In der Schule herrscht eine kollektive rituelle Depression, denn die Schülerinnen und Schüler müssen bald abreisen. Sie hätten es wissen können, es ist jedes Jahr dasselbe, sagt Sebastian, aber seine Frau ist immer wieder am Boden zerstört. In der Morgendämmerung hat der Keramikkurs sie abgeholt, die jungen Leute standen mit rot geschwollenen Augen vor ihrer Tür und wirkten ganz traumatisiert. Dann gingen sie dicht gedrängt zu einem Windrad runter, um ihren Namen darauf zu schreiben, aneinandergeklammert betrachteten sie den Sonnenaufgang. Beide Kinder wachten auf, schon hatte Sebastian den Salat, und das zwei Stunden, bevor Krippe und Kita aufmachten. Am meisten erboste ihn aber die tränenerstickte Version von Jeden Morgen geht die Sonne auf, die man bis hoch zu ihnen in der Küche hören konnte. Jetzt sind wir beim Schuljahresabschlussfest in der Schule, und zwar mit Anhang, das hat die Schulleiterin unmissverständlich klargemacht. Ihr seid auch ein Teil von der Erzählung der Schule, schrieb sie in die Einladung für die Partner der Lehrer. Wir sind in Hochstimmung, aber auch betrübt, denn der Abschied naht. Ein langer Schlaks läuft heulend in einem hellen roten Plüschkostüm mit Kaninchenohren herum, drei Lehrer gleichzeitig wollen ihn umarmen. Sebastian schaut mich an und erhebt seine Bierflasche. Während des Abendessens wird eine Nummer nach der anderen aufgeführt, die Festrede kann ich nicht hören, weil alle entweder zu laut lachen oder schluchzen. Ihr habt Eindrücke erhalten und Abdrücke hinterlassen, schluchzt die Keramiklehrerin, sie erzählt, dass sie noch nie einen Jahrgang hatte, dem der Rakubrand so grandios missglückt ist. Und nirgends festgetrockneter Ton am Werkzeug oder dreckige Drehscheiben, ihr habt wirklich Verantwortung übernommen, sagt sie, dann bricht ihre Stimme. Die Ökolehrerin hält eine Ansprache an die Erdkugel. Wir sind du und du bist wir, sagt sie. Wir ritzen unseren Namen in die Rinde der Bäume, aber eines Tages ritzen die Bäume zurück. Spätabends ist Preisverleihung. Mein Liebster gewinnt den goldenen Schwanz als sexiest Lehrer der Schule. Mit rotem Kopf nimmt er ihn aus den Händen von drei Schreibkurs-Schülerinnen in durchsichtigen Kleidchen entgegen und schaut dabei zu Boden. Ich klettere auf einen Stuhl und wedele mit den Händen. Und ich, kriege ich jetzt die goldene Möse, rufe ich, die müsste man bekommen, wenn man ein Kind zur Welt gebracht hat. Die Schulleiterin sagt, so was könnte man tatsächlich einführen, sie freut sich immer über neuen Input. Mein Liebster setzt sich mit dem goldenen Schwanz wieder hin, die Schulleiterin schenkt mir Rotwein nach. Emma und Malte ersteigen die Bühne und erklären mich zum Orakel des Jahres. Sie lesen am Mikrofon kurze Passagen aus meinen Kummerkastenartikeln vor, dazu läuft auf der großen Leinwand ein Clip mit meinen verschiedenen Einparkversuchen vor der Schule. Sie rufen mich auf die Bühne hoch, ich bekomme eine Wahrsagekugel aus Pappmaschee. Ich stelle das Mikrofon ein und sage, wenn eure Hirnlappen in ein paar Jahren zusammenwachsen, werdet ihr allmählich verstehen, worum es bei dem großen Ganzen geht. Ihr denkt, Jungsein ist eine Charaktereigenschaft, rufe ich. Ihr wandert durch eure Träume mit einem Ernst, als wären sie die reine Wirklichkeit. Euch kann die Zeit nichts anhaben, sie liegt vor euch wie eine unendliche Ebene, auf der ihr gegen Windmühlen kämpft. Ihr lebt nicht nur im Jetzt, ihr seid das Jetzt, und dafür lieben wir euch. Ihr lockt uns mit eurer glatten Haut und euren klaren Augen, wir aber wissen etwas, das wir euch verheimlichen. Eines Tages wird eure Haut lose von den Knochen hängen, Falten werden eure Gesichter zeichnen, und euer Haar wird sich lichten. Liebe junge Leute, sage ich. Älter zu werden, ist unerfreulich, aber das Leben wird auch ungefährlicher. Man lässt sich immer schwerer vom Kurs abbringen und überlässt anderen mit einem matten Winken die Bühne. Die Wachheit lässt nach, die Poren werden größer, der Körper macht es sich in weichen Falten gemütlich, nicht nur, weil er aufgibt, sondern auch, weil er Frieden findet. Bravo, ruft die Schulleiterin, die Leute fangen an zu klatschen. Die Tanzfläche füllt sich, aus den Lautsprechern ertönen lang gezogene, vibrierende Klänge von Sebastians Keramikschüsselchen. Unser Sohn ist auf zwei zusammengestellten Stühlen eingeschlafen, vorsichtig heben wir ihn in den Kinderwagen. Früh in der Sommerdämmerung hören wir die Krähen unten am Fjord rufen, wir bewegen uns auf das kleine rote Häuschen zu. Als der erste Zug unter der Brücke durchfährt, wiehern Nachbars Pferde, und hier sind wir, wir gehen nach Hause, mitten durch das wohlgeordnete, allmählich erwachende Velling.