11

Es war kaum zu glauben, aber in dieser Nacht schlief ich zum ersten Mal seit Tagen. Ich schlief traumlos und tief ohne jedweden störenden Zwischenfall, und auch beängstigende Visionen von irgendwelchen Frauen mit riesigen Nasen blieben aus.

Als ich aufwachte, drangen von draußen leise die Geräusche eines Pariser Morgens zu mir herauf, ein Sonnenstrahl fiel vorwitzig durch die taubenblauen Seidenvorhänge, und ich räkelte mich einen Moment mit der Zufriedenheit der Ausgeschlafenen in meinem Bett.

Ich beschloß, die Croissants bei Odile ausfallen zu lassen und mir mit einer Zeitung ein kleines Frühstück im Wintergarten des Ladurée zu gönnen. So früh am Morgen war es da noch leer und friedlich, man verweilte in einer kleinen Oase unter Palmen vor zartgrün und blaßtürkis getönten Scheinmalereien, und die Heerscharen von Japanermädchen, die geduldig in langen Schlangen anstanden, um sich die süßen bunten Macarons, die vorne in der Glasvitrine auslagen, in blaßrosa oder lindgrüne Schachteln verpacken zu lassen, fielen erst später ein.

Ich zog mich an, räumte ein bißchen in der Wohnung herum, machte für Cézanne eine Dose auf und überlegte, daß ich heute dringend ein paar Lebensmittel einkaufen mußte.

Immer wieder sah ich zu meinem Schreibtisch hinüber, auf dem der zugeklappte Laptop lag. Ob die Principessa geantwortet hatte? Ich umkreiste die kleine weiße Maschine wie eine Katze die Maus, ich wollte mir das Beste bis zum Schluß aufsparen.

Dann setzte ich mich vor das kleine weiße Ding und klappte es auf.

Eine Minute später starrte ich enttäuscht auf den Bildschirm.

Die Principessa hatte nicht geantwortet. Es war halb neun, und es gab keine Post für den Duc.

Ich wollte es nicht glauben. Ob die Dame noch schlief? Vielleicht hatte sie meinen Brief von gestern abend noch gar nicht gelesen. Ich konnte schließlich nicht davon ausgehen, daß jemand Tag und Nacht vor seinem Computer wachte, nur weil ich das so machte. Oder war Madame Bergerac etwa beleidigt, weil ich ihre Schönheit in Zweifel gezogen hatte? War meine letzte Frage zu unverschämt gewesen? Hatte ich einen Fehler gemacht?

Meine Unruhe wuchs mit jeder Minute. Was, wenn die Principessa mich jetzt einfach kaltstellte und gar nicht mehr schrieb?

Ich versuchte es mit Fernhypnose. »Komm, mein Prinzeßchen, schreib mir!« flüsterte ich beschwörend, doch ich wartete vergeblich auf dieses süße leise Pling, das eine neue Mail ankündigte.

Statt dessen kam Cézanne ins Wohnzimmer gelaufen und bellte mich auffordernd an. In der Schnauze trug er seine Hundeleine. Ich mußte lachen. Es gab noch ein Leben jenseits der Principessa. Und es sagte mir gerade Guten Tag.

»Schon gut, Cézanne, ich komme!« Langsam und mit einem gewissen Bedauern klappte ich die Zaubermaschine zu.

Als ich mit Cézanne nach einem ausgedehnten Spaziergang und einem anschließenden Frühstück im Café Ladurée entschlossen in die Rue de Seine einbog, um den Tag in Angriff zu nehmen, ahnte ich nicht, daß in der Galerie eine pikante Überraschung auf mich wartete.

Es war Viertel vor zehn, aber das Eisengitter vor dem Fenster der Galerie du Sud war schon hochgezogen. Es kam selten vor, daß Marion morgens vor mir da war.

Ich betrat die Galerie, legte den Schlüsselbund auf das halbhohe Regal neben dem Eingang und hängte meine Jacke auf.

»Marion? Bist du schon da?« rief ich erstaunt.

Marions blonder Haarschopf tauchte hinter der kleinen Espresso-Bar auf. Heute war meine Assistentin offenbar das sophisticated girl in engen Jeans und schwarzem T-Shirt. Eine feingliedrige, lange Silberkette baumelte über ihrem Ausschnitt, und sie hatte die blonden Haare mit einer riesigen Perlmuttspange malerisch auf ihrem Hinterkopf zusammengerafft.

»Der frühe Vogel fängt den Wurm«, sagte sie und grinste. Dann gähnte sie ausgiebig. »Entschuldige. Um ehrlich zu sein, ich habe furchtbar schlecht geschlafen – der Vollmond! Und da dachte ich, jetzt kann ich auch gleich aufstehen.« Sie nahm etwas von der weißen Theke, was ich zunächst für eine Werbeschrift hielt, und kam auf mich zu.

»Da! Das lag heute morgen hinter der Tür.« Sie hielt mir mit fragender Miene einen zartblauen Umschlag entgegen, und mein Herz machte einen Satz.

Briefe, die der Postbote für die Galerie einwirft, landen durch einen Briefschlitz direkt im Eingang. Doch dieser Brief war nicht mit der Post gekommen. Er war nicht frankiert und trug keine Adresse.

Auf dem Kuvert standen in einer mir wohlbekannten Handschrift nur drei Worte:

An den Duc.

»An den Duc«, sagte Marion laut. »Was ist das?«

Ich riß ihr den Umschlag aus der Hand. »Nichts für kleine neugierige Mädchen«, sagte ich und drehte mich weg.

»Oh, hast du eine heimliche Verehrerin? Zeig mal her!« Marion verfolgte mich lachend und griff ausgelassen nach dem Brief. »Ich will auch den Brief an den Duc sehen«, rief sie.

»He, Marion, laß das!« Ich packte ihre Handgelenke und steckte den Brief in die Innentasche meines Jacketts. »So«, sagte ich und klopfte mir auf die Brust. »Mein Brief!«

»Oh là là, Monsieur Champollion ist doch nicht etwa verliebt?« Marion kicherte.

Es war mir egal.

Ich ging ins Bad und riegelte mich ein. Warum schickte die Principessa mir plötzlich einen echten Brief? Ich befingerte das Kuvert und meinte etwas Stabileres zu fühlen als Papier. War es ein Photo? Ja, ich war mir sicher, daß es ein Photo war! In wenigen Sekunden würde ich das Konterfei jener Frau erblicken, die die Räder meiner Phantasiemaschine in Gang gesetzt hatte und welche nun auf Hochtouren lief.

Aufgeregt riß ich das Kuvert auf und starrte ungläubig auf das, was ich nun in den Händen hielt.

»Verdammt!« sagte ich. Und dann mußte ich lachen.

Die Principessa hatte mir eine Karte geschickt. Und auf dieser Karte war eine junge Frau zu sehen, fast ein Mädchen noch, das in zwanglos-aufreizender Pose bäuchlings auf einer Art Chaiselongue lag, sich auf die Arme aufstützte und den Betrachter ihren schönen nackten Rücken sehen ließ, von dem wahrhaft anbetungswürdigen kleinen Hintern ganz zu schweigen. Sie schien aufs angenehmste erschöpft von einem Liebespiel, das gerade erst zu Ende gegangen sein konnte, und räkelte sich auf ihren weichen Kissen.

Die kleine Nackte schaute geradeaus, ihr feines Gesichtchen mit den aufgesteckten blonden Haaren war von der Seite zu sehen. Und sie hatte die entzückendste Nase, die man sich nur vorstellen konnte.

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Ich blickte auf ein berühmtes Gemälde aus dem achtzehnten Jahrhundert, es war François Bouchers »Louise O’Murphy«, und es zeigte die junge Geliebte von Louis XV. Ich hatte selbst schon vor diesem Bild gestanden, das im Wallraff-Richartz-Museum in Köln hängt. Ein weiblicher Akt, wie er bezaubernder und unverschämter in des Wortes tiefster Bedeutung nicht sein kann.

Auf die Rückseite der Postkarte hatte die Principessa nur zwei Sätze geschrieben:

Würde diese Nase Sie beim Küssen stören?

Wenn nicht, erwarte ich Sie … bald!

»Du kleine Hexe«, murmelte ich entzückt. »Das wirst du mir büßen!«

»Jean-Luc, Jean-Luc, mach auf!« Marion klopfte energisch gegen die Badezimmertür. »Telefon für dich!«

Ich ließ die Karte in meiner Tasche verschwinden und öffnete. Marion zwinkerte mir zu und hielt mir den Hörer entgegen.

»Pour vous, mon Duc«, sagte sie lächelnd. »Dein Typ ist heute offenbar sehr gefragt.«

Ich grinste und nahm ihr das Telefon aus der Hand.

Am anderen Ende der Leitung war eine äußerst muntere Soleil Chabon, die aus einem Schuhgeschäft in Saint-Germain anrief und sich mittags mit mir in der Maison de Chine verabreden wollte, um einen »Happs zu essen« und über die Ausstellung zu reden. Natürlich sagte ich zu.

Abends stand ich mit knurrendem Magen und einem vollgefüllten Einkaufswagen in einer langen Schlange an der Lebensmittelkasse im Monoprix.

Die Maison de Chine, ein minimalistisch-elegantes Restaurant an der Place Saint-Sulpice, ist ein kleiner fernöstlicher Tempel der Ruhe, in dem man grünen Tee aus Zwergenbechern trinkt und sich mit Holzstäbchen Petit-four-haft kleine handverlesene Häppchen von weißen Porzellanschalen angelt. Es ist kein Restaurant, wo man als europäischer Mann wirklich satt wird.

Mit einer gewissen ungläubigen Faszination hatte ich Soleil Chabon dabei zugesehen, wie sie ein paar winzige Frühlingsrollen und eingefärbten Kohlsalat anmutig auf ihren Stäbchen balancierte und kurze Zeit später sagte: »Uff, bin ich satt!«

Das konnte ich von mir nicht behaupten. Doch wie so oft im Leben war Essen nicht alles.

Soleil erklärte mir, daß sie statt der geplanten zehn nun sogar fünfzehn Bilder ausstellen wollte. Sie war nicht zu bremsen in ihrem Tatendrang, sie hatte noch ein weiteres Bild gemalt, sie war bestens gelaunt, und wenn Soleil gute Laune hatte, konnte sie äußerst amüsant sein.

So besprachen wir sehr viel, wir lachten sehr viel, und als ich am Ende unseres vergnüglichen Treffens, das mich für einen Moment sogar die Postkarte der Principessa vergessen ließ, fragte, ob es Neues vom Brotmännchen-Mann gab, erlebte ich eine Überraschung.

»Ach … der!« sagte Soleil und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ein weißer Schlappschwanz! Der hat seine Chance nicht genutzt.« Sie sah mich an, schüttelte unwillig ihre schwarzen Locken, und ich rutschte ein wenig unbehaglich auf meinem Stuhl herum und war mir plötzlich nicht sicher, ob an Brunos Theorie nicht doch etwas dran war.

»Er war am Samstagabend bei mir …« Soleil lächelte vielsagend. »Aber dann … als wir … wie soll ich sagen … zusammenkamen … war plötzlich der ganze Zauber weg.« Sie grinste. »Die reine Katastrophe!«

»Und das Brotmännchen?« Ich grinste erleichtert zurück. Bruno hatte seine Wette verloren, das war klar.

»Das schwimmt schon in den Abwässerkanälen von Paris.«

Als Soleil sich mit einer Umarmung von mir verabschiedete, sah ich ihr noch eine Weile lächelnd nach, bis ihre große schlanke Gestalt in einer kleinen Straße hinter der Kirche von St Sulpice verschwunden war.

Es war wie in dem alten Kinderlied von den zehn kleinen Negerlein. Irgendwann würde nur noch eines übrigbleiben.

Ich hatte die Tüten mit den Einkäufen in meine Wohnung geschleppt. Ich hatte mir ein großes Stück Bœuf in der Pfanne gebraten und es brüderlich mit Cézanne geteilt. Ich hatte Aristide angerufen und ihm erzählt, in welcher Form die Principessa auf die »Nasenfrage« reagiert hatte.

»Köstlich!« rief Aristide aus. »Cette dame est trop intelligente pour toi! Die ist zu schlau für dich.«

Ich hatte Bruno angerufen und ihm erklärt, warum Soleil nicht die Frau war, nach der wir suchten.

»Schade«, hatte Bruno gesagt, »aber wer ist es dann?« Ich hatte ihm aufgeregt von der Boucher-Postkarte erzählt, von Cyrano de Bergerac und der Sache mit der Nase.

»Ja, und?« hatte Bruno begriffstutzig gesagt. »Was soll daran so toll sein? Jetzt weißt du doch immer noch nicht, wer es ist. Oder sieht diese Nackte jemandem ähnlich, den du kennst?«

Zum hundertsten Mal sah ich auf die Karte, die neben dem geöffneten Laptop vor mir auf dem Schreibtisch lag. Ich nahm mein Glas und trank einen Schluck Rotwein. Kannte ich eine Frau, die so aussah wie das Modell von François Boucher? War das Bild willkürlich ausgewählt worden? Das Motiv war frech und sollte mich zweifellos provozieren, aber gab es darüber hinaus irgendeinen versteckten Hinweis? Irgendein Detail, das mich auf die richtige Spur hätte bringen können?

Wieder und wieder glitten meine Augen über das mutwillige nackte Mädchen auf dem Gemälde, hinter dem sich die Principessa versteckte, und ich muß zugeben, daß es nicht ihre wohlgeformte Nase war, die meine Phantasie anheizte.

Ich goß mir ein weiteres Glas Rotwein ein, und dann bekam die Principessa den Brief, den sie verdiente.

Betreff: Die nackte Wahrheit!

Meine Schönste!

Ich muß schon sagen, das war eine Überraschung!

Welch kühner Streich! Wie können Sie mir ein solches Bild schicken? Was erlauben Sie sich?!

Als ich heute früh in fiebriger Ungeduld den Brief aufriß, den Sie mir so rasch zukommen ließen, fielen mir fast die Augen aus dem Kopf. Das ist ja ungeheuerlich, was Sie da tun! Ich merke wohl, daß Sie sich über mich lustig machen. Sie halten einem Ausgehungerten den Wurstzipfel vor die Nase.

Und apropos! Meinen Sie denn, ich würde auch nur eine Sekunde noch an Ihre Nase denken können, wenn Sie mir den verführerischsten Leib, den die Welt je gesehen hat, auf derart schamlose Weise darbieten, wenngleich nicht ohne Charme!

Aber um Ihre Frage zu beantworten, die in Wirklichkeit natürlich gar keine Frage ist, sondern der Gipfel der Provokation, weil Sie mich dabei ganz schön an der Nase herumführen – nein, eine solche Nase stört beim Küssen freilich nicht!

Und egal ob Sie der Dame auf dem Bild nun ähnlich sehen oder nicht, ich weiß schon jetzt, daß Sie mir gefallen werden. Wer solche Bilder aussucht und verschickt, verspricht alles andere als eine häßliche Kröte zu sein. Ich nehme Sie also beim Wort!

Und da die Nasenfrage nun zur allgemeinen Zufriedenheit geklärt ist, darf ich wohl annehmen, daß Sie mich bald, und zwar sehr bald, in Ihren Gemächern empfangen, um mir die nackte Wahrheit zu zeigen.

Oder haben Sie etwa Angst?

Ich jedenfalls kann es kaum erwarten, mich zu Ihnen zu legen und Ihnen schlimme Dinge in Ihr süßes Ohr zu flüstern, während meine Hände langsam über Ihren Rücken wandern bis zu jenem unaussprechlichen Körperteil, den Sie mir da so frech entgegenstrecken.

Und dann, schönste Principessa, werden Sie mir dafür büßen, daß ich an nichts anderes mehr denken kann als an Sie!

Aber das haben Sie ja gewollt, nicht wahr? Daß ich nur noch an Sie denke!

Principessa! Vor mir liegt eine lange Nacht, die ich allein in meinem Bett verbringen werde, und weil ich Sie nicht berühren kann, greife ich mit Worten nach Ihnen. Kommen Sie in meine Arme und antworten Sie mir!

Ihr in großer Sehnsucht vor dem Bildschirm sitzender

Duc

Ich schickte meinen Brief in die Nacht und ließ mich in meinen Schreibtischsessel zurückfallen. Ich muß sagen, es erstaunte mich selbst, in welch wortgewaltige Rage ich mich hineingeschrieben hatte. Beschwingt vom Wein, wähnte ich mich schon selbst als der berühmte Cyrano, der seiner liebeswortsüchtigen Roxanne einen Brief nach dem anderen schickt. Zwar mochten meine schriftlichen Ergüsse nicht von dessen literarischer Qualität sein, doch was die Leidenschaftlichkeit anging, standen sie dem großen Meister in nichts nach.

Hätte mir noch jemand vor ein paar Tagen gesagt, daß ich bald einen intensiven Briefwechsel mit einer Unbekannten führen würde, hätte ich ihm an die Stirn getippt.

Am Anfang war es das Spiel gewesen, was mich reizte. Doch mehr und mehr – und so unglaublich es klingen mag – hatten sich meine zielgerichteten Sätze verselbständigt, sich losgerissen von meinem Verstand, sie führten ein eigenes, ungezähmtes Leben, sie hatten sich mit Empfindungen gefüllt, und mit einem Mal fühlte ich die Worte, die ich schrieb.

Unruhig stand ich auf und ging zu dem verglasten Bücherschrank. Ganz unten standen meine alten Photoalben. Ich holte sie hervor, setzte mich in den Sessel und blätterte in den vergilbten, kartonierten Seiten. Ich war mir selbst nicht sicher, aber vielleicht hoffte ich, ein altes Klassenphoto zu finden, auf dem Lucille zu sehen war. Zwei Jahre nach jenem unglücklichen Sommer war Lucille, von der ich nicht einmal mehr den Nachnamen wußte, mit ihrer Familie in eine andere Stadt gezogen. Nachdenklich klappte ich das Photoalbum zu. Hatte mich meine Vergangenheit eingeholt? Und wenn ich es mir hätte aussuchen können, wäre Lucille dann wirklich meine erste Wahl? Und welche Lucille wäre es dann – die von damals oder die von heute? Bruno hatte schon recht, die Menschen verändern sich, und die Erinnerung ist nicht immer der beste Ratgeber.

Der Rotwein machte mich philosophisch.

Ich glaube, es war an jenem Abend, als ich beschloß, die Sache auf mich zukommen zu lassen. Natürlich war ich neugierig auf die Frau, die mir diese Briefe schrieb, natürlich brannte ich darauf, herausfinden, wer sie war, wie sie aussah, wie sie sich anfühlte. Aber als ich da so unruhig und seltsam aufgewühlt zwischen den Zeiten und den bespannten Wänden meines Wohnzimmers auf- und abging, kam mir zum ersten Mal in den Sinn, daß es nun wirklich die Verfasserin der Briefe war, für die ich mich interessierte, ja, nach der ich verlangte – egal, welchen Namen sie trug!

Eine Stunde war vergangen, seit ich meinen letzten Brief abgeschickt hatte, und ich hatte – ungelogen – fünfunddreißigmal in meine Mailbox geschaut.

Als ich zum sechsunddreißigstenmal vor meinem Computer stehenblieb, hatte die Principessa geantwortet.

Betreff: Ich komme …

Mein lieber Duc!

Wenn Sie da so sehnsüchtig vor Ihrem Bildschirm sitzen und auf eine Antwort von mir hoffen, kann ich ja gar nicht anders, als Ihnen sofort zurückzuschreiben.

Auch ich bin sehr froh, daß die Nasenfrage nun geklärt ist, und möchte, falls da bei Ihnen ein letzter Rest des Zweifels bestehen geblieben ist, auch diesen zerstreuen: Ich bin nun wirklich alles andere als eine häßliche Kröte! Wenn Ihr Blick nicht so verstellt gewesen wäre, hätten Sie das schon längst bemerkt. Manche Dinge erschließen sich eben erst auf den zweiten Blick, der bisweilen etwas tiefer geht als der erste.

Ich bin entzückt, daß mein »kühner Streich« gelungen ist. Und wie Sie schon so richtig vermuten, ist es kein Zufall, daß ich gerade Miss O’Murphy als Platzhalterin gewählt habe. Ich weiß schon, daß ich nicht nur Ihren Ohren, sondern auch Ihren Augen ein bißchen Nahrung geben muß, mon Duc, und da müssen Sie es mir schon nachsehen, daß ich ein Motiv gewählt habe, das Ihre erotische Phantasie beflügelt, auch wenn Sie jetzt über den »Wurstzipfel« schimpfen.

Und nein – ich habe keine Angst! Nicht vor der lustvollen Rache, die Sie mir in Ihrem letzten Brief in Aussicht stellen, noch davor, das süße Versprechen, das ich Ihnen mit dem Boucher-Bild schickte, einzulösen.

Beides kann ich kaum erwarten.

Nun komme ich zu Ihnen, mein süßer Duc, Ihr Wunsch ist mir Befehl! Diese Nacht gehört nur uns!

Lassen Sie Ihre Hand doch einfach weiterwandern, über alle erlaubten und unerlaubten Stellen, und dann irgendwann, zu einem Zeitpunkt, der mir genehm ist, werde ich diese Ihre Hand ergreifen und sie zwischen meine Schenkel legen …

Schlafen Sie wohl!

Die Principessa

Ich weiß nicht, wohin mir das Blut zuerst schoß, als ich zum Ende des Briefes kam. Ich stieß mich von der Kante des Schreibtischs ab, fiel erregt in den Sessel zurück und atmete laut aus. Es war unglaublich! Dieser Brief war schlimmer als jedes noch so kühne Bild eines Malers, hieß er nun Boucher oder anders. Ich griff zu meinem Glas und schüttete den restlichen Rotwein in einem Zug hinunter. An Schlaf war nun nicht mehr zu denken. Aber auch die Principessa, das schwor ich, sollte kein Auge zutun in dieser Nacht, »die nur uns gehörte«.

Ich würde ihr eine Antwort schreiben, die die ihre noch übertraf. Ich würde bei ihr sein wie ein brennender Schatten und dafür sorgen, daß sie sich in lustvoller Unruhe auf ihrem Laken wälzte, bis der Morgen kam.

Meine Finger flogen über die Tastatur, ich schrieb in einem durch bis zum Schluß. Dann hielt ich einen Moment inne, drückte langsam auf die Taste, die meinen Brief freigab, und ein wahrhaft dionysisches Lächeln legte sich über mein Gesicht.

Betreff: Die Hand, die Hand …

Carissima!

Ich weiß nicht, womit ich Sie züchtigen soll für diese unglaubliche Bemerkung, mit der Sie Ihren letzten Brief zum Abschluß brachten. Ich bin wirklich außer mir!

»… und dann irgendwann werde ich diese Ihre Hand ergreifen und sie zwischen meine Schenkel legen …«, so etwas darf einfach nicht ungestraft gesagt werden, ohne Ihrem amourösen Kombattanten die Möglichkeit zu geben, diesen Angriff zu parieren.

Darum hier meine Strafe: Diese Hand, die Sie so kundig gelenkt haben, wird Sie erst lehren, was Sehnsucht ist, das verspreche ich Ihnen.

Sie haben bis heute nicht einmal die geringste Ahnung, kaum den blassesten Schimmer, daß sie imstande ist, Ihnen dort das tiefste Seufzen zu entlocken, wo Sie noch niemals so geseufzt haben … ein Lippenbekenntnis ganz besonderer Art. Sie werden nach Erlösung schreien … und ich werde Sie Ihnen nicht gewähren.

Ich werde Ihre Hitze nicht löschen, Ihr Flehen nicht erhören, ich werde Ihnen die süßesten Qualen bereiten. Und erst nach langer, langer Zeit, deren Dauer allein ich bestimme, nach Ihrer völligen Kapitulation wird die Hand, die Sie zu sich gerufen haben, das Werk vollbringen, welches Ihr Glück vollkommen macht.

Und nun schlafen auch Sie wohl, schönste Principessa!

Ihr Duc