Tja. An jenem Abend bekam ich keine Gelegenheit mehr, von Giordana noch etwas zu erfahren. Sie blieb eine Stunde bei Mercuria, schaute noch einmal kurz bei mir rein und ging.
«Sehen wir uns wieder?»
«Sicher.»
Kein Ort, keine Zeit. Sie tauchte auf und verschwand, wie es ihr passte.
Und so beschloss ich, mich wieder einmal meiner eigentlichen Arbeit zuzuwenden, die ich in der letzten Zeit ein bisschen vernachlässigt hatte.
Es war inzwischen Februar geworden. Der Karneval hatte begonnen, und unter normalen Umständen hätte ich mir das Treiben in der Stadt angesehen, um anschließend meine Beobachtungen zu haarsträubenden Geschichten mit vom Himmel regnendem Feuer, zum Leben erwachten Statuen, tanzenden Dämonen, Schwefeldampf und Engelsgesang zu verarbeiten. Doch da war kaum etwas zu holen: Die Feierlichkeiten fielen in diesem Jahr so mager aus wie selten, denn der Papst hatte angesichts der neuerlichen Gefahr eines Krieges gegen die Türken wieder einmal Buße und Einkehr verordnet und den Karneval derart eingeschränkt, dass einige Lästermäuler bemerkten, unter Ghislieri sei inzwischen das ganze Jahr über Fastenzeit.
So streifte ich ziellos in der Stadt umher. Einmal sah ich dabei tatsächlich den Papst, wie er während einer Prozession vor dem Lateran seine Schweizer zur Seite scheuchte, in die Menge eintauchte und mit den Gläubigen sprach; sein hageres Gesicht mit der Hakennase einem vor ihm knienden Handwerker zugeneigt, dessen schwielige Pranke in der weißen spinnenfingrigen Hand mit dem Fischerring: Dieser klapprige alte Mann, der den Leuten das Feiern vermieste und die Hunde der Inquisition jedem auf den Hals hetzte, der die Transsubstantation anzweifelte oder verbotene Schriften las, dieser Mann stand dort gebeugt in der Kälte vor der Basilika und hörte sich mit der größten Geduld an, was die Leute für Sorgen hatten.
Auf meinen täglichen Runden machte ich fast immer auch einen Abstecher zur Statue des Pasquino. Dort hing zwar immer wieder allerhand gereimtes und ungereimtes Zeug, doch keins der zumeist bestenfalls mittelmäßigen Machwerke las sich, als könnte es von Giordana stammen.
Gennaro war die meiste Zeit über mit der Tochter seines Kunden beschäftigt, jedenfalls in den Nächten. Die Tochter hatte inzwischen einen Namen: Flavia. Bisweilen brachte er sie mit nach Hause, aber ich bekam sie nie zu Gesicht; nur manchmal, wenn ich lange aufblieb, hörte ich das leise Quietschen des Tors zu seiner Werkstatt und sah, wie sie sich als verhüllter Schatten durch den Innenhof davonstahl. Konnte Giordana sich nicht auch mal wieder davonstehlen, verdammt noch mal?
Wenn Gennaro gerade nicht durch seine heimlichen Verabredungen verhindert war, suchten wir uns einen schönen Platz, tranken Wein und redeten über unsere Zukunftspläne. Meistens landeten wir auf einem der Hügel, wo uns die ganze Stadt zu Füßen lag, als zöge es Gennaro an einen Ort, an dem er die Versuchung Christi durch den Teufel nachvollziehen konnte: Das alles will ich dir geben, wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest!
Denn seine Statue des Erlösers mit dem Satan auf der Schulter ließ ihn nicht los. Am liebsten hätte er sofort drauflosgemeißelt; die Entwürfe waren nach ein paar weiteren Überarbeitungen fertig, aber ihm fehlte das Geld für einen Marmorblock in der entsprechenden Größe.
«Flavias Vater hat Geld», sagte er nachdenklich, während wir am Hang des Pincio auf einem Stein hockten und zur Piazza del Popolo hinunterblickten. Es dämmerte. Vor dem Hintergrund des orangerot eingefärbten Himmels im Westen schossen riesige Vogelschwärme hin und her, fielen zu Knäueln zusammen, platzten auf, flossen zu geheimnisvollen Formen auseinander, rissen in Stücke und stürzten wieder zusammen. Die Glocken von Santa Maria del Popolo läuteten unablässig, und aus den Straßen, die auf dem Platz zusammenliefen, strömten Menschen heraus und strebten der Kirche zu. Die Porta Flaminia mit ihren wüst ineinandergeschachtelten Anbauten glühte im letzten Sonnenlicht.
«Und wie viele falsche Kaiserköpfe musst du ihm andrehen, bis du das Geld für deinen Marmorblock zusammenhast?», fragte ich.
«Er kauft keine Kaiserköpfe. Er sammelt Philosophen. Und er weiß, dass sie nicht echt sind. Ich muss ihn also noch nicht einmal bescheißen.»
«Was macht er noch mal?»
«Er macht nichts. Er hat Ländereien.»
«Und hat er auch einen Namen?»
«Bonifacio Caetani.»
«Der Bonifacio Caetani?»
«Ja, der.»
«Ach du Scheiße.»
«Warum?»
«Das fragst du noch? Wenn Bonifacio Caetani erfährt, was du nachts mit seiner Tochter treibst, dann schlägt er dich tot.»
«Im Gegenteil. Er ist ein fortschrittlicher Mann und würde in diesem Fall lediglich auf einer Hochzeit bestehen.»
«Der Rest der Familie sieht das vielleicht anders.»
«Flavia ist nur seine uneheliche Tochter. Die anderen können sich in Ruhe um das Erbe streiten, wenn’s so weit ist. Damit hat sie nichts zu tun.»
«Sind wir schon beim Erben? Hast du sie geschwängert, oder was?»
Gennaro grinste. «So ganz genau weiß man das ja nie. Aber mal im Ernst. Caetani kennt meine Entwürfe. Und er ist einer der wenigen, die sich so etwas in den Garten stellen können, ohne dass sich jemand traut, sie anzuschwärzen. Er baut gerade eine neue Landvilla, und die muss ja mit irgendwas ausgestattet werden.» Gennaro nahm einen Schluck Wein und beobachtete eine Weile die Vogelschwärme. «Ich könnte deine Hilfe gebrauchen», sagte er schließlich.
Schon der Ton verriet, dass es nicht darum ging, in seiner Werkstatt an der Kurbel zu drehen oder irgendeinen Steinblock hochzuwuchten.
«Über welche Mauer müssen wir diesmal klettern?»
Gennaro grinste wieder. «Über die Gartenmauer von Alessandro Farnese.»
«Wozu das denn?»
«Caetani will einen Pythagoras.»
«Und beim Kardinal steht einer im Garten?»
«Nicht direkt. Er hat ein Gartenhaus, das als Magazin genutzt wird.»
«Bist du noch bei Trost? Du willst in Farneses Gartenhaus einbrechen und eine Büste klauen?»
«Nicht klauen. Ich will nur einen Abguss machen.»
«Ach so, wenn’s weiter nichts ist.»
Die Ironie schien ihm entgangen zu sein. «Na ja, ganz so einfach ist es nicht. Wir müssen im Dunkeln arbeiten.»
«Wir?»
«Ja, wir. Du und ich.»
«Ich nehme an, der Wachhund kennt dich schon.»
«Da gibt’s keinen Wachhund. Nur einen Nachtwächter, und der ist stocktaub.»
«Blind auch?»
«Nein, darum arbeiten wir ja im Dunkeln», sagte er ungerührt.
«Wunderbar», sagte ich, nahm ihm den Becher ab und trank ihn aus. Arm in Arm gingen wir durch die abendliche Stadt nach Hause.
Am nächsten Abend zog ein entsetzlicher Gestank durch den Innenhof. Es roch, als würde jemand abgeschnittene Fußnägel über dem Feuer rösten.
Als ich die Tür zu Gennaros Werkstatt öffnete, schlug der Geruch mir entgegen wie eine Brandungswelle. Ich bekam kaum Luft. Graue Schwaden durchzogen den Raum und entwichen in den Hof.
Draußen klappte ein Fenster auf. «Gennaro! Ich schmeiß dich raus!», rief Mercuria. Dann wurden die Läden wieder zugeknallt.
Gennaro schienen weder der Gestank noch die Drohung etwas auszumachen. Gutgelaunt stand er am Feuer, über dem ein kleiner Kessel mit einem weißlichen Brei vor sich hin köchelte.
«Knochenleim», sagte er und rührte kräftig mit einem Holzlöffel durch. Blasen stiegen auf, platzten und setzten neue Dämpfe frei.
«Widerlich», sagte ich, die Nase in die Armbeuge gepresst.
«Herrlich», erwiderte er und zog genießerisch die Luft ein. «Genau so muss das duften. Und schau dir die Konsistenz an!» Er schöpfte einen Löffel heraus und beobachtete mit fachmännischem Blick, wie die Masse in den Kessel zurücktroff. «Nicht zu dünn und nicht zu dick. Ist er zu dünn, reißt der Abguss beim Abziehen auseinander. Ist er zu dick, läuft er beim Auftragen nicht in die Vertiefungen. Schöne Fäden muss er ziehen, ohne Blasen zu werfen.»
«Ich hoffe, du erwartest heute Nacht keinen Besuch mehr», presste ich hervor.
«Machst du Witze? Wir sind bis morgen früh beschäftigt!»
Gennaro zog den Kessel ein bisschen höher und scheuchte mich mit einer Handbewegung nach draußen.
Bald darauf saßen wir, jeder mit einem Glas in der Hand, auf dem großen Steinblock vor dem Tor, das Gennaro gnädigerweise geschlossen hatte. Die Schwaden verzogen sich langsam. Gennaro war unrasiert, seine Haare standen noch wirrer ab als sonst und waren von Steinstaub gepudert.
Während wir tranken, erklärte er mir seinen Plan, als handele es sich um eine harmlose Besorgung und nicht um einen Einbruch bei einem der mächtigsten Männer der Stadt. Wir würden also über die Mauer in den Garten hinter dem Palazzo Farnese steigen und uns zum Magazin schleichen, das Schloss knacken, die Büste suchen und für den Abguss präparieren, den warmen Leim aufstreichen und aushärten lassen, aufschneiden, abziehen und wieder verschwinden.
«Später gieße ich die beiden Formen mit Gips aus, klebe die Hälften zusammen, und fertig ist der Abguss. Der Rest ist Bildhauerarbeit. Den Stein habe ich schon, Marmor aus Thasos, weiß wie Schnee, ganz leicht geädert. Wunderbar.»
«Warst du schon mal in diesem Gartenhaus?»
«Nein.»
«Woher weißt du dann, dass dieser Pythagoras da steht?»
Anstatt zu antworten, erhob sich Gennaro, verschwand in der Werkstatt und kam keine Minute später mit einem Buch in der Hand zurück, aus dem ein Lesezeichen aus Pappe hervorschaute.
«Aldrovandi», sagte Gennaro und warf mir das Buch in den Schoß.
Ich schlug es auf. Der Titel verkündete, dass ein gewisser Ulisse Aldrovandi das vorliegende Verzeichnis aller öffentlich ausgestellten und in privaten Sammlungen verwahrten antiken Statuen in Rom erstellt hatte. Ich blätterte vor bis zum Lesezeichen: Im neuen Palast des Kardinals Farnese, zwischen Campo dei Fiori und Tiber. Es folgte eine nüchterne Aufstellung der Bestände, Zimmer für Zimmer, Wand für Wand, Regal für Regal.
«Praktisch, oder?», fragte Gennaro. «Es gibt sogar ein alphabetisches Verzeichnis von Adonis bis Victoria. Du suchst dir raus, welchen Gott oder Kaiser du anschauen willst, schlägst die Seite auf, und schon weißt du, wo er steht. Ein Führer für Kunstfreunde und Diebe. Ich würde sagen, wir sind irgendwas dazwischen.»
Ich überflog die Aufstellung, und da war er, der Pythagoras: rechts von der Eingangstür des Gartenhauses, zwischen einem Faun und einer Nymphe, falls er noch dort stand. Dieser Aldrovandi hatte auch vermerkt, wo die Büste herstammte: aus dem Weingarten von Kardinal Este auf dem Monte Cavallo.
Wir tranken ein paar Gläser, bevor wir uns auf den Weg machten. Der Abend war mild, und die Vögel zwitscherten über den Dächern. Irgendwo sang jemand bei offenem Fenster. Gennaro gab ein paar Anekdoten von einem seiner Kunden zum Besten, dessen Leidenschaft für die Schönheit antiker Athleten ihn in einen peinvollen Konflikt gestürzt hatte, denn so unwiderstehlich die prallen Arme und Oberschenkel der Diskuswerfer und Ringer sein kunstverständiges Auge auch angesprochen hatten, so sehr hatte die allzu ungenierte Zurschaustellung anderer Körperteile seine Schamhaftigkeit auf die Probe gestellt, sodass Gennaro, der ansonsten vor allem für die Ergänzung fehlender Gliedmaßen bezahlt wurde, unter dem schmerzgeplagten Blick des Kunden das eine oder andere Teil hatte wegschlagen müssen.
«Und was hast du damit gemacht?», fragte ich.
Gennaro wies mit einem Kopfnicken hinter sich. «Mitgenommen natürlich. Wer weiß, wofür man die noch gebrauchen kann. Vielleicht stirbt der Knilch bald, und seine Erben lassen sie wieder anbringen. Dann hätte ich zweimal Geld damit verdient.»
Man kann sich denken, mit welcher Art von Witzen das Gespräch weiterging. Irgendwann, es dürfte gegen Mitternacht gewesen sein, machten wir uns bereit. Wir zogen dunkle Sachen an, Gennaro holte einen Sack mit Utensilien und den mit einem Deckel verschlossenen Eimer mit dem schwach vor sich hin dampfenden Knochenleim aus der Werkstatt, und wir machten uns auf den Weg.
Die Via Giulia lag im Dunkeln. Hinter den Häusern rauschte leise das Wasser an den Brückenpfeilern des Ponte Sisto. Ansonsten war es still. Es kam mir vor, als ob hinter jedem Fensterladen ein Augenpaar hervorlugte und uns beobachtete, während wir uns der Gartenmauer hinter Farneses Palast näherten, um sie zu überklettern.
Die Mauer war übermannshoch, doch Gennaro stieg trotz seiner schweren Statur geschickt und lautlos wie eine Eidechse daran hinauf. Als er rittlings auf der Mauerkrone saß, gab er mir ein Zeichen, ich reichte ihm Sack und Eimer hoch und ergriff seine riesige Pranke, die mich mühelos nach oben zog und auf der anderen Seite wieder hinunterließ, wo ich die Sachen entgegennahm. Kurz darauf landete er neben mir im Gebüsch.
Es war so dunkel, dass man kaum die Hand vor Augen sah. Der Palast mit der noch unvollendeten Gartenfassade türmte sich wie ein Gebirge vor dem wolkenlosen Nachthimmel auf. Der Haken irgendeiner Seilwinde klackerte im sanften Wind gegen das Gerüst.
Unter der Säulenloggia, die den Zugang zum Palast von der Gartenseite her bildete, tauchte ein Lichtschein auf.
«Der Nachtwächter macht seine Runde», sagte Gennaro, ohne die Stimme zu dämpfen, als wollte er mir die Schwerhörigkeit des Mannes beweisen, der dort als dunkler Schemen mit einer kleinen Fackel die Gartenwege entlangschritt. Ein paar Säulen mit Büsten und Bruchstücken von Statuen schimmerten auf.
Als der Nachtwächter vor unserem Busch vorbeikam, duckten wir uns tiefer hinter das Gewirr aus Zweigen und frischen Blättern. Und natürlich blieb der Kerl ein paar Schritte von uns entfernt plötzlich stehen.
«Was stinkt das denn hier so?», brummte eine Stimme. Der Geruch des verdammten Knochenleims war wahrscheinlich schon durch das Gebüsch gekrochen und verteilte sich im ganzen Garten. Hatte Gennaro das auch bedacht? Mein Herz klopfte wie ein Schmiedehammer.
«Geh weiter», murmelte Gennaro, wofür er sich einen Ellbogenhieb von mir einhandelte. Ich sah sein Grinsen förmlich vor mir. Musste er es eigentlich immer bis zum Äußersten treiben?
Nachdem er noch einmal ratlos geschnuppert hatte, entfernte sich der Nachtwächter tatsächlich. Seine Schritte wurden leiser, der Lichtschein im Türrahmen des Palastes glühte auf, die Tür klappte, und weg war er.
Wir warteten noch eine Weile, dann erhob sich Gennaro mit einem vernehmlichen Stöhnen. Gebückt schlich er voran, vorbei an Säulen, Statuen und Blumenbeeten, bis das große Gartenhaus sich in der Dunkelheit abzeichnete. Der Leim schwappte und stank vor sich hin.
Gennaro brauchte noch nicht einmal eine Minute, um das Schloss mit einem kleinen Metallhaken zu öffnen. Es klickte und klackte ein paarmal, dann schwang die Tür auf, und Kardinal Farneses berühmtes Magazin verschluckte uns wie der Walfisch den armen Jona. Einen kurzen Moment lang standen wir in völliger Dunkelheit da, dann klirrte Feuerstahl, Zündwolle glomm auf, und bald züngelte die Flamme einer Öllampe hoch. Das gelbliche Licht floss durch den großen Raum. Was ich sah, verschlug mir den Atem.
Wir waren umstellt. Von allen vier Wänden des Gartenhauses blickten uns Statuen und Büsten an, in langen Reihen sitzend, stehend und liegend, auf Sockeln und Säulen, aufgebockt auf Holzgestellen und an die Wände gelehnt, dazwischen einzelne Gliedmaßen und Köpfe und mit Haken an der Mauer befestigte Tafeln mit Reliefs und Inschriften. Eine überlebensgroße Roma beugte sich auf ihrem Thron vor, Mars musterte uns unter hochgeklapptem Helmvisier, ein Hermaphrodit rekelte sich auf einer steinernen Liege, ein Gladiator zückte sein Schwert, zwei gefesselte Barbarenkönige blickten niedergeschlagen zu Boden; Athene und Aphrodite, Merkur und Minerva, Dionysos und Diana – der ganze Olymp schien sich hier zur Begrüßung versammelt zu haben. An der rückwärtigen Wand stand eine atemberaubende und bis bis zur Decke reichende Pyramide aus Leibern, ein Stier bäumte sich auf, zwei Männer versuchten ihn zu bändigen, Körper aus feinstem Marmor stemmten sich gegeneinander. Direkt daneben stand ein kolossaler Herkules in doppelter Lebensgröße, lässig auf seine Keule gestützt, über der das Löwenfell hing. Kein Zweifel: Das waren die beiden Statuen, von denen in der Meldung meines Onkels die Rede gewesen war und die Carlo Carafa und Gabriele Sannazaro bei ihrem Einzug in Rom die Schau gestohlen hatten.
«Mein Gott», murmelte Gennaro mit offenem Mund. Er ging zu der Gruppe mit dem Stier. Das Licht glitt über den Stein, strich durch Fugen und Falten, Schatten krochen als wandernde Konturen an den Wänden entlang.
Gennaro strich über den Marmor. «Das muss Gott selbst geschaffen haben», sagte er leise. Es hätte nicht viel gefehlt, und er wäre wohl niedergekniet.
Ich weiß nicht, wie lange er da stand und die Skulptur anbetete, und auch ich vergaß für eine Weile alles andere. Doch irgendwann erinnerte mich der Gestank des Knochenleims daran, dass wir hier noch etwas vorhatten. Schließlich gelang es auch Gennaro, sich loszureißen.
«An die Arbeit», sagte er nur. «Bevor der Leim kalt wird.»
Der Pythagoras, erkennbar an einer griechischen Inschrift auf dem Sockel, war im Vergleich zu der ganzen Pracht, die uns umgab, so unscheinbar wie eine Ringeltaube in einem Käfig voller Papageien und Pfauen, aber er war gut erhalten und sorgfältig gearbeitet.
Die folgende Stunde verbrachten wir damit, die Ohren und Nasenlöcher der Büste mit Lehm zu verstopfen, den ganzen Kopf mit Tonschlamm einzupinseln und dann den Knochenleim in mehreren Schichten aufzutragen, der nach und nach zu einer knorpelartigen Maske aushärtete. Gennaro hatte die Lampe auf eine winzige Flamme heruntergedreht. Wir redeten nicht viel dabei.
Und das war auch gut so. Denn sonst hätten wir wohl kaum die leisen Schritte gehört, die sich draußen auf dem Kies näherten.
«Da kommt einer», zischte Gennaro. Hektisch beförderte er das herumliegende Werkzeug mit ein paar Fußtritten hinter einen Statuensockel und löschte die Lampe. Von einem Augenblick zum anderen war es stockdunkel. Gennaros riesige Hand griff nach meiner und zog mich mit. Er bugsierte mich um etwas herum und drückte mich unsanft zu Boden. Direkt vor mir ertastete ich den massigen Sockel der Stierbändigergruppe. Es war erstaunlich, wie schnell und sicher Gennaro im Dunkeln den Weg gefunden hatte.
Wir hielten den Atem an. Die Tür öffnete sich, und ein Licht erschien.
«Können die eigentlich nie abschließen?», murmelte eine Männerstimme.
Ich spähte über den Rand des Sockels. Ein ehrwürdig aussehender Mann mittleren Alters mit gepflegtem Bart stand mit einer kleinen Lampe in der Hand im Eingang. Einen kurzen Moment lang schien er noch irritiert wegen der offenen Tür, vielleicht auch wegen des Geruchs, dann aber hellte sein Blick sich auf.
«Da bist du ja», sagte er liebevoll und wandte sich der vorderen rechten Ecke des Raumes zu, die von uns aus nicht einzusehen war, weil sie von einer sitzenden Jupiterstatue verdeckt wurde.
«Das ist Fulvio Orsini», flüsterte Gennaro. «Farneses Antikenverwalter. Einer der größten Gelehrten unserer Zeit.»
Die Lampe verschwand hinter dem Jupiter, nur noch ein schwacher Lichtschein blieb übrig.
«Du kannst es ja kaum abwarten», säuselte die Stimme mit lüsternem Tremolo. Stoff raschelte. «Na, na, du alter Schlingel. Lass mal fühlen. Oho. Steinhart.»
Gennaros nächster Blick war eine Mischung aus blankem Entsetzen und äußerster Belustigung.
Aus der Ecke kam jetzt ein unterdrücktes Keuchen. Orsini schien sich ordentlich abzumühen. Gennaro kicherte lautlos vor sich hin.
Ich verkneife es mir, hier wiederzugeben, was genau Fulvio Orsini, einer der größten Gelehrten der damaligen Zeit, seinem Gegenüber noch so alles zuflötete und mit welchen lustvollen Schmähungen er es überzog; glaubte man seinem Gesäusel, dann war es jedenfalls nicht der berühmte Gelehrte, auf dessen Initiative hier zur Tat geschritten wurde, sondern der andere, der die ganze Zeit über kein Wort von sich gab, offenbar aber ganz erlesene Wonnen zu spenden in der Lage war.
Mit einem letzten Aufstöhnen kam Orsini zum Schluss.
«Hast du’s mal wieder geschafft, du Strolch», sagte er, immer noch außer Atem. Dann raschelte es erneut, die Lampe wurde aufgehoben, und Orsini schlurfte zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um und schaute in die gegenüberliegende Ecke, wo ein muskelbepackter Herkules mit seiner Keule zum Schlag ausholte.
«Jetzt schau nicht so», sagte er gereizt. «Nächstes Mal darfst du auch wieder.»
Dann schloss er leise die Tür hinter sich. Die Schritte entfernten sich auf dem Kiesweg.
Während Gennaro schon losprustete, das Gesicht in der Armbeuge verborgen, konnte ich immer noch nicht glauben, was offensichtlich war.
«Schauen wir doch mal, wer sein Favorit ist», sagte Gennaro zwischen zwei Lachanfällen und entzündete die Lampe wieder. Meine Augen hatten sich in der Zwischenzeit so sehr an die Dunkelheit gewöhnt, dass der gelbliche Lichtschein der Funzel mir vorkam wie ein Sonnenaufgang. Wir schlichen zur Jupiterstatue. Dahinter stand ein prachtvoller Priapos und zeigte sein göttliches Attribut.
«Eine statische Meisterleistung», kommentierte Gennaro.
Es folgte eine kurze Debatte darüber, welche Verrenkungen Orsini wohl hatte vollführen müssen, um in den Genuss der anatomischen Vorzüge des Fruchtbarkeitsgottes zu gelangen, dann besannen wir uns auf den Grund unseres Besuchs.
Mit geübten Handgriffen schnitt Gennaro die Maske aus Knochenleim, die in der Zwischenzeit über der Büste des Pythagoras ausgehärtet war, in zwei Hälften und löste sie vorsichtig ab. Wir verstauten alles, löschten die Lampe und machten, dass wir wegkamen. Der Garten lag still und friedlich da, doch beim eiligen Überklettern der Mauer passierte ein Missgeschick: Als Gennaro mir den Eimer herunterreichte, griff ich ins Leere, der Deckel löste sich und der ganze Rest der ekelhaften Masse ergoss sich über meinen Kopf und troff in meine Kleider. Zum Glück war ich nach den letzten Stunden einigermaßen abgestumpft gegen den Gestank. Ich fluchte ein bisschen und schalt Gennaro einen Idioten, aber die Freude über unsere gelungene Unternehmung überwog.
«Dir wird in den nächsten Tagen auf jeden Fall niemand zu nahe kommen», spottete er, während wir mit übermütig ausgreifenden Schritten nach Hause gingen.
Das war, wie sich schon am nächsten Abend erweisen sollte, ein Irrtum.
Ich hatte die anderen Bewohner zu einem Essen eingeladen. Diese Abende waren schon vor meiner Ankunft bei Mercuria eine Tradition in der Via dei Cappellari gewesen. Sie fanden in unregelmäßigen Abständen reihum statt. Wir tranken zu viel und zu schnell, wetteiferten, wer die größten Portionen verdrücken und die schärfsten Gewürze vertragen konnte, und lästerten herum. Gennaro zeigte das Gipsmodell der Philosophenbüste, die er im Lauf des Tages aus dem Knochenleimmodell abgegossen hatte. Natürlich konnte er es sich nicht verkneifen, auch von Orsinis Auftritt zu berichten, natürlich hatte Mercuria ein paar haarsträubende Anekdoten zum Thema beizutragen, die sich hier kaum wiedergeben lassen, und natürlich spielten Geistliche dabei die Hauptrolle, was Bartolomeo mit einem säuerlichen Lächeln über sich ergehen ließ.
Als dann irgendwann Antonios Name fiel, trübte sich die Stimmung. Mercuria beruhigte uns, er sei in Sicherheit, könne aber so schnell nicht zurückkehren, weshalb sie sich nach einem neuen Mieter für sein Haus umzusehen begonnen habe. Vorschläge seien willkommen, denn bisher hätten sich bei ihr nur Schwachköpfe und Langweiler vorgestellt. Auf unsere drängenden Nachfragen ließ sie sich schließlich entlocken, dass Antonio Unterschlupf bei Freunden in Ancona gefunden habe. Wir sollten uns also weniger Sorgen um ihn als um unsere Gesundheit machen, denn einen Arzt von seinem Kaliber werde man in ganz Rom vergeblich suchen.
«Also, fresst und sauft nicht so viel!», rief sie fröhlich und hob ihren Pokal. «Auf unseren Abraham!»
«Auf Moses!», schallte es zurück.
Am Ende dieses Abends schrammte ich dann haarscharf an unkalkulierbaren Verwicklungen vorbei, vor denen mich auch der angeblich so penetrante Geruch, über den alle Anwesenden pflichtschuldig die Nase gerümpft hatten, nicht bewahrte.
Es wäre gar nicht passiert, wenn Gianluca nicht wieder einmal auf Geschäftsreise gewesen wäre: eine kleine Wallfahrt nach Loreto, stellvertretend für einen Magister, der sich eines Morgens verlaufen hatte und versehentlich im Bett einer Prostituierten statt im Beichtstuhl seiner Pfarrkirche gelandet war. Seit zwei Wochen war Gianluca unterwegs, und zwei weitere Wochen würde er voraussichtlich noch fortbleiben. Und während auf diese Weise die Zeit, die der besagte Magister im Fegefeuer zu erwarten hatte, immer kürzer wurde, wurde Antonella offenbar die Wartezeit lang: Den ganzen Abend über hatte sie mir schon zweideutige Blicke zugeworfen, und als die anderen sich nach und nach verabschiedeten, blieb sie einfach sitzen. Mercuria war die Letzte, die schließlich aufbrach. Kaum hatte sich die Tür hinter ihr geschlossen, saß Antonella auch schon auf meinem Schoß, küsste mich und rieb sich an mir, dass man tatsächlich glauben konnte, sie sei vom Satan besessen, so viele Hände schien sie auf einmal zu haben. Wie sollte ich nach dem ganzen Wein meine eigenen Hände bei mir behalten, die nun überall so wunderbare Rundungen zu fassen bekamen? Schwankend stand ich auf, sie blieb an mir hängen, knöpfte hier, zerrte da; ich verlor fast das Gleichgewicht, bekam gerade noch das Treppengeländer zu greifen, doch kaum hatte ich den Fuß auf die erste Stufe gesetzt, um die atemlose Betätigung ohne Sinn und Verstand im oberen Stockwerk fortzusetzen, da ging die Tür noch einmal auf, und Mercuria erschien wieder.
Sie tat, als hätte sie uns bei einer harmlosen Plauderei unterbrochen, verzog noch nicht einmal das Gesicht, sondern machte zwei Schritte zu einem Hocker, auf dem sie, wie ich jetzt sah, ihre Pelzkappe liegengelassen hatte.
«Ist doch noch ein bisschen kalt um diese Zeit», sagte sie nur.
Ihr Auftauchen genügte, um Antonella den Satan auszutreiben. Sie ließ sich augenblicklich von mir heruntergleiten, raffte zusammen, was im Eifer des Gefechts an Stoff verrutscht und aufgegangen war, und huschte wie eine Katze an Mercuria vorbei ins Freie.
Mercuria setzte umständlich die verdammte Pelzkappe auf, die sie natürlich absichtlich vergessen hatte, und wandte sich zum Gehen. In der Tür drehte sie sich noch einmal um. Ihr Lächeln war eine Mischung aus Tadel und Mitleid.
«Ich will hier keinen Zirkus haben», sagte sie nur, und schon war sie verschwunden.
Kurz spielte ich mit dem Gedanken, mich zu Antonellas Haus zu schleichen, aber Mercurias Mahnung klang mir noch deutlich in den Ohren, sodass ich es unterließ. Stattdessen nahm ich wieder am Tisch Platz. Denn obwohl ich nicht klar bei Verstand war, würde es für eine kleine Gazette wohl noch reichen.