Celeste
Der Morgen der Wintersonnenwende begann wie im Märchen. Na ja, fast: Würde nicht ein fünfjähriges Mädchen freudestrahlend auf Celestes Bett herumhüpfen und sie damit erbarmungslos aus dem Schlaf reißen.
»Lele, wach auf! Jetzt wach endlich auf! Es schneit!«, quiekte Laila entzückt und sprang vom Bett hinunter. Mit einem Ruck zog sie die schweren Vorhänge beiseite und entblößte die Sicht auf die schneeverhangenen Berge Samaras.
Müde rieb Celeste sich über die Augen und blickte nach draußen. Dicke Schneeflocken fielen vom Himmel und die Tannen, die hinauf in die Berge führten, waren bereits weiß bestäubt. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sie liebte die Wintersonnenwende schon seit frühester Kindheit. Die Stimmung im samarischen Palast war nie so harmonisch und ausgelassen wie zu diesem Fest. Alles war feierlich geschmückt mit Mistel, Jasmin und Tannen.
»Komm, die anderen warten schon!«, rief Laila freudestrahlend und zog Celeste die Bettdecke weg. Die Priesterin lachte leise, stand brav auf und griff nach ihrem Morgenmantel. Es war der Brauch, dass zuallererst die Geschenke bei einem gemeinsamen Frühstück ausgepackt wurden. Doch normalerweise hatten sie keine so hochrangigen Gäste zu Besuch.
Laila griff nach Celestes Hand und gemeinsam liefen sie barfuß die Gänge hinunter in den Damensalon. Überall duftete es nach frischgebackenen Plätzchen und Jasmin. Celeste hätte am liebsten laut und selig geseufzt. Schwungvoll öffnete Laila die Tür zum Salon und Celeste musste bei dem Anblick, der sich ihr bot, lachen.
Linnéa und Malia saßen unter Decken zusammengekuschelt auf dem Sofa. Zwischen ihnen stand ein großes Tablett mit allerlei Leckereien. Als Celeste den Raum betrat, drehten beide Priesterinnen sich zu ihr um.
»Fröhliche Wintersonnenwende!«, riefen sie gleichzeitig. Auch sie trugen noch ihre Nachthemden. Celeste setzte sich mit Laila auf das Sofa gegenüber und breitete eine der Decken über sie aus, bevor sie nach einer Teetasse griff. Hinter ihnen im Kamin knisterte bereits ein Feuer und verströmte eine angenehme Wärme im Raum.
»Wir sollten ab heute jedes Jahr die Wintersonnenwende in Samara feiern«, flötete Linnéa und schaute dabei aus dem Fenster. Ihre olivgrünen Augen strahlten und beobachteten die fallenden Schneeflocken.
»Es ist so anders: Wir feiern die Wintersonnenwende am Strand, nicht bei Schnee. Aber es passt einfach so viel besser.« Malia zog die Beine an den Körper und kuschelte sich tiefer in das Sofa.
»Es freut mich, dass es euch gefällt«, sagte Celeste lächelnd.
»Heute Abend bei dem Ball wird es noch besser.« Laila warf die Arme in die Luft und griff dann nach einem der warmen Gebäckstücke auf dem Tisch.
Ein Klopfen an der Tür ließ sämtliche Köpfe herumfahren.
»Du hast doch nicht Selena eingeladen, oder?«, zischte Malia Linnéa zu, doch die Waldtochter hob abwehrend die Hände und Celeste fiel ein Stein vom Herzen. Sie wollte den Morgen der Wintersonnenwende nicht mit Selena verbringen.
»Darf ich reinkommen?«, fragte eine Stimme von draußen und Celeste hob überrascht eine Augenbraue.
»Natürlich, Nike, komm rein.« Sie hatte die Stimme von Nates Leibwächterin sofort erkannt, konnte sich jedoch nicht erklären, was Nike im Damensalon wollte.
Die Soldatin betrat den Raum. In ihren Händen hielt sie einen Sack, aus dem kleine Päckchen herausschauten.
»Ich wurde damit beauftragt, Geschenke zu verteilen.« Die sonst so ungerührte Frau trug ein seliges Lächeln auf den Lippen, als sie den Sack auf einem der Sessel abstellte.
»Wie geht es Theo?«, wollte Celeste wissen und nippte an ihrem Pfefferminztee.
Nike lächelte sie an.
»Danke noch mal, dass er mitkommen konnte. Ich habe lange kein Fest zur Wintersonnenwende mehr mit ihm gefeiert. Er ist bei Kiah und hält ihn ganz schön auf Trapp«, sagte sie lachend und die Priesterinnen stimmten in das Lachen mit ein.
»Das ist selbstverständlich. Ich hoffe, es gefällt ihm hier.«
Nike nickte.
»Er erkundet in jeder freien Minute den Palast.« Celeste blickte nur für einen Moment auf Nikes Aura und erkannte nichts als pures Glück. Zufrieden nickte die Priesterin.
»Weswegen ich gekommen bin: Seine Hoheit, der Prinz, der noch faul im Bett liegt, hat mich gebeten, Euch diese hier zu überreichen«, sagte sie grinsend und griff nach vier hübsch verpackten Geschenken in dem Sack.
»Nate schenkt uns etwas zur Wintersonnenwende?«, fragte Linnéa erstaunt und auch Celeste konnte ihre Verblüffung nur schwer verbergen. Es war Tradition, seinen Lieben etwas zu schenken, aber eigentlich war damit nur die engste Familie gemeint.
»In der Tat, selbst mir hat er etwas geschenkt«, fuhr die Leibwächterin fort und hielt ihr Handgelenk in die Höhe. Ein schlichter silberner Reif lag darum. Seine Enden liefen wie Pfeilspitzen aufeinander zu.
Malia pfiff anerkennend durch die Zähne.
»Sag bloß, das hat er selbst gemacht.« Mit großen Augen blickte die Meerestochter auf den Reif.
Celeste musste sich den Reif nicht genauer ansehen, um zu wissen, dass Malia mit ihrer Vermutung richtig lag. Von Nathaniel wusste sie, dass er früher selbst Schmuck hergestellt und auf den Märkten von Samara verkauft hatte.
»Wartet ab, was er für Euch gemacht hat.« Nike überreichte jeder von ihnen ihr Päckchen. Laila klatschte begeistert in die Hände, als auch sie ein Geschenk erhielt. Als Nike Celeste das ihre gab, sah sie sie einen Moment länger an als nötig und die Priesterin runzelte die Stirn.
»Mein Auftrag ist damit erfüllt. Fröhliche Wintersonnenwende, Priesterinnen.«
Die Mädchen erwiderten die guten Wünsche und Nike verließ den Salon.
»Öffnen wir gleichzeitig oder nacheinander?«, fragte Linnéa, ein Funkeln in den Augen.
»Ich glaube, dort drüben brennt jemand darauf, sein Geschenk zu öffnen«, Malia lachte leise und blickte zu Laila, die nervös auf dem Sofa herumrutschte.
»Du darfst es öffnen«, sagte Celeste grinsend und noch im selben Moment riss das kleine Mädchen das Papier auseinander. Eine Schachtel kam zum Vorschein, die Laila mit zittrigen Händen öffnete. Sie zog ein Armband hervor und ihre Augen wurden groß.
»Sieh mal, Lele: blau und pink, meine Lieblingsfarben.« Laila zeigte ihr das goldene Armband mit den fünf kleinen Perlen. Doch es waren ihre Worte, die Celeste die Tränen in die Augen trieben. Voller Dankbarkeit blickte sie zu Malia, ihre Hand lag dabei auf ihrer Brust und sie nickte ihrer Freundin zu. Malia lächelte sie an.
Kurz nach ihrer Ankunft in Samara hatte Malia Laila von ihrer Farbenblindheit geheilt. Ohne, dass Celeste oder sonst jemand sie darum bitten musste. Die Meerestochter hatte Laila getroffen und noch während sie sich einander vorgestellt hatten, hatte sie ihr die Farbenpracht, die sie seit ihrer Geburt verloren hatte, zurückgegeben.
Eine Träne lief Celeste über die Wange und sie wischte sie hastig weg.
»Ja, blau und pink. Es ist wunderschön.« Celeste half Laila dabei, das Armband anzulegen. Es passte wie angegossen.
»Ich werde es Mama und Tante Simea zeigen«, rief sie euphorisch und kletterte vom Sofa herunter. Noch bevor Celeste etwas sagen konnte, war sie aus der Tür gelaufen.
Celeste wandte sich zu Malia, doch die hob die Hände.
»Sag es nicht. Wehe, du bedankst dich jetzt jedes Mal bei mir, wenn sie eine Farbe benennt. Auf Dauer würde mir das nämlich unglaublich auf die Nerven gehen.«
Bei diesen Worten musste Celeste nur noch mehr mit den Tränen kämpfen, doch gleichzeitig fing sie an zu lachen.
»Ich werde es versuchen.«
Das Lächeln auf Malias Gesicht wurde breiter.
»Los, Linnéa, du bist die Nächste.« Sie nickte der Waldtochter zu und Linnéa packte ihr Geschenk aus.
Nathaniel hatte ganze Arbeit geleistet und Celeste hatte keine Vorstellung, wie lange er für diese Kunstwerke gebraucht hatte. Die Tochter des Waldes packte ein goldenes Armband aus, es war ineinander verschlungen und mit hellgrünen Perlen besetzt.
»Wo hat Nate so etwas gelernt?«, wollte Malia wissen, als sie Linnéa das Armband umlegte.
»Er hat es gelernt, um sich damit den Lebensunterhalt zu verdienen«, sagte Celeste schulterzuckend.
Malia und Linnéa tauschten einen Blick, den Celeste jedoch ignorierte. Es war Wintersonnenwende und sie wollte jetzt nicht über sich und Nathaniel sprechen. Das würde ihr nur die gute Stimmung verderben.
Die Priesterin von Sirena war die nächste. Doch sie erhielt kein Armband. Mit schiefgelegtem Köpfen betrachteten die Frauen das Schmuckstück.
»Ist es vielleicht eine Halskette?«, fragte Linnéa stirnrunzelnd. Doch Malia schnaubte.
»So schlank ist mein Hals nun auch nicht.«
»Braucht vielleicht jemand Hilfe?«, ertönte eine Stimme von der Tür.
Marco stand dort und betrachtete die Priesterinnen mit einem Lächeln auf den Lippen. Celeste beobachtete schmunzelnd, wie sich leichte Röte über Malias Wangen zog.
»Eigentlich ist dies der Damensalon und für Herren der Zutritt strengstens verboten, aber da wir uns offenbar in Nöten befinden, werde ich eine Ausnahme machen«, verkündete die Himmelstochter und gab Marco mit einem Handzeichen zu verstehen, einzutreten.
Er ging zu Malia hinüber und nahm ihr das Schmuckstück aus der Hand. Malia sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an.
»Und, edler Retter, was ist es nun?«
Der Soldat lachte leise und griff nach ihrem Oberarm. Er legte ihr den Reif darum und verschloss ihn. Goldene Kettenelemente flossen Malias Oberarm hinab. Eine einzelne hellblaue Perle wurde wiederum von goldenen Ornamenten umschlossen und strahlte förmlich auf Malias gebräunter Haut.
»Es steht dir ausgezeichnet«, sagte Marco anerkennend.
Malia lächelte ihn an.
»Woher wusstest du, dass es ein Armschmuck ist?«, wollte sie wissen.
»Der Prinz hat mich um meine Meinung gebeten. Du gehörtest nie zu den gewöhnlichen Frauen, also brauchtest du auch ein außergewöhnliches Geschenk.«
Celeste sah Marco mit großen Augen an. Sie war sprachlos. Er stand in einem Raum mit drei Frauen, doch er sprach mit Malia, als wären sie die Einzigen auf der ganzen Welt. Und in seinen Augen lag so viel Zuneigung, dass Celeste beschämt den Blick abwenden musste.
»Ich verschwinde wieder«, er schenkte Malia noch ein Lächeln und verneigte sich vor Linnéa und Celeste, dann verschwand er durch die Tür.
»Also, wenn du ihn nicht heiratest, werde ich es tun«, sagte Linnéa wie in Trance, als sie Marco hinterhersah. Celeste brach in schallendes Gelächter aus.
Malia sah ihre Freundin nur finster an.
»Untersteh dich.« Sie hob warnend einen Finger, doch der Schalk saß in ihren Augen.
»Du hast wahnsinniges Glück mit ihm«, schwärmte Linnéa weiter. Celeste traute sich nicht zu fragen, wie der Stand bei Linnéa und Noah war. Sie wusste nicht, ob Malia von Linnéas Gefühlen wusste. Falls nicht, wollte sie ihre Freundin nicht bloßstellen.
»Du bist die Letzte«, sagte Malia dann und nickte Celeste auffordernd zu.
Celeste schluckte schwer. Sie hatte nicht mehr mit Nathaniel gesprochen, seit sie ihn aufgefordert hatte, sich bei Noah zu entschuldigen. Ob er das getan hatte, wusste sie nicht. Doch sie hoffte es von ganzem Herzen. In Zeiten wie diesen konnte jeder den Zusammenhalt und die Unterstützung der Familie gebrauchen.
Mit unsicheren Fingern öffnete Celeste die Schachtel. Auch in ihr lag ein Armband. Acht verschiedenfarbige Perlen waren zwischen silbernen Gliedern eingebettet. Stirnrunzelnd betrachtete die Himmelstochter die Perlen und drehte das Armband in den Händen. Dann sah sie den kleinen Zettel, der am Boden des Päckchens lag. Sie zog ihn heraus und bei den geschriebenen Worten zog sich ihr Herz krampfhaft zusammen.
Sie erinnern mich an den Himmel zu jeder Tagesstunde. Sie erinnern mich an dich, stand dort geschrieben.
Celeste betrachtete die Perlen, eine nach der anderen. Die eine war hellblau, aber von weißen Sprenkeln durchzogen. Wie der Morgentau, der sich über Wiesen erstreckt. Die nächste war von einem dunklen Blau, in dem cremefarbene Flecken tanzten. Wie dicke Wolken, die sich vor die Sonne schieben. Eine andere war hellrosa, dunkelblaue Streifen zogen sich durch das Glas. Die untergehende Sonne, die den Himmel in rotem Glanz erstrahlen lässt. Bei der letzten Perle, die Celeste betrachtete – eine nachtblaue mit schwarzen Punkten –, standen ihr bereits die Tränen in den Augen und ihre Kehle war wie zugeschnürt.
»Da ist heute jemand nah am Wasser gebaut«, lachte Malia und reichte Celeste ein Taschentuch.
Die Himmelstochter griff danach und wischte sich die Tränen von der Wange. Sie hatte am heutigen Tag nicht mit einem solch persönlichen Geschenk gerechnet. Schon gar nicht von Nathaniel.
»Es ist wunderschön«, flüsterte Linnéa und lächelte sie an. Celeste nickte eifrig. Ja, das war es. Wunderschön.
»Das ist sicher seine Art zu sagen, wie leid ihm sein Verhalten tut«, sprach Malia die Worte aus, die Celeste bereits im Kopf herumschwirrten. Nate war nie ein Meister großer Worte gewesen. Doch das war eben seine Art, sich bei ihr endgültig zu entschuldigen.
Celeste drückte das Armband an ihre Brust. Es war ein Schatz, den sie in Ehren halten würde.
***
Freudestrahlend blickte Celeste sich um. Sie stand in einem wunderschön geschmückten Ballsaal, der in sanftem Kerzenlicht schimmerte. Jedes Detail hatte sie selbst geplant und ausgesucht. Weiße und hellgraue Seidentücher hingen von der Decke. Runde Tische waren im Saal aufgestellt und Winterheide, Misteln und Jasmin darauf drapiert worden. Samara war wohl die einzige Provinz, in der Jasmin auch im Winter blühte. Der Winter hatte Samara bereits erreicht und um diese Jahreszeit gab es in dieser Region keine Blumen mehr. Doch auch ohne bunte Blütenpracht wie in Silvina sah der Raum wunderschön aus. Die Farben waren eben denen des stillen Winters angepasst. Die Feierlichkeiten zur Wintersonnenwende hatten begonnen und deren Auftakt war die Vermählungszeremonie von Adrian und Simea gewesen.
Mara, die oberste Ordensschwester von Sirena, hatte die beiden getraut. Auch Celeste hätte es tun können, als Priesterin hatte sie bereits einige Ehen geschlossen. Doch heute hatte sie eine andere Aufgabe zu erfüllen: Sie war Simeas Trauzeugin. Also hatte sie neben ihrem Vormund gestanden, den Brautstrauß gehalten und gemeinsam mit Espen, der der Trauzeuge von Lord Adrian war, das symbolische Band der Ehe um die Hände des Brautpaares geschlungen.
Nun stand die Priesterin am Rand der kleinen Tanzfläche, auf der das Brautpaar seinen Hochzeitstanz tanzte. Adrian und Simea wirkten wie im siebten Himmel. Als befänden sie sich allein im Raum, blickten sie sich voller Liebe in die Augen.
»Sie sehen so glücklich aus«, sagte plötzlich Elio neben ihr. Seine Augen hingen an dem Paar. Celeste hatte gar nicht bemerkt, dass er sich neben sie gestellt hatte.
»Das sind sie auch.« Celeste nahm zwei Champagnergläser von einem der Bediensteten entgegen und reichte eines ihrem besten Freund.
»Auf das glückliche Paar!« Sie prosteten sich zu und tranken den prickelnden Perlwein.
Celeste betrachtete das Brautpaar weiter und kam bei seinem Anblick beinahe ins Schwärmen. Wie schön wäre es, wenn sie eines Tages genauso glücklich sein könnte. Vorzugsweise mit einem Mann an ihrer Seite, der wunderschöne grüne Augen hatte.
»Gewährst du mir diesen Tanz?«, Elio hielt ihr die Hand hin und ein Grinsen lag auf seinen vollen Lippen. Das braune Haar war frisch geschnitten und der Bart ordentlich gestutzt.
»Ausnahmsweise.« Celeste grinste zurück und ließ sich von ihm auf die Tanzfläche führen. Simea und Adrian lächelten sie an.
Elio führte Celeste in eine Drehung und zu sanfter Streichmusik tanzten sie gemeinsam.
»Du hast hier ein wahres Wunder vollbracht. Danke, dass du das für meinen Vater getan hast.«
Celeste sah ihn freudestrahlend an. Es waren zwar die Feierlichkeiten zur Wintersonnenwende und doch feierten sie viel mehr die Hochzeit von Adrian und Simea.
»Das war das Mindeste, was ich tun konnte. Es bedarf keines Dankes. Von niemandem.« Es hatte ihr sogar Spaß gemacht, alles so feierlich herzurichten. Und war eine willkommene Abwechslung zu ihren trüben Gedanken gewesen.
Elio sah Celeste sanft ins Gesicht.
»Ich finde schon. Gerade weil ich weiß, dass du ganz andere Dinge im Kopf hast.«
Celeste sagte dazu nichts, sondern folgte schweigend seiner Führung beim Tanz. Doch ihr Freund ließ es nicht darauf beruhen.
»Habt ihr geredet?«
Die Priesterin seufzte leise, lächelte dann aber.
»Geredet würde ich dazu nicht sagen, aber wir sind dabei uns wieder zu versöhnen. Ebenso wie ihr, wie mir scheint.« Gerade warf sie einen Blick zu Nathaniel, der lachend neben Noah stand. Der Hofstaat des Prinzen hatte sich offenbar mit diesem wieder ausgesöhnt, seitdem Noah in ihre Reihen zurückgekehrt war. Die gelöste Stimmung zwischen den Männern um Nate ließ Celestes Herz hüpfen.
Elio folgte ihrem Blick und nickte.
»Er hat sich entschuldigt und Noah zurück in sein Gefolge beordert. Und auch das verdanken wir dir, habe ich nicht recht?«
Celeste zuckte mit den Schultern. Sie wusste nicht, ob es ihre Worte gewesen waren, die Nate zum Umdenken animiert hatten. Irgendwie wagte sie das zu bezweifeln.
»Das reicht mir als Antwort. Du bringst das Beste in ihm zum Vorschein.«
Überrascht sah Celeste zu Elio auf. Dann stieß sie ein freudloses Lachen aus.
»Das glaube ich nicht.« Nicht in der letzten Zeit. Doch dann betrachtete sie ihr Handgelenk, an dem Nates Geschenk baumelte. Das Silberarmband mit den bunten Perlen.
Sie erinnern mich an den Himmel zu jeder Tagesstunde. Sie erinnern mich an dich.
Elio schüttelte den Kopf.
»Es ist aber so. Ich weiß, dass es zwischen euch gerade nicht so gut läuft, aber er gibt sich doch Mühe, das wiedergutzumachen.«
Sie nickte steif. Noah durfte in Nates Gefolge bleiben, das stimmte. Bei ihm hatte er Widergutmachung geleistet.
»Gib ihm eine Chance, Celeste. Ihr tut euch gegenseitig gut, auch, wenn ihr das noch nicht sehen könnt.« Elio zwinkerte ihr zu, bevor er sie in die nächste Drehung führte.
Celeste blickte wieder zu Nate. Er stand noch immer neben Noah und die beiden Männer unterhielten sich angeregt. Hinter ihnen entdeckte sie jetzt Selena. Der Blick aus ihren eisigen Augen ruhte einzig und allein auf Nate. Elio schien das ebenfalls aufzufallen.
»Sie war seine erste Liebe, Lele. Das bedeutet aber nicht, dass sie auch seine letzte sein wird.«
»Lele« war der Name, den Laila ihr als kleines Kind gegeben hatte, als sie »Celeste« noch nicht aussprechen konnte. Wann auch Elio diesen Spitznamen übernommen hatte, konnte Celeste nicht mehr sagen. Es war lange her.
»Seit wann gibst du so weise Ratschläge, Elio?«
Ein kehliges Lachen drang aus seiner Brust und er zog sie an sich.
»Einer muss es ja tun.«
Celeste stieg in sein Lachen mit ein. Während einer weiteren Drehung fiel ihr Blick zufällig auf Makena, die sich am Rand der Tanzfläche mit Ayla unterhielt.
»Da wir über mein Liebesleben gesprochen haben, kommen wir nun zu deinem.« Ein Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Doch Elio stöhnte.
»Es gibt sowieso nichts, was du nicht weißt. Recht unfair, wenn du mich fragst.«
»Hör bloß auf, vom Thema abzulenken.«
Ein Funke schimmerte in seinen Augen.
»Wie viel weißt du?«
»In Wahrheit nicht viel. Aber da ihr gemeinsam auf der Hochzeit erschienen seid, wird einiges passiert sein. Also, fang schon an zu erzählen und lass dir nicht alles aus der Nase ziehen.« Sie grinste ihn spitzbübisch an.
Zuletzt hatte sie mit Makena vor dem Giftanschlag über Elio gesprochen. Anschließend war das Thema den aktuellen Geschehnissen gewichen und dann in Vergessenheit geraten. Celeste könnte sich dafür ohrfeigen.
»Was gibt es da zu erzählen? Wir mögen uns, Ende der Geschichte. Nicht bei jedem muss es so kompliziert sein wie bei dir und dem Prinzen.« Elio hatte es im Scherz gesagt und Celeste musste auch beinahe lachen. Aber eben nur beinahe.
»Das freut mich für euch. Ihr verdient einander.«
Das Gesicht des Höflings fing bei diesen Worten an zu strahlen.
»Danke. Es ist gut zu hören, dass du uns unterstützt.«
Celeste hob überrascht eine Augenbraue.
»Natürlich unterstütze ich euch, warum sollte ich das nicht tun?« Während sie sprachen, begann bereits der nächste Tanz und Elio schob sie gekonnt in die erforderliche Figur. Celestes cremefarbenes Kleid bauschte sich dabei auf. Der Ausschnitt und die Ärmel waren mit Spitze besetzt und kleine weiße Perlen säumten den Kragen.
»Du kannst manchmal sehr kritisch werden, gerade, wenn es um deine Freunde und die Liebe geht.« Elio lachte verlegen, doch in seinen Augen war eine leise Furcht vor ihrer Reaktion auf das Gesagte zu sehen.
Celeste grinste nur.
»Glücklicherweise bist du auch mein Freund, Elio. Und seit heute so etwas wie mein Stiefbruder.«
Elio lachte laut.
»Wir haben eine sehr ungewöhnliche Familie.«
»In der Tat«, stimmte Celeste ihm lächelnd zu.
Er biss sich auf die Unterlippe und sah sie schelmisch an.
»Wenn ich daran denke, dass ich mal meine Stiefschwester geküsst habe …« Celeste sah ihn erschrocken an, doch dann prusteten beide lauthals los.
»O heilige Göttin, erinnere mich nicht daran! Das sollten wir so schnell wie möglich vergessen.« Auch wenn dieser Kuss schon Jahre her war, war es seltsam, nun darüber zu sprechen.
Elio bedachte Celeste mit einem warmen Lächeln.
»Es ist schön, dich wieder lachen zu sehen.«
Ein Stich durchfuhr sie bei diesen Worten, der direkt ins Herz ging.
»Mir war lange nicht danach.« Nicht nach dem Anschlag und nicht nach ihrem Streit mit Nathaniel.
»Ich weiß. Es tut mir leid, dass ich nicht für dich da gewesen bin.«
Die Priesterin schüttelte den Kopf. Elio sah so betreten aus, dass sie es nicht ertragen konnte.
»Rede keinen Unsinn, Elio!«
»Du wurdest in Sirena beinahe getötet und niemand hat bisher den Schuldigen gefasst oder auch nur eine Ahnung, wer dafür verantwortlich ist.«
Es waren dieselben Worte. Immer und immer wieder. Celeste konnte sie nicht mehr hören.
»Jetzt redest du schon wie Nate.« Auch er hatte sich erst von ihr abgewandt und ihr dann genau dasselbe gesagt.
Elio zuckte mit den Schultern, doch seine Mundwinkel zuckten verräterisch.
»Ist wohl so eine Männersache. Wenn jemandem etwas passiert, den wir lieben und wir nichts tun konnten, um das zu verhindern, werden wir paranoid.«
Die Himmelstochter stutzte und kam für einen kurzen Moment aus dem Takt. Mit hochgezogener Augenbraue musterte sie den Höfling. Dann schüttelte sie lachend den Kopf.
»Von wegen, wir Frauen sind kompliziert.«
Elio lachte herzlich und führte sie in eine schnelle Drehung.
***
Nathaniel
Mit schmalen Augen beobachtete er, wie Celeste mit Elio tanzte. Schon den dritten Tanz, wohlbemerkt. Ihn hatte sie noch keines Blickes gewürdigt. Ihm keine schöne Wintersonnenwende gewünscht oder sich für das Geschenk bedankt.
Warum konnte der Rotschopf nicht so sein wie Laila? Das Mädchen hüpfte freudestrahlend durch den gesamten Saal und präsentierte jedem stolz das Armband, das er ihr geschenkt hatte. Wirklich jedem. Egal, ob er es sehen wollte oder nicht. Nathaniel wusste nicht einmal, ob Celeste sein Geschenk trug und ob es ihr gefallen hatte. Jedes Mal, wenn er sich ihr nähern wollte, hatte sie rein zufällig die Richtung gewechselt. Ein Knurren drang aus seiner Kehle.
»Nun geh endlich zu ihr, bevor du jedem hier die Laune verdirbst«, lachte Noah neben ihm. Nate bedachte ihn dafür mit einem wütenden Blick. Sie hatten sich wieder vertragen, aber gerade war der Prinz nicht zu Scherzen aufgelegt.
»Wie du siehst, ist sie gerade beschäftigt«, stieß Nate zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er war nicht eifersüchtig auf Elio. Das wäre Unsinn. Jeder Blinde konnte sehen, dass sein Höfling Gefühle für Makena hegte. Doch es störte Nate, dass Celeste mit Elio tanzte und nicht mit ihm.
»Was ist los mit dir? Du lässt dich doch sonst von nichts aufhalten«, stichelte Noah weiter.
Nate hob eine Augenbraue. Wenn man ihnen zuhörte, könnte man wirklich meinen, sie stichelten unter Brüdern. Zumindest hatte Nate sich eine Kabbelei unter Brüdern immer so vorgestellt.
»Willst du mir auf die Nerven gehen? Falls ja, gelingt dir das wirklich gut.« Der Prinz verschränkte die Arme vor der Brust und schnaufte.
Noah lachte laut auf.
»Ich will dich nicht nerven. Der Blick, mit dem du Celeste und Elio bedenkst, ist jedoch für Außenstehende beinahe unerträglich.«
»Wie sehe ich sie denn an?«, knurrte Nate. Trotzig blickte er Noah mitten ins Gesicht.
Sein Höfling konnte sich nicht mehr zurückhalten und sagte prustend:
»Du benimmst dich wie ein Kind, dem sein Lieblingsspielzeug weggenommen wurde. Jetzt spielt ein anderes Kind damit und du beobachtest es voller Sehnsucht in den Augen und voller Zorn. Es gehört dir, du traust dich aber nicht, es dir zurückzuholen.«
Seine Kiefer mahlten aufeinander, als Nates Blick erneut zu Elio und Celeste schweifte.
»Sie ist kein Spielzeug«, flüsterte er.
»Schön, dass wir uns da einig sind.« Zufrieden nickte Noah. »Wenn du mich nun entschuldigen würdest.« Er wollte sich abwenden, doch Nate griff ihn am Arm.
»Du lässt mich einfach hier stehen? Allein?«
Ein Grinsen breitete sich auf Noahs Gesicht aus. »Offenbar. Nur weil du hier tatenlos herumstehst und dir den Abend verdirbst, muss ich nicht dasselbe tun. Ich habe vor, mich bei jemandem zu bedanken.« Der Blick aus Noahs grünen Augen wanderte zu Linnéa, die gerade mit Malia sprach. Wissend nickte Nate.
»Dann verschwinde. Es wird auch Zeit, dass ihr das zwischen euch klärt«, brummte Nate. Noah lachte nur. »Das aus deinem Mund.«
Missmutig blickte Nate seinem Höfling nach. Da vernahm er ein leises Lachen hinter sich.
»Vielleicht solltest du seinem Beispiel folgen.«
Simea lächelte ihn gütig an, bevor sie mit dem geflochtenen Silberreif an ihrem Handgelenk spielte, den er ihr geschenkt hatte.
»Noch mal alles Gute zur Hochzeit, Simea. Du und Adrian seid ein schönes Paar«, Nate meinte jedes Wort so, wie er es sagte. Er hatte die besondere Verbindung zwischen der Septa und dem Lord schon früh bemerkt und war froh darum, dass sie sich endlich gefunden hatten.
»Vielen Dank«, das Lächeln verließ ihre Lippen nicht, doch etwas blitzte in ihren blauen Augen auf.
»Auch wenn ich nicht immer etwas zu sagen habe, bekomme ich doch sehr viel mit.« Ihr Tonfall hatte an Ernsthaftigkeit gewonnen und Nate musterte sie erstaunt von der Seite. Der Blick der Septa schweifte scheinbar belanglos durch den Ballsaal.
»Ich bin mir nicht sicher, was du mir sagen willst«, gestand Nate und fühlte sich mehr als unwohl. Simea war Celestes Vormund und würde, egal was passierte, immer auf ihrer Seite stehen. Und dieses Mal eindeutig zu Recht. Er hatte sich gründlich daneben benommen, nicht der Rotschopf.
»Was ich dir sagen will, Nathaniel, ist: Solltest du Celeste verletzen, wird es mir egal sein, dass du der zukünftige König dieses Landes bist. Ich bin ihr Vormund«, Simea verstummte, auf ihrer Stirn bildete sich eine Falte, dann schüttelte sie den Kopf, als hätte sie etwas Falsches gesagt. »Nein, ich bin ihre Mutter. Und selbst der Status eines Königs wird dich nicht vor meinem Zorn bewahren können, solltest du meine Tochter unglücklich machen.« Sie lächelte noch immer und ihrem Gesicht war von fern nicht anzumerken, dass sie ihm gerade eben gedroht hatte wie eine Löwin, die ihr Junges beschützt. Nate hatte Simea nie so mütterlich erlebt, aber die Septa hatte recht. Sie war die einzige Mutter, die es für Celeste je gegeben hatte.
Ein Lächeln schlich sich auch auf Nates Gesicht und er legte die Hand aufs Herz.
»Ich will ihr niemals wieder wehtun.« Das war sein voller Ernst.
Um Simeas Mundwinkel zuckte es.
»Wenn das so ist, wirst du sicherlich nichts dagegen haben, euren lächerlichen Streit endgültig aus der Welt zu schaffen.« Die Septa zwinkerte ihm zu und ging dann ohne ein weiteres Wort zu ihrem frischgetrauten Gatten hinüber, der ihr vor Glück strahlend einen Kuss auf die Stirn hauchte.
Nate schüttelte grinsend den Kopf und seine Augen suchten sofort nach Celeste. Sie stand nicht mehr auf der Tanzfläche bei Elio, doch Nate konnte gerade noch ihre roten Locken fliegen sehen, als sie den Saal verließ. Ohne zu zögern folgte er ihr.
»Wohin des Weges, schöne Frau?«, fragte er, als er sie unter einem Rundbogen in einem Gang des Palastes eingeholt hatte, wo sie kurz innegehalten hatte.
Celeste fuhr erstaunt zu ihm herum und schüttelte dann den Kopf.
»Ich wollte nur etwas frische Luft schnappen«, erwiderte sie. Nate überbrückte die wenigen Meter, die sie trennten. So nah bei ihr wurde Nate nervös. Er wusste nicht, ob sie noch wütend auf ihn war oder ob sie das Armband als das verstanden hatte, was es war: eine aufrichtige Entschuldigung. Aber auch die letzte Möglichkeit, die er noch gesehen hatte, um sie zu erreichen. Zumindest waren in ihren Augen keine Anzeichen von Zorn zu entdecken.
Auch die Priesterin fuhr sich verlegen über den Nacken. An ihrem Handgelenk entdeckte Nate jetzt das Armband. Celeste bemerkte seinen Blick.
»Danke dafür. Es ist wirklich wunderschön«, flüsterte sie.
Ein Lächeln umspielte seine Lippen.
»Von Herzen gern.« Es freute ihn unglaublich, dass sie das Armband von ihm trug. Und beruhigte ihn auch ein wenig. Männlicher Besitzanspruch breitete sich in ihm aus. Dieses Armband kam einer Markierung gleich. Es war zwar kein Verlobungsring, aber für Nate machte das keinen großen Unterschied.
Celeste war die Situation sichtlich unangenehm, sodass sie das Thema wechselte:
»Nike strahlt förmlich, seit du Theo zu ihr zurückgebracht hast. Das war wirklich großzügig von dir.« Ihre Mundwinkel zuckten. Er nickte, wollte jetzt aber nicht über seine Leibwächterin sprechen, die bestimmt im Schatten der Gänge über ihn wachte.
»Und ich habe bemerkt, dass du wieder mit Noah sprichst«, fuhr Celeste fort. Der Unterton in ihrer Stimme klang nach Anerkennung.
»Wir haben das Kriegsbeil begraben – dank dir«, bestätigte Nate nickend. Nur ihretwegen war er überhaupt auf Noah zugegangen. Nur sie war in der Lage gewesen, ihm ins Gewissen zu reden. Er wusste: Celeste brachte das Beste in ihm zum Vorschein. Das tat sie, seitdem er ihr das erste Mal begegnet war.
»Es hat nichts mit mir zu tun«, widersprach sie ihm. Doch sie irrte sich, das wusste Nate. »Du hättest auch von allein begriffen, dass du Noah brauchst. Nur vielleicht etwas später. Auch wenn du ihn nicht als Bruder akzeptieren kannst. Und diese Einsicht ist ein Zeichen von Größe.«
Überrascht hob Nate eine Augenbraue. Das Karamell in Celestes Augen funkelte und der Prinz fuhr sich nervös durch die Haare.
»Du solltest augenblicklich damit aufhören«, sprach er mit rauer Stimme.
»Womit?«, fragte Celeste verwirrt.
Nates Blick wanderte zu ihren Lippen. Sie waren voll und rot und die reinste Versuchung.
»Dinge zu sagen, die mich dazu bringen, dich zu küssen.« Sein Tonfall klang kehlig und er schluckte schwer.
Celestes Augen weiteten sich und sie biss sich auf die Unterlippe. Allein dieser Anblick brachte Nates Blut in Wallungen und er musste sich zusammenreißen, sie nicht an sich zu ziehen und einfach seine Lippen auf ihre zu pressen.
Die Priesterin fuhr sich mit den Händen über die nackten Arme und blickte verlegen zur Seite. Der Blick aus ihren karamellfarbenen Augen irrte ziellos durch den Gang, der zum Festsaal führte – und blieb plötzlich an etwas über ihnen hängen.
»Oh«, wisperte sie.
Nate blickte ebenfalls auf und sah mit großen Augen zu dem Mistelzweig, der an dem Rundbogen über ihnen befestigt war. Der Rotschopf wirkte nervös, doch Nate musste grinsen. Als würden die Götter sie zueinander führen wollen.
»Es ist Tradition«, flüsterte er.
Celeste verdrehte die Augen und wollte protestieren, doch da hatte Nate sie schon an sich gezogen und seinen Mund auf ihren gepresst. Ihre Lippen waren weich und schmeckten süßlich. Nach dem Perlwein, den sie getrunken hatte. Ein Stich fuhr durch Nates Herz, als er spürte, dass Celeste sich in seinen Armen versteifte. Sofort löste er sich von ihr und sah sie betreten an.
»Es tut mir leid, das hätte ich nicht tun sollen. Ich weiß, dass du mir noch nicht verziehen hast.« Er hätte sich in diesem Moment ohrfeigen können. Vielleicht hatte er mit diesem Kuss alles verdorben. Allein bei dem Gedanken zog sich seine Brust zusammen.
Celestes Pupillen waren geweitet und ihre Brust hob und senkte sich in einem schnellen Takt. Langsam schüttelte sie den Kopf. Ihre karamellfarbenen Augen blickten sehnsuchtsvoll zu ihm auf.
»Du hast recht. Ich hätte es tun sollen.«
Mit diesen Worten schlang sie ihre Arme um seinen Hals und zog ihn zu sich herab. Ihre Lippen versiegelten seinen Mund und sie stöhnte dagegen. Nate umgriff ihre Taille und zog sie an sich, presste seinen Körper an ihren. Celeste küsste ihn voller Leidenschaft und Nate erwiderte den Kuss genauso heftig. Er biss ihr spielerisch in die Unterlippe und Celeste stieß ein Keuchen aus. Seine Hand griff in ihre roten Locken, während Celeste sich in seinen Rücken krallte.
Es war die perfekte Versöhnung. Ein Kuss, der jeden Streit beenden konnte. Durch Nates Adern floss pures Glück, nun, da er Celeste in seinen Armen hielt. Stundenlang hätte er sie küssen können. Sie fühlte sich so gut an.
Gerade, als seine Lippen ihren Hals hinunterglitten und Celeste genießerisch die Augen schloss, ertönte hinter ihnen ein Räuspern. Nate knurrte und wollte den Störenfried zum Teufel jagen. Als er aufblickte, entdeckte er Karim.
Der Prinz erstarrte bei seinem Anblick und Zorn flammte in ihm auf. Er hatte sich mit Noah versöhnt, doch auf Karim konnte er noch nicht zugehen.
Der Lord blickte verlegen zur Seite.
»Verzeiht die Störung, Hoheit, aber ich muss in einer dringenden Angelegenheit mit Euch sprechen«, Karim klang gepresst.
Nates Blick verfinsterte sich.
»Ich bin mir sicher, dass das bis Morgen warten kann.« Celeste lag noch immer in Nates Armen und obwohl sie Anstalten machte, sich von ihm zu lösen, weigerte er sich, sie loszulassen. Und sie ließ es erstaunlicherweise zu. In ihrer Gegenwart wollte er sich Karim gegenüber benehmen und das wusste sie. Nate erwartete, dass Karim den Wink verstand, doch der Lord rührte sich nicht von der Stelle. Ein harter Zug lag um seinen Mund.
»Ich fürchte, das kann es nicht.«
Nate hob verwirrt eine Augenbraue.
»Was ist passiert?« Egal, was es war, Karim sollte es sofort ausspucken. Auch vor Celeste. Nate wollte schleunigst da weitermachen, wo er aufgehört hatte. Wollte den Rotschopf so lange küssen, bis sie die Worte, die er ihr im Streit an den Kopf geworfen hatte, vergessen hatte.
Karim schluckte schwer und die grünen Augen, die Nates eigenen so ähnlich waren, verdunkelten sich.
»Wir haben denjenigen gefunden, der Lady Celeste vergiften wollte.«
Bei diesen Worten gefror das Blut in Nates Adern zu Eis.