Gennaro klatschte vor Vergnügen in die Hände, nachdem er das Sonett gelesen hatte. «Unglaublich! Wie sieht sie aus?»

«Hörst du nicht zu? Es war dunkel!»

«Egal. Wir werden es heute erfahren.»

«Wer sagt, dass sie kommt?»

«Natürlich kommt sie!»

«Und wieso wir?»

«Weil der ganze Innenhof in den Fenstern hängen wird, wenn Madama Orsini hier hereinspaziert. Ob’s dir passt oder nicht.»

So etwas hatte ich befürchtet. Und weil ich, wie ich zugeben muss, selbst ein bisschen aufgeregt war, gefiel mir die Aussicht gar nicht, dass die ganze Gemeinschaft sich das Maul über meine nächtliche Begegnung zerreißen würde. Überhaupt, Madama Orsini. Es war gar nicht klar, ob sie zu dieser Familie gehörte, und im Übrigen war es mir auch egal. Ich wollte ihr Gesicht sehen.

«Wie war’s in den Trajansthermen?», fragte ich Gennaro, um abzulenken.

Er verdrehte genießerisch die Augen. «Genau die Richtige für mich. Viel Talent und wenig Tugend.»

Den ganzen Tag über brachte ich kaum etwas zustande. Meine Gedanken kreisten um die gesichtslose Unbekannte, die derbe Gedichte schrieb. Um nicht enttäuscht zu

Das Sonett, das mein Onkel für seine letzte Nachricht abgeschrieben hatte, kam mir in den Sinn. War das etwa auch von ihr? Seit wann machte sie das eigentlich? Und warum?

Ich versuchte, sie mir vorzustellen, aber es fiel mir schwer. Wahrscheinlich hatte ich in den letzten Wochen zu viele Bilder von Salviati betrachtet, denn immer wieder schoben sich Madonnen mit langen Nasen vor mein inneres Auge. Ich hätte sie gern als geheimnisvolle Schönheit gesehen, doch das passte nicht zum rohen Ton des Sonetts. Aber was hätte schon dazu gepasst? Ein feister Kerl mit Halbglatze, Bart und stechendem Blick vielleicht, ein Aretino eben, aber mit Sicherheit kein Mädchen aus vornehmem Haus, wenn sie das denn war.

Als sie dann wirklich kam, hatte ich kaum noch mit ihr gerechnet.

Es war schon dunkel, und niemand hing in den Fenstern. Bei Gennaro waren die Tore verrammelt, und bei Mercuria flackerte unstet das schwache Licht des Kaminfeuers. Die anderen waren offenbar nicht da.

Es klopfte. Ich öffnete. Da stand sie.

Sie zog die Kapuze herunter. Die dunklen Haare hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden. Die von der Kälte geröteten Ohren standen etwas ab, was den kindlichen Ausdruck noch verstärkte. Sie sah sehr jung aus, dabei war sie, wie ich später erfahren sollte, zwei Jahre älter als ich. Offenbar wollte sie diesem Eindruck und der Hilflosigkeit etwas entgegensetzen, mit der sie in der vergangenen Nacht erfolglos versucht hatte, mir das Gedicht wieder abzunehmen. Also ging sie gleich zum Angriff über.

«Her damit!», war ihre Begrüßung.

Ich wies auf den Tisch, auf dem das Sonett immer noch lag. Natürlich hatte ich eine Abschrift gemacht.

Sie schob sich an mir vorbei, griff sich das Blatt und steckte es unter ihren Mantel.

«Willst du dich setzen?»

«Ich bin gleich wieder weg.»

War sie wirklich nur gekommen, um das Sonett wieder abzuholen? Die neugierigen Augen, mit denen sie sich im Zimmer umsah, sagten etwas anderes. Und natürlich blieb ihr Blick auf den Kisten mit den Papieren meines Onkels haften.

«Meine Arbeit», sagte ich wichtigtuerisch.

«Zeig mal her.»

Und dann setzte sie sich doch. Sie wollte es sich zuerst nicht anmerken lassen, aber die Unterlagen interessierten sie brennend. Sie erkannte sofort, auf was für einem Schatz ich da saß, und das machte sie gesprächiger. Sie fragte mich über meinen Onkel und seine Tätigkeit aus, und während wir sprachen, blätterte sie sich durch die Dokumente, las sich fest, zog die Augenbrauen hoch. Und immer wenn ich dachte, sie hörte mir gar nicht mehr zu, stellte sie eine Zwischenfrage.

Zugegeben, ich hatte ihr absichtlich als Erstes die Kiste zugeschoben, in der sich auch das Sonett über die Kurtisanen befand, um ihre Reaktion zu beobachten. Aber weil sie sich für alles zu interessieren schien, dauerte es eine ganze Weile, bis sie sich bis dorthin vorgearbeitet hatte.

«Ach das», sagte sie nur, als die Verse erschienen.

«Ist das auch von dir?», fragte ich bemüht unbedarft.

«Kann sein», antwortete sie, ohne aufzublicken.

«Wo hast du das gelernt?»

«Ich lese viel. Aretino, Berni, Franco, Vignali, solche Sachen.»

«Die stehen auf dem Index.»

«Da gehören sie ja wohl auch hin», sagte sie, ungerührt weiterblätternd.

Fast zwei Stunden verbrachten wir so. Sie überflog die Texte, las die eine oder andere Passage laut vor und stellte Fragen, wie sie ihr in den Kopf zu kommen schienen. Ich dagegen erfuhr nichts von ihr, noch nicht einmal ihren Namen. Ich beobachtete sie beim Lesen, registrierte jedes Hochziehen der Augenbrauen, jedes Stirnrunzeln und

Irgendwann raffte sie die Papiere zu einem sauberen Stapel zusammen und blickte auf. «So. Und was ist jetzt deine Arbeit?»

«Ich schreibe auch», sagte ich unbestimmt.

Sie verdrehte ungeduldig die Augen. «Und kann man das mal sehen?»

Ich kramte einige meiner Gazetten hervor und legte sie vor ihr auf den Tisch. Eine Weile war es still, während sie las. Schließlich blickte sie auf. Sie lachte, tatsächlich, zum ersten Mal sah ich diesen kleinen Mund lachen.

«Echt, so einen Scheiß denkst du dir aus?»

Was sollte ich darauf antworten? Stand mir die nächste Tirade voller Missbilligung und Belehrungen bevor? Wollte dieses Mädchen, das mich seit ein paar Stunden kannte, mir jetzt auch schon erzählen, dass ich schleunigst so zu werden hatte wie mein Onkel?

Aber das wollte sie nicht. Stattdessen begann sie erneut, mich mit Fragen zu bearbeiten, Fragen zu den Geschichten selbst, zur Zensur, zu den Druckern und zur Verbreitung der Blätter. Fast hatte es den Anschein, als wollte sie auch in dieses Geschäft einsteigen. Immer wieder zitierte sie kreuz und quer aus den Gazetten, offenbar hatte sie sich jeden Satz gemerkt, den sie einmal gelesen hatte, und immer wieder lachte sie ihr Kinderlachen. Nach einer Weile begriff ich, was ihr gefiel: Sie liebte die Ungeniertheit dieser Lügen, nicht die Lügen selbst, sondern die Dreistigkeit, mit der ich sie erfand und verbreitete. Dreistigkeit war die Eigenschaft, die sie offensichtlich am meisten schätzte. Das passte zu ihren literarischen Vorlieben: Aretino, Berni, Franco, und dann zu allem Überfluss auch noch Vignali,

Das weitere Gespräch verlief völlig ungezwungen, wenngleich sie alle meine Versuche, mehr über sie zu erfahren, gekonnt ins Leere laufen ließ. Irgendwann bot ich ihr einen Becher von dem griechischen Wein an, den Mercuria zu einem der Abende mit den anderen Bewohnern mitgebracht hatte. Während ich einschenkte, stellte ich mich vor.

«Schöner Name», sagte sie, rieb sich die Hände und blickte zum Kamin. «Sag mal, kannst du’s hier drin vielleicht ein bisschen wärmer machen?»

Ich hielt inne und tat nichts, sah sie nur an, die Karaffe noch in der Hand. Sie wiederum tat so, als bemerkte sie es gar nicht, und blickte sich interessiert im Raum um. Einmal zuckten ihre Mundwinkel ganz kurz, doch sofort hatte sie sich wieder im Griff und spielte das Spiel weiter. Sie ignorierte mich, als wäre ich ein Bediensteter, dem sie eine Anweisung erteilt hatte, mit der er nun eine Weile beschäftigt sein würde.

Schließlich gab sie sich einen Ruck. «Gut, von mir aus, bevor das hier albern wird. Ich heiße Giordana. Und jetzt mach es endlich wärmer!»

Während ich Holz nachlegte, fragte ich mich, ob sie wirklich so hieß oder sich den Namen nur ausgedacht hatte, und ob sie wirklich eine Orsini war. Sie aber hatte ganz offensichtlich nicht die Absicht, diese Fragen zu beantworten.

«Ist ja gut und schön, dass wir hier so angeregt plaudern»,

Ich wollte protestieren, doch sie hob beschwichtigend die Hände.

«Erzähl mir nichts. Ist auch überhaupt nicht schlimm. Aber du wirst verstehen, dass ich keine Lust habe, mich in einer deiner Gazetten wiederzufinden, damit nächste Woche die ganze Stadt weiß, von wem diese Sonette stammen. Belassen wir es bei Giordana.»

Ich nickte und setzte mich wieder. «Warum machst du das überhaupt?», fragte ich vorsichtig.

«Aus Wut.»

Diese brüske Antwort überraschte mich. Ich blickte sie fragend an.

«Du hast keine Vorstellung davon, wie ich lebe.»

Ich spürte, dass sie nicht weiter darüber reden wollte, dass es sie ärgerte, sich überhaupt diese Blöße gegeben zu haben. Ihr Gesicht nahm erneut den kampflustigen Ausdruck an, doch bevor sie wieder patzig werden konnte, klopfte es an die Tür, und Mercuria streckte den Kopf herein. Ihr Blick wanderte von mir zu Giordana und zurück. Ich sah, wie sie sich mühte, ihre Neugier zu bezähmen.

«Darf ich kurz?»

«Bitte.»

«Es ist was passiert.» Wieder musterte sie Giordana, als müsste sie schnell entscheiden, ob man ihr vertrauten könne, und ich fürchtete schon, sie würde sie vor die Tür schicken, doch dann kam sie herein, legte mir eine Hand auf den Arm und sagte: «Antonio ist weg.»

«Wie, weg?»

«Aus der Stadt.»

«Wann?»

«Warum das denn?»

«Die Inquisition wollte ihn verhaften lassen. Irgendwer hat ihn angeschwärzt und behauptet, er sei nur zum Schein konvertiert, betreibe heimlich irgendwelche dunklen Praktiken mit geweihten Hostien und ähnlich blödsinnige Vorwürfe. Die waren heute Nachmittag hier und wollten ihn mitnehmen. Zum Glück hat ihn gestern jemand gewarnt. Sie haben sich im Haus umgesehen, aber nichts gefunden, weil er schon alles ausgeräumt hatte.»

«Wo ist er?»

«Je weniger Leute das wissen, desto besser. Vielleicht tauchen sie noch mal auf und stellen Fragen. Ich wollte dich nur vorwarnen.»

«Danke.»

«Dann hätten wir das ja geklärt», sagte Mercuria, doch anstatt wieder zu verschwinden, blickte sie nun erneut zu Giordana. Ich sah genau, dass sie im Bilde war. Gennaro hatte den Schnabel natürlich nicht gehalten, und Mercuria war jetzt so richtig neugierig. Sie stellte sich vor. Und dann gab sie mir eine eindrucksvolle Lektion darüber, wie sie Menschen um den Finger zu wickeln verstand.

Anstatt Giordana Fragen zu stellen, plauderte sie ein bisschen über ihre Häuser und über unser Kennenlernen, machte Giordana mit ein paar Witzchen auf meine Kosten zu ihrer Komplizin, griff dann weiter in die Vergangenheit aus, gab die eine oder andere Anekdote aus früheren Jahren zum Besten und ließ auf unaufdringliche Weise durchblicken, womit sie ihr Geld verdient hatte. Giordana hing an ihren Lippen, warf ab und zu etwas ein, und wer weiß, was sie Mercuria alles über sich verraten hätte, wenn ich nicht danebengesessen hätte, stumm wie ein Schaf. Die

Und es kam noch besser. Nachdem Mercuria nämlich allerlei Geschichten über ihre Bekanntschaft mit den verschiedensten Künstlern vorgetragen hatte, hielt sie plötzlich inne, rückte ein Stück vom Tisch ab und betrachtete Giordana mit zusammengezogenen Augenbrauen.

«Jetzt weiß ich’s!»

«Was?», fragte Giordana irritiert.

«Warum du mir gleich so bekannt vorkamst.» Sie kniff die Augen zusammen und musterte Giordana noch eine ganze Weile. «Je länger ich dich anschaue, desto unglaublicher kommt es mir vor», sagte sie.

«Was denn?», mischte nun auch ich mich ein.

«Ein Bild. Eine ganz erlesene Madonna mit Kind und ein paar Engeln von Parmigianino. Und einer dieser Engel bist du. Wirklich, als hättest du ihm Modell gestanden.»

Parmigianino. Insgeheim klopfte ich mir für meinen sicheren Blick auf die Schulter.

«Das hat mir irgendwann schon mal jemand gesagt», sagte Giordana. «Aber ich habe dieses Bild noch nie gesehen.»

«Wie auch, er hat’s ja nie rausgerückt. Aber es gibt einen Stich davon.»

«Ach, tatsächlich?»

«Wie? Du kanntest ihn?»

«Na ja, ich war damals viel in diesen Kreisen unterwegs, wie gesagt. Er hat mich sogar mal gezeichnet.»

«Wirklich?»

1530

Gott, dieser Maler, was für ein Schlingel! Der hatte es schon den ganzen Nachmittag auf sie abgesehen, aber Mercuria war sich nicht sicher, ob er sie als Modell wollte oder als Bettgenossin, das floss bei denen ja meistens ineinander, weil sie gar nicht unterscheiden konnten, ob ihr Begehren künstlerischer Natur war oder doch von weiter unten heraufpulsierte. Dummerweise bildeten sie sich dann oft ein, die Bettgenossin mit dem Modell schon mitbezahlt zu haben, es sei denn, sie interessierten sich nicht für Frauen, aber dann sahen ihre Werke auch entsprechend aus. Für eine dem Bad entsteigende Aphrodite nahmen sie die erstbeste Küchenmagd, aber für den Heiligen Sebastian, der sich lustvoll im Pfeilhagel seiner Peiniger aalte, konnte das Modell ihnen gar nicht anmutig genug sein.

Was der hier wollte, war nicht ganz klar. Auf jeden Fall redete er gern, wenn bloß sein Akzent nicht gewesen wäre, der ließ ihn immer ein bisschen empört und gepresst klingen, aber was der Maler zu erzählen hatte, war unterhaltsam; er kam gerade aus Bologna zurück, wohin er den Papst zur Kaiserkrönung begleitet hatte, und dort hatte er eine ganze Menge berühmter Leute kennengelernt, deren Marotten er in eleganter Plauderei zuspitzte und imitierte. Er war ja selbst eine Berühmtheit; die reichen Sammler rissen sich um seine Gemälde und die Künstler um seine Stiche, um die Posen der entzückenden Madonnen und Engel in ihre eigenen Bilder

Gegner hatte er allerdings keine an diesem Frühlingsnachmittag, nur Bewunderer, die an seinen Lippen hingen, als er erzählte, wie er dort in Bologna zuerst den Papst und dann den Kaiser gemalt hatte, die sich jetzt, nur drei Jahre nach dem Sacco, schon wieder glänzend verstanden. Trotzdem oder gerade deshalb war es natürlich besser gewesen, die Krönung dort oben abzuhalten und nicht in Rom, dieser verwüsteten und entvölkerten Stadt, wo sie den Mann, der für die ganze Misere verantwortlich war, wahrscheinlich eher mit einem Steinhagel empfangen hätten als mit Jubelgeschrei, vor allem wenn er es gewagt hätte, mit seinen Landsknechten einzuziehen, die hier nun wirklich keiner mehr sehen wollte.

Der Gastgeber war ein bekannter Bankier aus Genua, der zuerst die Soldaten finanziert hatte, die die Stadt im Namen des Kaisers zerstört hatten, und jetzt die Maurer, die sie im Namen des Papstes wieder aufbauten. Ganz untypisch für einen Genuesen, warf er mit Geld nur so um sich, und das, obwohl man munkelte, dass er fast pleite war. Vielleicht wollte er mit Gesellschaften wie dieser auch gezielt solchen Gerüchten entgegenwirken, denn was hier an Edelfischen und Früchten aus fernen Plantagen aufgetragen worden war, das musste ein Vermögen gekostet haben, ebenso wie die Ausstattung der Gartenvilla: Vor der hohen und von Efeu überrankten Mauer reihten sich Faune und Nymphen aneinander, dazwischen als Prunkstück ein Satyr, der es mit einer Ziege trieb. In einer abgelegenen Nische des Gartens lag eine mit

Es war ein wunderschöner Frühlingstag, also hatte man draußen unter einem Baldachin gespeist: der Bankier, vier hohe Beamte aus der päpstlichen Verwaltung, ein paar junge Dinger, die ihren Marktwert nach oben treiben wollten, und sie, die das nicht mehr nötig hatte, weshalb der Bankier ihr eine Perlenkette als Einladung geschickt hatte. Und dazu dieser kleine Maler, der geschickt den richtigen Moment abgepasst hatte, um sie aus der Gesellschaft herauszulösen wie die Auster aus einer Miesmuschelbank, während die Herren, angenehm träge vom Essen und besäuselt vom Wein, über die Preise von Ämtern an der Kurie debattierten und die Mädchen auf ihren Stühlen dekorativ die Locken um die Finger wickelten.

Sie spazierten eine Weile durch den Garten, und sie hakte sich bei ihm unter, um die anderen auf Abstand zu halten. Die kleine Severina, die im Lauf des Nachmittags von einem Schoß zum anderen gewandert war, schlief jetzt im Schatten in einer kleinen Hängematte, die der Hausherr persönlich zwischen einem Orangenbaum und einer der steinernen Nymphen aufgehängt hatte; eigentlich hatte er spaßeshalber das Gemächt des Satyrs zur Befestigung verwenden wollen, aber da war Mercuria eingeschritten, man musste es ja nicht übertreiben.

Der Maler, Francesco Mazzola sein Name, blieb bei der Kleinen stehen und betrachtete sie. Sie schlummerte tief, eine verschwitzte Haarlocke klebte an ihrer Stirn, und die prallen Wangen waren immer noch gerötet vom Toben.

«Wie alt?»

«Drei.»

«Ein Teufel.»

Wie der Vater?, hätte er jetzt fragen können, um dem Wortwechsel eine geistreiche Abrundung zu geben, aber dafür war er zu diskret. Er betrachtete das Kind.

«Willst du sie zeichnen?»

«Eigentlich will ich lieber dich zeichnen», sagte er. Klar, dass einer wie er den zugespielten Ball mühelos annahm. Aber ganz so leicht sollte er es auch nicht haben, also gab sie keine Antwort, sondern zog ihn weiter und verwickelte ihn in ein Gespräch über seine Erlebnisse während des Sacco. Ob es stimme, dass die Landsknechte ihn in seinem Atelier überfallen hatten und dass er sich mit einem Bild hatte freikaufen müssen?

«Stimmt.»

«Was für ein Bild war es denn?»

«Ein Porträt von Oranges.»

Philibert von Oranges hatte nach dem Tod von Charles de Bourbon das Kommando über das Heer übernommen und versucht, den außer Rand und Band geratenen Haufen der Landsknechte zu bändigen. Ein paar Wochen später hatte er sich bei der Inspektion der Gräben um die belagerte Engelsburg eine Kugel eingefangen.

«Haben sie dem nicht das Gesicht weggeschossen?»

Er lachte. «Allerdings. Das sollte man auf dem Bild aber nicht sehen. Ich musste nach der Vorstellung malen, dabei war ich nach Rom gekommen, um zu lernen, nach der Natur zu malen. Das liegt mir bis heute mehr.»

Mercuria hatte natürlich verstanden, dass er mit dieser Bemerkung wieder zu seinem Vorhaben zurückkommen wollte. Und weil sie keine Einwände machte, lotste er sie in einem weiten Bogen um das Gartenhaus herum.

Mercuria trat näher. An der Wand neben dem Bett hing eine Reihe von kleinen Stichen, die nackte Paare in allen möglichen Verschmelzungen zeigten, darunter deftige Sonette, die das Geschehen erläuterten. Sie kannte die Bilder. Die Entwürfe stammten von Giulio Romano, die Stiche hatte Marcantonio Raimondi angefertigt, und die begleitenden Verse waren von Pietro Aretino. Vor ein paar Jahren waren sie von Hand zu Hand gegangen, dann hatte es einen Skandal gegeben, und sie waren aus dem Verkehr gezogen worden. Marcantonio Raimondi hatten sie deswegen verhaftet, Giulio Romano war vorsichtshalber nach Mantua geflohen, und Pietro Aretino saß im sicheren Venedig und trieb die Ferkeleien dort unbehelligt weiter.

«Kennst du das?», fragte er.

«Natürlich», sagte sie.

«Künstlerisch gesehen ist das ein ziemlicher Schund.»

«Und moralisch gesehen?»

Er winkte ab. «Ach Gott. Die wollten die Sittenwächter halt

«Nein.»

Er nickte genüsslich. «Kameen. Fast handtellergroß, in Gold gefasst und mit Perlen eingerahmt. Als kleines Geschenk für den päpstlichen Verbündeten in Rom.»

«Und wo sind sie geblieben?»

Er zuckte mit den Schultern. «Angeblich wurden sie abgeschickt, sind aber unterwegs verschwunden. Ging ja alles drunter und drüber damals.»

Sie blickte sich noch eine Weile im Zimmer um, während er sich im Hintergrund an einer Truhe zu schaffen machte. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass er Papier und Rötelstifte auspackte. Der meinte es wirklich ernst und hielt es schon für ausgemacht, dass sie sich gleich nackt vor ihm aufs Bett werfen würde. Seine Dreistigkeit gefiel ihr, aber dass sie ihm hier gleich den Hintern hinstrecken würde, nur weil er sie mit ein paar Bildern in Stimmung gebracht hatte, das konnte er vergessen. Sollte er erst mal zeigen, was er mit dem Rötelstift konnte.

«Wollen wir?»

Sie zog sich aus, aber nicht wie für einen ihrer Favoriten. Wenn er es so geschäftsmäßig einfädelte, dann sollte er es auch geschäftsmäßig bekommen. Und tatsächlich war der Blick, mit dem er sie taxierte, während sie das Kleid abwarf und sich auf dem Bett positionierte, kein bisschen lüstern, sondern konzentriert. Mit ein paar Handzeichen scheuchte er sie von einer Pose in die andere. Schließlich nickte er, und jetzt mischte sich doch ein bisschen Begehren in seinen Blick. Dass sie nach der Schwangerschaft etwas runder geblieben war, das kam auch bei ihm gut an.

Nach einer Weile hielt er inne. «Was dagegen, wenn ich mich auch ausziehe?»

«Wenn’s dir bei der Arbeit hilft.»

Wie er so ohne bemühte Verrenkungen aus seinen Kleidern schlüpfte, das war schon elegant. Seine Haut, unter der sich kaum Muskeln abzeichneten, war glatt und weich wie die eines Kindes.

«Parmigianino sollten sie dich nennen», spöttelte sie bei seinem Anblick.

«Unglaublich», sagte Giordana.

«Ich hab die Zeichnung drüben. Ich kann sie dir zeigen.»

Mit diesen Worten stand sie auf. Auch Giordana erhob sich. Und weil ich davon ausging, dass die Einladung ja wohl auch mir galt, stand ich ebenfalls auf.

Mercuria bedachte mich mit einem Blick, der mild und streng zugleich war. «Dir zeige ich sie nicht.»

«Warum das denn bitte?», fragte ich entrüstet.

Mercuria schenkte mir ein hinreißendes Lächeln. «Weil ich darauf wie gesagt nichts anhabe, mein Freund», hauchte sie.

Damit verschwanden die beiden im Hof. Also, es war schon echt eine Frechheit, wie sie mit mir umsprangen.