zwar kenne ich deinen Mann nicht, und kein Korinthenkacker ist wie der andere. Dennoch würde ich die Behauptung wagen, dass du mit einem Faktenhuber zusammenlebst, genau wie ich. Dieses uralte Charakterbild lässt sich als Freude an der oder Begeisterung für die Wahrheit übersetzen. Meinem Freund bereitet es regelrechte Übelkeit, wenn ich zu Verallgemeinerungen oder Vereinfachungen greife, dabei ist das doch nur ein unschuldiger Versuch, mir einen Überblick im Leben zu verschaffen. Dann schaut er mich traurig an und teilt mir mit, das Dasein sei dann doch etwas komplexer. Wir haben darüber gesprochen, dass ich nicht unablässig korrigiert werden mag. Als Partnerin musst du begreifen, dass Faktenhuber nichts dafür können. Sie mögen tatsächlich verbohrt wirken, aber dieses Urteil trifft daneben. Faktenhubern geht es nicht ums Rechthaben, sie haben einfach ein Liebesverhältnis zu Fakten. Genauigkeit ist ihr Lebensziel. Eigentlich dürften sie nur mit Gleichgesinnten die Ehe eingehen oder mit jemandem, der ihr Weltwissen zu würdigen weiß. Das Unglück passiert, wenn sie mit Gefühlshubern zusammenleben, also zum Beispiel mit mir, vielleicht auch mit dir. Ich hege eine große Zuneigung zu Gefühlen und finde, dass man sie ohne Weiteres wie Fakten behandeln kann. Liebe Korinthenkackergattin. Sieh doch auch mal die Komik der Situation, vielleicht hilft das. Mir ist aufgefallen, dass mein Freund immer anfängt, mit den Füßen zu zucken, wenn ich übertreibe oder eine Anekdote ungenau wiedergebe. Wenn mich niemand korrigiert, wird das Zucken allmählich heftiger, erreicht die Knie, ergreift die Oberschenkel. Irgendwann zucken sogar seine Schultern, und sein Kopf bewegt sich unwillkürlich hin und her, so unwiderstehlich ist der Drang. Irgendwann ruft mein Liebster, nein, nein, so war das nicht. Und sofort entspannt sich seine gesamte Muskulatur, sein Körper beruhigt sich und erschlafft wie nach einem besonders intensiven Orgasmus. Wenn ich mich über ihn geärgert habe, mache ich mir einen Spaß daraus, meinen Freund zum Wahnsinn zu treiben. Es ist eine Überlebensstrategie, und es ist mein gutes Recht. Ich singe ein Lied, das er kennt, ersetze dabei ein kleines Wörtchen durch ein anderes, das fast passt, aber ein bisschen daneben ist. Alle meine Gänschen, singe ich, mein Sohn klatscht mit, mein Liebster blickt betrübt aus dem Fenster, und mir fällt auf, dass er später am Tag eine Sammlung Kinderlieder aus dem Netz downloadet. Schwer zu sagen, ob das ein stummer Tadel sein soll oder ob er einfach nur das Wort Entchen hören muss, damit er heute Nacht einschlafen kann. Kurz bevor er ins Reich der Träume entschwindet, murmele ich wie im Halbschlaf, das Buch von Robert Bolaño, das ich gerade lese, ist wirklich gut. Mein Liebster steht auf, hellwach jetzt, und schleicht auf die Toilette. Roberto, flüstert er seinem Spiegelbild zu, RobertO.
Herzlichen Gruß, der Kummerkasten