimme den eisigen Ton tiefer Abscheu an, »ich kann nur sagen, dass Sie damit äußerst lächerlich aussehen werden.«

Nigel hatte augenblicklich kapituliert und nie wieder eine Kontroverse mit dem Schneider angestoßen. Doch der Vorfall hatte ihn unwiederbringlich traumatisiert. Als er nun aus dem Auto stieg und kurzsichtig in das gewaltige Atrium Wunderlands spähte, spürte er, wie die alte Wunde wieder aufriss.

Mr Thistlethwaite erwartete ihn drinnen. Mit der Miene eines altgedienten Staatsmannes, der sein Gegenüber auf einer Friedenskonferenz empfängt, kam er mit ausgestreckter Hand auf Nigel zu.

»Es ist mir wahrlich ein Vergnügen«, donnerte er. »Wenn auch unter unglücklichen Umständen.«

»Ich hoffe, es geht Ihnen gut, Mr Thistlethwaite.«

»Vielen Dank, Sir. Ich befinde mich bei bester Gesundheit.« Mr Thistlethwaite trat ein wenig zurück, Nigels Hand dabei immer noch fest in seiner. »Ich glaube, wir hatten die Ehre, einen Anzug für Sie anzufertigen.«

»Ja. Äh, ja. Hat sich sehr gut gehalten, meinen Sie nicht?«

Mr Thistlethwaite strich eine kleine Falte unter dem Kragen glatt. »Ein guter Anzug, Sir, bleibt Aristokrat bis zum Ende, sage ich immer.«

Aus Respekt vor diesem Diktum verharrten sie einen Moment in Schweigen. Dann dirigierte ihn Mr Thistlethwaite nach oben in das Büro des Direktors.

»Captain Wise«, sagte er auf der Treppe, »wird Sie von der Situation au fait setzen. Sie werden feststellen, dass er ein umgänglicher Gentleman ist, auch wenn wir es nicht billigen können, dass ehemalige Offiziere, unabhängig von den zweifellos unschätzbaren Diensten, die sie ihrem Land in der Stunde der Not erwiesen haben, ihre militärischen Titel als Zivilisten beibehalten. In einer freien Demokratie wie der unseren ist nichts erwünscht, das den Beigeschmack eines stehenden Heeres trägt.«

Nigel unterließ es, die Logik dieser bemerkenswerten Äußerung infrage zu stellen. Kurz darauf saß er in Captain Wises bestem Sessel und lauschte einem Bericht von den Vorfällen. Mr Thistlethwaite hatte sich taktvoll zurückgezogen, doch Miss Jones war dageblieben und ergänzte, wenn nötig, die Aussage ihres Arbeitgebers, indem sie von ihren eigenen Notizen ablas. Die zwei arbeiteten offenkundig so gut zusammen, dass Nigel überrascht war, als Captain Wise die Sekretärin wegen einer Nichtigkeit plötzlich scharf angriff. Wise erwähnte, dass er die Gäste am Vorabend von Nigels Kommen in Kenntnis gesetzt hatte.

»Sie haben ihnen gesagt, dass ich privater Ermittler bin?«

»Ja.«

»Das hätten Sie besser unterlassen, wenn Sie erlauben. Das wird meine Tätigkeit unweigerlich etwas erschweren, besonders da Sie möchten, dass die Nachforschungen so diskret wie möglich ablaufen und ohne den Alltag im Camp groß zu stören.«

»Dasselbe Argument habe ich auch angebracht, wenn Sie sich erinnern, Captain Wise«, bemerkte Miss Jones knapp, aber respektvoll.

Da ging Mortimer Wise auf sie los. »Würden Sie sich freundlicherweise daran erinnern, dass Sie für Ihre Dienste als Sekretärin bezahlt werden, und nicht als Assistentin der Campleitung!«, bellte er. »Wenn ich Ihren Rat hören möchte, frage ich Sie.«

Miss Jones schockierter Gesichtsausdruck und die Art und Weise, mit der Nigel seine Zehenspitzen begutachtete, machten ihm wohl klar, dass er eine Grenze überschritten hatte. Er entschuldigte sich, allerdings nur bei Nigel.

»Tut mir leid, Strangeways. Mir verdirbt diese Angelegenheit die Laune, so viel ist mal klar. Ich weiß Ihre Meinung zu schätzen, aber bedenken Sie meine schwierige Lage. Die Gäste sind äußerst beunruhigt über das, was sie meine Untätigkeit nennen. Ich hätte wohl die Polizei einschalten sollen, aber das wäre außerordentlich unerfreulich für die Wunderland GmbH. Natürlich arbeiten wir bereits unauffällig daran, treffen Sicherheitsmaßnahmen und so weiter; aber wir wollten ein Signal setzen.«

»Und mich zum Prügelknaben machen, um das Geschrei der Öffentlichkeit verstummen zu lassen?«, schlug Nigel milde lächelnd vor.

»Das auch«, gab Captain Wise zu. »Aber natürlich habe ich vollstes Vertrauen, dass Sie unser kleines Problem lösen werden. Es wird wahrscheinlich nicht allzu schwierig sein. Ich selbst bin leider nicht zum Ermittler gemacht.«

»Sie sagen, Sie haben Vorsichtsmaßnahmen getroffen …«

»Ja. Meine Angestellten patrouillieren jetzt nachts um die Chalets und behalten das Gebäude hier im Auge. Außerdem sind wir sehr vorsichtig mit … na ja, zum Beispiel haben unsere weiblichen Gäste für heute Abend eine Kabarettshow vorbereitet. Das Personal wechselt sich bei der Bewachung der Konzerthalle und der Garderobenräume ab, wo die Kostüme und Requisiten aufbewahrt werden.«

»Dann haben Sie absolutes Vertrauen in Ihre Angestellten? Mir ist aufgefallen, dass Sie das Personal nicht erwähnten, als Sie angedeutet haben, dass diese Schandtaten womöglich der Versuch von jemandem seien, der der Wunderland GmbH oder Ihrer Position darin Schaden zufügen will. Falls irgendjemand Groll hegt, dann doch höchstwahrscheinlich einer von ihnen.«

»Das könnte man meinen, das sehe ich auch so. Tatsache ist jedoch, dass unsere Angestellten überaus zufrieden sind, und das ist nicht nur werbewirksame Augenwischerei. Sie sind gut bezahlt, die Arbeitszeiten sind fair, und niemandem ist gekündigt worden oder irgendetwas in die Richtung. Ich glaube nicht, dass jemand einen Groll gegen das Unternehmen hegt. Gegen mich persönlich – na ja, das kann ich schlecht beurteilen. Aber Sie haben die uneingeschränkte Befugnis, das Personal zu befragen, und ich denke nicht, dass Sie irgendeine Beschwerde – ob aus erster oder zweiter Hand – darüber hören werden, wie ich die Angestellten behandele.«

»Captain Wise ist sehr beliebt bei den Angestellten des Camps«, mischte sich Miss Jones ein. Nigel war erstaunt über den Kontrast zwischen ihren intelligenten Augen und der Sinnlichkeit ihrer Lippen. Wenn ich Captain Wise wäre, dachte er, würde ich mir schwertun, sie als bloße Büromaschine zu behandeln. Aber vielleicht tut er das ja nicht.

»Angenommen, Sie haben recht«, sagte er, »dann haben wir die Wahl zwischen einem der Gäste und diesem Einsiedler-Fritzen. Wir wissen, dass der Einsiedler einen Groll gegen die Wunderland GmbH hegt, und es gibt bestimmte Anzeichen dafür – die Luftaufnahme, der Unbekannte, der heute Morgen aufgetaucht ist –, dass er möglicherweise im Camp war. Wenn es einer der Gäste ist, besteht die Chance, dass diese Taten arglose Streiche sind oder das Werk von jemandem, der eine Schraube locker hat. Sie haben ja bereits Erkundigungen bei Ihrer Hauptniederlassung eingezogen und herausgefunden, dass keiner der Gäste je bei dem Unternehmen angestellt war – außer, natürlich, jemand ist unter falschem Namen hier. Auf jeden Fall gibt es die Wunderland GmbH erst seit drei Jahren, und innerhalb so einer kurzen Zeitspanne sollte es ein Leichtes sein nachzuverfolgen, ob jemand mit dem Unternehmen auf Kriegsfuß steht.

Captain Wise nickte. »Ja, das fasst die Situation gut zusammen.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr – ein feines, goldenes, eher feminin anmutendes Ding – und schlug vor, einen Aperitif einzunehmen. Miss Jones nahm ihre Hornbrille ab, ging zu einer glänzenden Vitrine an der Wand, von der Nigel angenommen hatte, sie sei eine Musiktruhe, öffnete sie und brachte eine Hausbar zum Vorschein. Ohne die Brille hatte sie sich unmittelbar von der vertrauenswürdigen Sekretärin zu einer charmanten Gastgeberin gewandelt. Sie hantierte derart anmutig mit den Cocktails, dass man hätte annehmen können, sie habe in ihrem Leben noch keinen Tag Arbeit verrichtet.

»Man behandelt Sie hier sehr gut«, bemerkte Nigel. »Getränke gratis, eine Hausbar – oder haben Sie die Bar anbringen lassen?«

»Nein. Vom Unternehmen gestellt. Wir bekommen den ein oder anderen Bonus.«

Miss Jones öffnete einen Aktenschrank und nahm einen Stapel Papiere heraus. »Hier ist etwas Material, das Ihnen vielleicht von Nutzen sein könnte, Mr Strangeways. Eine Stellungnahme zu den Maßnahmen, die wir nach dem ersten Streich getroffen haben; eine Liste der Leute, die an dem Tag am Strand waren, in der Reihenfolge, in der sie ihn verlassen haben; und Notizen zu Leuten, die zu den Zeiten bei Mahlzeiten nicht anwesend waren, als die Übergriffe eventuell vorbereitet wurden. Letztere sind leider nicht besonders hilfreich, da sie sehr lückenhaft sind – wir hätten diese Befragungen nicht weiterverfolgen können, ohne die Gäste zu verärgern.«

Der Duft eines ungewöhnlichen, subtilen Parfüms umwehte Nigel, als sie sich mit den Papieren über seine Schulter lehnte. Er steckte sie in die Tasche und nahm einen Schluck von dem hervorragenden Cocktail.

»Ich nehme an, Sie haben noch keinen konkreten Verdacht«, sagte er.

»Nein. Ich muss sagen, ich glaube nicht, dass es einer der Gäste ist. Der Einsiedler scheint momentan die beste Spur zu sein. Haben Sie die Kopien der Zeitungsausschnitte hier, Miss Jones?«

Die Sekretärin nahm einige Durchschläge aus der Schublade und reichte sie ihm.

»Das ist das Dossier zu der Kontroverse, die der Bau des Urlaubscamps ausgelöst hat. Hier finden Sie die Zeugenaussage des Einsiedlers sowie einige Zeilen zu seinem Privatleben. Sein bürgerlicher Name ist anscheinend Philip Grebble, aber er wird von allen nur noch Old Ishmael genannt. Und hier haben wir eine Fotografie – aufgenommen zur Zeit der Kontroverse –, die Miss Jones irgendwo ausgegraben hat.

»Grundgütiger«, murmelte Nigel, während er das Foto betrachtete. »›War sein Bart grau? Nein –‹«

»›Das war er, so wie ich ihn in seinem Leben gesehen habe, silbergrau‹«, beendete Miss Jones das Zitat ordentlich.

»Und die mit Sirup überzogenen Tennisbälle. ›Die alte Zier seiner Wangen ist schon gebraucht, Bälle damit zu stopfen.‹«

»Damit kann ich leider nicht mithalten«, sagte Miss Jones lächelnd.

»Aus ›Viel Lärm um Nichts‹.«

Captain Wise warf ihnen einen ungeduldigen Blick zu. »Nun, vielleicht können Sie mir verraten, was für ein Schauspiel Sie aufführen möchten, Strangeways. Wenn ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann …«

»Ja, natürlich.« Nigel starrte immer noch verträumt auf die Fotografie. »›Nun, möge dir Jupiter das nächste Mal, dass er Haare übrig hat, einen Bart zukommen lassen.‹ Ich sollte mir wohl erstmal Ishmael etwas genauer ansehen. Haben Sie eine Karte von der Gegend hier? Und ich würde mir gerne die Strecke der Schnitzeljagd ansehen.«

»Ich werde meinen Bruder bitten, Sie zu begleiten. Er ist der Verantwortliche für die Spiele und hat die Hinweise arrangiert.«

»Sie meinen, er hat sie sich ausgedacht?«

»Nein. Er hat sie an den verschiedenen Orten versteckt. Miss Jones hat sie verfasst. Sie hat einen Hang zur Literatur.«

»Sie scheint ein Ausbund an Tugend zu sein«, sagte Nigel galant. »Übrigens, wieso haben Sie einen der Hinweise so nahe am Unterschlupf des Einsiedlers versteckt? Haben Sie dadurch nicht erst Unannehmlichkeiten herausgefordert?«

Captain Wise machte einen merklich betroffenen Eindruck. Es war das erste Mal, dass er am eigenen Leib erfuhr, wie unumwunden sich Nigel auf Schwachstellen stürzte. Miss Jones kam ihm zur Hilfe.

»Ich fürchte, das war meine Idee. Old Ishmael ist ein ziemlicher Plagegeist. Sie können das auch in dem Bericht nachlesen, den ich Ihnen gegeben habe. Ich dachte mir, dass, wenn wir ein paar Gäste ein wenig am Rand des Walds herumstöbern lassen, er sich vielleicht auf und davon macht. Er mag es nicht, wenn man ihn in seiner Ruhe stört. Es war eine Art Gegenangriff – eine dumme Idee, vermutlich.«

»Weshalb wollen Sie die Strecke der Schnitzeljagd ablaufen?«, fragte Captain Wise.

»Um herauszufinden, wie das Mädchen die Blasen bekommen hat. Vermutlich ist es dort passiert und nicht im Camp, denn es ist ja niemand sonst betroffen.«

»Aber Sie glauben doch sicher nicht, dass Senfgas im Spiel war? Das wäre absurd. Sie macht generell keinen besonders gesunden Eindruck, und Dr. Holford hat herausgefunden, dass sie öfter Probleme mit der Haut hat.«

»Mhm. Trotzdem. Blasen sind mehr als ein übliches Hautproblem. Es muss ein ziemlich starker Reizstoff dafür verantwortlich sein.« Nigel platzierte sein Cocktailglas prekär auf der Armlehne seines Sessels. »Wer hat die Theorie mit dem Senfgas überhaupt verbreitet?«

»Ach, Sie wissen ja, wie Gerüchte entstehen«, erwiderte Captain Wise langsam. Er wirkte verlegen. Er will instinktiv seine Klientel schützen, dachte Nigel. »Mr Strangeways muss nur Dr. Holford fragen …«, warf Miss Jones ein.

»Ich denke, für den Moment brauche ich Sie nicht mehr, Miss Jones«, sagte der Direktor kühl. »Sie müssen das Programm für heute Abend noch vervielfältigen.«

Miss Jones errötete, reckte ihr Kinn und verließ das Zimmer. Captain Wise sah Nigel entschuldigend an.

»Ich muss das Mädchen etwas zügeln. Sie ist natürlich unersetzlich, aber manchmal nutzt sie das aus. Was war Ihre Frage? Ach, genau, wegen des Gerüchts. Also, tatsächlich war es ein junger Bursche namens Perry, der hier Urlaub macht – er führt eine Umfrage im Camp durch –, der als erster Senfgas zur Sprache gebracht hat. Taktlos von ihm, aber das war auch schon alles. Bedauerlicherweise hat das Mädchen eine Freundin, die Perrys Bemerkung zufällig mitangehört hat, und ich fürchte, sie hat sie sofort in Umlauf gebracht.«

»Ich verstehe. Gut. Erzählen Sie mir von Ihrem Mr Perry.«

Captain Wise berichtete von dem Fragebogen und erwähnte auch, dass Paul Bekanntschaft mit Mr Thistlethwaite geschlossen hatte. »Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser junge Mann hinter all dem steckt«, endete er.

»Die Psyche von jemandem, der solche Streiche spielt, ist oft recht seltsam.«

»Ja«, erwiderte Captain Wise trocken. »Miss Gardiner erinnert uns immer wieder daran. Sie ist eine Lehrerin, die hier Urlaub macht.«

»Möglicherweise wird sich herausstellen, dass Miss Arnolds Blasen überhaupt nichts mit dem Fall zu tun haben. Aber eventuell ist der Verrückte Hutmacher so geistesgegenwärtig, dass er sich diesen Vorfall zunutze macht und den Eindruck verbreitet, es handele sich um einen seiner Streiche. Was würde sich besser eignen, Panik zu schüren, als ein Gerücht über Giftgas?«

»Alles schön und gut, aber wir haben nicht einmal einen Ansatz für ein Handlungsmotiv …«

In diesem Moment läutete der Gong zum Mittagessen. »Ich habe veranlasst, dass Sie Ihre Mahlzeiten mit den Gästen einnehmen. Ich nehme an, Sie ziehen das vor?«

»Danke, ja. Sie selbst essen nicht mit den Gästen?«

»In der Regel nicht. Man muss überaus vorsichtig sein, niemandem den Vorzug zu geben. Wenn ich eine Art Kapitänstisch hätte …«

Einige Minuten später stellte Mr Thistlethwaite Nigel den anderen Leuten an ihrem Tisch vor – seiner Frau und Sally, Paul Perry und Albert Morley. Mr Thistlethwaites Tochter sagte Nigel zu. Ein wenig überdreht vielleicht, doch das war nach den Ereignissen in den vergangen zwei Tagen nicht anders zu erwarten. Er fragte sich, was hinter ihrer Haltung gegenüber dem jungen Perry steckte. Immer wieder zog sie ihn erbarmungslos auf, hörte plötzlich auf und beobachtete ihn unauffällig und unschlüssig verstohlen von der Seite. Auch Nigel machte sich diskret ein Bild von dem jungen Mann, der das Gerücht über das Senfgas in die Welt gesetzt hatte. Dunkel, reizbar, mit ein wenig hervortretenden Augen, die Spur eines Akzents aus den Midlands oder auch aus dem Norden, gelegentlich ein mürrischer Gesichtsausdruck (Konzentration? Befangenheit? Streitsucht? Wiederkehrende Kopfschmerzen?), ernst, kaum Sinn für Humor, vielleicht etwas selbstgefällig, mit einem ziemlich harten Kern, auch wenn das auf den ersten Blick nicht so wirkte, möglicherweise rachsüchtig – Nigel zählte in Gedanken seine Eindrücke auf.

Der Gegenstand seiner Beobachtung lehnte sich plötzlich über den Tisch und sagte zu ihm:

»Ich dachte immer, Amateurermittler gibt es nur in Büchern.«

Es war keine besonders elegante Gesprächseröffnung, aber Nigel vermutete, dass es weniger als Beleidigung gedacht, sondern eher charakteristisch für eine Person war, die versuchte, einen selbstbewussten Eindruck zu machen, indem sie Fremden gegenüber ungehobelt und überheblich auftrat. Er erwiderte gelassen, »Oh, aber nicht doch. Es gibt sie auch im echten Leben. Ich bin allerdings kein Amateur; ich werde bezahlt.«

»Nach Stunden oder Ergebnissen?«

»Das hängt ganz vom Kunden ab. Normalerweise verlange ich einen Honorarvorschuss plus Spesen.«

»Und was für Leute kommen zu Ihnen? Solche, die Angst davor haben, die Polizei einzuschalten?«

»Manchmal. Es kann auch eine Person sein, die von der Polizei verdächtigt wird, oder jemand, der verhaftet wurde und dessen Freunde an seine Unschuld glauben.«

»Was passiert, wenn Sie engagiert werden, um jemandes Unschuld zu beweisen, und sich dann aber dessen Schuld herausstellt?«

»Ich nehme keine Aufträge an, um jemandes Unschuld zu beweisen. Ich mache meine Arbeit, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Falls die Wahrheit sich gegen jemanden stellt, ist das sein Problem.«

»Das muss ein wunderbares Gefühl sein«, mischte sich Mr Morley ein, »für die Unschuld eines Mannes zu kämpfen, die dunkelsten Winkel der menschlichen Natur zu erforschen …«

»Vor allem, wenn man ein schönes, dickes Honorar dafür einstreicht«, sagte Paul Perry und ließ ein nervöses Grinsen aufblitzen.

Nigel war niemand, der so etwas unkommentiert ließ. Den Blick ruhig auf Paul gerichtet, fragte er, »Bin ich derjenige, den Sie missbilligen, oder sind es Privatdetektive im Allgemeinen?«

»Ich missbillige überhaupt nichts. Ich bin nur an den Fakten interessiert.«

»Ich auch, zufälligerweise. Und einer der ersten Fakten, die mir in diesem Fall begegnen, ist, dass Sie offensichtlich ausfällig sind. Daraus lassen sich mehrere Schlüsse ziehen. Wir könnten daraus zum Beispiel schließen«, fuhr Nigel in einem überaus sachlichen Tonfall fort, »dass Sie grundsätzlich eine ungehobelte Person sind; oder, dass etwas Sie verunsichert hat und es an dem erstbesten Menschen auslassen, der Ihnen begegnet. Oder, dass Sie irgendeinen Grund haben, sich vor mir zu fürchten, und mit dem Versuch, sich Ihre Angst nicht anmerken zu lassen, eben diese Angst verraten. Oder vielleicht haben Sie einfach etwas gegessen, dass Ihnen nicht bekommen ist.«

»Herrje!«, murmelte Sally Thistlethwaite und starrte Nigel mit aufgerissenen Augen an. »Jemand sollte einen Krankenwagen rufen.«

»Nichtsdestotrotz«, fügte Nigel hinzu, »unter Ihren Bemerkungen war eine, die sich als relativ aufschlussreich herausstellen könnte.«