Celeste
Ihr Herz schlug immer schneller. Mit jedem Schritt, den sie tat, wuchs das Kribbeln in ihrem Inneren an. Ihre Hände waren schwitzig und doch fühlte sie sich so frei wie lange nicht mehr. Die Winde der Berge wehten ihre roten Locken um ihr Gesicht. Ein Lächeln breitete sich darauf aus. Die Kutsche, aus der sie gerade gestiegen war, war vergessen. Jetzt zählte nur noch der Palast, der vor ihr lag.
»Celeste, warte bitte auf unsere Gäste!«, drang Simeas Stimme an ihr Ohr. Doch Celeste hörte nicht auf ihren Vormund.
Ihre Kutsche war die erste, die die Tore Samaras passiert hatte. Und seitdem war Celeste in Hochstimmung. Ganz egal, was alles in Sirena geschehen war. Sie war endlich wieder zu Hause. Und sie konnte es gar nicht erwarten, die ihr bekannten Gemäuer zu betreten und die von ihr so vermissten Menschen darinnen wiederzusehen.
Darum schlug sie auch Simeas Anweisung in den Wind.
Der Palast von Samara, der mitten auf einem Berg errichtet worden war, umgeben von Wasserfällen und nur durch Brücken mit dem Festland verbunden, war ein architektonisches Meisterwerk. Ein Blick über die Schulter verriet Celeste, dass die Kutsche von Nathaniel die nächste war, die über das Kopfsteinpflaster der Brücke fahren würde. Kiahs blonder Haarschopf blitzte aus dem Fenster und Celeste winkte ihm zu. Kiah lachte und erwiderte den Gruß.
Dann wandte sich Celeste ab, grinste Simea entschuldigend an und lief die Treppen hinauf zum Palast. Simea bedachte sie mit einem tadelnden Blick, aber das ließ die Priesterin kalt. Denn oben an der Treppe standen die Bediensteten und die Ordensschwestern des Palastes. Unter ihnen waren Wilma, die Köchin, Simeas Schwester Talina sowie ihr Mann Emilio. Und an Talinas Seite stand Laila. Das kleine Mädchen strahlte über das ganze Gesicht, als es Celeste erblickte, die mit eiligen Schritten die Treppe erklomm.
Laila löste sich von ihrer Mutter und rannte Celeste entgegen. Aus ihrer Kehle drang eine Mischung aus Kreischen und Quietschen und Celeste fing an zu lachen. Sie ging in die Knie und Laila sprang in ihre ausgebreiteten Arme.
»Lele, du bist wieder da!«
Celeste zog sie fest in ihre Arme und verbarg ihr Gesicht in Lailas braunen Locken. Sie hatte das Mädchen, das wie eine kleine Schwester für sie war, so sehr vermisst. Tränen liefen Celeste über die Wange, aber dabei lachte sie weiter vor Freude.
»Das bin ich. Du bist so groß geworden.«
Sie schob Laila etwas von sich und taxierte sie von oben bis unten. Ihre Locken waren länger als noch vor einigen Monaten und sie trug sie zu einem Zopf zusammengebunden. Sie sah einfach zauberhaft aus mit ihren leuchtenden hellblauen Augen.
»Hast du Nathaniel mitgebracht?«, Lailas Lächeln wurde breiter und Celeste hob eine Augenbraue.
»Und ich dachte, du freust dich, mich zu sehen.«
»Das tue ich auch, aber ich will auch Nathaniel wiedersehen. Wo ist er?« Laila sah den Kutschen dabei zu, wie sie sich dem Palast näherten.
Celeste lachte leise und deutete auf die Kutsche, die gerade auf dem Platz vor dem Palast hielt.
»Da drüben ist er.« Kopfschüttelnd sah die Priesterin dabei zu, wie Laila aufquietschte und die Treppen hinunterrannte.
»Freut mich auch, dich zu sehen, Laila«, kicherte Celeste leise.
Eine Hand legte sich auf ihre Schulter.
»Nimm es der Kleinen nicht übel. Sie hat seit Tagen nur von dir gesprochen, doch als wir ihr gesagt haben, dass auch Nathaniel wiederkommen würde, war es um sie geschehen.«
Celeste blickte zu Wilma auf. Die Köchin hatte wie immer ihre blonden Haare hochgesteckt und auf ihren Wangen klebte etwas Mehl. Celeste lächelte und zog sie in ihre Arme.
»Schön, dich zu sehen, Wilma. Auch dich habe ich sehr vermisst.« Celeste meinte es so. Wie oft hatte sie sich gewünscht, Rat bei Wilma suchen zu können? Die Köchin besaß so viel weise Lebenserfahrung und fand einfach immer die richtigen Worte.
»Ich habe dich auch vermisst, Liebes. Aber nun bist du wieder zu Hause, wo du hingehörst.«
Celeste nickte und presste sich an Wilma. Sie roch nach Schokolade und Teig und Celeste seufzte auf.
»Was hast du gebacken, dass du so gut duftest?«
Wilma lachte leise.
»Ich weiß doch, dass Nathaniel ein Süßmaul ist, daher gibt es allerlei Köstlichkeiten zu Ehren des Prinzen.«
Celeste schüttelte lachend den Kopf. Nathaniel hatte jeder Frau in diesem Palast den Kopf verdreht. Und am allermeisten Celeste. Sie blickte die Stufen hinunter und beobachtete ihn dabei, wie er aus der Kutsche stieg.
Er entdeckte Laila sofort, die sich lachend in seine Arme warf. Nate hob sie hoch und wirbelte sie durch die Luft. Bei diesem Bild erwachte eine Sehnsucht in Celeste, die ihr für einen Wimpernschlag den Atem raubte.
Nathaniel lächelte Laila an und übergab sie dann Elio, der sie lachend an sich drückte.
Celeste hatte diese unbeschwerte Art an Nathaniel vermisst. Und sie vermisste seine Nähe, seine Arme um ihren Körper. Doch plötzlich erinnerte sie sich daran, dass sie eine Aufgabe zu erfüllen hatte. Sie musste Nathaniel die Wahrheit sagen – und hatte keine Ahnung, wie.
»Wie ich sehe, hat sich einiges zwischen euch geändert.« Wilma sah sie mit einem schiefen Grinsen wissend an.
Celeste fühlte sich ertappt.
»Scheint so.«
»Das hört sich nach einer spannenden Geschichte an.«
Celeste legte den Kopf schief.
»Nicht so spannend, wie du vielleicht denkst.«
Wilmas Miene wurde ernst und sie sah erst zu Nathaniel, dann wieder zu Celeste.
»Meine Küche steht dir jederzeit offen, meine Liebe. Du warst lange nicht bei mir, es wird Zeit, dass du mich auf den neuesten Stand bringst.« Wilma lächelte Celeste an und der Priesterin war es, als würde eine große Last von ihren Schultern fallen. Sie konnte freier atmen und ihr Herz schmerzte nicht mehr so sehr. Sie war zu Hause, sie war nicht mehr allein, hier würden ihre Wunden endlich heilen können.
***
Nach ihrer Ankunft war die Priesterin von allen Ordensschwestern des Palastes begrüßt worden, sie hatten sie gar nicht mehr gehen lassen. Jede war gespannt darauf, was sie während der Reise erlebt hatte. Und Celeste hatte nachgegeben und ihre Geschichte erzählt. Anschließend hatte sie sich auf den neuesten Stand bringen lassen, was Samara betraf.
Nun stand sie mit zittrigen Fingern vor den Türen zu Nathaniels Räumlichkeiten und wusste nicht, ob sie anklopfen sollte oder nicht. Sie wollte ihn sehen, wollte sich in seine Arme werfen. Doch dann müsste sie ihm auch endlich erzählen, was sie herausgefunden hatte. Und wenn sie ehrlich war, dann fürchtete sich Celeste vor Nathaniels Reaktion.
Sie atmete tief durch und klopfte dann leise gegen das schwere Holz der Tür. Es dauerte keine drei Sekunden, da wurde die Tür von einem freudestrahlenden Yanis geöffnet.
»Celeste, schön Euch zu sehen.«
»Yanis! Ist Nathaniel da?«
Der Kammerdiener lächelte sie an, nickte und ließ sie dann eintreten.
»Er ist in seinem Schlafgemach. Geht ruhig hinein.«
»Danke, Yanis.« Sie lächelte ihn an, bevor sie zur Schlafzimmertür ging und sie ohne zu zögern öffnete.
Nathaniel lag auf seinem Bett, ein Buch in der Hand. Als die Tür sich öffnete, sah er erstaunt auf. Er hob eine Augenbraue, doch dann erstrahlte sein Gesicht in einem einzigen großen Lächeln.
»Schon mal etwas von Anklopfen gehört?« Sie wusste, er konnte nicht anders. Auch ihr Herz sprang vor Glück, ihn endlich wiederzusehen, noch dazu allein. Aber sie waren beide nicht in der Lage, es offen voreinander zuzugeben. Nicht nachdem, was geschehen war. Nathaniel grinste sie nur an und klopfte dann auf die Matratze neben sich.
Celeste kam der Aufforderung nur zu gern nach und setzte sich neben ihn.
»Ich muss mit dir reden.«
Nathaniel sah sie misstrauisch an.
»Das ist längst fällig, nicht wahr? Aber irgendwie habe ich das dumpfe Gefühl, dass es um etwas anderes geht als das, was ich erwartet habe. Also, rück raus mit der Sprache.«
Celeste fuhr sich durch die roten Locken und spielte mit einer einzelnen Strähne.
»Eigentlich habe ich sogar mehrere Anliegen.« Sie musste es loswerden, sonst würde sie an diesem Geheimnis noch ersticken.
Nathaniel rutschte zu ihr hinüber, sodass sich ihre Knie berührten. Ein Grinsen zierte sein hübsches Gesicht.
»War nicht anders zu erwarten, Kätzchen. Was gibt’s?«
Celeste sah ihm ins Gesicht. Der Zorn, der sich seit dem Anschlag in seinen grünen Augen festgesetzt hatte, war endlich einer Mischung aus Freude und Neugierde gewichen. Es war das erste Mal seit Tagen, dass sie ihm so nahe war.
»Du gehst mir aus dem Weg. Wieso?«
Die Tatsache, dass auch sie ihm aus dem Weg gegangen war, vor allem nach ihrem Gespräch mit Karim, ignorierte sie. Nate war ihr seit dem Anschlag ganz bewusst ausgewichen. Erst jetzt, da sie seine Wärme wieder spürte, wurde ihr klar, wie lange sie darauf hatte verzichten müssen und wie sehr er ihr wirklich gefehlt hatte.
Sie sah dabei zu, wie Nathaniel sich auf die Unterlippe biss und den Blick abwendete. Celeste meinte schon erstaunt, er würde ihr gar nicht antworten, aber dann seufzte er tief.
»Weil ich mich schuldig fühle wegen dem, was passiert ist.«
Celeste runzelte missmutig die Stirn.
»Aber warum? Dass der Anschlag passiert ist, war nicht deine Schuld. Ganz im Gegenteil. Ohne dich wäre ich tatsächlich ertrunken.«
Er drehte sich zu ihr um und jetzt sah Celeste so etwas wie Schmerz und Reue in seinen Augen. Nate griff nach ihrer Hand.
»Es tut mir leid, Kätzchen. Ich werde es wiedergutmachen, versprochen. Ich konnte dir einfach nicht mehr unter die Augen treten.« Seine Finger fühlten sich warm auf ihrer Haut an. Vorsichtig strich er über ihren Handrücken und zog dabei kleine Kreise.
Celeste betrachtete ihre verflochtenen Finger.
»Kannst du es jetzt?« Sie wollte, dass er sie ansah. Wollte wieder in diese grünen Augen blicken.
»Es ist nicht leicht für mich, aber ja. In deiner Nähe geht es mir besser.« Ein zurückhaltendes Lächeln umspielte seine Mundwinkel und er zog sie auf seinen Schoß. Ohne Protest schlang Celeste die Arme um ihn. Ihre Beine umschlossen seine Mitte.
»Dann ist es ja gut.«
Sie beugte sich zu ihm hinab und drückte ihre Lippen auf seinen Mund. Beinahe hätte sie aufgestöhnt. Zu lange hatte sie seine Lippen nicht mehr auf ihren gespürt. Nate erwiderte den Kuss. Seine Hände fuhren in ihre roten Locken. Doch viel zu schnell löste er sich wieder von ihr.
»Was liegt dir noch auf dem Herzen, Kätzchen?«
Celeste schluckte. Sie würde ihn lieber weiter küssen, als sich dem Thema zu nähern, weswegen sie eigentlich hergekommen war. Sie biss sich auf die Lippe. Doch sie wollte nicht feige sein.
»Du hast mich nach der Frau in Miros Leben gefragt. Erinnerst du dich?«
Nathaniel hob überrascht eine Augenbraue. Seine Hände wanderten über ihren Rücken und Celeste hatte Schwierigkeiten, klar zu denken.
»Hast du in den Briefen der Priesterin etwas herausgefunden?«
Celeste nickte entschieden.
»Ich glaube, diese Frau war Iolana selbst. So wie sie über Miro schreibt, liebte sie ihn. Ich bin mir sicher, dass Iolana tiefe Gefühle für den König hegte. Und scheinbar hat Miro diese Gefühle erwidert. Sie schieben immer wieder politische Gründe vor, um sich an den jeweils anderen zu wenden, aber ich kenne die Geschichte meiner Provinz. Es gab zu dieser Zeit keinen gravierenden Vorfall, der die Entscheidungsgewalt des Königs erfordert hätte.«
»Warum hat er sie dann nicht erwählt?«, Nathaniel sah sie fragend an, doch Celeste zuckte mit den Schultern.
»Das habe ich leider noch nicht herausfinden können. Die Briefe sind nicht geordnet, ich springe zwischen den verschiedensten Ereignissen hin und her. Und es ist vieles nur zwischen den Zeilen zu lesen. «
»Weihst du mich ein, sobald du mehr erfährst?« Hoffnung lag in seinem Blick und Celeste nickte. Sie wusste, dass Nathaniel Miro als großes Vorbild sah und dass es ihm wichtig war, mehr über diesen Mann und seine Lebensentscheidungen zu erfahren.
»Natürlich.«
Er zog sie an sich und bettete seinen Kopf an ihre Halsbeuge. Celeste spürte seine Lippen, die direkt über ihrer Halsschlagader ruhten und dort kleine Küsse verteilten.
»Gibt es in den Briefen schmutzige Details?«, nuschelte Nathaniel an ihrem Hals. Celeste lachte laut auf und zog sacht an seinem Haar, damit sie ihn ansehen konnte. Er grinste sie an.
»War ja klar, dass du das fragen würdest.«
Nathaniel stieß ein helles Lachen aus.
»Du kennst mich zu gut.« Er sah sie verschmitzt an und Celeste konnte nicht anders, als ihn erneut zu küssen. Sie musste einiges aufholen. In den Kuss hinein murmelte sie:
»Ich muss dich noch etwas fragen.«
Nate stöhnte an ihren Lippen auf, löste sich von ihr und sah sie dann mit hochgezogener Augenbraue an. Nicht erfreut darüber, dass sie schon wieder den Kuss unterbrochen hatte.
»Ich hätte für jede Frage einen Kuss verlangen sollen.«
Celestes Mundwinkel hoben sich kaum merklich an.
»Dafür ist es jetzt zu spät.« Und außerdem küsste sie ihn doch ohnehin schon die ganze Zeit.
»Bekomme ich danach noch einen? Ohne dass du mich weiter mit Fragen löcherst?« Er zog sie näher an sich und Celeste fuhr mit beiden Händen durch sein blondes Haar.
»Vielleicht.« Wenn es nach ihr ginge, würde sie in diesem Moment nichts anderes tun. Aber sie musste es hinter sich bringen. Nathaniel hatte die Wahrheit verdient.
»In den Briefen stand, dass Iolana einer Frau in Samara Zuflucht gewährt hat. Sie hatte ein Neugeborenes bei sich.«
Sanft schob Nathaniel sie etwas von sich, behielt sie aber auf seinem Schoß. Kritisch sah er sie an, etwas lauernd.
Zögernd fuhr die Priesterin fort.
»Ich habe Anhaltspunkte, die mich fast mit Bestimmtheit davon ausgehen lassen, dass diese Frau deine Mutter gewesen ist. Und das Baby du, Nate.«
Nathaniel schluckte ein paarmal heftig und zwinkerte mit den Augen. Dann starrte er ein paar Sekunden einfach nur ins Leere, in seinem Kopf ratterte es, das konnte Celeste förmlich sehen. Er schüttelte sich und sah sie dann direkt an:
»Die damalige Priesterin von Samara hat meiner Mutter geholfen und ihr Zuflucht gewährt. Aber wieso?«, fragte Nathaniel verwirrt.
Celeste hatte damit gerechnet, dass Nathaniel viele Fragen haben würde. Sie wollte versuchen, ihm mit dem, was sie selbst an Bruchstücken wusste, Rede und Antwort zu stehen.
»Weil Nanami sie darum gebeten hat. Deine Mutter war die Zofe der Königin, bevor sie aus Solaris floh.«
Nathaniel öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Dann räusperte er sich.
»Meine Mutter war eine Angestellte im Palast?«
»Ja.«
Mit zittrigen Fingern fuhr Nathaniel sich durch die Haare, die nun in alle Richtungen abstanden.
»Erwähnt Iolana, warum meine Mutter Solaris verlassen hat?«
Celeste atmete tief durch.
»Deinetwegen«, flüsterte sie dann.
Nathaniels Augen wurden groß.
»Wie meinst du das?« Der Griff um ihre Taille wurde fester, doch Celeste beschwerte sich nicht. Sie biss sich auf die Unterlippe.
»Was ich dir jetzt erzähle, weiß ich nicht aus den Briefen«, murmelte sie.
»Woher dann?« Misstrauen lag in Nates Stimme und seine Augen wurden schmal.
Der Zeitpunkt war gekommen, doch Celeste fühlte sich nicht bereit dafür.
»Ich weiß nicht, wie ich es dir am besten sagen kann. Ich glaube, ich weiß, wer dein Vater ist.« Ihre Stimme zitterte und sie hatte Angst, Nathaniel in die Augen zu sehen. Als sie es tat, sah sie die Fassungslosigkeit in seinem Blick.
»Wovon redest du da?«
Celeste musste sich zusammenreißen, kein hysterisches Lachen auszustoßen. Sie erinnerte sich in diesem Moment glasklar an seine Worte. Dass er niemals herausfinden wolle, wer sein Vater sei. Dass Unwissen besser sei als der Schmerz, den Celeste empfände. Und am liebsten würde sie ihn vor diesem Schmerz bewahren. Aber das stand ihr nicht zu.
»Ich … also – zur Göttin ist das schwer.« Sie seufzte und wandte den Blick ab.
Nathaniel beobachtete sie. Dann hob er ihr Kinn an und sah ihr tief in die Augen.
»Nun rede schon, Kätzchen.«
Sie musste es hinter sich bringen.
»Ich habe mit Lord Karim gesprochen.«
Verwirrung spiegelte sich in Nathaniels Augen wider, die denen seines Vaters so ähnlich waren.
»Was hat Lord Karim damit zu tun? Kannte er meine Mutter etwa?«
Celeste nickte vorsichtig.
»Er kannte sie nicht nur, er hat sie geliebt.« Ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. Sie hatte Angst davor, wie Nathaniel auf die Offenbarung reagieren würde. Doch er hob nur eine Augenbraue und lachte leise.
»Karim war in meine Mutter verliebt? Bist du dir sicher? Ich kann mir das nur schwer vorstellen.« Er schien noch nicht verstanden zu haben, in welche Richtung diese Unterhaltung gehen würde.
Celeste seufzte noch einmal.
»Nate, denk nach. Deine Mutter hat aus unerklärlichen Gründen ein Amt niedergelegt, wofür jede andere Frau töten würde. Sie hat ihre Heimat verlassen. Was glaubst du, wieso sie das getan hat?«
Seine Stirn legte sich in Falten.
»Ich habe mich immer gefragt, warum sie Solaris verlassen hat, habe aber nie eine Antwort darauf bekommen.« Ihn musste dieses Unwissen jahrelang gequält haben. Celeste hoffte nur, dass ihn die Erkenntnis nicht zerstören würde.
»Sie hat die Hauptstadt verlassen, weil sie mit dir schwanger war.«
Lachend zuckte Nathaniel mit den Schultern.
»Umso schlimmer. Warum hat sie das getan, wo sie doch besser umsorgt und aufgehoben gewesen wäre in ihrer gewohnten Umgebung, bei Menschen, die sie kannte? Das ergibt doch keinen Sinn.«
Celeste hätte am liebsten geschrien. Er verstand nicht, worauf sie hinauswollte. Eigentlich hatte sie gehofft, dass sie es nicht würde laut aussprechen müssen, doch sie hatte sich gründlich getäuscht.
»Wenn es sich bei diesem Kind aber um ein uneheliches handelt und noch dazu um den Sohn eines Lords, der im Dienst des Königs steht und bereits verheiratet ist, dann schon.«
Sie verstummte und sah Nathaniel an. Verschiedene Regungen rauschten über sein Gesicht. Verwirrung, Verständnislosigkeit, Unsicherheit. Dann kam die Erkenntnis und seine Augen weiteten sich.
»Du glaubst … ich bin … Karims …« Er sprach nicht weiter, sondern schüttelte nur ungläubig den Kopf, den Blick in weite Ferne gerichtet, wie festgefroren.
Celeste legte beide Hände an seine Wangen und fuhr sacht mit den Fingern über seine Haut.
»Ja. Ich glaube, dass Lord Karim dein Vater ist.«
Binnen Sekunden wurden Nathaniels Augen dunkel und er schob Celeste von seinem Schoß und stand auf. Er tigerte durchs Zimmer, sein Gesicht eine Maske des Schmerzes.
»Meine Mutter hätte niemals ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann angefangen. Du musst dich irren.«
Sie hatte geahnt, dass er es nicht gut aufnehmen würde. Auch, dass er seine Mutter verteidigen würde. Cara war ein Opfer ihrer Gefühle geworden.
Celeste zog die Beine an und sah vorsichtig zu Nathaniel auf.
»Siehst du denn nicht die Ähnlichkeit zwischen euch?« Warum nutzte er nicht seine Gabe, um zu erfahren, ob sie ihm die Wahrheit sagte? Er wollte es nicht wahrhaben.
Nathaniel fuhr zu ihr herum, ein gefährliches Funkeln in den Augen.
»Viele Menschen in diesem Land haben grüne Augen und meine Haarfarbe.«
Celeste stand auf und stellte sich Nathaniel in den Weg. Ihre Hände legte sie auf seine Brust.
»So abwegig ist diese Vermutung nicht. Karim hat mir bestätigt, dass er in jungen Jahren eine Frau namens Cara geliebt und eine Affäre mit ihr gehabt hat. Und dann hat sie plötzlich die Stadt verlassen. An wieviel Zufall glaubst du?«
Sie spürte seinen Blick auf sich und Celeste bemühte sich, den grünen Augen Stand zu halten. Doch dann schlich sich eine Wut auf sein Gesicht, die ihr Angst einjagte. Nate taumelte zurück und wischte ihre Hände von sich.
»Dieser Bastard!«, zischte er.
»Nate«, Celestes Stimme war sanft, aber eindringlich. Sie wollte ihn beruhigen. Er durfte jetzt nicht voreilig handeln. Doch als sie nähertrat, wich Nathaniel vor ihr zurück.
»Nein! Dieser Mistkerl hat meine Mutter verführt und sie entehrt. Seinetwegen musste sie ihre Heimat verlassen und ein Leben in Armut führen.« Seine Stimme donnerte durch den kleinen Raum und Celeste zuckte zusammen.
Sie hob beschwichtigend die Hände.
»Er wusste nicht, dass sie sein Kind erwartete.«
Wütend warf er die Hände in die Luft.
»Was spielt das für eine Rolle?« Seine Hände ballten sich zu Fäusten und Celeste hatte Angst, sich ihm zu nähern.
»Karim hat versucht, sie zu finden.« Zumindest hatte er ihr das gesagt. Celeste wusste nicht mit Sicherheit, ob der Lord in dieser Hinsicht die Wahrheit gesagt hatte, aber die Priesterin zweifelte nicht an seinen Gefühlen für Nathaniels Mutter.
Nathaniels Augen funkelten vor Zorn.
»Hat er dir das erzählt?«
Celeste nickte.
»Ja, er hat sie wirklich geliebt.«
Ein trockenes Lachen drang aus Nathaniels Kehle.
»Nicht genug, um seine Frau für sie zu verlassen. So etwas schickt sich eben nicht für einen feinen Lord.« Seine Stimme klang gehässig und Celeste konnte ihn nur zu gut verstehen.
»Nate, wir wissen doch gar nicht, ob nicht noch ein anderes Zerwürfnis zwischen ihnen vorgefallen ist.«
Er fuhr zu ihr herum. Unglaube in seinen Augen.
»Ergreifst du etwa Partei für ihn?«
Sie schüttelte schnell den Kopf.
»Nein, ich bin auf deiner Seite.« Das würde sie immer sein. Aber sie wollte nicht, dass Nathaniel etwas Dummes tat. Und in dem Zustand, in dem er sich befand, war das leider nur allzu gut möglich.
»Das klingt aber nicht so. Der Dreckskerl hat ein Leben in Reichtum geführt an der Seite einer Frau, die er hintergangen hat und mit einem Sohn, der immer nur das Beste bekommen hat, während meine Mutter und ich täglich ums Überleben kämpfen mussten.«
Der Zorn hatte wieder Besitz von ihm ergriffen und Nate warf einen der Stühle um, die neben seinem Bett standen. Celeste zuckte zusammen. Dann rannte er zur Tür und riss sie schwungvoll auf.
»Nate, wo willst du hin?« Er war bereits aus dem Zimmer gestürmt und Celeste bemühte sich, ihn einzuholen.
»Ich suche Karim«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Celestes Augen weiteten sich und sie versuchte, ihn am Weitergehen zu hindern.
»Bleib stehen. Tu bloß nichts, was du anschließend bereust.«
Nate schüttelte ihre Hände ab und sah sie wütend an.
»Ich bereue nur, dass ich es nicht schon früher gewusst habe. Ansonsten hätte ich Noah niemals zu meinem Höfling gemacht.«
Celeste sah ihn mitfühlend an.
»Er ist dein Bruder.«
Abrupt blieb Nathaniel stehen. Er griff nach ihren Händen und zog sie zu sich heran. Celeste sah ihn mit weitaufgerissenen Augen an, als sich seine Finger in ihre Haut bohrten.
»Sag das nie wieder! Hörst du?«, er spie diese Worte in Celestes Gesicht.
»Ich habe keinen Bruder und ich habe auch keinen Vater. Karim mag mein Erzeuger sein, weil er mit meiner Mutter geschlafen hat, aber das macht ihn nicht zu meinem Vater.«
Er stieß sie so hart von sich, dass Celeste Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten.
Celeste rannte ihm panisch um eine Ecke nach, hinter der Nate bereits verschwunden war. Zum Glück erblickte sie ihn dahinter noch.
»Willst du dich nicht erst beruhigen?«
Nathaniel blieb nicht stehen oder verlangsamte wenigstens seine Schritte. Er drehte sich nur einmal kurz zu ihr um. Seine Hände waren zu Fäusten geballt und sein Blick war mörderisch.
»Ich kann mich nicht beruhigen. Und wenn es nach mir ginge, könnten alle beide in der Hölle verrotten.«
***
Nathaniel
Die Wut rauschte durch seine Adern. Nate rannte durch die Gänge des Palastes. Er wusste genau, wo sich sein Ziel befand. Und er wollte Blut sehen.
Ihm war bewusst, dass Celeste neben ihm die ganze Zeit über keuchend auf ihn einredete, doch er hörte ihr nicht zu. Keines ihrer Worte drang zu ihm durch, er war zu wütend. Seine Hände verkrampften beinahe in ihrer Haltung und er hatte sich kaum noch unter Kontrolle.
»Nate, bitte!«, Celeste zerrte an seinem Arm, doch Nate lief einfach weiter. Sie konnte ihn nicht aufhalten.
Er hob die Hände und stieß die Türen zur Bibliothek auf. Die Holztüren prallten mit einem lauten Knall gegen die Wand und die Lords, die sich im Raum aufhielten, blickten erschrocken auf. Adrian, Simea und Karim saßen beieinander auf den Sofas und blickten neugierig in seine Richtung.
»Nathaniel. Ist alles in Ordnung?«, Simea erhob sich und sah ihn fragend an. Nate lief einfach an ihr vorbei und baute sich vor Lord Karim auf. Der Lord hob überrascht eine Augenbraue.
»Gibt es etwas, was du mir sagen willst, Vater?«, spie Nate die Worte aus. Er wusste, dass Celeste direkt hinter ihm stand, doch er ignorierte sie. Er hatte nur Augen für den Lord, der ihn verwirrt ansah.
»Ich verstehe nicht, wovon Ihr sprecht.«
Nate stieß ein bitteres Lachen aus.
»Ach wirklich? Dann hattet ihr keine Affäre mit einer Frau namens Cara? Dunkle Locken, schokoladenbraune Augen und zufällig die Zofe der Königin?« Nun, da er direkt vor Karim stand, konnte Nate die Ähnlichkeit förmlich riechen. Sie hatten dieselbe Augenfarbe. Auch Kinn und Nase waren gleich. Warum war ihm das nicht vorher aufgefallen?
Karim erhob sich und hob abwehrend die Hände. Nate erkannte die Verwirrung in seinen Augen. Und eine leise Panik. Der Lord sah an Nate vorbei zu Celeste, die betreten zu Boden schaute.
»Mein Prinz, ich …«, stammelte Karim, doch Nate fuhr ihm über den Mund.
»Dann ist es wahr?«
»Ich verstehe nicht …«, Karim wechselte einen Blick mit Adrian, der die Situation fassungslos beobachtete.
Aus Nates Kehle drang ein Knurren. Er hatte genug von dieser Farce.
»Was gibt es da nicht zu verstehen? Ihr habt meine Mutter geschwängert und zufällig bin ich dabei herausgekommen!«
Karims Augen weiteten sich und Nate war es so, als blickte er in einen Spiegel, in dem er eine ältere Version seiner selbst erblickte.
»Mein Prinz?«
Mit Nate ging der Zorn durch. Ohne darüber nachzudenken, ging er auf den Lord zu und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. Karims Nase gab ein hässliches Knacken von sich und Simea stieß einen spitzen Schrei aus.
»Nate!«, hörte er den entsetzten Schrei des Rotschopfs hinter sich.
Karim ging zu Boden, doch das reichte Nate nicht. Er ging auf die Knie und erneut kollidierte seine Faust mit dem Gesicht des Lords.
»Verschwindet aus diesem Palast!« Bevor seine Faust erneut ihr Ziel fand, wurde er an den Schultern gepackt und von Karim heruntergezogen.
»Beruhigt Euch, Hoheit!« Adrian hielt ihn fest, doch Nate wehrte sich gegen ihn.
»Lasst mich!«, donnerte Nate. Karim hatte es verdient. Dieser Mistkerl hatte es verdient, dass man ihn blutig schlug. Er sollte an seinem eigenen Blut ersticken für das, was er seiner Mutter angetan hatte.
Simea ließ sich neben Karim auf den Boden fallen und half dem Lord beim Aufstehen. Aus seiner Nase lief Blut, doch das schien Karim nicht zu stören. Er starrte Nate nur fassungslos an.
Erneut wollte der auf den Lord losgehen, dass Adrian ihn festhielt, schien er gar nicht zu registrieren. Doch dann stellte sich ihm Celeste in den Weg. Ihre karamellfarbenen Augen waren weit aufgerissen und sie blickte ihm verängstigt entgegen. Sie hob die Hände. Nate sah, wie sie zitterten. Doch sie legte sie trotzdem auf seine Brust.
Nate atmete heftig. Das Blut rauschte durch seinen Körper. Er sah zu dem Rotschopf hinunter. Der Blick aus ihren Augen ließ ihn seine unkontrollierte Tat augenblicklich bereuen. Sie war enttäuscht von ihm. Und er hasste es, sie zu enttäuschen.
Bevor er noch weitere Dummheiten begann, riss sich Nate von Adrian los und rannte aus der Bibliothek. Hinter ihm hörte er lautes Stimmengewirr, dann hastige Schritte, die ihm folgten.
»Nathaniel, warte«, schrie Celeste.
Nate rannte unentwegt weiter. Er war so dumm gewesen. Seine Gefühle waren mit ihm durchgegangen und er hatte es gewagt einen Berater des Königs ins Gesicht zu schlagen. Zwei Mal. Und das als zukünftiger Machthaber über dieses Land.
Celeste hatte ihn erreicht, ihr Atem ging stoßweise und sie stellte sich ihm in den Weg. Sie gab ihm einen Schups vor die Brust, damit er stehen blieb.
»Lass mich deine Hand sehen«, sie griff nach seiner rechten Hand, die bedrohlich pochte. Nate wollte sie ihr entziehen, er wollte nicht, dass sie die Hand hielt, mit der er gerade noch einen Mann geschlagen hatte. Doch Celeste hielt sie eisern fest.
»Die muss gekühlt werden. Komm, wir gehen auf dein Zimmer.«
Celeste sah ihn nicht an, doch sie begleitete ihn tatsächlich. Nate setzte sich auf sein Bett und betrachtete seine Finger. Karims Blut klebte an seiner Hand.
Der Rotschopf kam mit einer Schüssel und einem Handtuch aus dem Bad und kniete sich vor ihn auf den Boden. Nate musste beinahe lachen, aufgrund der Ironie des Schicksals. Sie hatten sich schon einmal in einer solchen Situation befunden. Doch damals hatte er sich nicht mit Karim, sondern mit Noah geprügelt. Das musste wohl in der Familie liegen.
»Celeste, bitte, lass mich allein«, flüsterte er. Er ertrug ihre Anwesenheit nicht. Sie sollte nicht schon wieder seine Wunden versorgen, nur weil Nate seine Wut nicht unter Kontrolle hatte.
Sie blickte auf und in ihren Augen lag ein besorgter Schimmer.
»Nein, das werde ich nicht tun.«
Nate seufzte leise.
»Wieso nicht?« Er wollte nichts weiter, als allein gelassen zu werden. Mit seinen Schuldgefühlen und der Reue.
Celeste schüttelte den Kopf.
»Weil du jetzt nicht allein sein solltest.« Sie griff nach seiner Hand und fuhr mit dem nassen Handtuch darüber. Nate zischte. Das Wasser in der Schüssel färbte sich rot, als sie das Handtuch darin eintauchte.
»Du kannst das nicht verstehen, Celeste.« Jegliche Kraft war aus seinem Körper gewichen und Nate ließ die Schultern hängen. Er wollte wirklich allein sein.
Doch Celeste hob ihre Hand und legte sie an seine Wange. In ihren Augen glitzerte es gefährlich.
»Dann erklär es mir.«
Nate hielt ihrem Blick stand. Ihre roten Locken flossen ihr über den Rücken und eine einzelne Strähne fiel ihr lose in die Stirn. Auch wenn sie nicht zurechtgemacht war, sah sie wunderschön aus. Ein Seufzen verließ seine Lippen.
»Meine Mutter war die einzige Familie, die ich jemals hatte. Es waren immer nur wir beide. Jedes Mal, wenn ich nach meinem Vater gefragt habe, sagte sie, ich sei ihm so ähnlich. Dass ich genauso aussähe wie er.« Er lachte verbittert. Diese Ähnlichkeit war ihm erst heute aufgefallen.
Er vermisste seine Mutter schmerzhaft. Sie war seit zehn Jahren tot und doch konnte Nate das Gefühl des Verlustes in seiner Brust nicht verdrängen.
Celeste griff nach seiner Hand und drückte sie. Den Schmerz, den er dabei verspürte, ignorierte er. Zu gut tat die Wärme ihrer Finger.
»Das muss hart für dich gewesen sein. Ein Leben, in dem keiner sagen kann, was morgen kommt. Ich kann es mir nicht einmal vorstellen«, gab sie zu.
Nate sah sie an und schenkte ihr ein schwaches Lächeln.
»Ist auch besser so.« Es war gut, dass sie wohlbehütet aufgewachsen war. Nate griff nach ihren Händen und verschränkte seine Finger mit ihren. Er hob ihre Hand an seinen Mund und hauchte einen Kuss darauf.
»Weißt du, manchmal sehe ich ihr Gesicht. An fremden Orten und unter fremden Menschen. Dann sehe ich sie und manchmal höre ich sogar ihre Stimme.«
Cara hatte eine sanfte und liebliche Stimme gehabt. Und wenn sie ihm vorgesungen hatte, wusste Nate, dass alles gut werden würde.
»Du vermisst sie. Das ist vollkommen normal.« Celeste strich ihm über das Gesicht. Ihre Finger tanzten auf seiner Haut.
»Sie hat gesagt, ich sei der Ursprung wahrer Liebe. Das Produkt von zwei Herzen, die sich über alles liebten, aber deren Liebe nicht sein durfte«, er lachte bitter. »In Samara hat sie alles für mich gegeben. Mir ein Zuhause geschenkt, auch wenn es noch so schäbig war.«
Der Rotschopf drückte sich an ihn und Nate verbarg sein Gesicht an ihrem Hals.
»Sie hat dich geliebt. Und sie hat deinen Vater geliebt. Das Leben kam ihnen nur in die Quere.«
Warum klang alles aus ihrem Mund so plausibel? Sie war die Ruhe selbst, auch wenn gerade seine Welt in Trümmern lag.
»Ich frage mich, warum er sich nicht für die Liebe entschieden hat.« Wie konnte ein Mann behaupten, eine Frau zu lieben, aber sich gegen ein Leben mit ihr entscheiden? Das war Nate ein Rätsel.
»Er hat die Pflicht gewählt«, war Celestes Antwort. Doch die war Nate nicht gut genug.
»Sie hat mir immer gesagt, ich solle die Liebe im Herzen tragen. Ich wünschte, sie könnte mich heute sehen. Sehen, wie weit ich im Leben gekommen bin. Und was aus mir geworden ist. Aber das kann sie nicht. Sie hat mich den Weg allein gehen lassen.« Seine Stimme wurde rau und Nate merkte, wie sich seine Augen mit Tränen füllten. Er presste Celeste fester an sich, damit sie nicht sah, wie ihm die Tränen über die Wange liefen. Er wollte nicht vor ihr weinen, doch er konnte es nicht verhindern.
Celeste strich ihm behutsam über den Rücken. Immer und immer wieder.
»Sie wäre bestimmt sehr stolz auf dich. Ich bin es.« Auch ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. Sie hielt ihn einfach fest und Nate war ihr dankbar dafür.
»Ich vermisse sie so sehr. Am meisten, wenn ich mich verloren fühle. So wie jetzt. Sie war immer für mich da, wenn ich nicht weiterwusste. Und nun habe ich niemanden mehr, der mir sagt, dass ich meinen Weg verloren habe.«
Er mochte berufen worden sein, doch Nate fragte sich, ob die Götter nicht einen gigantischen Fehler begangen hatten. Offensichtlich war er für das Amt des Königs nicht gut genug, denn er fiel wieder in alte Muster. Er war doch nur ein Kind aus der Gosse.
Celeste schob sich ein bisschen von ihm weg, auch wenn Nate das nur widerwillig zuließ. Er wandte den Blick ab, doch jetzt hob Celeste sein Kinn an und sah ihm tief in die Augen. Ihre Finger fuhren über seine Wangen und auch in ihren Augen schimmerten Tränen. Sie schniefte, bevor sie antwortete.
»Weil du das nicht hast. Du bist auf dem richtigen Weg. Und du hast mich. Wir haben einander.«
Eine Träne lief ihre Wange hinab, als sie sich zu ihm beugte und ihre Lippen auf seine presste.