Sebastian packt seine Gitarre ein. Bald werden wir beim Mittsommerfest von Velling auftreten, gerade haben wir unser Repertoire durchgesungen. Und, willst du am Wochenende zu Hause klaffen, frage ich, Sebastian seufzt. Er findet es nicht leicht, im hektischen Alltag Anregung zu finden, aber wenn seine Frau und er mal in Rente gehen, dann wird tüchtig geklafft. Ich mache Sebastian mit dem Ohrfeigensystem bekannt, das mein Liebster und ich entwickelt haben. Eine Zeit lang redeten wir ausschließlich über Feuchttücher, weil wir ja unablässig Windeln wechseln mussten. Wie kam es bloß, dass das oberste Feuchttuch im Päckchen immer fast trocken war. Stellten wir uns vielleicht beim Verschließen der Päckchen zu dusselig an, war die Marke, die wir benutzen, ein Vertreter der eher trockenen Sorte im Reich der Feuchttücher. Das warf eine lange Reihe Fragen auf. Waren unsere Feuchttücher überhaupt feucht genug, oder konnte man auch feuchtere Feuchttücher bekommen. Und wie feucht sollten Feuchttücher sein, damit man sie als Feuchttücher bezeichnen kann. Wir probierten verschiedene Marken aus, besprachen die Ergebnisse der Praxistests miteinander, befühlten sie und tauschten kritische Verbraucherblicke aus. Erst garnierten wir das mit ein wenig Ironie, schließlich hörten wir uns ja selber zu. Grinsend sprachen wir mit komisch verstellter Stimme, wenn wir uns über Feuchttücher unterhielten. Aber langsam holte uns der Ernst ein, unsere Stimmen bekamen einen wissenschaftlichen Beiklang. Wir bedachten die Feuchttücher mit Sternen, hängten eine Liste der verschiedenen Marken an den Kühlschrank. Erst kamen wir uns vor wie Detektive, dann wurden wir zu Robotern. Immer noch redeten wir über Feuchttücher, aber völlig mechanisch, was uns aber nicht auffiel. Die Schulleiterin musste uns mit der Nase daraufstoßen. Das wirke etwas ungesund. Wir protestierten der Form halber, wussten aber genau, sie hatte recht. Feuchttücher bestimmten unseren Alltag, sie waren so etwas geworden wie ein lärmendes Instrument, das wir überall mit uns herumtrugen, ohne zu bedenken, ob wir seine Klänge überhaupt mochten. Schockiert entdeckten wir, dass die Feuchttücher wiederum nur ein Symptom einer weit gefährlicheren Gesprächskrankheit waren, sage ich zu Sebastian. Wir mussten erkennen, dass keiner von uns beiden an so einer Kommunikation, wie sie unser Leben gerade bestimmte, teilnehmen wollte. Warum schläft er nicht ein, isst er genug, ist das Quietschen oder Weinen, hat er Bauchweh. Großäugig schaute unser Sohn uns zu, sagte aber niemals was. Manchmal lächelte er, manchmal kotzte er oder fabrizierte grünen Dünnschiss, aber er verriet nie etwas. Ich will damit nicht sagen, dass man gar nicht über praktische Dinge reden sollte, sage ich, das ist ja eine Notwendigkeit. Man kann sich auch dafür entscheiden, lange und gründlich darüber zu reden, aber es sollte eben eine bewusste Entscheidung sein. Sonst werden sämtliche Gespräche von Gespensterkindern beherrscht. Die wollen euer Zuhause erobern, sage ich mit einem eindringlichen Blick an Sebastians Adresse, sie wollen sich auf eurem Sofa breitmachen und Popcorn fressen, am Küchentisch sitzen und unaufhörlich reden, während ihr Essen macht, sie wollen die Stimmen der Radiomoderatoren und Nachrichtensprecher kapern. Sie wollen zwischen euch im Doppelbett liegen, flüstere ich, und euch in den Schlaf singen, bis euch vor lauter Überdruss die Lider zuklappen. Euer Zuhause, euer Leben sind dann nur noch Behältnisse für alle möglichen Problemthemen. Gemüsebrei, Getreidebrei, Milch, Pipi. Darum, sage ich, redet über die Dinge, die ihr tun solltet, während ihr sie tut. Lasst es nicht ausufern. Wenn das Kind hungrig ist, redet über Essen. Über Kacka, wenn ihr Windeln wechselt. Beim Einschlafen über Schlaf. Wer dagegen verstößt, kriegt eine gelangt, sage ich und verpasse mir selbst eine Ohrfeige. Und nicht nur so, als ob, sage ich mit erhobenem Zeigefinger. Ihr haut einander so feste eine runter, wie ihr nur könnt, weiße Handabdrücke auf blutroten Wangen, klappernde Kiefer, und wenn es ganz schlimm war, gleich noch eine auf die andere Wange. Dafür, dass es funkt, muss man selber sorgen, und das tut man nicht mit Sex, sondern mit Sprache. Geschlechtsverkehr ist eine Kommunikationsform, für die es nichts braucht außer gut funktionierenden Geschlechtsorganen, ein gutes Gespräch hingegen verlangt nach Erfindungsreichtum und Vertrautheit. Gebt euch Mühe, sage ich. Es ist so leicht, das Alltagsgespräch verlottern zu lassen, versucht, Wörter wie Leberwursthäppchen, Vollkornbrotreiterchen und Mohrrübenstäbchen zu meiden. Persönliche, vertrauliche Gespräche sind das Beste, was man dem geliebten Menschen schenken kann, die Vertrautheit, die durch lange Anekdoten entsteht. Stellt euch die Sprache wie ein raffiniertes Sexspiel vor, sage ich, schlagt euch selbst und schlagt einander. Tut das denn nicht weh, fragt Sebastian. Doch, sage ich, soll es ja auch. Ich habe schon Stillohrfeigen kassiert, Wickelohrfeigen und Feuchttücherohrfeigen. Jetzt reden wir gar nicht mehr über unser Kind, sage ich, versucht das mal, dann hakt es auch nicht mehr beim Klaffen.