27 STUNDEN
Gestern lag ich auf der Liege einer Beckenbodentherapeutin. Mit ihrem behandschuhten Finger fuhr sie meine Vagina entlang, betastete die Muskeln. Schließlich änderte sich ihr Blick; sie sagte, eine Seite sei massiv verspannt, wie eine undurchdringliche Wand. Sie massierte langsam die Verspannung heraus. Als ich kurze Zeit später in den Hof trat, um mein Fahrrad aufzuschließen, kamen mir die Tränen. Dabei war es nicht so furchtbar, wie es sich vielleicht anhört. Eher haben mich die extreme Fürsorge und das Verständnis der Therapeutin zu Tränen gerührt. Ich weiß nicht, wann mir in der letzten Zeit so viel Einfühlungsvermögen begegnet ist. Aber was – war mein nächster Gedanke – sagt das dann über mich und mein Leben aus?
Nach der Geburt meines ersten Kindes sind meine Orgasmen flacher geworden, verhaltener. Ich frage mich, ob das mit dem Kaiserschnitt zu tun haben kann, ob da vielleicht Nervenbahnen durchtrennt wurden.
Vor der Geburt des ersten Kindes bat ich P., das Ganze mit meinem Aufnahmegerät festzuhalten. Es zog sich ewig hin. Mehrere Tage lang wartete ich im Krankenhaus, der Muttermund wollte sich nicht öffnen. Ich war schon acht Tage über dem errechneten Termin. Am Morgen des vierten Tages im Krankenhaus nahm ich die Tabletten zur Einleitung, trotzdem dauerte es. Wir unterhielten uns, hörten The Doors, während ich relativ entspannt in der Geburtsbadewanne lag. Als es dann aber wirklich losging, in der letzten Stunde, kurz vor der »Austreibungsphase«, schaltete P. das Aufnahmegerät ein. Auch jetzt, acht Jahre später, ertrage ich das Stöhnen in diesen Aufnahmen nicht. Das Grunzen eines sterbenden Tieres, Laute, die nicht aus mir zu kommen scheinen. Wild. Wütend. Monströs. Ich schäme mich noch immer für diese Laute. Ich fürchte mich vor der unbändigen Kraft, die darin tönt.
Die Geburt meines ersten Kindes dauerte 27 Stunden. Mein Körper war derart erschöpft, dass er mir nicht mehr zu gehören schien. Auch nahm das Baby meinen Körper danach sofort auf eine Weise in Anspruch, die diesen Eindruck noch verstärkte. Sexuelle Wahrnehmungen schienen völlig unmöglich. Es dauerte, bis diese Fähigkeiten meines Körpers wieder erwachten.
Ich weiß nicht, wie oft ich in den Wochen, Monaten, mittlerweile Jahren nach den Geburten dachte: Ich falle auseinander. Mein Körper fällt auseinander.
Ich bewundere alle Menschen, die den Mut haben, ihren Körper einer Schwangerschaft auszuliefern. Und dem tierischen Vorgang der Geburt. Als Kinderlose fühle ich mich unberührt, jungfräulich, männlich vielleicht. Darüber bin ich froh.
Die Geburt meines Kindes dauerte 27 Stunden. 26 Stunden und 25 Minuten im Familienzimmer Zoo-Dokus schauen und 35 Minuten im OP-Saal liegen, betäubt, aufgeschnitten und entbunden werden. Animalischer als Elefant, Tiger & Co. wurde es nicht.
Die Geburt meines ersten Kindes dauerte 27 Stunden. Mein Körper war ekstatisch, gierig. Eine Stunde bevor das Kind das Licht der Welt erblickte, in der Phase der wildesten Eröffnungswehen, nahm ich den Penis meines damaligen Partners in mir auf. Meine geschwollene Möse molk ihn und bescherte mir zwischen zwei Wehen einen rauschenden Höhepunkt.
Wenige Stunden später, das gewickelte Kind im Arm, wusste ich, dass mir die Welt zu Füßen liegt, dass ich die Kraft habe, alles zu erschaffen, alles zu zerstören.
Der glücklichste Augenblick meines Lebens war der, als die PDA gewirkt hat.
Bei der ersten Geburt warf sich die Ärztin auf meinen Bauch, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen, der Damm riss. Die zweite Geburt dann ganz anders. Meine Hebamme, die immer wieder sagt: Hands off bei der Geburt! Alle anderen aus dem Raum schickt. Wie gern ich das manchmal herausschreien würde, in allen möglichen Situationen: HANDS OFF, BITCHES.
Die Geburt meines Kindes dauerte 27 Stunden. Ich legte mich an einen See, öffnete die Beine und schloss die Augen. Verschlief die Geburt, die Ankunft des Kindes.
Ich hab stundenlang gepresst, aber das Baby wollte nicht raus, war verkantet irgendwie. Als dann endlich, nach 27 Stunden, Bewegung in die Sache kam, spürte ich in meiner Scheide nur kaltes Metall. Was ist es denn, stieß ich zwischen zwei Wehen hervor.
Ein Mutterkreuz, sagte die Hebamme entzückt.
Meine Partner*in will ein Baby, meine Partner*in lässt deren Bart wachsen. Dey war mal richtig femme, mit Kleidern und Lippenstift und allem. Jetzt trägt sie Bart, manchmal zum Kleid. Meine Partner*in trägt Strap-On und fickt mich zärtlich damit. (So kann ich auch mit dem Bild des Donnerkeils irgendwie wieder was anfangen.) Dey lässt sich die Muschi lecken und fiept wie ein kleines Kätzchen, kurz bevor sie kommt. Meine Partner*in will Mutter sein und mag es, Onkel genannt zu werden. »Für einen cis Mann habe ich noch nie so uneingeschränktes Verlangen empfunden«, sagt dey. »Und wahrscheinlich auch mit keinem diese Befriedigung erfahren«, sage ich, und wir lachen beide laut: Natürlich nicht! Meine Partner*in hat schon mit sehr vielen cis Männern geschlafen. Sie führt mir einen bunten Plug in den Po ein, einen lila Dildo in die Muschi, eine ganze Hand in den Mund. Meine Partner*in will ein Baby. Meine Partner*in will Mutter sein. FLINTA*-Begehren. Es ist ihr kaum möglich herauszuarbeiten, woher das Verlangen nach Mutterschaft kommt. Auch hier lässt sich der Wunsch, den gesellschaftlichen Rollen gerecht zu werden, nicht lösen vom eigenen Verlangen. Ich weiß wirklich nicht, welche andere Möglichkeit sich mir bietet, den gender roles zu entkommen, als die queere Liebe. It’s a way out. Politische Lesbe oder born this way? Meine Partner*in will für ein kleines Wesen Sorge tragen. Sie will Zugehörigkeit spüren. Meine Partner*in stellt sich vor, dass ihre Klitoris ein Penis ist, während ich sie streichle. Ich sauge an ihren Brüsten, dey nennt mich Baby. Ich stelle mir vor, ein Baby zu sein. Meine Zunge spielt mit den dunklen Haaren, die sich um die Nippel meiner Partner*in kräuseln, während ihre weichen Brüste über mir baumeln. Gib mir Milch, Daddy. Meine Partner*in hat in beruflichen Situationen Sorge, jemand könnte ihre Achselhaare sehen. Verdammt nochmal, we must endlich end the idea that femininity = hairlessness. (ALOK). Meine Zunge spielt mit dem gewaxten Anus meiner Partner*in, während deren Tonlage langsam steigt. Ich versuche meiner Partner*in zu sagen, dass dey als Mutter der patriarchalen Hölle noch weniger wird entkommen können. Familie ist grausam. Kita ist grausam. Schule ist grausam. Andere Eltern sind grausam. Gleichzeitig habe ich Bock auf eine sexy Mom, mit Bart natürlich.
Der unfassbar gute Beginn von Detransition, Baby[2] von Torrey Peters thematisiert Risiko, Sex und Zeitlichkeit aus einer transfemme-Perspektive: Die trans Frau Reese, die Sex mit einem HIV-positiven Mann hat. »With him, she’d discovered sex that was really and truly dangerous.« Die mögliche Infektion wird gleichgestellt mit einem »cis woman’s life changer«, der steten Gefahr einer Schwangerschaft und all der damit einhergehenden körperlichen, sozialen, lebenswirklichen Transformationen. »Her cowboy could fuck her and mark her forever. He could fuck her and end her. His cock could obliterate her.« Wo Tod und Zeitlichkeit immer als abstrakte Theoriewolken über dem Sex schweben, werden sie hier konkrete Gewalt. Gewalt im zeitlichen Sinne. In der Dualität von Schwangerschaft/HIV wird Tiefenzeit spürbar: das Vergehen von Generationen, von Zukunft. Das brutale Voranschreiten von Zeit.
Das hat mich auch umgehauen beim Lesen. Literally. Ich (als cis Hetera) habe mir immer genau das gewünscht: Sex zu haben ohne Angst vor einer Schwangerschaft und mit einem Mindset, das nicht komplett verwüstet ist von zwölftausend Jahren Patriarchat. Ich habe früh gelernt: dass sich mein Wert als Mensch für einige Menschen an meinem Aussehen und an meiner Fuckability bemisst. Dass ich nur dann Sex haben soll, wenn ich auch verliebt bin in die Person. Dass mein eigenes Begehren erst aufflammen darf, wenn ich begehrt werde. Dass ich, was Sex angeht, zu reagieren habe und nicht selbst aktiv werden soll. Ich habe das so satt! Ich will ficken wie ein Vieh. Ekstase ohne Denken. Pure Lust.