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„Ist das der Kerker?“, flüsterte Paula.

Leni nahm Paulas Hand.

„Ja genau, das ist er!“ Henry nickte eifrig. „Und jetzt fragt ihr euch bestimmt, wie wir da reinkommen, oder?“

Er wartete die Antwort nicht ab, sondern fummelte einen Schlüssel hinter der Dachrinne hervor. „Nicht verzagen, Henry fragen“, sagte er grinsend und ließ den Schlüssel an dessen Schnur hin und her baumeln. „Ich hab aufgepasst, als Tante Anneke meine Oma und mich hier mal herumgeführt hat.“ Er steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn zweimal um.

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„Super!“ Leni öffnete die schmale Tür, steckte den Kopf in den dunklen Raum und rief: „Mogli! Bist du da drin?“ Sie lauschte gespannt.

Ein helles „Wuff“ ertönte.

Lotta winselte und peste schwanzwedelnd los.

Jetzt hielt auch Paula nichts mehr und sie rannte Lotta hinterher. „Mogli, mein Süßer …“

Da kam der Jack Russel auch schon herbeigewieselt. Wie ein Flummi sprang er abwechselnd an Paula und an Lotta hoch und begrüßte die beiden voller Freude.

„Mogli, mein Schatz“, schluchzte Paula. „Ich hatte so doll Angst um dich …“ Dicke Tränen tropften auf sein Fell. Sie drückte den Terrier fest an sich. „Was … was machst du denn … für Sachen.“

Nun zwängten sich auch Kiwi und Socke an Leni vorbei und es gab ein wildes Begrüßungsgebell.

„Danke, Lotta“, strahlte Paula und umarmte den Golden Retriever. „Du hast einen riesigen Kauknochen bei mir gut.“ Dann nahm sie Leni in den Arm. „Danke, Leni, dass du so einen schlauen Hund hast!“

Nun bekam auch Leni nasse Augen. Vor Stolz!

„Ist das ein Geflenne. Wusste gar nicht, dass ihr solche Heulsusen seid“, meldete sich Max und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. „Irgendwie staubig “, murmelte er. Er tastete nach einem Lichtschalter. Plötzlich war es taghell. Max schaute sich staunend um. „Boah, lecker!“, stöhnte er. „Hier würde ich mich gerne einsperren lassen. Verhungern kann man in diesem Kerker tatsächlich nicht!“

Henry strahlte, als wäre er für die ganzen Leckereien, die sich in den Regalen türmten, höchstpersönlich verantwortlich. „Hab ich doch gesagt.“ Er schnappte sich eine Schachtel Kekse und wollte sie aufreißen.

„Henry! Das darfst du nicht!“, stoppte ihn Leni. „Lasst uns bloß von hier verschwinden.“ Sie legte die Kekse zurück.

„Ja, genau“, sagte Paula. „Schnell weg hier, bevor uns jemand entdeckt!“

Sie zog Moglis Hundeleine aus dem Rucksack, sicher war sicher.

Aber darauf hatte der Ausreißer gar keine Lust. Eilig kroch er unter ein Regal.

Henry legte sich auf den Bauch und linste darunter. „Ich fass es nicht“, rief er. „Da ist ein riesiger Vorrat Wurst und Kekse. Ich glaube, das sind meine Lieblingskekse. So eine Verschwendung!“

„Mogli, mach keinen Quatsch“, bettelte Paula. „Komm bitte raus. Zu Hause wartet auch leckeres Futter auf dich.“

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Leni schüttelte den Kopf. Paula hatte wirklich keine Ahnung von Hundeerziehung. „Damit kriegst du ihn nicht. Der ist doch satt bis über die Ohren.“ Sie warf Lotta Moglis Ball zu. Lotta kickte ihn zurück. Begeistert trabten Kiwi und Socke herbei, um mitzuspielen.

Mogli steckte neugierig seine Schnauze unter dem Regal hervor und legte den Kopf schief. Frechheit, schien er zu denken. Hatten seine Freunde etwa ohne ihn Spaß?

Gerade als Paula die Hundeleine an seinem Halsband einklicken wollte, sagte eine strenge Stimme: „Hab ich euch endlich erwischt!“

„T-t-t-ante Anneke“, stotterte Henry. „Hallo!“ Er blinzelte schuldbewusst.

„Heinrich Meyer! Ich fass es nicht. Dass du hinter den Einbrüchen in unsere Speisekammer steckst, hätte ich nie und nimmer gedacht! Das gibt Ärger, Freundchen!“

Henry schüttelte entsetzt den Kopf. „Was für Einbrüche? Damit haben wir nichts zu tun. Paulas Hund Mogli ist entführt worden, und Lotta hat ihn hier aufgespürt. Der Entführer hat ihn eingesperrt. Und weil ich wusste, wo der Schlüssel ist, konnten wir Mogli befreien.“

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Tante Anneke stieß einen Laut aus, der an den Schrei einer Lachmöwe erinnerte. „Eine noch verrücktere Räubergeschichte konntest du dir wohl nicht ausdenken, was? Mal sehen, was deine Oma dazu sagt. Oder noch besser, die Polizei. Denn Einbruch und Diebstahl sind Straftaten!“

Henry wurde vor Schreck knallrot.

Jetzt mischte sich Paula ein. „Guten Tag, ich bin Paula Wüst und das ist mein entführter Hund Mogli. Leni, Max und ich sind Freunde von Henry. Es tut mir leid, dass wir Ihnen so viel Stress machen. Ich gebe zu, dass alles gegen uns spricht. Aber was Henry sagt, stimmt. Sie können gerne meine Mama anrufen, die ist mit dem Rad vorausgeradelt, um nach Mogli zu suchen – ich wollte ihr sowieso gerade erzählen, dass wir ihn gefunden haben.“ Sie fummelte ein kleines Handy aus ihrer Hosentasche und hielt es Tante Anneke hin. „Hier, bitte! Wenn Sie auf die Eins drücken, wählen Sie Mamas Telefonnummer.“

Tante Anneke sah Paula zweifelnd an. „Mein liebes Kind, das mag ja sein. Aber wer soll deinen Mogli denn ausgerechnet hier eingesperrt haben? Der Weihnachtsmann?“

Plötzlich hob Mogli den Kopf und spitzte die Ohren. Dann flitzte er wie der Wind an Paula und Tante Anneke vorbei nach draußen.

Im selben Moment hörten sie: „Da bist du ja, Felix. Hast du dich ohne mich gelangweilt? Wollen wir spielen?“

Die vier Freunde und Tante Anneke schauten Mogli verblüfft hinterher.

Draußen kuschelte Emma mit Mogli. „Felix, mein süßer Felix“, sagte sie.

„Felix?“ Tante Anneke runzelte die Stirn. „Ich dachte, der Hund heißt Mogli!“

„Heißt er auch“, rief Paula und stürmte hinaus. „Bei Fuß, Mogli!“

Mogli rannte zu Paula und strich ihr um die Beine. Dann kehrte er wieder zu Emma zurück und drückte seinen Kopf gegen ihre Hand. Dabei linste er treuherzig zu Paula hinüber.

„Ja, was denn nun?“, fragte Tante Anneke. „Ich verlange eine Erklärung. Emma, ist das dein Hund? Hast du ihn heimlich von zu Hause mitgebracht? Du weißt, dass Haustiere im Kinderhaus nicht erlaubt sind!“

Jetzt reichte es Max. „Emma hat Paulas Hund gestohlen … und eine Dose Würstchen. Sie ist eine fiese Diebin!“

Leni nahm Paula die Hundeleine aus der Hand und leinte Mogli an. „Wir haben Beweise“, sagte sie. „Mogli hat eine Hundemarke. Damit kann man feststellen, dass der Hund Paula gehört. Bitte rufen Sie die Polizei. “

Tante Anneke sah Emma prüfend an. „Was sagst du dazu, Kind?“

Emma schob trotzig ihre Unterlippe vor. „Ich hab den Hund am Hafen gesehen. Er war so lustig und hatte Hunger und ich wünsche mir schon mein ganzes Leben einen eigenen Hund. Da habe ich ihn heimlich in den Bus geschmuggelt. Er kam aber ganz freiwillig mit. Und weil die Tür von der Speisekammer offen war, habe ich ihn dort versteckt und eine Dose Würstchen gemopst.“ Sie senkte den Kopf. „Würstchen mag ich fast so gerne wie Hunde. Aber mehr hab ich nicht geklaut. Ehrenwort.“

„Ach nee“, spottete Max. „Wer glaubt denn so einer frechen Lügnerin …“

Paula puffte Max gegen den Arm. „Na, komm, lass sie. Wenigstens hat sie jetzt die Wahrheit gesagt. Und wir haben Mogli.“

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Emma streckte Paula ihre Hand entgegen. „’tschuldigung“, sagte sie zerknirscht. „Aber wenn ich Hunde sehe, dann dreh ich völlig durch. Und dein Mogli ist ganz besonders süß. Können wir Freunde sein?“ Sie brach in Tränen aus.

Paula runzelte die Stirn. „Weiß ich noch nicht. Du hättest ja mal überlegen können, was du mit so einer Handlung anrichtest“, sagte sie schließlich. „Hinterher heulen kann jeder.“

Emma schluchzte laut auf. „Bitte, verzeih mir!“

Mogli begann zu jaulen, als wäre ihm jemand auf die Pfoten getreten. Er sprang an Emma hoch und leckte ihr über die Nase.

„Ihhh!“, quietschte Emma halb lachend, halb weinend. „Du hast Mundgeruch.“

Leni grinste. „Kein Wunder, bei dem, was du ihm in den letzten Stunden zu fressen gegeben hast …“

„’tschuldigung“, sagte Emma schon wieder. „Aber ich hab nur ganz wenig Geld, das reichte nicht für echtes Hundefutter. Wir sind doch noch eine ganze Woche hier.“

Tante Anneke seufzte. „So ein Affentheater! Wie auch immer: Hunde haben in einer Speisekammer nichts verloren. Ich brauche jetzt dringend eine Tasse Kaffee. Und habt ihr Lust auf Kakao und Zuckerschnecken?“

Henry fiel Tante Anneke um den Hals. „Danke-danke-danke!“

Leni klatschte in die Hände. „Pfoten, bei Fuß“, befahl sie. Als Letzter hörte Socke. „Worauf kaust du denn da herum?“, rief Leni und pulte ihm ein knallgrünes Stück Stoff aus dem Maul. „Eine Socke!“, rief sie überrascht und hielt das vollgesabberte Ding hoch.

„Wo hast du die denn gefunden?“ Tante Anneke lachte. „Also, meine Socke ist das nicht.“

„Vielleicht gehört die Socke ja dem echten Dieb!“, rief Emma. „Und der schlaue Mogli hat sie ihm abgejagt!“

Leni kicherte. „Und wie hat er das gemacht? Hat er ihm die Schuhe ausgezogen, oder was?“

Emma zuckte mit den Achseln. „Weiß nicht. Vielleicht ist er auf Socken in die Speisekammer geschlichen und Mogli wollte ihn fangen und hat nur die Socke erwischt. Oder der Dieb wollte ihn mit der Socke knebeln? Das habe ich mal in einem Krimi gesehen. In so einem echten, für Erwachsene …“

Tante Anneke jagte die Kinder aus der Speisekammer. „Das könnt ihr alles gleich überlegen. Erst mal raus hier!“

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