Mercuria. Ich hätte darauf verzichten können, hier von ihr gesehen zu werden. Aber irgendwie schien sie mit ihrem spöttischen Lächeln immer dann zur Stelle zu sein, wenn anderen etwas peinlich war.

«Michelangelo sammelt Material für seine nächste Gazette», sagte Gennaro ungerührt.

«Und du, was sammelst du? Posen für deine nächste Skulptur? Die Geißelung der Heiligen Bona durch die Schergen des Kaisers Hadrian?»

«Hadrian hat keine Christen verfolgt. Aber du verfolgst offenbar uns.»

«Bartolomeo sagte, ihr sucht mich.» Sie blickte uns herausfordernd an. Hatte Bartolomeo ihr schon verraten, worum es ging?

«Wir wollten …», setzte Gennaro an.

«Ich weiß, was ihr wollt. Aber vielleicht besprechen wir das nicht hier.»

Eine Viertelstunde später saßen wir bei Mercuria am Kamin. Gennaro überließ mir das Reden, und das war wohl auch besser so, schließlich hatte er offenbar keine Ahnung, was man mit falschen Fragen bei Mercuria anrichten konnte. Ich berichtete von dem Skelett und von unserer Vermutung, um wen es sich dabei handeln könnte. Mercuria nickte ein paarmal ungeduldig. Offensichtlich war sie im Bilde.

Wieder einmal staunte ich, wie gut Mercuria informiert war und wie genau sie sich nach all den Jahren noch erinnerte. Sie hätte wirklich Novellantin werden können.

«Und der Sekretär?», fragte Gennaro.

«Der hatte sich mit ihm zu Colonna in den Palast geflüchtet.»

Gennaro und ich beugten uns vor und hielten den Atem an. «Wie hieß er denn?», fragte Gennaro.

Mercuria verzog den Mund und wiegte den Kopf. «Vielleicht sollte ich meinem Gedächtnis mit einem Grenache auf die Sprünge helfen. Wollt ihr auch einen?»

Gennaro verdrehte die Augen, nickte dann aber. Mercuria erhob sich seelenruhig, verschwand im Nebenzimmer und kam mit drei gefüllten Kristallpokalen zurück.

«Antonio Francavilla», sagte sie. «Ich sehe ihn noch genau vor mir, wahrscheinlich wegen seiner Finger. Natürlich schielten alle immer nach seinen Händen. So einer bleibt einem im Gedächtnis.»

«Was ist dort im Palast passiert?», fragte ich.

Sie setzte sich wieder, trank einen Schluck und schloss die Augen.

Mercuria stand am Fenster des Palastes von Pompeo Colonna und blickte hinaus auf den Platz, auf dem damals die Menschen in der prallen Sonne gefeiert hatten. Sie dachte an die Gesänge, an die Weinfontäne, die aus dem Brunnen hochgeschossen war, an das flatternde Geflügel und die brennenden Knäuel, die die Kardinäle von der Balustrade nebenan heruntergeschleudert hatten.

Auch jetzt drängte eine Menschenmenge sich dort unten. Aber heute herrschte nicht Ausgelassenheit, sondern Beklommenheit. Der Nebel, der am frühen Morgen durch die Straßen geschwappt war, lichtete sich langsam und gab den Blick auf ein Meer von Köpfen frei.

Seit Tagen war die Stadt in Aufruhr wegen des herannahenden kaiserlichen Heeres gewesen. Ein irrer Prediger war mit einem Totenschädel unter dem Arm durch die Stadt gezogen und hatte geifernd das bevorstehende Gottesgericht als Strafe für die verlotterten Sitten der Geistlichkeit beschworen, bis die Büttel ihn in den Kerker geschleift hatten, während der Papst Ausrufer durch die Straßen geschickt und alle Bewohner zu den Waffen gerufen hatte. Aber lange nicht alle waren gefolgt. Schließlich hieß es ja, Gott selbst werde die Ketzer vor den Toren der heiligen Stadt zerschmettern. Warum also sollte man seine eigene Haut riskieren? Und weil das Verlassen der Stadt verboten worden war, zogen die Leute es vor, sich in ihren Häusern zu verbarrikadieren oder mit ihren Habseligkeiten Schutz in den Palästen einflussreicher Herren der kaiserlichen Partei zu suchen, nur für den Fall, dass dieser Prediger doch recht gehabt und Gott beschlossen hatte, tatsächlich die Stadt zu strafen und nicht die Ketzer.

Mercuria hatte keine Angst. Sie hatte undeutliche Erinnerungen an die Ängste der Kindheit, vor knurrenden Hunden

Und so hatte sie auch jetzt keine Angst. Sie wäre wahrscheinlich gar nicht hergekommen, wenn Giovanni Maria della Porta, der Botschafter des Herzogs von Urbino, nicht am Vorabend persönlich bei ihr erschienen wäre und sie fast schon angefleht hätte, sich in Sicherheit zu bringen. Sie mochte ihn. Galant in seinen Manieren, aufmerksam als Liebhaber, die pechschwarzen Haare in die Stirn gekämmt, um seine beginnende Kahlköpfigkeit zu kaschieren.

«Geh zu Kardinal Colonna.»

«Der ist doch gar nicht da.»

«Isabella Gonzaga ist da. Sie hat den Palast gesichert und Söldner angeheuert.»

«Ach, deshalb ist keiner zur Verteidigung auf den Mauern.»

«Nimm das nicht auf die leichte Schulter. Das Heer lagert vor der Stadt, die zimmern gerade die Sturmleitern zusammen. Wenn sie reinkommen, hauen sie hier alles kurz und klein.»

«Ich kann ganz gut auf mich aufpassen.»

Er blickte an ihr hinab. «In deinem Zustand?»

Sie seufzte. Vielleicht hatte er recht. «Also gut.»

«Geh hin. Jetzt. Ich habe dich angekündigt. Wir sehen uns da.»

«Ach, du auch? Willst du nicht die Stadt verteidigen?»

Kopfschüttelnd hatte Giovanni Maria della Porta sich verabschiedet. In der Nachbarschaft hatten sie schon die Fenster zugenagelt. Mercuria war ins Haus gegangen, das ihre im Vorjahr verstorbene Mutter ihr hinterlassen hatte, und hatte gepackt. Vom Fenster aus hatte sie eine Rauchwolke am Hang des Monte Mario gesehen. Die waren tatsächlich gerade dabei, die Villa des Papstes niederzubrennen.

Die Bediensteten der Markgräfin und die Söldner rannten von Zimmer zu Zimmer, kontrollierten die Waffen und schleppten Kisten mit Pulver hin und her.

Die Kanonen der Engelsburg hatten den ganzen Morgen über gefeuert. Niemand wusste, was dort hinten passierte; immer noch hofften alle, dass das Heer vor den Mauern ausbluten würde. Irgendwo wurde laut gebetet.

Unten rief eine Frauenstimme: «Lasst sie jetzt rein!»

«Alle?», fragte eine entgeisterte Männerstimme.

«Natürlich alle!»

Unten rumpelte es, und kurz darauf geriet die Menge in Bewegung wie Sand in einem Trichter. Die Leute schoben sich voran, rempelten und stolperten, und im Innenhof schwoll ein aufgeregtes Stimmengewirr an. Bald darauf polterten die Ersten schon die Treppen hoch und ergossen sich in die Zimmer, ein paar Bewaffnete regelten den Menschenstrom und verteilten Männer, Frauen und Kinder auf die Räume. Nach kurzer Zeit hockten auch in Mercurias Zimmer zwei Dutzend bebende Frauen auf dem Boden, Wäscherinnen neben Kaufmannsgattinnen, einige schwanger, andere mit weinenden Kindern. Eine stillte leise singend einen Säugling. Mercuria musste sich Mühe geben, sie nicht für ihre Angst zu verachten, dieses zittrige und verzagte Flehen nach Schutz. Bei ihr war es immer umgekehrt gewesen: Die Beschützer hatten Schlange

Die Kanonen feuerten in immer schnellerer Folge, dazwischen das Geknatter der Arkebusen. Der Platz war bis auf ein paar heraneilende Nachzügler wie leergefegt. Plötzlich erschien ein Reiter in vollem Galopp, hielt vor dem Brunnen und brüllte: «Sie sind drin!»

Dann gab er dem Pferd die Sporen und verschwand. Der Ruf ging durch den Palast wie ein Feuer durch einen Heuboden. Im Hof wurde panisches Geschrei laut. Ein riesiger Kerl mit Augenbinde und Arkebuse in der Hand stürmte in den Raum.

«Alle raus! Hier knallt’s gleich!»

Die Frauen rafften ihre Bündel zusammen und flohen nach draußen, wo ein anderer Söldner sie zum rückwärtigen Flügel des Palastes scheuchte. Einige blieben unschlüssig auf dem Gang stehen, ohne dass sie weiter beachtet wurden. Unten krachte es dumpf. Das Tor war geschlossen worden.

Mercuria trat an die Balustrade des zum Hof hin offenen Gangs und blickte hinunter. Männer mit Mörteleimern, Werkzeugen und Tragbahren voller Ziegelsteine bahnten sich ihren Weg zum Tor. Sie kamen kaum durch, so viele Menschen standen und hockten dort zusammen. Immerhin hatte die Panik sich etwas gelegt.

Plötzlich ging ein Raunen durch die Menge, und alle blickten zu einem Fenster hinauf. Dort stand eine Frau, aufrecht wie ein General, der gleich zu seinen Soldaten sprechen wird.

Isabella Gonzaga hatte sich selbst an einem solchen Morgen offenbar die Zeit genommen, sich mit aller Sorgfalt anzukleiden. Sie trug eine Samtrobe mit Spitzenmanschetten und eine Perlenhaube. Und sie strahlte eine Gelassenheit aus,

Isabella Gonzaga hob die Hand, und es wurde still. «Es heißt, die Spanier hätten den Borgo gestürmt», sagte sie.

Sofort erhob sich wieder Gemurmel. «Sind die Brücken endlich gesprengt?», schrie einer. «Wann kommt Ferrante denn nun?», rief ein anderer.

Isabella Gonzaga ging nicht darauf ein. Stattdessen erklärte sie, der Palast sei sicher, niemand werde es wagen, sich dem Tor auch nur zu nähern. Ihr Sohn sei auf dem Weg. Bis zu seiner Ankunft werde sie persönlich dafür sorgen, dass keinem auch nur ein Haar gekrümmt würde. Es folgten noch ein paar Anweisungen zur Verteilung von Schlafplätzen und Vorräten, dann trat sie vom Fenster zurück.

Wieder setzte das Gerenne auf den Fluren ein, und noch immer machte Mercuria keine Anstalten, sich nach hinten zu begeben. Vom Gang aus konnte sie das Geschehen im Hof überblicken, und aus dem Fenster im Zimmer hinter ihr schaute man über die Dächer der Stadt. Der Söldner mit der Augenbinde hatte seine Waffe in Stellung gebracht und spähte über den Lauf hinweg auf die Häuser, hinter denen nun erste Rauchwolken aufstiegen. Vereinzelte Menschen flohen kopflos über den Platz. Die einzige Angst, die Mercuria spürte, war die Angst, etwas zu verpassen. Wer würde es wagen, sich an ihr zu vergreifen?

Plötzlich stand Giovanni Maria della Porta neben ihr. «Mercuria. Gott sei Dank.»

«Dir habe ich zu danken.»

Er zuckte mit den Schultern. Ein paar Männer schoben sich an ihnen vorbei in das Zimmer und schauten dem Soldaten über die Schulter.

«Sag mal, ist das nicht Venier?»

Giovanni Maria della Porta schnaubte. «Allerdings. Und jetzt schau ihn dir an.»

Tatsächlich. Dort unten, am Rand einer kleinen Gruppe von Männern, die wie Stallburschen aussahen, stand der venezianische Botschafter. Mercuria erinnerte sich an ihn, eitel wie sonst was, Exzellenz hier, Exzellenz da, livrierte Diener, Wappen auf der Kutsche, und immer darauf bedacht, bei jeder Audienz vor Florenz und Ferrara zu sitzen. Jetzt stand er da herum und war als Pferdeknecht verkleidet.

«Grüß ihn bloß nicht, sonst nässt er sich noch ein», sagte Giovanni Maria della Porta verächtlich. «Der hat Isabella Gonzaga bekniet, ihn nicht zu verraten, weil er Angst hat, dass die Spanier ihm den Kopf abschneiden. Falls sie hier reinkommen.»

In diesem Moment richtete der Söldner sich hinter seiner Arkebuse auf. «Kommt mal her», rief er in einen Nebenraum. «Da tut sich was.»

Von nebenan kamen einige andere Männer angelaufen. Mercuria trat hinter sie und reckte den Hals. Unten auf dem Platz waren zwei Reiter erschienen, ein Dicker mit herunterhängendem Schnauzbart und Morion und ein glattrasierter Schlaks mit Federbarett. Der Dicke sprang vom Pferd, noch bevor es zum Stehen gekommen war. Er ließ seinen Blick kurz über die Fensterreihen schweifen, dann klatschte er ein paarmal in die Hände, als müsste er sein Dienstpersonal zum Appell rufen.

Giovanni Maria della Porta war ebenfalls hinzugetreten.

«Schau an, schau an», sagte er. «Alessandro di Novellara.»

«Der auf dem Pferd. Ein Verwandter der Gonzaga. Vielleicht bringt er uns Neuigkeiten von Ferrante.»

«Die sehen eher aus, als brächten sie uns Ärger.»

Der Dicke dort unten warf noch einen misstrauischen Blick zu den Fenstern hoch, als müsste er sich vergewissern, dass nicht gleich auf ihn geschossen würde. Dann legte er die Hände zu einem Trichter zusammen und schrie mit spanischem Akzent: «Lasst uns mal rein!»

«Wie kommen wir dazu?», rief der Söldner zurück.

«Wir wollen verhandeln!»

«Und wenn wir nicht verhandeln wollen?»

«Dann steht hier in einer Viertelstunde eine Kanone. Wir schießen das Tor auf und schicken die Deutschen rein, und dann gibt’s nichts mehr zu verhandeln, Freundchen!»

«Warte mal!», rief der Söldner nach unten, und dann, über die Schulter: «Holt die Markgräfin!»

Einer rannte los und kam bald darauf mit Isabella Gonzaga zurück, die die Männer unwirsch beiseiteschob und sich aus dem Fenster beugte.

«Wo ist mein Sohn?», schnauzte sie den Spanier an.

«Dauert noch.»

«Geht’s auch in ganzen Sätzen?»

«Ihr Sohn ist bei der Engelsburg. Wir ziehen Gräben, damit der Papst uns nicht stiften geht.»

«Und was wollt ihr hier?»

«Euch beschützen.»

«Dann geht und bringt eure Leute zur Raison!»

«Zu spät. Die Deutschen lassen sich von keinem was sagen, auch nicht von Ihrem Sohn, mit Verlaub. Entweder wir kommen durchs Fenster oder die durch die Wand!»

Die Markgräfin seufzte entnervt. Sie wies einen der

«Hoheit», sagte er.

«Quoque tu, Brute», antwortete sie voller Verachtung.

Währenddessen hatte der Spanier seinen Helm abgenommen. Er sah sich neugierig um, mit dem Blick eines Mannes, der Teures von Billigem unterscheiden kann, aber nicht Erlesenes von Geschmacklosem. Was er sah, gefiel ihm: Fresken, kostbare Möbel, kannelierte Blendsäulen mit korinthischen Kapitellen.

«Das wird teuer», murmelte er befriedigt. Dann trat er auf den Gang und warf einen Blick in den Hof.

«Alessandro! Schau dir das mal an! Alles voller Weiber!»

«Lass gut sein», beschwichtigte der Schlanke.

Der Hauptmann machte eine wegwerfende Handbewegung und wandte sich wieder an die Markgräfin. Ihr verächtlicher Blick dämpfte seine Überheblichkeit wenigstens ein bisschen, auf jeden Fall begriff er, dass er mit Einschüchterung bei dieser Frau nicht weiterkommen würde. Vielleicht versprach er sich in seiner Bauernschläue auch mehr davon, hier tatsächlich als Beschützer aufzutreten und nicht als Erpresser.

«Die Deutschen haben die Brücken gestürmt», sagte er. «Es kann nicht mehr lange dauern, bis sie hier sind. Ich schlage vor, wir legen eine Eskorte in den Palast. Sie bezahlen meine Männer, und ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass kein Landsknecht seinen Fuß in dieses Haus setzt. Angesichts der gefährlichen Lage wird Sie das natürlich ein bisschen was kosten.»

Der Spanier nickte beschwichtigend zu ihm hinüber und blickte dann wieder die Markgräfin an. «Natürlich nicht Sie. Ihre Gäste. Wenn jeder seinen Beitrag leistet, kommen wir zurecht.»

Isabella Gonzaga verzog keine Miene. «Wie viel?»

Der Spanier warf einen kurzen Blick auf die Söldner, die die Markgräfin mit drohendem Blick vor ihm abschirmten. Mercuria verstand genau, was er dachte: Er fürchtete nicht, dass sie ihm an die Gurgel gehen würden, sondern dass sie sich auf seine Seite schlagen könnten, um mitzukassieren.

«Können wir das woanders besprechen?»

«Ich bitte darum.»

Sie verschwanden in einem der Nebenzimmer und verschlossen die Tür. Mercuria wusste, was jetzt folgen würde: Córdoba würde unverschämte Forderungen stellen und Novellara den besonnenen Vermittler spielen, obwohl er genauso gierig auf die Beute war. Und sie würden schnell machen, denn natürlich hatten sie Angst, dass Ferrante Gonzaga doch noch rechtzeitig kommen und ihnen die Suppe versalzen könnte.

Tatsächlich kamen sie schon nach einer Viertelstunde wieder heraus: Isabella Gonzaga mit versteinerter Miene, Alonso de Córdoba sichtlich befriedigt und Alessandro di Novellara mit dem gequälten Gesicht eines Kinderschänders, der das doch alles nur aus Liebe tut.

Córdoba trat ans Fenster und pfiff hinaus. Und als hätten sie nur auf das Signal gewartet, erschienen im Laufschritt fünf Dutzend Soldaten auf dem Platz. Auf einen Wink des Hauptmanns wurden noch mehr Seile entrollt; die Kerle kletterten hoch wie die Affen, quollen durch die Fenster in den

«Die Frauen lasst ihr bitte in Ruhe!», kreischte Novellara.

«Um die kümmern wir uns hinterher», war die Antwort.

Schon baute sich einer der Knilche vor Giovanni Maria della Porta auf. «Was bist du denn für einer?»

«Für dich immer noch Exzellenz.»

«Na dann komm mal schön mit, du Exzellenz, du», sagte der Soldat, fasste ihn am Arm und zog ihn hinter sich her.

«Geh nach hinten!», rief der Botschafter Mercuria noch zu.

Aber sie dachte nicht daran. Das hier war viel zu interessant, um es zu verpassen, und ihr Bauch machte sie nicht verwundbarer, wie alle dachten, sondern unantastbar. Ihre Mutter wäre stolz auf sie gewesen.

Sie trat wieder auf den Gang. Die Soldaten verteilten sich, durchkämmten den Innenhof und begannen, die Leute hin und her zu scheuchen. Alle, die irgendwie nach Geld aussahen, wurden abgeführt, um befragt zu werden, die anderen trieben sie in den Ecken des Hofes zusammen, damit sie nicht im Weg herumstanden. Dort drängten sie sich zusammen wie die Schafe im Angesicht des Wolfsrudels, klammerten sich aneinander, beteten oder blickten stumm zu Boden, um nicht aufzufallen.

Im Gewühl erblickte Mercuria den Deutschen, der in seinem Aufzug überall herausstach. Zusammen mit Córdoba knöpfte er sich gerade die Gruppe der Stallburschen vor, die verängstigt herumgestikulierten und hierhin und dorthin zeigten.

Und mittendrin auch wieder Venier. Der Botschafter gab ein erbärmliches Bild ab in seiner abgerissenen Kleidung, aber

Mercuria sah sich das Geschehen noch eine Weile an, dann verspürte sie das Bedürfnis, sich zu setzen. Sie wanderte den Gang entlang und fand eine Truhe. Soldaten eilten an ihr vorbei, die Geiseln gruppenweise vor sich hertreibend. Und wie aus dem Nichts erschien Giovanni Maria della Porta wieder und ließ sich neben sie fallen.

«Schon gehört? Sie haben Venier erwischt.»

«Hab’s gesehen. Wie viel hat er gekriegt?»

«Fünftausend. Geschieht ihm recht.»

«Und du?»

«Immunität. Hätte er auch haben können, wenn er nicht so feige gewesen wäre.»

Sie saßen gegenüber der Tür zu einer Schreibstube, in der ein weißhaariger Mann in langer Robe hinter einem Tisch stand, um den sich eine Gruppe von Soldaten mit ihren Geiseln drängte. Offenbar wurden hier die Verträge für die Lösegelder aufgesetzt, damit alles seine Ordnung hatte. In einer Ecke des Raumes stand der Landsknecht, das Barett immer noch auf dem Kopf, mit einem anderen Mann ins Gespräch vertieft.

«Was macht eigentlich dieser Deutsche hier?», fragte Mercuria.

Giovanni Maria della Porta grinste. «Das fragen sich alle.

«Woher weißt du das?»

«Aufgeschnappt.»

«Und warum diese lächerlichen Pluderhosen und das geschlitzte Wams?»

«Scheint ihm zu gefallen. Macht Eindruck.»

«Auf den da aber nicht», sagte Mercuria und wies auf den Mann, mit dem dieser Sannazaro ins Gespräch vertieft am Fenster stand. Ein unscheinbarer Kerl, der Mercuria bekannt vorkam. Wie die Verhandlung zwischen einem Geiselnehmer und seinem verängstigten Opfer sah das nicht aus.

Giovanni Maria della Porta lächelte spitzbübisch. «Der da? Weißt du, wer das ist?»

«Warte, ich hab’s gleich. Der war mit Venier auf irgendeinem Fest.»

«Schau dir mal seine Hände an.»

Mercuria starrte angestrengt hin. Als der Kerl seine Hand hob, um irgendetwas zu verdeutlichen, sah sie es. Sechs Finger.

«Ach was. Der?»

Giovanni Maria della Porta nickte amüsiert. «Genau der. Antonio Francavilla. Veniers Sekretär. Wer weiß, was Gott sich dabei gedacht hat.»

«Schau mal. Die vereinbaren da irgendwas.»

Wieder grinste Giovanni Maria della Porta. «Also, wenn jeder seine Forderungen an den Fingern abzählt, dann ist Francavilla auf jeden Fall im Vorteil.»

Mercuria lehnte sich genüsslich zurück und schlürfte an ihrem Wein.

«Nichts. Sie verschwanden in einem Nebenraum. Aber als ich Francavilla ein paar Stunden später das nächste Mal über den Weg lief, hatte er Sannazaros Landsknechtsmontur an.»

Meine Gedanken rasten. Mercuria schwenkte wieder ihren Pokal.

«Wenn das mal nicht eine Geschichte für deine Gazetten ist», sagte sie, an mich gewandt. «Wenn ihr mich fragt, dann haben sie die Kleider getauscht, weil Francavilla in der Stadt noch irgendetwas erledigen wollte. In seinen eigenen Sachen hätte er nicht gehen können, die Soldaten hätten ihn sofort aufgegriffen. Die Verkleidung war perfekt. Er wollte etwas holen, ohne dabei aufzufallen, so muss es gewesen sein. Vielleicht wusste er von einem Geldversteck bei Venier und wollte mit Sannazaro teilen. Der Verdacht wäre niemals auf ihn gefallen, ganz abgesehen davon, dass Venier nicht mehr nach Rom zurückkehrte. Die Markgräfin half ihm eine Woche später sogar noch, aus der Stadt zu kommen, nachdem sie schon für sein Lösegeld gebürgt hatte. Wenn sie gewusst hätte, dass er sich anschließend einfach aus dem Staub machen würde, hätte sie ihn wahrscheinlich den Deutschen zum Fraß vorgeworfen. Die brachen nämlich einen Tag nach dem Abzug der Herrschaften das Tor auf und holten sich, was noch da war. Die Leute von Novellara und Córdoba rührten keinen Finger mehr, um den Palast zu verteidigen. Sie hatten ja bekommen, was sie wollten.»

«Wie bist du eigentlich da rausgekommen?», fragte Gennaro.

Mercuria holte tief Luft und hob den Blick zur Decke. «Ferrante Gonzaga besorgte mir eine Eskorte.»

«Ich war nicht mit ihm bekannt. Seine Mutter hatte ihn darum gebeten. Ich stand unter ihrem Schutz.»

«Warum?», fragte ich vorsichtig. Ich spürte, dass das Gespräch sich nun doch einem sensiblen Thema zuneigte.

Mercuria ließ den Wein in ihrem Glas kreisen, dann blickte sie mir lange in die Augen. «Ich war im siebten Monat schwanger», sagte sie schließlich leise.

Zum Glück spürte selbst der ungestüme Gennaro, dass hier keine Nachfragen angebracht waren.