Die Leiterin der Heimvolkshochschule klopft dreimal in rascher Folge und öffnet die Haustür dann selbst. So machen wir das hier draußen, sagt sie, ich sehe überrascht aus. Hat denn niemand in Velling Sex, frage ich, schaut Pornos oder onaniert, dreimal klopfen, so schnell kriegt doch kein Mensch die Hose wieder hoch. Die Leute finden Mittel und Wege, sagt die Schulleiterin und nimmt zwei Tassen aus dem Schrank. Sie hat ein Päckchen schwarzen Tee und ein kleines Sieb gekauft, denn für meinen Pickwick hat sie nichts übrig. Das ist Tee für Kaffeetrinker, sagt die Schulleiterin, ein Schritt vor Ostfriesen, wer will denn so was. Sie war gerade drüben in der Schule, um Blumen in die Zimmer der Schüler zu stellen, nicht mehr lange, und sie kommen in blauen Bussen aus dem ganzen Lande angefahren. Dann ist es aus mit dem Frieden, sage ich, und mein Mutterschaftsurlaub ist auch bald rum. Die Schulleiterin dreht die Tasse langsam zwischen ihren Händen, während mein Sohn sich unter ihrem roten Kleid versteckt wie unter einem Zelt. Er braucht einen Namen, die Schulleiterin deutet runter zwischen ihre Beine. Sie sagt, die Leute fangen schon an zu reden, sie hat Kontakt zur Gemeindeverwaltung und weiß, dass die uns schon drei Verwarnungen geschickt hat. Du klingst wie ein Mafiaboss, sage ich. Die Schulleiterin hebt unseren Sohn hoch, er greift nach der Plastikblüte auf ihrer Haarspange. Bist du ein kleiner Nicolai, fragt sie ihn. Mein Sohn sabbert gleichgültig vor sich hin. Ein Name ist eine große Verantwortung, sage ich. Jeden Tag werden Lehrer diese Reihenfolge von Buchstaben aufrufen, wenn sie ins Klassenbuch schauen. Seinen Namen wird unser Sohn jedes einzelne Mal nennen müssen, wenn er einen anderen Menschen kennenlernt. Auf dem Spielplatz, in der Diskothek, bei Bewerbungsgesprächen. Er wird Dokumente mit diesem Namen unterzeichnen, den wir aussuchen, der Name wird in der Ecke von seinen Zeichnungen stehen, die wir an den Kühlschrank hängen werden. Er wird in die hässliche Keramikschale geritzt sein, die wir zu Weihnachten kriegen, und seine Tage auf einem Grabstein beenden. Bis dahin wird er in Krankenberichten stehen, auf Examensarbeiten, Mietverträgen, Lohnabrechnungen, Weihnachtskarten, in der Verbrecherkartei oder in Wikipedia. Man ahnt gar nicht, wo so ein Name überall hinkommt, sage ich. Die Schulleiterin schlägt Frederik vor. Ich verwerfe das rasch, mein erstes Kriterium sei, dass der Name sich reimen können muss. Konfirmation, sage ich, runde Geburtstage, jetzt hat man noch die Chance, sich das Leben ein bisschen leichter zu machen. Severin, sagt die Schulleiterin, Clementine. Die Betonung liegt nicht auf derselben Silbe, sage ich, wir suchen nach zwei Silben und Vokalendung, da wäre schon viel gewonnen. Du musst aus deiner Blase raus, sagt die Schulleiterin. Das ganze Jahr, seit wir in Velling wohnen, habe ich nichts als gekotzt, geboren und gestillt, und mein Sohn grinst mich an, als ob er damit nichts zu tun hätte. Er braucht einen Namen, und du brauchst einen Job, sagt die Schulleiterin. Es geht um Integration, die Erfahrung zeigt, dass unsere Lehrer nur hier wohnen bleiben, wenn die Ehepartner sich einfügen. Wir sind nicht verheiratet, sage ich. Dann schau zu, dass sich das ändert, sagt die Schulleiterin und deutet auf meinen Sohn, als wäre der ein stummes Argument. Sie ist von der provinziellen Angst erfüllt, dass neue Familien wieder verduften, während die örtliche Gemeinschaft gerade aufblüht. In ihrer Freizeit sucht die Schulleiterin mögliche Partner für Leute, damit die nicht wegziehen. Sie ihrerseits war als Tanzlehrerin bei einem Sommerkurs der Schule engagiert gewesen und hätte eigentlich nur vier Wochen bleiben sollen. Das ist jetzt dreißig Jahre her, so ist es vielen ergangen, der Ort hat so eine Art Schwerkraft, die es unmöglich macht, ihn zu verlassen. Die Lehrer und ihre Angehörigen erschaffen die Erzählung der Schule, sagt die Schulleiterin. Sämtliche Angestellten wohnen mit ihren Familien in Dienstwohnungen um das rote Klinkergebäude herum, als ob das eine Kirche wäre, das natürliche Zentrum einer hysterischen religiösen Gemeinschaft. Die Schule, das seid ihr alle, sagt die Schulleiterin und deutet auf mich. Ihre Stimme steigt und fällt, malt Bilder und macht Reklame. An der Straße Richtung Højmark ist ein Hofladen, man braucht einfach nur die Einfahrt runterzufahren und das Geld auf den Tresen zu legen, hundert Prozent Öko. Die Stadt ist voll von Start-ups und Idealisten und so vielen Vegetariern, dass man die Schweine damit füttern könnte. Nicht nur Nerzfarmen und Innere Mission, die Bauern reden auch über was anderes als Äcker, die Fischer über was anderes als Fisch. Was kannst du denn so, fragt die Schulleiterin und nimmt ihre Brille ab. Ihre Augen sind leuchtend türkisfarben, die Hängelampe über dem Tisch pendelt in ihrer linken Iris hin und her. Ich bin eine Art Orakel, sage ich, das weiß nur kaum wer. Orakel, murmelt die Schulleiterin und schaut drein wie eine, die sich auf die Lösung von komplizierten außenpolitischen Problemen versteht. Ich habe den starken Eindruck, dass die Stadt, vielleicht sogar das ganze Land nur durch sie funktioniert. Freundlich zieht sie ein paar Fäden, wo nötig, auch etwas unsanfter, verschiebt mit einem Wink ein paar Dünen, gleich haben alle freien Blick aufs Meer. Wir brauchen junge Kräfte, sagt die Schulleiterin und verpasst mir einen Job, den es nicht gibt und um den ich mich nicht beworben habe, während sie mich eindringlich mustert und flüsternd ein paar rasche Telefonate erledigt. Das war die Tageszeitung, sagt die Schulleiterin, da könnten sie tatsächlich wen für den Kummerkasten gebrauchen, für alle Altersgruppen. Ich hebe meinen Sohn ins Laufställchen. Viele Ehen werden auch gleich bei der Taufe geschlossen, sagt die Schulleiterin, zwei Fliegen mit einer Klappe. Er wird nicht getauft, sage ich. Die Schulleiterin nickt ein wenig, wie für sich selbst, und sagt, da reden wir noch drüber. Sie tut Tee und Sieb in die oberste Schublade, fürs nächste Mal. Danke, sage ich und kullere meinem Sohn einen gelben Ball zu. Wir in Velling wollen was, sagt die Schulleiterin. Ja, wir wollen was, sage ich.