Ich verlasse den Bahnhof von Skjern. Im Sprühregen wirken sogar die Häuser flach. Schau dir das mal an, sage ich und deute auf ein bizarres Gebäude. Es sieht aus wie ein postmodernes Kunstwerk aus den späten Achtzigerjahren, und mir vermittelt es das Gefühl, als hätte ich Hasch geraucht. Die Farbe des Hauptgebäudes ist ein Zwischending aus blassem Sonnengelb und welkem Beige, der Anbau rechts daneben ist schlicht und modern und könnte zum Beispiel Büros mit gestressten öffentlichen Angestellten beinhalten. Über dem Eingang des Hauptgebäudes ragt ein seltsamer Mittelturm empor, wird aber von einer braunen Markise, die an das Verdeck eines Kinderwagens erinnert, mit dem Boden verbunden. Zu seinen Seiten sind mit symmetrischer Liebe zwei mal zwei Bullaugen platziert, durch die das Haus den Bahnhof betrachtet, als wollte es die Reisenden überwachen. Der Stilmischmasch ist komplett, ich muss an einen betrunkenen Architekten denken, der während des Baus durch einen anderen, ebenso besoffenen ausgetauscht wurde, allerdings einen mit anderen Ideen. Gekrönt wird das Werk von einer langen Antenne, die im Himmel verschwimmt. Ich bin sprachlos, sage ich zu meinem Sohn, der mich zur Antwort ein bisschen vollsabbert. Ihre kleine Vera auf dem Arm, kommt Krisser durch die Schwingtür.

Wir setzen uns ins Hotelrestaurant in der Tür zur Küche tuscheln zwei ungefähr achtzehnjährige eineiige Zwillinge miteinander. Krisser zeigt auf sie, das sind Pia und Maria. Nein, umgekehrt, sagt die eine. Wir sind zusammen in der Krabbelgruppe, sagt Krisser und deutet auf mich. Die Zwillinge sagen unisono Hallo, das Lächeln gleitet über ihre Gesichter wie ein vorbeihuschender Zug. Als wir uns gesetzt haben, sage ich zu Krisser, ich dachte, wir wären Freundinnen. Ach, komm schon, sie schlägt mir auf den Rücken, man kann doch beides sein. Nach ein paar Minuten wedelt Krisser mit den Händen. Pia und Maria greifen gemächlich jede nach einer Speisekarte und bewegen sich in Zeitlupe auf unseren Tisch zu. Ich bestelle eine Fanta, Krisser will nur ein Mineralwasser. Mit oder ohne Zitrone, fragt Pia, ohne den Blick von ihrem Block zu heben. Du klingst, als würdest du mich fragen, lieber Erdbestattung oder Feuer, sagt Krisser, ist das Leben so schrecklich. Die Zwillinge blicken einander an und schütteln den Kopf. Arbeitskräfte fallen nicht vom Himmel, sagt Krisser, als Pia und Maria wieder bei der Bar sind. Die eine hält das Glas, die andere drückt auf einen Knopf, Wasser spritzt aus einer Maschine. Dass Krisser das Hotel Skjern gekauft hat, war teils Berufung, teils ein Start-up-Traum. In der Fantasie wurde das Projekt immer größer, und wenn sie mit funkelnden Augen in der Bank saß, waren sämtliche Berater bei der Vorstellung, Krisser eine Menge Geld zu leihen, hellauf begeistert. Alle wollten mit auf ihren fliegenden Teppich. Als sie ihren Küchenchef zum Bewerbungsgespräch dahatte, hielt er ihr einen langen, beeindruckenden Lebenslauf hin, den sie einfach nur beiseite wischte. Kannst du richtig anpacken, und kannst du einen Latte machen, ohne dass die Milch anbrennt. Ja, antwortete er, wobei er ihr in die Augen schaute, und wie alle anderen, die Krisser ansehen, wollte er nichts sehnlicher, als sie zufriedenzustellen. Ganz instinktiv will man es Krisser recht machen, einerseits weil das für alle am günstigsten ist, aber auch, weil man sie schnell ins Herz schließt. Sie wirbelte durch die Küche und gab ihren Angestellten Anweisungen, die, das gelang ihr auf wundersame Weise, wie Komplimente klangen, alle sagten, ja, Krisser, gern, Krisser. Sie stockte das Hotel um ein Geschoss auf, aus ganz Jütland strömten Gäste herbei, und Krisser führte sie im Sommer in der näheren Umgebung herum. Sie veranstaltete Ausflüge in das Naturschutzgebiet Skjern Enge und schipperte sie mit der Handseilzugfähre durch das Flussdelta. An der Furt des Flüsschens stürzte König Hans im Jahre 1513 und starb bald danach, das war die fatalste Lungenentzündung der dänischen Geschichte, sagte Krisser. Wie bitte, fragten die deutschen Touristen und fotografierten den alten Aussichtsturm. Pferd, Fluss, tot, sagte Krisser, gross König. Nickend starrten sie in die Luft, wo Krisser einen Fischadler entdeckt hatte, als hätte sie selbst den Vogel erfunden und am Himmel platziert. Noch hoch im neunten Monat war sie herumgewackelt und hatte Kunst für die neuen Zimmer bestellt. Rette mich vor bunten Bildern, sagte Krisser, sie behauptet, der Künstler Poul Pava habe die Geburt ausgelöst. Wir sind alle große Kinder, stand mit runden Blockbuchstaben auf einem Acrylgemälde von ihm, das ihr Mann in der Hochzeitssuite aufgehängt hatte. Das Bild zeigte einen Streichholzmann, der dem Betrachter mit einem unbeherrschten Lächeln entgegenblickt. Karsten, schrie Krisser, jetzt hört der Spaß aber auf. Als ihr Mann angerannt kam, war schon das Fruchtwasser abgegangen. Was ist denn verkehrt mit den Skagen-Malern, schrie sie, Krøyer, Ancher, Tuxen, da gibt es so viel Schönes. Ruf bei Theis an, ächzte Krisser, und ihr Mann griff zum Telefon, verzweifelt auf der Suche nach gerahmten Plakaten. Keine zwanzig Minuten später erblickte Vera im Zimmer 211 das Licht der Welt. Direkt unter Poul Pava, ausgerechnet, lächelt Krisser ihre Tochter an.