HÜNDIN
Ich gehe auf die Wechseljahre zu und merke, wie sich mein Geruch verändert. Er wird intensiver, herber auch. Das verunsichert mich. Ich merke, wie ich anderen Frauen hinterherschnüffle, bei Umarmungen, im Vorbeigehen. In der Bahn tue ich manchmal so, als müsste ich etwas aus der Tasche holen, um dem Schritt meiner Sitznachbarin näher zu kommen und vielleicht irgendwas zu erriechen. Wenn ich auf öffentlichen Toiletten in die Geruchswolken anderer trete, atme ich tief ein: Urin, Schweiß, Parfüm, Ausfluss, Blutungen, was noch? Was noch? Ich werde zur Hündin. Hole mit der Nase Informationen von meinen Kolleg*innen ein: Wie ist das bei euch so mit dem Älterwerden?
Seit geraumer Zeit verwandle ich mich in ein Raubtier. Es fing harmlos an, mit einer Leggings im Leopardenprint, die ich mir vor Jahren im Internet bestellte. Meine Beine in den Stretchröhren strahlten etwas Lauerndes aus, etwas Angriffslustiges, Kraftvolles. Ich gefiel mir, fühlte mich auf seltsame Art potent. Kurz darauf kaufte ich die erste Tasche mit Tigerfell-Optik. Ich bekam viele Komplimente dafür, allerdings ausschließlich von Frauen meines Alters und von meinen Töchtern, die ich nun ebenfalls auszustatten begann. Ein Tigerkleidchen hier, eine Zebrahose da. Bald hatte ich vom Regenmantel bis zur Teetasse fast alles durchgemustert. Jetzt ist bei uns jeden Tag Wildlife. Und ich bin glücklich damit, respektive ich war glücklich. Bis gestern. Denn gestern meinte eine Freundin, sie empfinde Animal Print als Strategie älterer heterosexueller Frauen, die an Strahlkraft für die Männer verlieren. Sie würden sich diese martialische Kleidung als Tarnung überwerfen, um zu signalisieren, dass sie noch sexuell verfügbar sind. Ich war erst mal baff. Mein geliebter Animal Print ein schnöder Schrei nach Liebe? Eine Strategie, der Unsichtbarwerdung zu entgehen? Meine erste Reaktion: Bei anderen vielleicht, aber doch nicht bei mir! Meine Liebe zum Raubtierlook kommt aus der Punkmusik! Aus der Subkultur! Nicht aus der Kummerspalte der Brigitte! Ich steh einfach auf diese Powerprints! Ganz ohne Hintergedanken. Aber stimmt das? Was will ich mit der Raubtierkleidung sagen? Könnte da was dran sein an der Theorie der Aufmerksamkeitslenkung?
raubtierprint wird entweder von jungen punkigen oder von älteren frauen getragen, obwohl die modeindustrie immer wieder versucht, die muster zu demokratisieren, indem sie die farben ändert, die prints abstrakter gestaltet. ich bin in sehr konservativen verhältnissen aufgewachsen, in denen sich frauen, sobald sie mütter waren, bemühten, möglichst unattraktiv zu werden. scheidungen gab es wenige, d. h. es war für geschiedene frauen extrem schwierig, wieder partner zu finden, sie waren die feindbilder der verheirateten, die um die moral ihrer ehemänner fürchteten. einige dieser frauen waren dadurch erkennbar, dass sie eben nicht die unattraktivitätsuniform der mütter trugen, sondern sich »verführerisch« kleideten, und der trigger war unter anderem animal print. mal verschämt als kopftuch, mal offenherziger als top mit ausschnitt, dazu meist goldener schmuck, egal, ob echt oder nicht, lippenstift, rote fingernägel, gefärbtes haar, entweder sehr blond oder sehr schwarz oder sehr rot. als kind schon spürte ich, von den frauen meiner familie ausgehend, eine verachtung gegenüber diesem style. deshalb kann ich bis heute keinen raubtierprint tragen, obwohl mir diese prägung auf die nerven geht. nur einmal nähte ich mir als studentin eine hose aus synthetik mit tigerstreifen und war sehr stolz auf diese transgression.
Der trockene Kommentar einer Freundin, als ich ihr erzähle, dass ich mir den Wunsch nach einer Leoparden-Leggings erfüllt habe: Je oller, je doller.
Zu mir sagte neulich eine Bekannte: Ich glaube, ich re-floriere.
Wieder Blume werden, das ist doch schön. Am besten eine schön ferkelige Pfingstrose!