Nathaniel
Es duftete nach Zimt, als Nate am nächsten Morgen erwachte. Als er die Augen öffnete, sah er ein rotes Meer. Celestes Locken waren quer über sein Kissen verteilt. Ihr Rücken war an seine Brust gedrückt und Nates Arm lag um ihre Mitte geschlungen. Es war das erste Mal, dass sie zusammen in einem Bett geschlafen hatten.
Ein Murmeln war zu hören und Celeste bewegte sich. Sie schlief noch und ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. Der vergangene Tag hatte ihn mitgenommen und er fühlte sich wie gerädert. Doch Celestes schlafende Gestalt in seinen Armen schenkte ihm die nötige Ruhe.
Nate wollte nicht aufstehen. Wollte sich nicht den Konsequenzen stellen, die sein gestriges Handeln mit sich bringen würde. Wenn es nach ihm ginge, würde er den Tag mit Celeste im Bett verbringen. Aber es ging nicht.
Sie hatten gestern die Vorhänge nicht zugezogen und die Sonne schien bereits mitten ins Zimmer. Es musste fast Mittag sein. Man erwartete sie sicher schon.
Seine Vermutung wurde bestätigt, als es leise an der Tür klopfte. Celeste richtete sich schlagartig auf, als sie das Geräusch hörte. Sie sah sich verwirrt um und erblickte Nate. Er fuhr sich durch die blonden Haare und lächelte sie zögerlich an.
»Morgen«, seine Stimme klang noch rau vom Schlaf.
Celestes Augen wurden groß.
»Heilige Göttin, wir sind eingeschlafen! Das durfte nicht passieren.«
Nate zuckte nur mit den Schultern.
»Ist doch nichts passiert.« Leider. Da hatte er einmal die Möglichkeit, mit ihr die Nacht in seinem Bett zu verbringen und sie hatten nichts weiter getan, als sich gegenseitig im Arm zu halten.
»Nathaniel? Bist du wach?«, drang Yanis’ Stimme durch die geschlossene Zimmertür.
Nate wollte ihn schon hereinbitten, als Celeste panisch mit dem Kopf schüttelte. Sie fuhr sich mit beiden Händen durch die roten Locken und versuchte, ihre Mähne zu bändigen. Nate grinste. Es gelang ihr mehr schlecht als recht. Ihre Haare waren zerzaust und standen in alle Richtungen ab. Ihm gefiel es.
»Komm rein, Yanis«, sagte er daher grinsend.
Celeste sah ihn wütend an und hechtete aus dem Bett. Yanis öffnete die Tür. Nate lag noch immer unter den Laken und grinste seinen Kammerdiener an, während Celeste sich hastig über die zerknitterte Bluse strich. Doch jeder Blinde konnte erkennen, dass sie die Nacht bei ihm verbracht hatte.
»Guten Morgen, Hoheit. Oh, Priesterin!«
Eine Röte zog sich über Celestes Wangen und auch Yanis sah peinlich berührt aus. Nur Nate störte die Situation nicht im Geringsten.
Sein Kammerdiener räusperte sich und war darauf bedacht, überall hinzusehen, nur nicht zu einem der Gotteskinder. »Noah hat nach Euch verlangt. Er wartet im Salon auf Euch.«
Bei diesen Worten verdüsterte sich Nates Gesicht. Celeste sah ihn abwartend an und er erkannte die Sorge in ihren karamellfarbenen Augen.
»Gib ihm eine Chance«, flüsterte sie.
Nate schnaubte nur.
»Sag ihm, ich komme gleich. Ich ziehe mich nur noch um.«
»Wollt Ihr vorher frühstücken?«, fragte Yanis zögerlich. Er trat von einem Fuß auf den anderen. Nate schüttelte nur den Kopf. Er würde nichts runterbekommen. Die Erkenntnisse von gestern lagen ihm zu schwer auf dem Magen.
Yanis nickte und verließ den Raum, doch nicht, ohne Celeste noch einmal neugierig gemustert zu haben. Die Priesterin seufzte tief, als Yanis die Tür hinter sich schloss.
»Willst du, dass ich bleibe?« Sie setzte sich auf die Bettkante und sah ihn mitfühlend an.
»Nein, aber ich wäre dir dankbar, wenn du mit Simea und Adrian sprechen könntest«, gab er zu.
Celeste sah ihn überrascht an.
»Was soll ich ihnen sagen?«
»Die Wahrheit. Ich werde mich noch persönlich bei ihnen entschuldigen, aber es schadet sicher nicht, wenn du sie vorher aufklärst.« Er war nicht sicher, ob er nicht erneut die Fassung verlieren würde, wenn er Adrian und Simea erzählen müsste, warum er gestern wie ein Irrer auf Karim losgegangen war. Dazu fehlte ihm die nötige Selbstbeherrschung.
Celeste griff nach seiner Hand.
»Ich werde ihnen von dem erzählen, was wir herausgefunden haben.«
Nate nickte bloß und fuhr sich wieder durch die Haare. Ihn erwartete eine Herausforderung. Er wollte sich nicht mit Noah unterhalten. Für ihn war dieser Kerl gestorben. Schuld daran war sein Vater. Ihr Vater.
Die Frage war nur, was Noah von ihm wollte. Würde er ihn zur Rechenschaft ziehen, weil Nate seinen Vater geschlagen hatte? Falls ja, dann war Noah der Nächste, der seine Faust zu spüren bekam.
»Ich gehe jetzt. Bist du sicher, dass du allein klarkommst?«, fragte Celeste unsicher.
Nate sah sie an. Die roten Haare hingen ihr wirr ins Gesicht und auf ihrer linken Wange war noch der Abdruck des Kissens zu sehen. Nates Mundwinkel zuckte bei diesem Anblick. Er griff nach ihrer Hand und zog sie zu sich. Bevor sie protestieren konnte, presste er seine Lippen auf ihre.
»Danke«, flüsterte er an ihrem Mund und Celeste wurde rot.
»Nicht dafür.«
Er ließ sie los und deutete mit dem Kopf zur Tür.
»Ich schaffe das schon, du solltest gehen. Versuche, einen Skandal zu verhindern.«
Celeste nickte und löste sich von ihm.
»Ich bin Diplomatin. Das ist eine meiner leichtesten Übungen.« Sie schenkte ihm ein letztes Lächeln, bevor sie sein Zimmer verließ. Nate stand vom Bett auf und zog sich an. Wenn er schon Noah gegenübertreten musste, dann würde er aussehen wie der Prinz, der er war.
Noah wartete bereits, als Nate den Salon betrat. Er hielt die Arme vor der Brust verschränkt. Nate kam nicht umhin, ihn genauestens zu mustern. Noahs Haare waren etwas dunkler als seine, mehr braun als blond. Und seine Nase zierte ein kleiner Höcker, den weder Karim noch Nate besaß. Doch das Kinn war dasselbe. Und von den Augen wollte er erst gar nicht anfangen. Dieses verdammte Grün!
Nathaniel räusperte sich. In Noahs Augen lag etwas, das Nate als Unsicherheit bezeichnen würde – oder aber Abscheu.
»Du siehst ihm wirklich ähnlich«, murmelte Noah plötzlich. Er hatte den Kopf schiefgelegt und taxierte Nate seinerseits mit zusammengekniffenen Augen.
»Das habe ich mir nicht ausgesucht«, presste der Prinz hervor. Nate verschränkte nun ebenfalls die Arme vor der Brust. Früher hatte er sich immer gewünscht, seiner Mutter ähnlich zu sehen. Heute wünschte er es sich mehr denn je.
Ein bitteres Lachen verließ Noahs Kehle.
»Verständlich. Wer will schon aussehen wie dieser Mistkerl?«
Nate seufzte frustriert. Er hätte im Bett bleiben sollen.
»Was willst du, Noah?«
Missmutig runzelte Noah die Stirn und fuhr sich mit den Händen durch die Haare.
»Ich habe gerade erfahren, dass ich einen Bruder habe. Was glaubst du, was ich will?«
Die Augen des Prinzen wurden bei diesen Worten schmal.
»Du bist nicht mein Bruder«, knurrte er.
»Da habe ich etwas anderes gehört«, entgegnete Noah kalt.
»Mir ist egal, was du gehört hast«, stieß Nate zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Ich habe keinen Vater und damit auch keinen Bruder. Karim hat meine Mutter geschwängert, mehr nicht.« Wieso sich seine Mutter ausgerechnet in einen verheirateten Lord verliebt hatte, war Nate noch immer ein Rätsel.
»Ich weiß, dass du wütend auf ihn bist. Das bin ich auch. Immerhin hat er meine Mutter betrogen.« Noah ballte die Hände zu Fäusten und tigerte jetzt durch den Raum.
Nate hob nur eine Augenbraue.
»Das ist eine Sache zwischen dir und Karim. Das geht mich nichts an.«
Sein Höfling blieb stehen und sah ihn fassungslos an.
»Es geht dich sehr wohl etwas an. Ohne diese Affäre wärst du nie geboren worden.« Er trat auf Nate zu und lachte verbittert.
»Meine Mutter hat mir von der Liebschaft meines Vaters erzählt, als ich älter wurde. Daraufhin habe ich Nachforschungen angestellt. Er war häufig im ganzen Land unterwegs, irgendwann dann nur noch in Samara. Er wollte sie finden und er hatte wohl Informationen erhalten, dass seine Geliebte sich dort aufhält.«
Celeste hatte also die Wahrheit gesagt, Karim hatte versucht, seine Mutter zu finden. Nur war es ihm nicht gelungen.
Wie ein Schlag traf Nate dann die Erkenntnis. Er wusste plötzlich wieder, warum Karim ihm bei ihrer ersten Begegnung bekannt vorgekommen war. Er war ihm tatsächlich schon begegnet – in Samara. Damals, als er noch für Mic gearbeitet hatte. Lord Karim war bei Nates früherem, zwielichtigen Arbeitgeber aufgetaucht und hatte ihm Geld geboten, um eine Frau aufzuspüren. Mic hatte sich häufig über den verliebten Lord lustig gemacht, der ihn reich machen würde.
»Er hat uns beide hintergangen«, fuhr Noah ihn an.
Nate zuckte nur mit den Schultern.
»Und?«
Noahs Augen funkelten bedrohlich.
»Willst du dich nicht an ihm rächen?«
»Was soll das bringen? Es wird nichts daran ändern, was passiert ist.« Warum sollten sie sich über etwas den Kopf zerbrechen, das mehr als zwanzig Jahre zurücklag?
»Wie kannst du dabei so ruhig sein?«, herrschte Noah ihn an. Der Sohn des Lords warf die Hände in die Luft und stapfte wütend durch den Salon.
»Ich bin der Prinz dieses Landes und Lord Karim ist Berater des Königs. Wir sind alle erwachsen und müssen lernen, damit umzugehen.« Dieses Gespräch ging ihm langsam auf die Nerven, doch Celeste würde stolz auf ihn sein. Er verhielt sich seinem Amt entsprechend.
»Was redest du bloß für einen Schwachsinn?« Noah griff wütend nach einer der Karaffen, die auf einem hölzernen Tisch standen, und warf sie in den nahegelegenen Kamin. Mit einem lauten Knall zersprang die Flasche in tausend Stücke. Die Augen des Prinzen wurden schmal, doch er zuckte nicht einmal zusammen.
»Pass auf, was du sagst, Noah. Du sprichst mit dem Sohn der Sonne«, zischte Nathaniel. Wenn Noah ein Problem mit seinem Vater hatte, dann sollten die beiden es unter sich klären.
Plötzlich wurde Noah ruhig, in seinen Augen blitzte es, als er sich mit folgenden Worten an Nate wandte:
»Denk doch mal nach: Du hast mich als deinen Höfling engagiert, damit ich dir zu Diensten bin. Wie könnte ich das besser, als Karim dafür büßen zu lassen, was er uns angetan hat?«
Nate stieß ein genervtes Stöhnen aus und rieb sich mit der Hand über die Stirn.
»Ich will ihn für nichts büßen lassen, Noah. Aber wenn wir schon dabei sind, Tacheles zu reden: Ich glaube, es ist für alle das Beste, wenn du nicht mehr zu meinem Hofstaat gehörst.«
Für einen kurzen Augenblick lang war es totenstill im Salon. Noah sah ihn fassungslos an, dann wurden seine Augen dunkel.
»Ich dachte, wir wären Freunde. Ich hatte sogar angenommen, wir könnten Brüder sein.«
Brüder. Erneut dieses Wort. Warum verstand niemand, dass Nate keinen Bruder brauchte? Und auch keinen haben wollte.
»Du hast dich geirrt. Wir waren vielleicht Freunde, aber das ist jetzt vorbei. Und egal, was passiert, wir werden niemals Brüder sein.«
Cara allein war seine Familie gewesen. Doch seine Mutter würde nicht zurückkommen, um das Schlamassel, was sie angerichtet hatte, wieder geradezubiegen. Doch Nate wollte die Erinnerungen an seine Mutter nicht trüben. Er hatte sie geliebt und auch, wenn er gerade wütend auf sie war, wollte Nate ihr Andenken nicht beschmutzen.
»Das ist dein letztes Wort?«, presste Noah hervor. Er sah so aus, als hätte Nathaniel ihm ins Gesicht geschlagen.
»Ja«, Nates Stimme war gnadenlos. Er wollte Noah nicht mehr sehen. Der Anblick seines Höflings würde Nate nur immer daran erinnern, dass er das uneheliche Kind von Lord Karim war. Einem Lord, der bereits eine Frau und einen Sohn hatte.
Noah starrte auf den Boden vor sich. Sein Körper bebte, als wäre er kurz davor, auf Nate loszugehen. Doch er riss sich zusammen.
»Wie Ihr wünscht, Hoheit.«
***
Celeste
Celeste traf Nathaniel einige Stunden später in ihrem Zimmer. Er sah ausgelaugt und müde aus. Sie trat auf ihn zu und legte ihre Hände auf seine Brust. Von da fuhr sie seinen Hals hinauf, bis zu seinem Haar.
Nathaniel seufzte und lächelte sie an.
»Konntest du mit Simea und Adrian reden?« Er zog sie an sich und seine Finger zogen kleine Kreise an ihrer Taille.
Sie nickte.
»Ja.« Die letzten zwei Stunden hatte Celeste nichts anderes getan, als Simea und Adrian ins Bild zu setzen. Sie hatte ihnen alles erzählt. Von den Aufzeichnungen Iolanas und ihrer Unterhaltung mit Karim.
»Sind sie sehr enttäuscht von mir?«, Nathaniel hatte die Augen geschlossen, doch Celeste sah die Anspannung auf seinem Gesicht. Sie fuhr ihm über die Wange.
»Nein, das sind sie nicht. Nachdem ich ihnen erklärt hatte, worum es geht, waren sie sehr verständnisvoll. Simea hat es auch übernommen, den König darüber zu informieren.«
Celeste sah, wie Erleichterung über Nates Gesicht zog.
»Danke. Ich hoffe, die Angelegenheit wird nicht zu sehr aufgebauscht.«
Sie setzten sich auf ihr Bett und Celeste biss sich auf die Unterlippe.
»Ich fürchte, das ist bereits geschehen. Karim musste in den Krankenflügel, wo Malia sich seiner angenommen hat. Vermutlich weiß es bereits der ganze Palast.«
Nathaniel stöhnte auf und ließ sich aufs Bett fallen.
Ein leises Lachen verließ Celestes Mund.
»Wie war das Gespräch mit Noah?« Es hatte sie in den Fingern gejuckt, nach ihm zu sehen, um sicherzugehen, dass es ihm gut ging und er sich zu keiner weiteren Schlägerei hatte hinreißen lassen. Aber Celeste hatte warten wollen, bis Nate zu ihr kam. Er brauchte Zeit für sich.
Nathaniels Gesicht verfinsterte sich und ein harter Zug legte sich um seinen Mund.
»Ich habe ihn aus meinem Dienst entlassen.«
Celeste entglitten die Gesichtszüge.
»Du hast was?« Ihre Stimme war eine Spur zu hoch.
Nate sah sie nicht an.
»Du hast mich schon verstanden.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Warum hast du das getan?« Damals hatte sie nicht verstanden, warum Nate Noah in seinen Hofstaat aufgenommen hatte, er kam ihr so unnahbar und zwielichtig vor. Doch Noah hatte sich verändert und entwickelt und mittlerweile stand er Nate sehr nahe und sie verstanden sich gut.
»Ich will nichts mehr mit ihm oder seinem Vater zu tun haben.« Nathaniel sah sie bei seinen Worten nicht an.
»Nate, sie sind deine Familie.« Wenn auch unfreiwillig.
Nate setzte sich auf und sah sie wütend an. Seine grünen Augen funkelten.
»Nein, das sind sie nicht.« Wie ein kleines Kind verschränkte er die Arme vor der Brust.
Celeste seufzte.
»Das sagst du jetzt, weil du zornig und enttäuscht bist. Aber deine Gefühle können sich ändern.« Sie konnte verstehen, dass er Zeit brauchte. Sie konnte seinen Zorn verstehen. Doch darum heute eine impulsive Entscheidung zu fällen, die er vielleicht eines Tages bereuen würde, empfand sie als falsch.
Nathaniel schüttelte langsam den Kopf.
»Ich werde meine Meinung nicht ändern, egal, was du sagst.«
»Willst du nicht noch einmal darüber nachdenken? Du hast nach all den Jahren endlich herausgefunden, wer dein Vater ist. Und du hast sogar einen Bruder. Willst du das einfach so wegwerfen?« Sie konnte nicht verhindern, dass sie euphorisch klang.
»Ich sage es dir noch einmal: Ich habe weder einen Bruder noch einen Vater.« Er hielt die Hände im Schoß gefaltet. Und starrte darauf. Sein ganzer Körper war angespannt. Auch ohne ihre Gabe wusste Celeste, dass der Zorn von ihm Besitz ergriffen hatte.
»Sie sind allein, genau wie du«, flüsterte sie. Auch Noah hatte seine Mutter vor einigen Jahren verloren und Celeste wusste, dass das Verhältnis zwischen Noah und Karim nicht das beste war. Sie alle brauchten jemanden, der ihnen dabei half aufeinander zuzugehen.
Nate stand schlagartig auf und fuhr zu ihr herum.
»Meine Mutter ist unersetzlich. Karim und Noah können diesen Platz nicht füllen.« Seine Stimme donnerte durch den Raum und Celeste konnte mit Mühe ein Zucken unterdrücken.
Sie würde seine Wut nicht an sich herankommen lassen.
»Lass es sie doch wenigstens versuchen.«
Ein Kopfschütteln war die Antwort.
»Ich bin lieber allein, als Karim oder Noah als meine Familie zu betrachten. Hast du das verstanden?« Seine Stimme klang harscher, als Celeste erwartet hatte.
Sie stand ebenfalls auf und baute sich vor ihm auf. Die Arme vor der Brust verschränkt.
»Nein, ich verstehe dich nicht. Ich wäre froh, überhaupt eine Familie zu haben. Und du bekommst eine auf dem Silbertablett serviert und willst sie nicht.« Es war für sie unbegreiflich.
Nate stieß ein hartes Lachen aus.
»Ich wusste, dass du mich nicht verstehen würdest.«
Celeste war es so, als hätte er sie ins Gesicht geschlagen. Sie schluckte.
»Was meinst du damit?«, fragte sie mit zittriger Stimme.
Sie blickte zu Nate, doch er sah sie nur mit kalten Augen an.
»Du bist so besessen von der Idee einer kleinen, perfekten Familie, dass du nicht akzeptieren kannst, dass andere das nicht wollen.« Seine Stimme wurde immer lauter und Celeste wollte sich am liebsten die Ohren zuhalten.
»Ich will keine Familie. Ich brauche keine Familie. Ich brauche niemanden.« Seine Augen funkelten sie an. Das Grün war dunkler als sonst. Doch das, was Celeste so zu schaffen machte, war der blanke Zorn, der darin lag.
Ich brauche niemanden, hallte es in ihrem Kopf wider. Das waren seine Worte gewesen und jede einzelne Silbe brach ihr Herz.
Nate sah sie ein letztes Mal mit kaltem Blick an, dann drehte er sich um, lief zur Tür und verließ den Raum.
Celestes Augen füllten sich mit Tränen. Als jemand das Zimmer betrat, wischte sie sich rasch darüber. Als sie den Blick hob, erblickte sie Lord Karim. In seinem Gesicht war Bedauern zu erkennen.
»Stößt er Euch auch von sich?« Er blieb bei der Tür stehen und sah sich unsicher im Zimmer um. Celeste schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter.
»Er ist nur verletzt.« Das versuchte sie sich zumindest einzureden. Sie wusste nicht, wie sie an Nathaniels Stelle reagiert hätte. Und sie wollte ihm nicht vorschreiben, was er zu fühlen hatte.
Karim schüttelte den Kopf und fuhr sich über den sauber gestutzten Bart.
»Das gibt ihm nicht die Erlaubnis, so mit Euch zu sprechen.«
Der Lord hatte recht, aber Celeste würde ihm das nicht sagen. Sie stand hinter Nathaniel. Auch wenn er gerade nicht er selbst war und sie sehr verletzt hatte.
»Er wird schon zur Vernunft kommen.«
Karim sah sie lange an und Celeste musste den Blick abwenden. Sie ertrug es nicht, in seine grünen Augen zu sehen, die denen von Nathaniel so ähnlich sahen.
»Es tut mir leid, dass Ihr gestritten habt.«
Müde strich sich Celeste die Haare aus dem Gesicht. Nun war sie es, die sich ausgelaugt fühlte.
»Das muss es nicht. Das passiert häufiger.« Obwohl es in letzter Zeit kaum noch vorgekommen war. Sie wollte nicht, dass sie und Nathaniel wieder so wurden.
»Das ist schade, Ihr beide passt so gut zusammen.«
Celeste sah auf. Der Lord lächelte sie zögerlich an. Doch für Celeste war es ein erneuter Schlag ins Gesicht. Sie war zu erschöpft für eine solche Unterhaltung.
»Was wollt Ihr von mir, Lord Karim?«
Der Berater des Königs fuhr sich mit der Hand durch die blonden Haare und seufzte.
»Eigentlich wollte ich Euch bitten, mit Nathaniel zu sprechen. Es ist in Ordnung, wenn er mir die Schuld an alldem gibt. Aber Noah hat das nicht verdient.«
Celeste nickte. Sie rechnete es Karim hoch an, dass er für seinen Sohn in die Bresche sprang. Doch was er damit von ihr verlangte, konnte sie nicht erfüllen.
»Es ist allein Nathaniels Entscheidung, wer sein Höfling ist. Das geht mich nichts an.«
Wenn Nathaniel in dieser Stimmung war, würde er ohnehin nicht auf sie hören. Er war zu wütend, um rational zu denken.
»Ich wünschte, ich könnte die Vergangenheit rückgängig machen.« Trauer spiegelte sich in Karims Augen wider und ohne, dass sie es wollte, konnte Celeste aufrichtige Reue in seiner Aura sehen.
»Euer Wunsch ändert aber nichts mehr«, flüsterte sie. Ihrer Meinung nach war es verlorene Zeit, über die Vergangenheit zu philosophieren. Und es half keinem weiter. Es waren Dinge passiert, die niemand ungeschehen machen konnte.
»Alles im Leben wird durch die Entscheidungen bestimmt, die wir treffen. Wenn uns das Resultat nicht gefällt, sollten wir zur rechten Zeit andere Entscheidungen treffen, da habt ihr wohl recht, Priesterin«, nickte Karim.
Celeste seufzte.
»Ich hoffe wirklich, er wird seine Meinung ändern. Familie ist wichtig.« Celeste wollte nicht dabei zusehen, wie Nate das Verhältnis zu seinem Vater und seinem Bruder zerstörte.
Ein schwaches Lächeln schlich sich auf Karims Gesicht.
»Das sehe ich auch so. Ich muss etwas tun, um eine Beziehung zu meinen Söhnen herzustellen. Zum einen wieder. Zum anderen zum allerersten Mal.«
Karim nickte Celeste zu und verließ dann ihr Zimmer. Sie sah dem Lord nach. Ihre Augen füllten sich erneut mit Tränen, die sie schnell wegblinzelte. Celeste wünschte sich, dass jemand so um sie gekämpft hätte. Dass ihre Eltern es so unbedingt gewollt hätten, sie in ihrem Leben zu haben. Und es mit allen Mitteln versucht hätten.
Nathaniel hatte Glück, Karim als Vater zu haben. Er wusste es nur noch nicht.
***
Am nächsten Morgen machte sich Celeste auf den Weg, um Vorbereitungen für die Wintersonnenwende zu treffen, eines der größten Feste in ganz Sirion. Der Beginn des Winters wurde damit angekündigt und man überreichte seinen Lieben Geschenke. Celeste liebte dieses Fest und alle Rituale, die damit verbinden waren. Dieses Jahr stand es unter einem besonders guten Stern, denn Adrian und Simea würden sich an diesem Tag das Jawort geben.
»Lady Celeste, schön, Euch wohlauf zu sehen.«
Celeste drehte sich zu der Stimme um und erkannte Espen, den persönlichen Leibwächter von König Miro. Er stand in voller Lederrüstung und bewaffnet am oberen Ende der Treppe, die sie gerade hinuntergegangen war.
Sie lächelte den Mann an und neigte den Kopf.
»Espen, was führt den Leibwächter des Königs nach Samara?« Miro lag noch immer krank danieder, darum wunderte es sie sehr, dass Espen von seiner Seite wich.
Der Soldat kam die Stufen herunter, die kurzen braunen Haare noch vom Ritt zerzaust. Seine blauen Augen blickten sie freundlich an.
»Es steht eine Hochzeit bevor und als Trauzeuge wird meine Anwesenheit erwartet.« Er lächelte sie an.
Celeste lachte leise.
»Ich wusste nicht, dass Ihr Lord Adrians Trauzeuge seid.«
Espen zuckte mit den Schultern.
»Er ist mein Bruder. Wenn auch nicht durch Blut verbunden.« Celeste nickte. Adrians Eltern hatten Espen einst aus einem Waisenhaus zu sich geholt und ihn wie einen zweiten Sohn großgezogen. Es war verständlich, dass Adrian ihn bei seiner Hochzeit dabeihaben wollte.
Sie liefen nebeneinander her und einen Moment lang schwiegen beide. Dann ergriff Espen das Wort.
»Wie geht es Euch?« Er musterte sie von der Seite.
Celeste seufzte nur.
»Mit mir ist alles in Ordnung.« Sie hatte diese Frage in den letzten Wochen eindeutig zu oft beantworten müssen.
»Das glaube ich Euch nicht. Ihr wurdet in Euren eigenen Gemächern angegriffen und niemand wurde bisher dafür bestraft.« Sein eindringlicher Blick jagte Celeste eine Gänsehaut über den Rücken.
Sie fuhr sich in den Nacken, direkt über das Mal der Götter, die geschwungene Triskele.
»Weil kein Verantwortlicher gefunden wurde.« Ohnehin würde sie sich erst besser fühlen, wenn der Albtraum ein für alle Mal vorbei sein würde. Und das wäre er erst, wenn sie die Atheos besiegt hätten. Falls sie überhaupt hinter dem Giftanschlag steckten. Celeste war noch nicht restlos davon überzeugt.
»Aber das werden wir, ich verspreche es Euch.« Espen legte seine rechte Hand auf die Brust und neigte den Kopf. Als leistete er ihr einen Schwur.
»Macht Ihr Euch etwa Sorgen um mich, Espen?«, überrascht hob Celeste eine Augenbraue. Sie hatte bisher kaum ein Wort mit der Leibwache des Königs gewechselt. Espen war ein Schatten. Man konnte ihn nicht immer sehen, aber man wusste, dass er da war.
»Ja.«
Erstaunt sah sie den Mann an.
»Warum?«
Espen fuhr sich mit beiden Händen durch die kurzen Haare und sah zur Seite, als wollte er sichergehen, dass sie niemand beobachtete.
»Ich sollte es Euch vermutlich nicht sagen, aber ich kannte Eure Mutter. Bevor sie zu den Atheos ging, selbstverständlich.«
Es fühlte sich so an, als würde ihr jemand den Boden unter den Füßen wegreißen. Celeste blinzelte mehrere Male und schluckte dann.
»Wie bitte?« Ihre Stimme klang seltsam belegt.
Espen deutete auf eine kleine Sitzgruppe, direkt neben einem der bodenhohen Fenster. Als Celestes sich gesetzt hatte, fuhr Espen mit seinen Erzählungen fort.
»Wir wuchsen im selben Waisenhaus in Samara auf.«
Celeste schüttelte den Kopf. Für sie war Estelle ein Mysterium. Eine Frau, die sie zur Welt gebracht hatte, aber über die sie nie mehr herausfinden würde. Und Celeste hatte das akzeptiert. Bis jetzt.
Ein Waisenhaus. Warum mussten alle Geschichten in einem Waisenhaus beginnen? War es dasselbe Heim, in dem Nathaniel gearbeitet hatte?
»Kanntet Ihr sie gut?« Celeste hatte so viele Fragen, dass sie nicht wusste, wo sie anfangen sollte. Bisher hatte ihr nie jemand eine Antwort geben können.
Ein sanftes Lächeln erschien auf dem Gesicht des Leibwächters.
»Ja, wir waren damals gute Freunde.«
Celeste runzelte die Stirn. Sie merkte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten, doch sie blinzelte sie weg.
»Warum habt Ihr mir das nicht schon früher erzählt?« Zum Beispiel, als sie in Solaris gewesen waren und Celeste jeden Morgen neben dem Grabstein ihrer Mutter aufgewacht war.
Espen sah sie entschuldigend an und zuckte dann mit den Schultern.
»Ich hatte keine Ahnung, wohin Estelle aus dem Waisenhaus verschwunden war, geschweige denn, dass sie eine Tochter geboren hat. Zu dieser Zeit war ich längst in Solaris.«
Ebenso wie Adrian war Espen für seine Ausbildung als Soldat in die Hauptstadt gegangen.
»Habt Ihr die Ähnlichkeit denn nicht erkannt?«
Espen sah sie eindringlich an.
»Ihr seht Estelle wirklich sehr ähnlich. Das kirschrote Haar und die hellbraunen Augen. Aber ich muss gestehen: Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass Estelles Tochter die Priesterin von Samara ist.«
Wie sollte er auch darauf kommen? Er hatte in seiner Kindheit ein Mädchen gekannt und war Jahre später einer Priesterin begegnet, die diesem Mädchen durch Zufall ähnlichsah. Niemand hätte da eine Verbindung ahnen können.
»Woher wisst Ihr es jetzt?«
»König Miro hat es mir erzählt. Und dann war ich am Grabstein Eurer Mutter. Ich dachte, das solltet Ihr wissen.«
Celeste sah auf ihre Hände.
»Wie war sie?« Vor der Antwort hatte sie am meisten Angst. Nicht davor, dass ihre Mutter schon immer ein herzloses Monster gewesen war, sondern davor, dass sie sich ähnlich waren. Denn das würde bedeuten, dass auch Celeste diese Dunkelheit in sich trug. Oder dass Estelle auch den richtigen Weg hätte wählen können. Dann wäre sie heute noch am Leben und Celeste hätte bei ihrer leiblichen Mutter aufwachsen können.
»Dickköpfig, aber gleichzeitig sehr liebevoll und warmherzig.« Espens Blick war abwesend, als wäre er mit seinen Gedanken ganz woanders.
»Bin ich ihr ähnlich?«, fragte Celeste mit rauer Stimme.
Er hob seinen Blick und taxierte die Priesterin.
»Verzeiht Priesterin, aber ich bin nicht in der Position, um das sagen zu können. Ich kannte Eure Mutter als junge Frau, aber ich würde es mir nicht anmaßen, über Euch zu urteilen.«
Celeste nickte. Doch sie konnte ihre Beklommenheit nicht verbergen. Zu gern würde sie mehr über ihre Mutter erfahren. Details, an denen sich zeigen würde, dass sie dasselbe Blut teilten.
»War sie denn früher schon den Göttern gegenüber feindlich gestimmt?« Celestes suchte krampfhaft nach dem Grund, warum ihre Mutter sich den Atheos angeschlossen hatte.
Espen schüttelte entschieden den Kopf.
»Keinesfalls. Als sie zwölf Jahre alt wurde, trat sie dem Orden bei. Sie war eine Anhängerin der Götter, keine Feindin.«
Celeste wurde unruhig.
»Aber wie wurde sie dann bloß zu einer Atheos?« Sie verstand es nicht. Und ihre Mutter fragen konnte sie nicht mehr.
»Das weiß ich leider nicht, Mylady. Vielleicht wurde sie von Eurem Vater überzeugt. Ich kann es nicht sagen. Aber die Estelle, die ich einst kannte, wäre niemals zu den Gottlosen übergelaufen.«
Celeste bemerkte zu spät, wie ihr eine Träne über die Wange rann. Eilig wischte sie sie fort. Sie zwang sich zu einem Lächeln.
»Danke, Espen. Eure Offenheit bedeutet mir viel.«
Er neigte den Kopf und stand auf.
»Adrian hat mir berichtet, was die Ministerin zu Euch gesagt hat. Nehmt Euch Lady Marins Worte nicht zu Herzen. Kinder können nichts für die Taten ihrer Eltern. Nur weil Eure Mutter den falschen Weg eingeschlagen hat, bedeutet das nicht, dass Ihr in ihre Fußstapfen treten müsst.«
Celeste sah zu dem Leibwächter auf. Trotz seiner bedrohlichen Ausstrahlung sah er sie mit diesen blauen Augen an, die gefüllt waren mit Sorge. Ohne es zu wollen, wurde ihre Gabe aktiv und sie sah seine Aura. Zuneigung und Bedauern spiegelten sich darin wider. Celeste hatte eine Mutter verloren, die sie nie kennengelernt hatte. Espen hatte eine Freundin verloren, die ihn vermutlich durch sehr schwere Jahre begleitet hatte. Vielleicht litt er darunter fast mehr als sie.
Die Priesterin erhob sich und lächelte Espen an.
»Ich werde daran denken.«
Espen nickte und verneigte sich vor ihr.
»Lord Adrian erwartet mich.« Mit diesen Worten bog er in den nächsten Gang ein, der zur Bibliothek führte.
Celeste atmete tief durch, als Espen außer Sicht war. Ihr Herz klopfte ungewöhnlich schnell. Sie hatte sich ihrer Mutter lange nicht mehr so nahe gefühlt. Nicht in all den Nächten, die sie am Grab von Estelle verbracht hatte. Mit jemandem zu sprechen, der sie gekannt hatte, weckte die Sehnsucht in ihr.
***
Im Damensalon des samarischen Palastes saß Linnéa vor ihrer Staffelei und malte. Auf ihrer Stirn war eine tiefe Falte zu sehen und ihre Zunge blitzte zwischen ihren Lippen hervor. Celeste wusste nicht, was die Waldtochter malte, doch es erforderte ihre absolute Konzentration. Sie hatte noch nicht einmal bemerkt, dass Celeste den Salon betreten hatte.
Die Himmelstochter setzte sich leise in den cremefarbenen Sessel vor dem Fenster und starrte nach draußen. Es war bereits Abend geworden und die Dunkelheit verschluckte die Berge. Nur der Wind war zu hören, der aus dem Gebirge herunterkam. Sie seufzte.
Da schreckte Linnéa hoch:
»Tut mir leid, ich habe dich gar nicht kommen hören«, Linnéas Stimme klang leise, doch Celeste winkte direkt ab.
»Ach was, ich wollte dich nicht beim Malen stören, deshalb habe ich nichts gesagt.« Als Celeste Linnéa so von der Seite musterte, wurden ihre Augen groß. Die Aura der Waldtochter wurde sichtbar. Celeste wollte ihren Augen nicht trauen. Sie konnte die Auren von Gotteskindern nicht sehen, hatte es nie gekonnt. Doch in diesem Augenblick sah sie die von Linnéa ganz deutlich vor sich. Unbehagen und Angst lagen darin, aber auch ein kleiner Funken Wärme, der Celeste innehalten ließ. Es war Zuneigung.
Die Himmelstochter schluckte, wusste nicht, ob sie die Erweiterung ihrer Gabe mit ihrer Freundin teilen sollte oder ob es Linnéa nervös machen würde. In Celeste regte sich ganz deutlich etwas.
Wieso konnte sie plötzlich die Aura eines Gotteskindes sehen? Wuchsen ihre Kräfte?
Sie biss sich auf die Unterlippe und stand auf. Mit hochgezogener Augenbraue betrachtete sie die Leinwand, an der Linnéa zuvor gearbeitet hatte. Es waren nur zaghafte Linien, die mit Bleistift und Kohle gezogen worden waren. Doch das Motiv war deutlich zu erkennen. Im ersten Moment hatte Celeste geglaubt, es handele sich um Nathaniel. Doch der zweite Blick verriet die Wahrheit. Die Leinwand zeigte eine Skizze von Noah.
»Mir war langweilig und ich musste mich irgendwie ablenken«, sagte Linnéa ausweichend. Doch Celeste sah sofort die Scham auf ihrem Gesicht und die Röte auf ihren Wangen. Ihre Aura leuchtete auf und die Zuneigung, die Celeste zuvor nur unmerklich wahrgenommen hatte, wuchs an. Die Waldtochter war verlegen. Doch dafür gab es keinen Grund.
»Was ist zwischen dir und Noah? Ihr habt viel Zeit miteinander verbracht.«
Gerade wegen ihrer eigenen Zerwürfnisse mit Nathaniel war Celeste der vertraute Umgang zwischen Linnéa und Noah aufgefallen. Sie hatte ihn sich damit erklärt, dass die beiden sich behutsam anfreundeten, nachdem Noah sich zu Beginn der Reise gegenüber Linnéa nicht besonders freundlich verhalten hatte. Doch dann hatten sie gemeinsam die Archive in Sirena durchforstet, um Hinweise auf die Atheos oder die Mondgöttin zu finden. Und auch hier in Samara hatten sie bereits zusammen die Bibliothek nach alten Dokumenten durchsucht.
Linnéa stieß ein langgezogenes Seufzen aus.
»Ich weiß es nicht. Ich hatte angenommen, dass es zwischen uns gefunkt habe«, sie lachte leise. Aber es war ein trauriges Lachen, als würde sie ihre eigene Dummheit auslachen. Ihre Aura passte sich ihrer Stimmungsschwankung an. Die Zuneigung verblasste und Unsicherheit kam zum Vorschein.
»Seit der Sache mit Nathaniel und Lord Karim herrscht allerdings Funkstille. Er geht mir aus dem Weg. Und das macht mich so wütend. Ich will für ihn da sein, aber er lässt mich einfach nicht.»
Überrascht sah Celeste ihre Freundin an. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Linnéa so eindeutige Gefühle für Noah entwickelt hatte. Sie waren so verschieden. Die Waldtochter wurde von ihrem Herzen geleitet, während Noah seinem Verstand folgte.
»Du hast gar nichts gesagt. Ich wusste nicht, dass ihr euch so nahesteht«, gab Celeste leise zu. Ein bisschen störte es sie, dass Linnéa nicht mit ihr darüber gesprochen hatte. Und sie fragte sich, ob sie Malia ins Vertrauen gezogen hatte.
»Offenbar tun wir das auch gar nicht. Sonst würde er mit mir reden und mich nicht von sich stoßen«, flüsterte Linnéa.
»Ich sage das nur ungern, aber das liegt wohl in der Familie«, presste Celeste hervor. Die Männer dieser Familie waren allesamt dickköpfige Narren.
Linnéa sah sie mit weitaufgerissenen Augen an, dann lachte sie laut. Und Celeste stieg in das Lachen mit ein.
Celeste legte ihre Hand auf Linnéas Schulter.
»Hat er mit dir über Nathaniel gesprochen?«
Linnéa schüttelte traurig den Kopf.
»Ich habe versucht mit ihm zu reden, aber er hat mich abgewiesen. Und als Nate ihn dann noch aus seinem Dienst entließ, machte Noah vollkommen dicht. Er verlässt sein Zimmer nicht mehr.«
»Vielleicht ist es an der Zeit, seine Gefühle zu ignorieren und ihn zur Rede zu stellen.«
Linnéa sah sie stirnrunzelnd an.
»Soll ich etwa sein Zimmer stürmen?«
Celeste zuckte mit den Schultern.
»Warum nicht?« Wenn Linnéa für Noah da sein wollte, sollte sie das tun. Egal, was es erforderte.
Die olivfarbenen Augen der Priesterin füllten sich mit Traurigkeit.
»Wie ist es denn zwischen Nate und dir?«
Bei dieser Frage zog sich Celestes Brust zusammen. Als sie zuletzt versucht hatte mit Nate zu sprechen, hatte er sie angeschrien. Ihr Herz wurde bei diesem Gedanken schwer. Sie umging Linnéas Frage geschickt und antwortete:
»Noch vor wenigen Wochen standen wir uns alle so nahe. Ich weiß nicht, was passiert ist, dass es jetzt so anders geworden ist.«
Celestes Augen wurden dunkel. Sie wusste genau, was oder besser wer der Grund für die Distanz zwischen ihnen war. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, aber sie rief sich zur Vernunft. Sie wollte für Linnéa da sein und ihr nicht noch mehr Sorgen aufhalsen.
»Das wird schon wieder werden. Wir sind alle derzeit etwas angespannt. Die Feierlichkeiten zur Wintersonnenwende werden uns guttun«, sprach Linnéa hoffnungsvoll weiter. Dann wurde ihre Miene ernst und Celeste konnte wieder die Sorge in ihrem Blick sehen.
»Glaubst du, dass Noah zurück nach Solaris gehen wird?«
»Ich werde mein Möglichstes tun, um das zu verhindern«, versprach sie ihrer Freundin. Sie schenkte Linnéa ein aufmunterndes Lächeln, das die Waldtochter sofort erwiderte.
»Danke Celeste.«
»Von Herzen gern.«
Es lag auch in ihrem Interesse, dass Noah sie weiterhin begleitete. Sie hielt es für das Beste, wenn Nathaniel sich mit seinem Bruder aussprach.
»Du solltest noch mal versuchen, mit Noah zu reden.« Celeste nickte Linnéa zu. Doch die schüttelte den Kopf.
»Noch nicht. Ich weiß nicht, ob ich auf ihn zugehen will.«
»Was meinst du damit?«
Linnéas Augen wurden schmal.
»Ich will so gern wütend auf ihn sein. Er hat es verdient, aber ich kann es einfach nicht.« Sie ballte die Hände zu Fäusten und Celeste sah die Frustration in ihrer Aura. »Es endet doch immer damit, dass ich jedem verzeihe, auch wenn er es gar nicht verdient hat.«
Celeste lächelte schwach.
»Ein sanftes Herz in Zeiten wie diesen ist keine Schwäche, Linnéa. Es ist deine größte Stärke.«
Die Waldtochter sah sie zweifelnd an.
»Findest du das wirklich?«
»Ja. Es ist viel besser und heilsamer, als sich hinter hohen Mauern zu verstecken, glaub mir.« Sie selbst war der beste Beweis dafür. Celeste hatte sich so an ihre Mauern gewöhnt, dass es ihr schwerfiel, sie fallen zu lassen.
»Wenn ich mit Noah rede, sprichst du dann mit Nathaniel?« Linnéa sah sie abwartend an, doch Celeste seufzte bloß. Die Sache zwischen ihr und Nathaniel war anders als das, was Noah und Linnéa voneinander trennte. Nathaniel war laut geworden und hatte ihre Meinung untergraben. So schnell würde Celeste ihm das nicht verzeihen können.
»Ich glaube nicht, dass ich das tun kann. Ich habe es bereits versucht, mir sind die Hände gebunden.«
»Dann versuch es wieder. Solange, bis es funktioniert. Irgendwann wird er mit dir reden müssen und ich glaube, dass er das tief in seinem Herzen auch will. Er weiß nur nicht, wie.« Linnéa mochte mit ihren Worten recht haben. Doch so einfach war das nicht.
»Ich bin nicht so stark, wie du vielleicht denkst. Ich kann nicht so lange kämpfen«, gab Celeste mit schmerzendem Herzen zu.
»Aber ist eure Beziehung es nicht wert, dass du um sie kämpfst? Solange es eben nötig ist?«, fragte Linnéa und drückte Celestes Hand. Auf dem Gesicht der Waldtochter lag ein aufbauendes Lächeln.
Celeste sah Linnéa an und biss sich dann auf die Unterlippe.
»Ich verstehe unsere Beziehung nicht einmal. Es gibt Tage, da behandelt er mich wie die Frau an seiner Seite. Als hätte er sich bereits entschieden. Und dann gibt es Tage, an denen er mich wie eine Fremde behandelt.«
Diese Tage hasste sie am meisten. Nicht einmal bei ihrer ersten Begegnung hatte Nate sie wie eine Fremde behandelt. Er war herablassend und unverschämt gewesen, doch schon da war ein Feuer zwischen ihnen gewesen, das keiner von ihnen hatte leugnen können. Doch im Moment war nichts zwischen ihnen. Kein Feuer, nicht mal ein Funke. Nichts.
»Männer sind seltsame Wesen. Sie machen alles unnötig kompliziert.« Linnéa lehnte sich mit dem Kopf gegen Celestes Schulter. Celestes Mundwinkel zuckte bei ihren Worten.
»Wem sagst du das?«
Sie hingen ihren Gedanken eine Weile nach, bis Linnéa wieder das Wort ergriff.
»Ich glaube dennoch, du bist stark genug, um zu kämpfen. Für Nate und für eure Beziehung. Du musst nur mehr Vertrauen in euch haben.«
Vertrauen. Ein Wort mit so viel Macht.
Doch Celeste wusste nicht, ob Linnéa damit Recht behalten würde. War sie wirklich stark? Gerade in diesem Moment fühlte es sich so gar nicht danach an.