Nathaniel
Seine Welt kam langsam wieder ins Gleichgewicht. Sehr langsam zwar, aber besser als gar nicht. Er hatte sich mit Noah versöhnt und sein Hofstaat war wieder intakt. Nur mit Karim und Celeste hatte er sich noch nicht aussprechen können. Das mit Karim störte Nate nicht sonderlich, aber er vermisste den Rotschopf.
Doch diese Versöhnung musste warten. Denn für heute hatte er einen anderen Plan. Bald wurde im ganzen Land die Wintersonnenwende gefeiert und Nate hatte bereits die meisten seiner Geschenke zusammen. Es fehlte nur noch eines. Und dieses Geschenks würde er sich heute annehmen. Er hatte Nike bereits gesagt, dass sie einen Ausflug in die Stadt machen würden und seine Leibwächterin hatte nur mit den Schultern gezuckt. Sie würde ihn begleiten, egal, wohin er gehen wollte. Einzige Bedingung war gewesen, dass er eine Kutsche nahm.
An besagter Kutsche erwartete ihn jedoch jemand, mit dem Nate nicht gerechnet hatte. Selena stand in einem schlichten dunkelblauen Kleid vor ihm. Die schwarzen Haare fielen ihr offen über den Rücken und ihre Haut wirkte durch den starken Kontrast noch blasser.
»Was machst du hier?«, fragte er mit hochgezogener Augenbraue.
Sie lächelte ihn zögerlich an.
»Ich würde dich gern begleiten. Yanis hat mir gesagt, dass du in die Stadt fahren willst. Ich war seit Jahren nicht dort und würde gern mitkommen, wenn du nichts dagegen hast.«
Dass er überrascht war, konnte Nate nicht leugnen, aber ihn störte ihre Bitte auch nicht. Also zuckte er mit den Schultern und half ihr beim Einsteigen.
»Was willst du in Samara? Willst du zu eurem alten Haus?« Nate konnte sich nicht vorstellen, dass Selena besonders an diesen Erinnerungen hing. Und er hatte recht, denn die Mondtochter schüttelte den Kopf.
»Ich hatte gehofft, dass du mich mitkommen lässt.«
Verwirrt runzelte er die Stirn.
»Du weißt doch gar nicht, wohin ich will.« Er hatte Yanis nicht gesagt, was er in Samara vorhatte. Nur Nike, die draußen beim Kutscher saß, war eingeweiht.
Selena wandte ihren Blick aus den gletscherblauen Augen ab und biss sich auf die Unterlippe.
»Mir ist bewusst, dass du Gefühle für Celeste hegst. Aber du weißt auch, dass sie nicht die Einzige ist, die zur Auswahl steht.« Ihre Stimme war leise, doch in ihren Worten lag so viel Entschlossenheit, dass Nate bereits bereute, sie mitgenommen zu haben.
»Selena …«, begann er, doch die Priesterin unterbrach ihn sofort.
»Bitte, gib mir die Chance, dir zu beweisen, dass du eine Alternative hast.« Sie flehte ihn förmlich an und Nate schluckte schwer.
»Was erwartest du von mir?« Auch wenn er nicht wusste, was sie von ihm wollte, so war er doch sicher, dass er es ihr nicht geben konnte.
»Nur einen Tag. Verbring diesen Tag mit mir und lass mich dir zeigen, dass auch wir beide großartig zusammen sein können. So wie früher.« Sie beugte sich zu ihm, sodass ihre pechschwarzen Haare nach vorn über ihre Schultern fielen und griff nach seinen Händen.
Nate wollte ablehnen, wollte ihr sagen, dass sie sich umsonst Hoffnungen machte, dass sein Herz bereits vergeben war. Doch als er sie ansah, konnte er es nicht. Also nickte er.
»Einen Tag.«
Selena strahlte ihn an und quiekte vergnügt. Dass man ihr so leicht eine Freude machen konnte, hätte Nate nicht gedacht.
»Also, wohin fahren wir?«, wollte sie wissen.
»Zu dem Waisenhaus, in dem ich gearbeitet habe. Ich möchte die Kinder sehen und ihnen Geschenke bringen.«
Die Fahrt in die Stadt und zu ihrem Ziel dauerte nicht lange und Nates Herz wurde gleich so viel leichter, als er in die glücklichen Gesichter der Kinder sah. Es waren einige Neue dabei, die er nicht kannte. Er genoss die Stunden, die er bei ihnen verbringen durfte. Für jedes einzelne Kind hatte er in der Stadt ein Geschenk gekauft, das sie zur Wintersonnenwende öffnen sollten. Das Strahlen in ihren Augen würde er wohl nie vergessen. Waisenkinder bekamen niemals Geschenke. Doch das war nicht das Einzige, was Nate ihnen mitgebracht hatte. Was diese Kinder brauchten, waren keine Spielsachen. Es war eine Zukunft. Eine Zukunft, die er ihnen geben wollte. Jedes Kind hatte von ihm eine großzügige Summe erhalten, die sie ausgezahlt bekommen sollten, sobald sie das Waisenhaus verließen. Ein Startkapital für ein neues Leben. Es wurde in der Zwischenzeit von Isaac, dem Vorsteher des Waisenhauses, verwaltet.
***
»Das war sehr nett von dir«, raunte Selena ihm zu, als sie langsam zurück zur Kutsche schlenderten. Sie hatte ihn begleitet und gemeinsam mit den Waisenmädchen eine Teeparty gefeiert. Nate hatte sie erstaunlicherweise gern um sich gehabt. Es hatte ihn an früher erinnert. Auch sie waren immerhin eine Art Halbwaisen gewesen. Einen Vater hatte zumindest keiner von ihnen gekannt.
»Ich habe übrigens von Lord Karim und Cara gehört. Es tut mir leid, dass du es so erfahren hast.«
Nate sah zu der Priesterin. Manchmal vergaß er, dass Selena wohl eine der wenigen Personen war, die seine Mutter wirklich gekannt hatten. Cara hatte ihr das Nähen beigebracht.
»Kannst du dir das vorstellen? Meine Mutter hatte eine Affäre mit einem verheirateten Lord.« Seine immer bedachte und gütige Mutter, die die Ehre einer Ehe missachtet und das Bündnis zwei sich liebender Menschen gefährdet hatte.
»Nein, um ehrlich zu sein, kann ich das nicht«, Selena schüttelte traurig den Kopf. »Cara wirkte immer so unglaublich moralisch. Als würde sie nichts und niemand vom richtigen Weg abbringen können.«
Seine Mundwinkel verzogen sich zu einer Grimasse.
»Ha, dabei hat ein gutaussehender Kerl mit grünen Augen gereicht.«
»Mit sehr schönen grünen Augen.« Selena schenkte ihm ein aufbauendes Lächeln, das Nate nicht erwidern konnte.
»Bist du wütend auf sie?«, wollte die Mondtochter leise wissen.
»Ja … nein, ich weiß es nicht genau«, er raufte sich die Haare. »Eigentlich habe ich kein Recht, wütend auf sie zu sein, nur weil sie jemanden geliebt hat, den sie nicht haben konnte. Ich bin eher zornig darüber, dass sie es mir nicht gesagt hat.«
»Hätte es denn etwas geändert, wenn du es gewusst hättest?« Selena strich sich über das schlichte Kleid. Eine ihrer Augenbrauen war nach oben gezogen und sie sah ihn herausfordernd an.
»Ich weiß es nicht«, gab Nate schulterzuckend zu.
Selena lächelte. Es war ein trauriges Lächeln.
»Ich kenne dich und wenn du es gewusst hättest, dann hättest du nach deinem Vater gesucht. Und was hättest du vorgefunden? Einen Mann, der die Gunst des Königs genießt, glücklich verheiratet ist und einen Sohn hat. Wie hättest du dich dann gefühlt?«
Als wäre ich nicht gut genug, schoss es Nathaniel durch den Kopf. Hätte er Lord Karim damals getroffen, gemeinsam mit seiner Frau Melinda und seinem Sohn Noah, er hätte sich wie der letzte Abschaum gefühlt. In diese Familie hätte er niemals hineingepasst.
Nate seufzte erschöpft.
»Du hast ja recht. Es war besser, dass ich es nicht gewusst habe.« So hatte er seine Kindheit mit seiner Mutter recht unbeschwert verbringen können. So lange es eben möglich gewesen war.
Sie schwiegen eine Zeit lang, dann sah Nate zu Selena hinüber. Unter ihren Augen lagen dunkle Schatten, die ihm vorher nicht aufgefallen waren.
»Ich rede nur über meine Probleme. Wie geht es dir? Du siehst noch blasser aus als sonst.«
Selenas rechter Mundwinkel zuckte und sie strich sich eine schwarze Strähne hinters Ohr.
»Charmant wie immer, Nate. Ich schlafe in letzter Zeit nicht besonders gut.« Sie zuckte nur mit den Schultern.
Nate runzelte die Stirn.
»Warum nicht?«
Sie seufzte schwer.
»Mir gefällt nicht, was ich in meinen Träumen sehe. Ich werde nachts von Visionen geplagt.« Ihre Hände begannen bei diesen Worten leicht zu zittern und unwillkürlich griff Nate nach ihnen.
Er wusste bereits, dass Selena von den Göttern die Gabe der Vorhersicht erhalten hatte. Aber bisher hatte er angenommen, dass sie nicht regelmäßig in die Zukunft schaute.
»Was hast du gesehen?«, Nate wagte kaum, diese Frage zu stellen.
Sie sah ihn nicht an, während sie sprach, starrte nur vor sich hin, als wäre Nate gar nicht da. In ihren blauen Augen lag eine Angst, die Nate nervös machte.
»In letzter Zeit sehe ich nur Zerstörung, Verrat und Gewalt.«
Das hörte sich nicht gut an. Und Nate verstand jetzt, warum sie so elend aussah. Wenn er jede Nacht solche Träume hätte, würde er auch alles daransetzen, wach zu bleiben.
»Wegen der Atheos?«
Sie legte den Kopf schief und zuckte mit den Schultern.
»Ich denke schon. Immer wieder sehe ich ihre Spirale in meinen Träumen.«
Nate verzog das Gesicht.
»Tut mir leid.« Sie hatte Hilfe gebraucht und niemanden gehabt, an den sie sich hatte wenden können. Selena war noch einsamer in diesem Palast als er. Und Nate hatte das nicht mitbekommen.
»Muss es nicht, du kannst ja nichts dafür.« Sie schenkte ihm ein Lächeln, das jedoch ihre blauen Augen nicht erreichte.
»Gibt es etwas, was ich tun kann?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht alle Visionen sind schlecht.«
Nate zog eine Augenbraue hoch.
»Was meinst du?«
Selenas Wangen färbten sich rot und sie wandte den Blick ab.
»Meine liebsten Visionen sind die, die von dir handeln.»
Überrascht runzelte Nate die Stirn.
»Du träumst von mir?«
»Nicht so häufig, wie ich gern würde.«
Der Blick aus ihren gletscherblauen Augen traf seinen und Nate fuhr sich nervös durch die Haare.
»Selena, ich …«, er wusste nicht, was er ihr sagen sollte. Die Gefühle, die er als Kind für sie gehabt hatte, waren nichts im Vergleich zu dem, was er in Celestes Anwesenheit spürte.
Selena unterbrach ihn sofort.
»Du musst nichts sagen, du sollst es nur wissen. Außerdem wollte ich dich warnen.« Ihre Stimmte wurde gegen Ende des Satzes leiser und Angst lag darin.
»Warnen? Vor wem?« Dieses Gespräch würde kein gutes Ende nehmen, so viel war Nate inzwischen klar.
Selena schluckte.
»Ich hatte vergangene Nacht eine Vision von dir und Celeste. Manchmal sind die Menschen, vor denen du dich am meisten fürchten solltest, die, die dir am nächsten stehen«, ihr Tonfall war dunkel und klang wie eine Drohung. »Sie wird dich früher oder später verraten.«
Der Satz stand wie eine Wand zwischen ihnen. Nates Atem ging schneller und sein Blick wurde finster.
»Celeste würde mich nie verraten.« Der Rotschopf war nicht immer einer Meinung mit ihm, aber so etwas würde sie niemals tun. Sie stand hinter ihm. Ganz egal, was kommen würde.
Selenas Augen füllten sich mit Tränen, sie blieb stehen und drehte sich von ihm weg.
»Ich wollte dich nur warnen, doch jetzt habe ich den Tag ruiniert«, flüsterte sie leise und wischte sich die Tränen fort.
Nate überkam eine Gänsehaut. Ihre Worte schwirrten durch seinen Kopf. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Celeste ihn hintergehen würde. Und er zwang sich, nicht weiter über Selenas Prophezeiung nachzudenken.
»Wir sollten zurück zur Kutsche gehen«, sagte er leise. Nate würde Selena keinen Vorwurf machen. Dass es ihr so schlecht ging wegen der Träume, reichte bereits. Er schenkte ihr ein aufgesetztes Lächeln und griff nach ihrer Hand.
Selena lächelte ihn zögerlich an. An der Kutsche wartete Nike bereits auf sie. Die Soldatin hatte die Arme vor der Brust verschränkt und musterte mit finsterem Blick Nates und Selenas ineinander verschlungene Hände. Neben ihr wartete zu Nates Überraschung Ayla, Selenas ältere Schwester und Zofe. Vermutlich hatte sie den Tag ebenfalls genutzt, um einige Besorgungen in der Stadt zu machen und hatte durch Zufall die königliche Kutsche entdeckt. Ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel bei ihrem Anblick.
»Wie war euer Tag?«, wollte Ayla wissen. Nate hatte sich immer gut mit ihr verstanden, auch wenn er Selena nähergestanden hatte. Während Selena ihrer Schwester Bericht erstattete, wanderte Nates Blick zu den umliegenden Gebäuden. Er hatte das Gefühl, als würde sie jemand beobachten. Eine Bewegung in den Schatten einer engen Gasse ließ seine Aufmerksamkeit dorthin wandern. Es ging schnell und Nate war sich nicht sicher, ob seine Augen ihm einen Streich gespielt hatten, aber er glaubte, dort jemanden gesehen zu haben, der Teil seiner Vergangenheit war. Zephyr, ein Söldner aus Mics Gefolge. Und ein ehemaliger Freund von Nate. Gemeinsam hatten sie unter Mic gedient und jeden Befehl erfüllt.
Er kniff die Augen zusammen und wollte bereits auf die Gasse zugehen, als Nike sich ihm in den Weg stellte.
»Wir müssen zurück zum Palast.« Nate sah seine Leibwächterin an und nickte. Er hatte sich geirrt. Es musste einfach so sein. Zephyr und auch Mic gehörten nicht mehr in sein Leben.
Ayla half Selena beim Einsteigen und Nike nahm vorn beim Kutscher Platz. Als Nate ebenfalls einsteigen wollte, hielt die Zofe ihn am Arm zurück. Dunkelblaue Augen, die denen ihrer Schwester so ähnlich waren, blickten ihn an.
»Du brauchst eine starke Königin an deiner Seite, Nate«, sagte Ayla mit fester Stimme, aber so leise, dass Selena es nicht hören konnte.
Überrascht sah Nate sie an.
»Brauche ich das, ja?« Er hatte nicht damit gerechnet, dass Ayla sich in seine Entscheidung einmischen würde.
Sie nickte und ein entschuldigendes Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus. Ihre schwarzen Haare waren zu einem einfachen Zopf geflochten. Auch wenn sie und Selena nur Halbschwestern waren, sahen sie sich beinahe zum Verwechseln ähnlich. Selena hatte nur die feineren Gesichtszüge.
»Es ist wie beim Schach. Die Königin beschützt ihren König. Das ist ihre einzige Aufgabe.«
Stirnrunzelnd sah er Ayla an, als sie in die Kutsche stieg. Früher hatten sie häufig zusammen Schach gespielt. Und Nate hatte nicht vergessen, dass Ayla ihn jedes Mal geschlagen hatte.
***
Nathaniel
Am Abend des nächsten Tages saß Nathaniel in der Bibliothek und brütete über einigen Dokumenten, die der König ihm geschickt hatte. Der Tag war anstrengend gewesen. Sein Gefolge und die Priesterinnen hatten einen Ausflug unternommen. Mit den Pferden waren sie durch die schneebedeckten Wälder geritten. Doch statt auf dem Rücken der Tiere zu sitzen, waren sie mit Schlitten gefahren. Noch nie hatte Nate einen so großen Schlitten gesehen, doch die Fahrt war wundervoll gewesen. Noch schöner wäre es aber gewesen, wenn Celeste ihn nicht den gesamten Ausflug über ignoriert hätte. Kein Wort hatten sie gewechselt, nicht einmal angesehen hatte sie ihn. Weder die Schönheit der Wälder noch des Gebirges oder die Unbeschwertheit seiner Freunde hatten ihn aufheitern können. Celestes Schweigen glich einer Folter und Nate war ihren Streit so leid.
Ein Räuspern ließ ihn aufblicken. An einem der Regale stand Lord Emirs Neffe. Er trug nicht wie sonst seine Rüstung, sondern ein weißes Hemd zu einer Lederhose. Sein dunkles Haar war an den Spitzen noch feucht, als hätte er es gerade erst gewaschen.
»Eure Hoheit, auf ein Wort?«, Marco neigte demutsvoll den Kopf und trat auf die Sitzgruppe zu, wo Nate sich befand.
Nate seufzte und fuhr sich durch die blonden Haare.
»Marco, bitte nenn mich Nate. Wie jeder andere meines Gefolges auch.«
»Das würde ich auch tun, sobald ich mich daran gewöhnt habe. Bis dahin würde ich gern die formelle Anrede beibehalten, damit fühle ich mich wohler.«
Nate hob überrascht eine Augenbraue.
»Was gibt es?« Er legte den Federkiel beiseite und deutete auf einen Sessel, der ihm gegenüberstand. Marco setzte sich.
»Darf ich offen sprechen?«
Ein Grinsen breitete sich auf Nates Gesicht aus.
»Ich bestehe darauf.« Er hätte es ohnehin gemerkt, wenn Marco nicht ehrlich zu ihm gewesen wäre.
Marco schwieg einen Augenblick lang, dann trat ein Funkeln in seine Augen und sein rechter Mundwinkel zuckte.
»Ich habe Euch für einen aussichtslosen Dummkopf gehalten, aber vielleicht besteht doch noch Hoffnung.«
Nate sah den Soldaten überrascht an, lachte dann aber.
»Womit habe ich solch liebevolle Worte verdient?« Es war dieselbe Ehrlichkeit, die auch Nike und Kiah ihm zollten. Eine willkommene Abwechslung bei all den Menschen, die nur freundliche Worte für ihn hatten, weil sie sich bei ihm einschmeicheln wollten.
»Ihr habt Nike glücklich gemacht.«
»Habe ich das?«
Marco nickte entschieden.
»Ihr habt Theo zu ihr zurückgebracht. Etwas, wofür sich niemand zuvor eingesetzt hatte. Seitdem ihr Sohn am Hof ist, ist sie eine andere. Und dafür danke ich Euch.«
So etwas wie Stolz flammte in Nate auf. Er hatte seit Tagen weder Lob noch Anerkennung von irgendjemandem erhalten. Eher im Gegenteil. Es tat gut, dass jemand sein Handeln zu schätzen wusste. Doch so ganz wollte Nathaniel nicht verstehen, warum Marco seine Freundlichkeit gegenüber Nike interessierte.
»Was aber geht Euch das an?«, fragte Nate mit gerunzelter Stirn.
Ein Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Soldaten aus.
»Ich absolvierte meine Ausbildung zum Soldaten bei ihr, bevor sie zu Eurer Leibwächterin wurde.«
Nate sah ihn erstaunt an. Er hatte von Nikes erstklassigen Fähigkeiten als Soldatin gehört.
»War sie wirklich so gut, wie man sagt?«
Marcos Gesicht hellte sich auf.
»Das war sie. Ist sie«, korrigierte er sich. »Aufgrund der Schwangerschaft musste sie die Armee verlassen. Sie wollte für ihr Kind da sein, auch wenn es dann anders kam und ihr Vater ihr den Sohn schon kurz nach der Geburt wegnahm.« Aus seinen Worten war deutlich zu hören, dass Marco Nikes Entscheidung respektierte. So wie Nate.
»Ich hoffe, mit ihrer jetzigen Anstellung ist sie auch zufrieden. Auch wenn sie auf einen hoffnungslosen Dummkopf aufpassen muss.« Er grinste Marco an, der das Grinsen erwiderte.
»Ich denke schon. Es ist nicht dasselbe, aber bestimmt unterhaltsamer.«
Nate lachte leise.
»Ja, ich komme mir auch vor wie in einem Irrenhaus. Hier wird es niemals langweilig.«
»Da habt Ihr recht. Allerdings wollte ich nicht nur wegen Nike mit Euch sprechen.« Ein ernster Ausdruck lag nun auf Marcos Gesicht und weckte in Nate die Neugierde.
»Weswegen dann?« Nate beugte sich in seinem Stuhl nach vorn und taxierte den Soldaten neugierig.
»Es geht um Malia.«
»Malia?«, fragte Nate erstaunt. Er hatte angenommen, dass die beiden keinen Kontakt mehr zueinander hatten. Malias Mutter war sehr deutlich gewesen, was sie von der Beziehung ihrer Tochter zu dem Soldaten hielt.
Marco wirkte entschlossen, doch in seinen Augen lag ein Funke Nervosität.
»Ich weiß nicht, was Ihr wisst, aber wir kennen uns schon sehr lange.«
»Das hat sie erwähnt.«
Der Soldat hob den Kopf, seine Wangen waren leicht gerötet.
»Hat sie das? Was genau hat sie gesagt?«
Nate grinste schelmisch.
»Sagen wir einfach, ich bin im Bilde, was zwischen euch passiert ist, bevor sie nach Solaris aufbrach.«
Marco nickte.
»Macht Euch das nichts aus?«
Ein leises Lachen verließ Nates Kehle.
»Warum sollte es? Ich habe kein Interesse an Malia, sie ist eine gute Freundin, aber nicht mehr. Außerdem halte ich die Ansichten des Ordens, was außereheliche Bettgeschichten angeht, für veraltet.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung.
Marco zuckte zusammen und sah Nate mit großen Augen an.
»Wir haben nicht …«, stammelte der Soldat und hob abwehrend die Hände. Nate lachte bloß.
»Ich will es gar nicht wissen, Marco. Was zwischen dir und Malia passiert ist, geht niemanden außer euch beide etwas an.«
Marco seufzte erleichtert.
»Ich wollte Euch nämlich um Erlaubnis bitten, ihr den Hof machen zu dürfen, sobald Ihr Eure Wahl getroffen habt.«
Mit dieser Bitte hatte Nate nicht gerechnet. Dass Marco sich so überzeugt über den Willen von Loreley hinwegsetzte, imponierte ihm. Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder.
»Bis zur Wahl sind es noch einige Monate.« Warum wollte Marco jetzt schon die Erlaubnis haben, dann um Malia werben zu dürfen?
»Das ist mir bewusst, aber so kann ich mich wenigstens an die Hoffnung klammern, dass ich den Segen des Prinzen habe.«
Nates Kehle wurde trocken. Er war sich nicht sicher, ob er Marco für seine Ehrlichkeit bewundern oder für seine Naivität bemitleiden sollte.
»Ich könnte Malia aus taktischen oder politischen Gründen erwählen wollen.«
Er sah Marco aus zusammengekniffenen Augen an. Der Soldat erwiderte den Blick.
»Das werdet Ihr aber nicht. Ihr liebt sie nicht.«
Erst wollte Nate ihn darauf hinweisen, dass es nicht nur um Liebe ging, wenn es um das Land ging. Doch er tat es nicht.
»Und du liebst sie?«, wollte er stattdessen wissen.
Marcos Blick wurde weicher und er fuhr sich mit den Händen durch die schwarzen Haare.
»Ich habe nie eine andere so geliebt wie sie.«
Nate nickte. Es erstaunte ihn, dass Marco so offen über seine Gefühle reden konnte.
»Woher weißt du, dass es Liebe ist?«
»Hoheit?«, fragte Marco verwirrt.
Nate fuhr sich über den Nacken und unterdrückte ein Seufzen.
»Wie kannst du wissen, dass du jemanden liebst?« Diese Frage hatte ihm bisher noch niemand zu seiner Zufriedenheit beantworten können.
Marco schien nicht lange über seine Antwort nachzudenken zu müssen.
»Wenn du abends mit dem Wunsch einschläfst, sie in deinen Armen zu halten und du am nächsten Morgen mit demselben Wunsch wieder aufwachst.»
Mit dieser Antwort hatte Nate nicht gerechnet. Sofort musste er an den Rotschopf denken. An jene Nacht, in der er von ihr geträumt hatte – diesen Albtraum, der ihn nicht loslassen wollte – und nach der er zu Celeste eilen musste, um zu sehen, ob es ihr gut ging.
»Das hört sich so einfach an«, gab Nate leise zu.
Marco stieß ein Lachen aus.
»Das ist es auch. Die Liebe an sich ist einfach, das, was die Menschen daraus machen, macht sie kompliziert.«
»Kompliziert ist gar kein Ausdruck.« Das, was zwischen ihm und dem Rotschopf geschah, war von Anfang an kompliziert gewesen.
»Es liegt an Euch, die Liebe einfach zu gestalten«, sagte Marco schulterzuckend. Doch um seine Mundwinkel zuckte es verräterisch.
Nate seufzte theatralisch.
»Und wie mache ich das?«
»Lasst Euch von niemandem sagen, was Ihr zu fühlen habt. Hört auf Euer Herz und handelt dementsprechend.«
Das war leichter gesagt als getan. Und es klang in Nates Ohren wie eine Floskel. »Du hörst dich an wie ein verliebter Narr«, stieß er frustriert aus.
Marco lachte laut. »Das bin ich vermutlich auch. Seit ich Malia begegnet bin, klinge ich wie ein Narr in diesen Dingen.«
Nate grinste. Aber Marco wusste, was er wollte und tat alles, um es zu bekommen. Nate beneidete ihn darum.
»Hast du einen Rat für einen anderen Narr?«
Der Soldat lachte leise und dachte über die Frage nach.
»Seid derjenige, der an ihrer Seite steht und sie beschützt, besonders dann, wenn kein anderer es tut.«