DER KÖRPER SCHREIBT MIT
wenn ich schreibe, habe ich Lust auf die Wörter, auf ihre Beschaffenheit, ihren Rhythmus, ihren Klang, und manchmal überkommt mich dabei die Lust auf mich selbst, ich springe vom Schreibtisch auf, werf mich aufs Bett, treib’s mit mir selbst, geh zurück zum Schreibtisch, treib’s weiter mit dem Text, der ans Du gerichtet ist, an ein großes, unbestimmtes Du, niemand schreibt für sich allein. Ohne das Du da draußen kein Text. Das Du immer schon im Text. wenn ich schreibe, will ich von Dir gehört werden, will Deine Aufmerksamkeit, will, dass Du Dich mit meinem Text beschäftigst.[15]
le désir dans le texte, c’est toujours le désir de l’autre
Odile Kennel, LUST
wie oft habe ich mit klebrigen Fingern getippt
Mein Körper schreibt immer mit. Er legt sein Wollen in die Wörter, wird angefacht, aufgescheucht durch das, was sich da in mir nach außen kämpft. Manchmal schraubt mein Körper sich in eine solche Erregung hinein, dass ich mit dem Tippen aufhören muss und meinem Körper zu seinem Recht verhelfen.
ich habe den begriff porno eingegeben, um in meinem rechner nach entsprechenden texten zu suchen, die ich dazu bereits geschrieben habe, und fand interessante notizen zu einem pornoroman mit dem titel der männermarkt, den ich leider nie ausgeführt habe.
Eine meiner verlässlichsten Masturbationsfantasien: Ich lese vor vielen Leuten aus meinem Roman – eine traurige Stelle –, während unter dem Tisch jemand kniet, der mir die Möse leckt. Natürlich darf ich dabei keine Miene verziehen. Niemand darf wissen, was gerade passiert, welche Wogen mich da so ins Schwitzen bringen.
haha, ich denke gerade, dass sich auf dieses buch so viele leute einen runterholen bzw. sich einen abraspeln werden. wie schön!
Wichst, liebe unbekannte Freund*innen! Lest und wichst!
»Nur in den kurzen Minuten der Entspannung, die auf den Orgasmus folgen, sind wir fähig zur Ruhe und zum Genuss«, schreibt Georges Bataille in Das obszöne Werk[16].
Na ja, ich muss immer sofort nach dem Orgasmus aufstehen und meine Vulva gründlich abduschen, weil ich sonst einen Pilz bekomme.
Ich habe gerne Sex, doch er erscheint mir schnell banal. Je älter ich werde, desto öfter ziehe ich die Sinnlichkeit des Schreibens körperlich gelebter Sexualität vor.
Der Körper ist erst Körper, wenn er Lust hat und Lust erzeugt, wenn er es bringt. Wenn er anderes tut, in sich ruht, sich anderweitig verausgabt, dann verschwindet er von der Lust-Oberfläche, dem Grund, auf dem die äußere Wirkung eine kurze Leitung hat. Ein Gedankenrausch mit sich allein kann so ekstatisch sein, dass man stundenlang nicht aufhören will, es immer weiter treiben möchte.
Ich habe ständig geschrieben, aber fast nie Sex gehabt. Ich war sehr okay damit. Einmal, bei einem Anamnesegespräch zu Beginn eines Klinikaufenthaltes, fragte mich die Therapeutin, ob ich sexuell aktiv sei. »Nein«, sagte ich, »ich hatte schon lange keinen Sex mehr, eigentlich habe ich nie Sex, und ich habe auch keine Lust.« Es machte sie fast betroffen, sie sagte: »Aber Sie sind doch auch ein sexuelles Wesen, oder etwa nicht?!« Ihre Betonung ließ dabei keinen Raum für einen Widerspruch.
Im Anamnesebogen, in dem unter anderem Punkte für verschiedene Zustände vergeben wurden, wurde meine Inaktivität zum weiteren Symptom einer schweren Depression. Es stand nicht zur Debatte, ob ich vielleicht einfach nicht besonders interessiert an Sex war, stattdessen an anderen Dingen, die mir Lust bereiteten. Für sie war es keine Frage des Wollens: Dem Umstand, dass ich keinen Sex hatte, musste eine größere pathologische Sache zugrunde liegen. Es irritierte mich, aber ich widersprach nicht und war froh, dass die Krankenkasse den Klinikaufenthalt bewilligte, denn es ging mir wirklich furchtbar, nur hatte mein Lustempfinden in Bezug auf Sex nichts damit zu tun. Aber keinen Sex zu haben, keine Lust zu empfinden, ließ mich im Ranking höher rutschen: Es musste ernst sein!
Mein Therapeut hat sich weder für mein Sexleben interessiert noch für meine Träume. Er wollte immer nur über meinen Vater reden. Dabei hätte ich ihm so tolle Träume erzählen können.
Eine Therapeutin, bei der ich nur kurze Zeit war, bedankte sich einmal, nachdem ich ihr einen schrecklichen Traum erzählt hatte. Sie knabberte dabei ein paar Nüsse und sagte, das sei ja furchtbar spannend.
Meine Therapeutin hat mich gefragt, ob ich es denn gar nicht schade finde, wenn nicht zu erkennen ist, welche Textpassagen im Buch von mir sind. Ich habe kurz überlegt. Aber nein, wirklich nicht. Außerdem: Ich denke manchmal, ich will dieses oder jenes noch in den Text einbringen, aber dann lese ich es bereits an anderer Stelle, viel besser formuliert, als ich es im Kopf hatte. Das gibt mir Geborgenheit.
Ich hatte mich so auf das Schreiben mit euch gefreut, konnte es gar nicht erwarten, bis es endlich losging, und jetzt, obwohl es längst begonnen hat, ich die Texte der anderen liebe und sie mich tief berühren, kann ich nicht mitschreiben. Ich kann nicht über Sex schreiben, es geht nicht, weil ich in der Scham verharre, der guten alten Scham, die mich so treu mein ganzes Leben lang schon begleitet. Ich kann weder assoziative noch andere Techniken bemühen, die mir bei Schreibblockaden sonst immer helfen. Werde ich in dem Moment, in dem ich über Sex nachzudenken versuche, wieder das pubertäre Mädchen, dessen Eltern alles Körperliche akribisch ausgeklammert haben? Meine Eltern, diese sexlosen Wesen, deren nackte Körper ich nie zu Gesicht bekam, die sich nie vor mir küssten oder in den Arm nahmen, die rot anliefen, wenn sie die Körper der Sexbomben von Sat.1 oder Pro7 sahen – und sie sofort ins Lächerliche zogen, oder schnell umschalteten –, die mich nie aufgeklärt haben, vor denen auch ich schließlich zum sexlosen Teenager wurde (hinter ihrem Rücken natürlich nicht). Die Scham, die Scheide, Vagina, Möse, der Penis, damit eindringen, ficken, einen Schwanz lutschen, onanieren, sich selbst befriedigen … Ich zähle diese Begriffe auf in der Hoffnung, dass sie mit der Zeit normaler für mich werden, dass die Scham kleiner wird. Dildo, Analsex, Dreier, Vierer, Orgien. Doch egal, wie viele ich aufzähle, die Wörter bleiben verboten, verrucht, die Scham hat sich auf die Wörter gesetzt, und es will einfach keine literarische Orgie entstehen. Alles in mir sperrt und wehrt sich, über mich und mein Begehren nachzudenken. Genauso wenn ich Sex habe, auch da kann ich nichts zulassen. Während ich Sex habe, habe ich keinen Sex. Wenn ich Sex habe, überfluten mich sofort Gedanken an Ex-Freunde, Psychoanalytiker, an autoritäre Lehrer in Cordanzügen, mein Vater taucht auf, mein alter, kranker Vater … Versuche ich mich mithilfe eines Pornos selbst zu befriedigen, fällt mir kurz vor dem Höhepunkt die gottverdammte Steuer ein oder mein Nachbar, mit dem ich mir das Internet teile. Will ich hier mit euch über Sex schreiben, denke ich an Kriege, verstorbene Haustiere, kann mich nicht ein- und erst recht nicht fallen lassen.
Als Experiment schlafe ich mit einem Fremden und denke an die Literatur-Party neulich und die unangenehmen Gespräche dort, sage Stopp! zu mir selbst und befehle mir, wieder zum eigentlichen Geschehen überzugehen. Ich scheuche danach den Fremden aus meiner Wohnung und renne zum Computer, will aufschreiben, was ich gerade erlebt habe, und stehe sofort wieder auf und mache mir einen Tee, räume die Spülmaschine aus und lache über mich, weil ich schon wieder geflohen bin vor den Gedanken, die ich mir doch so dringend machen will. Wie zum Beispiel waren die Dreier, die du hattest?, frage ich laut in meine leere Wohnung und erschrecke, weil genau in diesem Moment jemand durchs Treppenhaus geht. Ich versuche, weiter zu brainstormen: Selbstbefriedigung? Wie sieht es mit Selbstbefriedigung aus?, frage ich leiser, doch da öffne ich schon den Kühlschrank und bereite eine sehr gut aussehende Caprese zu. Ich gehe auf den Balkon und zwinge mich, an die Übergriffe zu denken, die ich erst heute als solche begreife, an mein erstes Mal im Hochhaus, an die Sexspielzeuge, die mir meine Ex-Freunde im Laufe der Jahre geschenkt haben, und daran, dass sie alle nach jeder Trennung sofort im Müll gelandet sind. Wo sind sie hin?
Okay, ich versuche, das jetzt mal Stück für Stück für dich abzuarbeiten. Dein erster Dreier war mit deinem damaligen Freund und seinem Mitbewohner. Ihr wart betrunken. Und natürlich warst du diejenige, die die beiden dazu verführt hat. Die beiden kicherten und fügten sich. Es war aufregend, ein Penis im Mund, einer in der Möse. Aber um was ging es dir eigentlich damals? Zu sehen, wie die beiden engen Freunde sich endlich streichelten und ableckten? Um diesen Moment von queer joy, dem du beiwohnen durftest?
Selbstbefriedigung? Hier ist mir am deutlichsten dein erster Orgasmus in Erinnerung. Du warst 13, lagst in der Badewanne, die Duschbrause zwischen den Beinen. In dem Moment, in dem du kamst, war dein Blick auf das kleine Fenster und den kahlen Baum, der davorstand, gerichtet. Dein Körper zuckte, und du wusstest, dass nichts verloren ist.
Zu den Übergriffen weiß ich nur, dass du dich ab jetzt wirst wehren können.
Dein erstes Mal im Hochhaus ist eine Geschichte für sich und kann auch nur von dir erzählt werden. Aber von den Toys habe ich eines im Müll gefunden, dieses hässliche, kalte, viel zu große Ding aus Glas. Wen dachte er eigentlich, damit beeindrucken zu können?