Werden die Influencer gefragt, was ihr Content bezwecken soll, kehren in ihren Selbstbeschreibungen stets dieselben Buzzwords wieder: Sie wollen ihre Community »inspirieren« und sie dazu anregen, »individuell« und »kreativ« zu sein. Jeder – sie seien der beste Beweis – könne das. Jeder sei anders und dürfe, nein, solle es auch sein. Doch die behauptete Pluralität ist bloß bunte Uniformität. Inhalte, die den Betrachter herausfordern, finden sich beinahe nirgends. Plötzlichkeit und Präsenz könnten einen übermannen, künstlerische Freiräume in Form einer demokratischen Teilhabe wären möglich – und lassen sich mitunter tatsächlich auf den Plattformen finden –, doch kommen derartige Inhalte nie von Influencern. Diese bieten stattdessen bloß Imitationen von Widerspruch, Rebellion und Kunst.

Kennzeichnend für die Influencer-Dramaturgie sind vor allem zwei Merkmale: Serialität und Wiederholung. Wem auf Youtube das Wettessen mit Chicken Wings viele Klicks brachte, wird in Serie gehen, die »Challenge« mit Döner, Donuts und Burgern wiederholen und möglicherweise noch mehr Zuschauer erreichen. Die Youtube-Trends sorgen für die Konzentration des Kapitals und der Aufmerksamkeit, indem populäre Genres und ihre Interpreten bevorzugt angezeigt werden, so dass der Nutzer unwillkürlich auf sie stößt. Theoretisch ist auf Youtube alles möglich, auch die Dichterlesung und der Mathematikvortrag, doch wird weniger Populäres schon deshalb selten gesehen, weil die Algorithmen in erster Linie an der Steigerung von Werbeeinnahmen interessiert sind. Und wer seine Videos nicht monetarisiert, das heißt, nicht mit Werbung versehen lässt, wird nicht empfohlen und folglich weniger geklickt.

Die Zuschauer honorieren zudem offenbar nicht das Neue, sondern das bereits Bekannte, was inzwischen auch Hollywood gemerkt hat, so dass die Trailer von Blockbustern in der Regel eine Zusammenfassung des gesamten Films enthalten, während sie früher vor allem Rätsel aufgaben, die nur ein Kinobesuch lösen konnte. Heute sollen sie nicht mehr neugierig machen, vielmehr wollen sie beruhigen: Keine Angst, es wird alles so sein wie immer – der Held wird siegen, das Paar wird heiraten, der Kranke wird geheilt.

Selbst eine klassische Spannungsdramaturgie verfolgen die Videos nicht mehr, erzählt werden keine Geschichten. Die Erzählstruktur ist rein additiv: »und dann … und dann … und dann … habe ich jenes gekauft, dieses gegessen« und so weiter und so fort. Ein weiteres Prinzip, nach dem viele Videos aufgebaut sind: »Gucken, was passiert«. Gucken, was passiert, wenn wir stets lustigen Influencer zehn Minuten nicht lachen dürfen, wenn unser Kind sein neues Spielzeug entdeckt, wir zum ersten Mal in unser fertiges Haus gehen, wir bei Amazon alle Produkte, die mit dem Buchstaben Y beginnen, in den Warenkorb werfen und bestellen. Es passiert: natürlich nichts. Es geht einfach immer weiter. Die Kulturindustrie bietet hier keine Flucht mehr in eine melodramatische Gegenwelt mit Engelschören, die von der Macht der Liebe künden, oder Abenteuergeschichten, in denen kostümierte Stars der bürgerlichen Domestikation entkommen. Die Influencer-Filmchen doppeln und pervertieren lediglich das Vorfindliche und hämmern ihren Followern im Schnittgewitter die Alternativlosigkeit des Status quo ein, den sie als großen Spaß verkaufen. Ein trauriges Dasein, das sich nicht einmal mehr Traurigkeit zugesteht.

Zweifellos schafft Gewohnheit Geborgenheit, doch zugleich wird durch Instagram, Youtube und Tiktok ein algorithmisches Denken internalisiert, das wie Amazon operiert: »Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch …« Um sich und ihre Follower über die Verzifferung hinwegzutrügen, basteln sich die Influencer mit technischen Mitteln eine Identität zurecht, die den Anschein von Persönlichkeit erweckt, auch wenn »Personality« in der Werbebranche lediglich Markenbildung meint. Was so entsteht, sind Filteridentitäten. Wer einen Filter sich kreieren lässt, der über jedes Foto einen Hauch Magenta legt, unterwirft alles einem Pseudostil, was den Wiedererkennungswert steigern und die Individualität bezeugen soll. »Immergleichheit«, so Horkheimer und Adorno, prägt die Kulturindustrie, die selbst als »der unbeugsamste Stil« begriffen werden muss.1

Bei Tiktok allerdings hilft selbst das nicht, der eigene Stil muss entweder den Algorithmen gefallen, darf also kein eigener sein, oder es droht die völlige Marginalisierung. Wie die Algorithmen funktionieren, ist in allen Tech-Konzernen Betriebsgeheimnis, doch das Wenige, das bekannt ist, enthüllt, dass statt Kreativität Passförmigkeit verlangt wird. Hinter Tiktok steht der Konzern Bytedance, dessen Gründer Zhang Yiming 2012 bereits den Nachrichtenaggregator Toutiao entwickelt hatte. Wer diese News-App zum ersten Mal verwendet, bekommt eine noch völlig beliebige Auswahl von Nachrichten angezeigt. Mit jedem Zugriff wird die Auswahl ausgehend von individuellen Nutzerdaten immer stärker personalisiert, so dass eine Filterblase entsteht, in der man nur noch mit dem konfrontiert wird, was man angeblich möchte. Tiktoks Algorithmus funktioniert ähnlich. Die aus Musical.ly hervorgegangene App zeigt Kurzvideos, in denen meist zu populärer Musik die Lippen synchron bewegt werden (wie es Schlager- und Popstars bei Fernsehauftritten tun) und zu der getanzt oder sich sonst wie bewegt wird. Wessen Video Millionen Klicks erreicht, bleibt dem Algorithmus überlassen, von dem die Programmierer glauben, dass er es besser weiß als der jeweilige Nutzer. Zwar lassen sich auch präferierte Tiktoker abonnieren, entscheidend aber ist die »For You«-Seite, die wesentlich häufiger aufgerufen wird als der vom Nutzer zusammengestellte Newsfeed und die vollkommen algorithmisch kuratiert ist. Die Urheber der Videos orientieren sich deshalb an dem, was ohnehin gehypt wird, und stimmen ihre Produktion darauf ab. Dabei ist stets ungewiss, wie erfolgreich das nächste Video sein wird. Können Youtube-Stars sich stark auf Stammzuschauer verlassen, so dass die Videos – von einigen Ausreißern nach oben (selten nach unten) abgesehen – kontinuierlich gut geklickt werden, ist das bei Tiktok keineswegs der Fall. Es ist durchaus möglich, dass, wer sein drittes Video veröffentlicht, bereits Hunderttausende erreicht, weil die Algorithmen es aufgrund diverser, meist nicht bekannter Parameter vielen Usern auf die »For You«-Seite gespült haben. Im Gegenzug kann, wer erfolgreich war, plötzlich in der Gunst der Algorithmen fallen und nahezu unsichtbar werden.

Fraglos gab es in der Kulturindustrie seit je eine Diskrepanz zwischen dem künstlerischen Willen und den Anforderungen des Marktes, der Profit, ergo Quote, erheischt, und wie im Falle der digitalen Plattformen wurde immer schon auf die Kundenwünsche verwiesen:

 

Die Standards seien ursprünglich aus den Bedürfnissen der Konsumenten hervorgegangen: daher würden sie so widerstandslos akzeptiert. In der Tat ist es der Zirkel von Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis, in dem die Einheit des Systems immer dichter zusammenschießt. Verschwiegen wird dabei, daß der Boden, auf dem die Technik Macht über die Gesellschaft gewinnt, die Macht der ökonomisch Stärksten über die Gesellschaft ist. Technische Rationalität heute ist die Rationalität der Herrschaft selbst. Sie ist der Zwangscharakter der sich selbst entfremdeten Gesellschaft.2

Tiktok verstärkt diesen Effekt lediglich in bislang ungeahnter Weise, und von dieser auf ökonomischer Macht fußenden technischen Rationalität geht eine Signalwirkung aus, die die Unterhaltungsindustrie immer mehr prägt. 2019 kritisierte die »New Hollywood«-Legende Martin Scorsese, dass in den Kinos nur noch das Immergleiche, namentlich Marvel-Filme, zu sehen sei:

 

Als das Hollywood-Studiosystem noch am Leben war, war die Spannung zwischen den Künstlern und den Leuten, die das Geschäft führten, konstant und intensiv, aber es war eine produktive Spannung, die uns einige der größten Filme bescherte, die je gedreht wurden.3

 

Diese Spannung sei allerdings mittlerweile verschwunden. Die Filme würden allein durch Geschäftsinteressen geformt, der Regisseur sei bloß noch deren Erfüllungsgehilfe.

Die Influencer werden nicht einmal ahnen, dass es diese Spannung einmal gegeben hat, sie dienen algorithmischen Systemen, die zwar Individualisierungs- und Kreativitätsprozesse simulieren, dabei aber genau diese mit drakonischen Strafen – keine Likes, keine Klicks – bekämpfen.

Die Influencer sind Fürsprecher des Subjektivierungsregimes von Plattformen, die Subjekte nur schätzen, insofern sie Produzenten und Konsumenten, noch besser: Prosumenten, sind. Beginnen wir bei den Sinn- und Motivationssprüchen, die stets Aufforderungen zum »Selbst-Sein«, zum »Leben des eigenen Traums« sind oder unterstreichen sollen, dass »jeder ein Talent hat« und »es schaffen kann«. Jeder soll folglich ein Künstler sein, sich selbst kreieren. Diese Phrasen echoen permanent durch die Social-Media-Kanäle. Die Influencer werden zu Lautsprechern eines weitgehend sinnbefreiten und deshalb gut kommodifizierbaren »I am what I am«, das die Geste der Subversion imitiert. Diese wird ästhetisch sichtbar nicht mehr als genialischer Pinselstrich, wie ihn im 19. Jahrhundert die Bohemiens pflegten, sondern als kalkulierter Wisch mit dem Daumen auf dem Touchscreen des Smartphones, um einen passenden Filter auf das Foto oder die Story zu legen. Das Hingeworfene, das Virtuose einer Grafik von Toulouse-Lautrec migriert in normierter Form in die entsprechende App, mit der sich alles aufhübschen lässt, etwa der Augenblick, in dem der mit dieser teuren, aber wirklich sehr effektiven Lotion gepflegte Influencer-Körper bei einer Yogaübung beinahe schwerelos erscheint.

Finger, die ein Herz formen, Hände, die sich nach dem Sternenhimmel recken, herausgestreckte Brüste und Pos, angespannte Bizepse, verspielt ins Antlitz fallende Haarsträhnen: Was die Werbebranche, bisweilen Anleihen bei der Kunstgeschichte nehmend, in den vergangenen Jahrzehnten endlos repetierte, wird auf den digitalen Plattformen aufgegriffen und variiert. Zugleich entstehen neue Sujets und Trends, die häufig dem Prinzip der Viralität folgen. Dabei ist nicht mehr entscheidend, wer ursprünglich die Geste, den Tanzschritt, die Challenge erfand, Originalität und Autorschaft sind kaum noch auszumachen. Und die User interessieren sich ohnehin nicht dafür, sie sind keine Editionsphilologen, keine Archivare, sondern Konsumenten des Moments, der den Trend von gestern vergessen macht.

Der Autor ist, wie Roland Barthes und Michel Foucault vor mehr als einem halben Jahrhundert es sich erhofften, in der Netzkultur des Loopens, Sampelns und Remixens tatsächlich tot, was zwar auch eine Emanzipation des Lesers, sprich des Users, ermöglicht, der mit dem Text nun tun kann, was er möchte, jedoch bei genauerem Hinsehen nicht den Niedergang der Autorität bedeutet. Diese liegt nun maßgeblich beim Interpreten, vor allem bei jenem, der über eine große Reichweite verfügt. Die Influencer werden zu Katalysatoren, indem sie auf Trends aufspringen. Nur selten rufen sie selbst einen ins Leben, und wenn doch, dann geschieht das eher zufällig und nicht absichtlich.

Irgendwo begann dieses oder jenes Netzphänomen, genau kann das niemand sagen. So ist es auch mit dem sogenannten »Dab«, einer Tanzfigur, bei der ein Arm zur Seite gestreckt wird, der andere Arm folgt der Richtung, macht dabei eine Beuge, der man sich mit dem Kopf nähert, als wollte man hineinniesen. Die Hip-Hop-Kultur soll die Geste hervorgebracht haben, seit Jahren geistert sie durch das Netz, kaum ein Influencer wird sie nicht wiederholt haben. Auch Hypes wie der »Gangnam Style« oder der »Harlem Shake« funktionieren nach diesem Muster, das in den siebziger und achtziger Jahren weltweit mit dem »Ententanz« sichtbar wurde, jetzt jedoch derart inflationär geworden ist, dass die Massenbewegungstrends täglich wechseln, denn nichts ist so alt wie der Trend von vor 24 Stunden.

Die Antwort auf die Frage nach dem Urheber ist wie die nach dem Ursprung des Lebens unklar. Darin liegt das Wesen des Viralen, das sich nicht eindämmen lässt. In den Siebzigern schlug der Evolutionsbiologe Richard Dawkins den Begriff »Mem« für ein kulturelles Gen vor, womit er den Refrain eines Schlagers, ein geflügeltes Wort oder ein gern nachgestelltes Motiv eines Gemäldes meinte. Erfolgreich seien jene Meme, die fruchtbar sind, die »von Gehirn zu Gehirn überspringen«, das heißt, die reproduziert werden und nicht der Selektion zum Opfer fallen:

 

Wenn ein Mem die Aufmerksamkeit eines menschlichen Gehirns in Anspruch nehmen will, so muß es dies auf Kosten »rivalisierender« Meme tun. Andere Güter, um die Meme konkurrieren, sind Sendezeiten in Rundfunk und Fernsehen, Raum auf Anschlagtafeln und in Zeitungsspalten sowie Platz in Bücherregalen.4

 

Die Bedeutung des Wortes »Meme« hat sich im Internet zwar weiterentwickelt – heute werden darunter ikonische Bilder verstanden, die mit lustigen Sprüchen versehen werden –, doch um Meme im dawkinsschen Sinne, die sich quasievolutionär durchsetzen, handelt es sich weiterhin. Dem Mem-Prinzip folgen letztlich auch die Verschlagwortung unter einem bestimmten Hashtag, der Kauf von Filtern, mit denen die Influencer ihre Profile bearbeiten, die kettenbriefartige Verbreitung von Challenges in Youtube-Videos. Wer als Erster Herz auf Schmerz reimte, soll der Dichter Arno Holz gesagt haben, war ein Genie, der Tausendste aber ist ein Kretin. Was wohl ließe über den ersten Youtuber, der in einer bis zum Rand mit Nutella gefüllten Wanne badete, sich sagen?

»Kultur heute schlägt alles mit Ähnlichkeit«, stellten bereits Adorno und Horkheimer fest.5 Diese kulturkritische Diagnose ist in der Gegenwart treffender denn je – verglichen mit den Filmen aus Hollywood, die die Denker der Frankfurter Schule im Auge hatten, hat die Gleichförmigkeit des Dargebotenen ein bisher nie gekanntes Ausmaß erreicht.

Instagram-Profile und Youtube-Kanäle sind vor allem Orte der Konformität. Immer wieder sind es dieselben konsumistischen Challenges, die von den Influencern bloß minimal verschieden interpretiert werden. Auch die Einteilung der Influencer in unterschiedliche Genres (Lifestyle, Fitness, Reisen) ändert daran nichts: »Jede Sparte ist einstimmig in sich und alle zusammen.«6 Denn fast alle erfolgreichen Kanäle propagieren gleichermaßen die Erlösung durch Konsum, so dass eine einheitliche Netzwelt entstanden ist. Serielle Produktion und Konsumtion der Wiederholung, am Ende ist alles, was man zu sehen bekommt, auf ein riesengroßes »WOW« zusammengeschrumpft.

In den siebziger Jahren zeigte sich der Soziologe Daniel Bell besorgt ob der »kulturellen Widersprüche des Kapitalismus«. Er befürchtete, der Einfluss der gegenkulturellen und immer Mainstream-tauglicheren Strömungen könnte die aus der protestantischen Ethik gespeiste Arbeitsmoral unterminieren und in ein hedonistisches Zeitalter führen. Bell irrte. Der Kapitalismus musste sich wegen des stagnierenden Wachstums ohnehin etwas einfallen lassen, um sich weiter legitimieren zu können und um neue Geschäftsfelder zu erschließen. Mögen sich konservative Politiker, die als Handbremse des rasanten Fortschritts fungieren, mitunter noch heute über die urbane kreative Klasse echauffieren, das System umarmte diese gewinnbringend. Der Soziologe Richard Florida stellt in seinem Bestseller The Rise of The Creative Class klar: »Die menschliche Kreativität ist die ultimative ökonomische Ressource.«7 Diese gelte es zu fördern und für sie Biotope zu schaffen, in der sie gedeihen und gut ausgebeutet werden kann. Um entsprechende Orte zu identifizieren, führt Florida in seinem Buch den sogenannten Gay-Index ein: Wo sich ein sexuell offenes, diverses Milieu niederlässt, blüht die Kreativwirtschaft, was bald Geld in die Stadt bringt und für wirtschaftlichen Aufschwung sorgt.

Der Soziologe Andreas Reckwitz spricht von einem »Kreativitätsdispositiv«, das sich formiert hat und mehr oder weniger unsere gesamte Freizeit wie unseren Beruf prägt: »Wenn es einen Wunsch gibt, der innerhalb der Gegenwartskultur die Grenzen des Verstehbaren sprengt, dann wäre es der, nicht kreativ sein zu wollen.«8 Über den Gesichtspunkt der Selbstverwirklichung hinaus hat dieses Dispositiv auch ökonomische Funktionen, da die Ästhetisierung und der spielerische Umgang mit dieser all die Normierungen, Rationalisierungen und Bürokratisierungen des modernen Kapitalismus nicht durchstreichen, vielleicht noch nicht einmal überschreiben, doch zumindest übertünchen können. Die Serialität der Produktion darf auf keinen Fall eintönig wirken, das haben auch die digitalen Plattformen verstanden, die ihren Creators ständig neue Tools an die Hand geben, um Individualisierungen und Ausdifferenzierungen innerhalb des vorgegebenen – und bei Instagram quadratischen – Rahmens zu ermöglichen. Das spornt sowohl die Influencer als auch ihre Follower an, denn:

 

Erst mit der Kopplung an Ästhetisierungsprozesse auf der Arbeits- und auf der Konsumseite wird für die Subjekte eine Teilnahme an den Ökonomisierungsprozessen attraktiv. Die Ästhetisierung liefert der Ökonomisierung einen motivationalen »Treibstoff« – die Suche nach kreativer Tätigkeit, ästhetischem Erleben, kreativer Subjektivität und kreativen Orten –, den sie aus sich selbst heraus, solange sie in Versachlichung verharrt, nur in schwachem Maße hervorzubringen vermag.9

 

Die Influencer sind die vorläufige Endstufe dieses kapitalistischen Verschönerungsregimes, das den Konsum zwecks Nachfragestimulation gleichermaßen ästhetisiert wie die Arbeit selbst, die vom Pool aus mit dem Tablet in der Hand oder in einem städtischen Co-Working-Space erledigt wird, wo man andere »inspirierende«, »kreative« Menschen trifft, die von der neoliberalen Subjektivierung profitiert haben. Dabei fallen Leben und Arbeit ohnehin zusammen, gehört doch das Training des Werbekörpers ebenso zum Job wie das Beantworten von E-Mails oder die strategische Vergabe von Likes beim Durchscrollen anderer Influencer-Profile. Wo das Mixen eines Smoothies oder das Auftragen eines Lippenstifts gewinnbringend sein kann und zugleich der Verwirklichung dessen dient, wovon angenommen wird, dass es sich um das autonome Ich handelt, ist selbstredend kein Raum mehr für die Frage, ob die omnipräsente Ästhetisierung lediglich der Kitt von beschädigten Leben ist, die im Quadrat gefangen bleiben.

Schön sollte es von Anfang an auch bei Instagram sein: Kevin Systrom machte in der Frühphase, so wird es kolportiert, für Firmen, die auf der Plattform werben wollten, notfalls selbst den Weißabgleich bei den Fotos.10 Werbung sollte bei Instagram nicht wie Werbung aussehen – in Nutzerrichtlinien wurde darum gebeten, »aussagekräftig und authentisch« zu agieren.11 Systrom legte Wert darauf und hielt die Influencer und Werbetreibenden dazu an, dass die Werbung »als ehrlich und echt rüberkommt«.12 Aus dieser Haltung heraus ist auch die quadratische Form entstanden, für die sich Systrom wegen eines Professors für Fotografie entschied, der ihm den Tipp gab, mit einer alten, quadratische Schwarz-Weiß-Fotos produzierenden Kamera zu arbeiten. Die Idee, in der Beschränkung die kreativen Möglichkeiten auszuloten, wurde später bei Instagram zum Geschäftsprinzip. Systrom glaubte an das »Unvollkommene«,13 bedachte jedoch nicht, dass der digitale Kapitalismus auch dieses schon bald perfektionieren würde.

Längst hat eine Professionalisierung stattgefunden, die weit weg ist von der improvisiert wirkenden Selfie-Ästhetik. Diese findet zwar auch immer noch Verbreitung, vor allem in den täglichen Storys. Doch die meisten Influencer sind mit professionellen Fotografen – oder mit dem »Instagram-Husband« – unterwegs, posieren stundenlang für das perfekte Bild und lassen es anschließend wie bei einem Hochglanzmagazin bearbeiten.

Bei Youtube ist eine ähnliche Entwicklung zu beobachten. Während in den ersten Jahren Youtuber sogenannte Jump Cuts – Bildsprünge, die die Kontinuität unterbrechen – einsetzten, um Versprecher oder Ähnliches herauszuschneiden, ohne die Kameraeinstellung wechseln zu müssen, ist diese Verfahrensweise seit vielen Jahren das omnipräsente Stilprinzip. Noch immer hat das den Anschein von Unvollkommenheit, vor allem aber wird so das Auge permanent gereizt, damit die Zuschauer dranbleiben. Dass der Jump Cut in Jean-Luc Godards Außer Atem einmal Avantgarde war und die Brüchigkeit des Subjekts und der Moderne ausdrücken sollte, ist längst vergessen.

Die künstlerischen Verfahren des vermeintlichen Endes der Geschichte bestehen im Remixen, Loopen und Sampeln. Wir erinnern uns: Fukuyama sagte ein langweiliges Zeitalter voraus und meinte damit auch die Künste, die höchstens noch nostalgisch werden könnten, da ihnen mit der Geschichte das Tragische, die Fallhöhe und das Widerständige abhandengekommen seien. Das ist pauschal nicht falsch, wenngleich die Idee von etwas Einmaligem ohnehin von der künstlerischen Avantgarde, namentlich von Marcel Duchamp und seinem musealisierten Urinal, durchgestrichen wurde, was jedoch nicht bedeuten muss, dass keine Schöpfungshöhe mehr erreicht wird – schließlich ist Duchamps Akt, der zwischen Profanierung und Sakralisierung changiert, enorm schöpferisch. Oder nehmen wir die Filme von Quentin Tarantino: Gewiss, er remixt, loopt und sampelt berühmte wie vergessene Werke der Filmgeschichte. Er wird dadurch aber nicht zum Karaokesänger unter den Regisseuren, sondern erschafft etwas Neues. Er führt bisweilen ganze Filmgenres auf eine Ebene, an die vorher niemand gedacht hätte. Doch diese Kunst des Samplens kann bei den Influencern nur vergebens gesucht werden.

Die Bewertung künstlerischer Leistungen ist schon immer, vor allem aber im Zuge des falsch verstandenen anything goes der vergangenen fünf Jahrzehnte, umstritten gewesen. Breitgemacht hat sich ein bequemer Relativismus, der aus Angst, als elitär zu gelten, alles toll findet und alles bestaunt, wie Vater und Mutter die ersten Kritzeleien ihres Kindes. Diese antiautoritäre und antielitäre Geste ist in Wahrheit paternalistisch und argumentativ nicht haltbar: Die Hoch- und die Populärkultur funktionieren zwar häufig nach je eigenen Prinzipien, doch egal, ob man die Grenze zwischen Hoch- und Populärkultur verwischt oder aufrechterhält, ist jedes Werk für sich sehr wohl zu bewerten. Grundsätzlich wäre, weil es nur Medien, Vermittler also sind, auch auf Youtube, Tiktok oder Instagram Kunst möglich, und in Nischen findet man sie mitunter durchaus. Doch die Influencer und ihre Epigonen produzieren und konsumieren Schund, Kitsch und Gefälliges. Bei der Bewertung eines Werks ist die Schöpfungshöhe entscheidend, diese aber ist durchweg gering, häufig nicht einmal vorhanden.

Wie niemand ernsthaft das Ausmalen von Malbüchern (die seit geraumer Zeit selbst für gestresste Erwachsene angeboten werden), das Malen nach Zahlen oder das Basteln von Fensterbildern nach Schablone, das Prickeln von Untersetzern in Sternform sowie das Fertigen von Christbaumkugeln mit Serviettentechnik als Kunst bezeichnen würde, ist auch das Zusammenschneiden hektischer Videos oder das Fotografieren täglicher Mahlzeiten keine Kunst, keine große kreative Leistung. Aus Imitation und Bastelei, durchaus hin und wieder mit handwerklichem Geschick, speist sich der von Influencern produzierte Content.

Das sich gut klickende Tiktok-Video mag zwar einer aufwendigen Produktion bedürfen, zumal Tricktechnik, Split-Screens, viele Schnitte und Überblendungen eingesetzt werden, doch das ist bloßes Zeugnis der Beherrschung von Techniken und Tools, die geistlos bleibt. Es erinnert an Filmnerds, die bloß von den Special Effects affiziert werden. Nie sind die angeblich kreativen Netzinhalte mit einem Gedanken versehen. Effekte und Affekte, nichts weiter, bestimmen die Kurzvideos, und sie sollen gemäß der Perpetuum-Mobile-Logik diese bei den Zuschauern immer wieder auslösen: Sosehr man sich auch konzentriert, nichts bleibt im Gedächtnis. Auf der Konsumentenseite ausgelöst wird der Effekt, dass immer mehr davon konsumiert, und der Affekt, dass in irgendeiner Weise etwas beim Betrachter erregt wird.

Das ewige Gerede von Individualität, Kreativität und Authentizität offenbart durch seine Vehemenz und Ununterscheidbarkeit in Wahrheit Gruppenzwang, Nachahmung und die Anpassung des Ich an die algorithmische Künstlichkeit. Und auch die analoge Welt bleibt davon nicht verschont, selbst kleine Orte können zu großen Anlaufstellen nicht der Selbst-, sondern der Algorithmusverwirklichung werden. Wer im 21. Jahrhundert einen Freizeitpark oder anderweitigen Anlaufpunkt für vergnügungssüchtige Familien betreibt, muss diesen kompatibel für die vermeintliche Selbstverwirklichung auf Instagram gestalten. So lassen sich unter dem Hashtag #gertrudenhof mehr als fünftausend Bilder von echten und Möchtegern-Influencern finden, die den Kürbishof als geeignetes Ausflugsziel für Instagram-Fotos erkannt haben. Profile mit Hunderten, aber auch mit Hunderttausenden Followern posten von dieser Insta-Pilgerstätte Bilder vor der von den Betreibern errichteten Kürbispyramide sowie vor orangenen Riesenkürbissen. Der Twitter-Kanal @infoluencer, der solche Netzperlen der Öffentlichkeit präsentiert, kommentiert bissig: »Oh wir danken dir für all die milden Gaben, mächtiger orangener Riesenkürbis. Bitte segne uns mit Gesundheit und Individualität. Amen.«