„Frau Rabe ist so unentspannt“, regte sich Henry auf dem Nachhauseweg auf. „Sie hat sich auch geweigert, ihren Finger in das Marmeladenglas zu stecken. Dabei fühlt es sich so cool an, wenn die Ameisen über die Haut krabbeln. Mein Opa Heinrich hat mal seinen Arm bis zum Ellbogen in einen Ameisenhaufen gesteckt. Ist gut gegen Rheuma, meint er.“
Sie liefen einen Umweg durch den Park, um die Ameisen in einem Blumenbeet freizulassen.
„Aber dass Minnie auf das Klassenbuch gepinkelt hat, fand ich total witzig“, rief Max. „So einen Haustiertag könnten wir öfter machen.“
Paula schüttelte den Kopf. „Lieber nicht. Das ist Quälerei.“
Leni kicherte. „Ja, besonders für Frau Rabe. Lehrerquälerei.“
Paula half Henry, den Ameisen ein neues Zuhause unter einem Rosenstrauch zu buddeln. „Wisst ihr, was total unlogisch ist? Mogli hat Schulverbot und Baby nicht. Dabei ist Mogli im Vergleich zu Baby voll brav!“
Leni gab ihr recht. „Mogli ist quirlig und neugierig. Baby ist zänkisch und hysterisch …“
„… und ein totaler Schisshase“, ergänzte Henry. „Der panikt vor jeder Maus!“
„Das finde ich nicht schlimm. Jeder hat doch vor irgendetwas Angst“, sagte Leni. „Aber Mogli ist so neugierig, dass er mit jedem mitgehen würde. Das ist nicht ganz ungefährlich.“
Paula schüttelte den Kopf. „Quatsch, Leni, jetzt übertreib mal nicht. Mogli ist doch nicht doof!“
„Das hat nichts mit doof oder nicht doof zu tun, sondern mit Erziehung“, beharrte Leni. Sie war riesig stolz darauf, dass Lotta alle Hundeschulen-Prüfungen mit Auszeichnung bestanden hatte und sogar Schulhund geworden war.
„Ich hab Kohldampf“, stöhnte Max und hielt sich den Bauch. „Paula, wann macht deine Mutter mal wieder Pfannkuchen?“
Frau Wüst arbeitete von zu Hause aus und wann immer sie Zeit hatte, verwöhnte sie Paulas Freunde mit ihren Kochkünsten.
„Heute zum Beispiel.“ Paula lachte. „Wer kommt mit zu mir?“
Max begann, über das ganze Gesicht zu strahlen. „Super gerne. Ich soll mir Bohnensuppe in der Mikro warm machen, darauf habe ich überhaupt keinen Appetit. Aber vorher müssen wir Kiwi abholen, okay?“
„Socke wartet auf mich“, sagte Henry, obwohl Pfannkuchen sein absolutes Lieblingsessen waren. Frau Wonne war mit Baby Fritz im Urlaub und deshalb war Socke bei Henry in Pflege. Der Beagle hatte sicher schon große Sehnsucht nach ihm. „Ich komme später nach“, versprach er.
„Bei uns kocht heute Papa“, sagte Leni. „Und Mama hat uns das Versprechen abgenommen, wenigstens zu probieren.“ Sie seufzte. Ihr Vater kochte selten, aber wenn er sich in die Küche stellte, wollte er immer etwas ganz Besonderes zubereiten. Dazu suchte er sich ausgefallene Rezepte aus dem Internet und die funktionierten leider nicht immer.
Paula sah ihre Freundin mitleidig an. „Augen zu und durch“, sagte sie. „Sehen wir uns am Nachmittag?“
Leni nickte. „Ich bin sicher schneller bei euch, als ihr denkt. Hebt ihr mir einen großen Pfannkuchen als Nachtisch auf?“
Kiwi war so außer sich vor Freude, als Max ihn abholte, dass er gar nicht mitbekam, dass Paula den Mäusekäfig an ihm vorbei in den Schuppen schmuggelte.
„Hallo, Kleiner“, begrüßte sie den Border Collie dann zärtlich. „Es geht zu Mogli zum Spielen.“
Mogli und Kiwi verstanden sich ausgezeichnet.
„Die beiden könnten wirklich Geschwister sein“, sagte Paula ab und zu. „Sie haben denselben Unsinn im Kopf.“
Wie so oft war Max ganz ihrer Meinung. Vielleicht ging es Kiwi mit Mogli ja so wie ihm selbst mit Paula. Max mochte Paula so sehr, dass er sich heimlich wünschte, sie wäre seine Schwester. Mit Paula als Schwester würde er sich nie mehr allein fühlen, da war er sich ganz sicher.
„Mama, Mogli, ich bin’s. Ich habe Max und Kiwi zum Essen eingeladen!“, rief Paula, als sie die Haustür aufschloss. Der herrliche Duft brutzelnder Pfannkuchen waberte ihnen entgegen.
„Wie schön! Hallo, Max, hallo, Kiwi!“, begrüßte Paulas Mutter die drei und gab Paula einen Kuss. „War der Haustiertag schön?“ Sie kraulte Kiwi. „Die Hunde können auf der Veranda fressen. Ich stell schon mal die Näpfe raus.“
„Wo bleibt Mogli denn?“, fragte Paula verwundert. „Wieso begrüßt er uns nicht?“
Frau Wüst zuckte mit den Achseln. „Mogli war den ganzen Vormittag im Garten und hat Kaninchen erschreckt“, sagte sie. „Vorhin habe ich ihn kurz zum Milchholen mitgenommen. Vielleicht hat er sich ja jetzt ein gemütliches Plätzchen gesucht und döst.“
Paula rannte nach draußen und Max und Kiwi folgten ihr.
„Mogli!“, rief Paula. „Mogli! Kiwi ist da, Max ist da und ich bin da! Komm bei Fuß!“
Sie suchten Mogli im ganzen Garten, sogar unter den stacheligen Buschwindröschen.
Aber Mogli blieb verschwunden.
„Kiwi, such Mogli!“, forderte Max seinen Hund schließlich auf.
Paula hielt Kiwi einen Ball von Mogli vor die Schnauze, damit er Moglis Spur aufnehmen konnte. Aber Kiwi dachte offenbar, dass die Kinder mit ihm spielen wollten, und begann, den Ball durch den Garten zu rollen.
Paula war mittlerweile den Tränen nah. Sie rannte ins Haus und holte ihre Mutter, die gleich die Hundepfeife mitbrachte. Aber selbst darauf reagierte Mogli nicht.
„Paula! Guck mal hier!“ Max kauerte unter einem Ginsterstrauch und zeigte auf den Gartenzaun. Im Zaun war ein Schlupfloch, gerade groß genug für einen Jack Russell.
„Mama! Mogli ist weggelaufen!“, schrie Paula und konnte plötzlich gar nicht mehr aufhören zu weinen.
„Das darf doch nicht wahr sein“, empörte sich ihre Mutter. „Dieser ungezogene Hund! Komm mal her mein Schatz.“ Sie drückte Paula einmal ganz fest an sich und kramte dann in ihrer Hosentasche nach einem Taschentuch.
In diesem Moment ertönte fröhliches Hundegebell. Aber leider war es nicht Mogli. Socke trabte mit fliegenden Ohren in den Garten und fing an, sich mit Kiwi um den Ball zu kabbeln.
Hinter ihm tauchte Henry auf. „Hallo, ihr Knalltüten!“, rief er. „Habt ihr etwa schon alle Pfannkuchen weggemampft?“
„Mogli ist fort“, schluchzte Paula und zeigte auf das Schlupfloch.
Max, der mittlerweile wieder unter dem Ginsterbusch hervorgekrabbelt war, legte seinen Arm um Paulas Schultern. „Mogli taucht bestimmt gleich wieder auf. Vielleicht wollte er nur was nachgucken.“
Henry runzelte die Stirn. „Und was soll das sein? Ich schlage vor, dass wir ihn lieber suchen gehen. Aber zuerst müssen wir Leni und Lotta Bescheid sagen. Lotta findet Mogli in null Komma nix!“
Paulas Mutter schüttelte den Kopf. „Ihr zieht auf keinen Fall mit leerem Magen los, Kinder. In der Küche wartet ein ganzer Berg Pfannkuchen auf euch. Ich starte die Suche schon mal mit meinem Fahrrad. Mogli ist bestimmt noch nicht weit!“
Paula wollte widersprechen, aber sie hörte, dass Max’ Magen heftig knurrte. „Na gut“, sagte sie. „Dann esst halt schnell einen Pfannkuchen und ich rufe inzwischen bei Leni an.“ Auch wenn es ihrer Mutter überhaupt nicht gefiel: Paula bekam gerade keinen Bissen hinunter.
Sie trocknete sich die Tränen mit ihrem Ärmel und ging mit Max und Henry zurück ins Haus, während ihre Mutter eilig ihr Fahrrad aus dem Schuppen holte und losradelte.
Schweigend aßen die beiden Jungen die lauwarmen Pfannkuchen.
„Lecker“, murmelte Max schließlich, während Henry immer noch andächtig kaute.
„Ihr seid jetzt satt“, sagte Paula streng. „Los, wir dürfen keine Zeit verlieren!“