Liebe jugendliche Ältere,

als zum ersten Mal ein Mann zu mir sagte, ich hätte mich ja gut gehalten, war ich sechsundzwanzig. Wenn ich mein Alter heute zufällig erwähne, versichert man mir in aller Regel, man sehe es mir gar nicht an, was übrigens eine Lüge ist. Ich habe immer älter ausgesehen, deutlich. Als Kind war ich darauf stolz, als Teenager war es praktisch, jetzt ist es mir egal. Allerdings provoziert es mich grenzenlos, wenn mir der Wunsch unterstellt wird, jünger auszusehen. Ich bin doch nicht etwas Essbares mit einem Mindesthaltbarkeitsdatum, das jederzeit ablaufen kann. Das Frausein ist schon seltsam. Wenn wir in der Pubertät unsere knospenden Brüste betrachten, verehren wir eine Macht, die wir kaum verstehen. Etwas verwirrt tanzen wir auf der Suche danach durch die Welt, hauen Leuten auf die Finger, die sie anfassen wollen, irgendwann werden wir dessen müde und denken: Ach Gott, was soll’s. Für eine Reihe von Jahren sind wir das Ziel des gesellschaftlichen Begehrens. Wir sind unbeschriebene Blätter, das Gegenteil des Todes. Wie alle anderen verwechseln wir Jugend mit Ewigkeit, bis wir irgendwann verblüfft feststellen, dass sie nur eine Leihgabe war. Am Ende gibt es niemanden mehr, dem wir auf die Finger hauen könnten, höchstens ein paar hungrige Kinder, und der Blick der Gesellschaft auf uns ist jetzt bestenfalls sentimental. Von den Brüsten wandert er zum Bauch und kriecht in den Kinderwagen, um dann lächelnd für den Beitrag zum Erhalt der menschlichen Gattung zu danken. Für eine kurze Zeitspanne werden wir behutsam behandelt, als Stellvertreterinnen von Mutter Erde. Liebe jugendliche Ältere. Männer wissen am besten, wie sie sich zum weiblichen Körper verhalten sollen, wenn etwas in ihn reingesteckt werden oder aus ihm rauskommen soll. Ansonsten wird es kritisch. Ratlosigkeit allenthalben. In reiner, ungetrübter Verwirrung und voller Mangel an Fantasie klammern sie sich jetzt an deine Oberarme. Herrgott noch mal!

Herzlichen Gruß, der Kummerkasten