Von jenem Abend an verhielt sich Antonella mir gegenüber deutlich zurückhaltender, was mir zunächst ganz recht war, zumal Gianluca früher als erwartet von seiner Pilgerreise zurückkehrte und mich mit einem gewissen Misstrauen beäugte.

Mercuria ließ sich in den folgenden Tagen nicht blicken. Nur ganz selten sah man spätabends den Feuerschein hinter ihrem Fenster. Dafür machte Bartolomeo mir bald erneut seine Aufwartung. Natürlich fiel sein Blick gleich auf die frisch gedruckte Gazette auf dem Tisch. Kopfschüttelnd las er den Unsinn, den ich vor ein paar Nächten zu Papier gebracht hatte.

«Wie ich sehe, hast du den Versuchungen des Fleisches widerstanden», sagte er spöttisch. Offenbar war auch ihm nicht entgangen, was sich da schon beim Essen zwischen Antonella und mir angebahnt hatte.

«Die Schreibfeder ist meine Geißel», sagte ich scheinheilig mit demutsvoll gesenktem Blick.

«Und die Heuchelei dein Gebet», ergänzte er ungnädig.

Ich versuchte es mit einem Gegenangriff. «Wie widerstehst du denn bitte schön den ständigen Versuchungen des Fleisches?»

Bartolomeo zog eine Augenbraue hoch. «Wer sagt, dass ich ihnen immer und überall widerstehe?», fragte er. Es war keine Bissigkeit in seiner Stimme, sondern eine

«Ich habe auch meine Kämpfe auszufechten», sagte ich trotzig. Mir war bewusst, dass das eine ziemlich hilflose Bemerkung war, die nicht als Rechtfertigung für irgendetwas taugte.

Bartolomeo wies auf die Gazette auf dem Tisch. «Vielleicht fängst du mal damit an, es mit der Wahrheit etwas genauer zu nehmen. Das ist nämlich eine Krankheit unserer Zeit. Die Welt dreht sich immer schneller. Jeder versucht, lauter zu sein als die anderen. Immer raus mit den Nachrichten, ob sie stimmen oder nicht. Die Leute wissen überhaupt nicht mehr, was sie glauben sollen.»

Ich verstand genau, worauf er abzielte. Wollten er und Mercuria eigentlich nie Ruhe geben? Hatten sie sich vorgenommen, mir im Wechsel mit solchen Bemerkungen auf die Nerven zu gehen, bis ich endlich ein zweiter

«Mein Onkel hat mir mal genau das Gegenteil gesagt: Die Nachrichten werden immer fader und oberflächlicher, weil alle Angst vor Schnüfflern und Denunzianten haben, und das hat ihn wütend gemacht. Er wollte den Dingen immer auf den Grund gehen.»

«Ich weiß, und das ehrt ihn. Aber es sind zwei Seiten derselben Medaille. Und in beiden Fällen gerät die Wahrheit in Misskredit: Die Ehrlichen werden immer ängstlicher, die Unehrlichen immer dreister. Vielleicht ist es ganz gut, dass Antonietto Sparviero das nicht mehr erleben muss.»

Nun wollte ich doch protestieren, aber er hob beschwichtigend die Hand.

«Nimm das nicht persönlich. Ich weiß, dass du auch nur dein Geld verdienen musst. Eigentlich wollte ich dir bloß raten, vorsichtig zu sein. Den Novellanten geht es nämlich derzeit an den Kragen. Der Prozess gegen Niccolò Franco steht kurz vor dem Abschluss. Wahrscheinlich wird er hingerichtet.» Bartolomeo schwieg eine Weile, als müsste er sich durchringen, weiterzusprechen. «Und damit kommen sie auch ziemlich dicht an meinen Freund Morone heran», sagte er schließlich.

«Warum?», fragte ich, dankbar für die Gelegenheit, von meiner Gazette abzulenken.

«Franco hat jahrelang Unterschlupf bei Morone gefunden. Ich nehme an, dass er auch für ihn geschrieben hat.»

«Was soll er denn geschrieben haben? Seine Bücher sind seit Jahren verboten und eingezogen. Niemand würde auch nur einen einzigen Buchstaben von ihm drucken!»

Bartolomeo musterte mich mit seinen klugen Augen.

«Was hat das denn jetzt schon wieder mit meinem Onkel zu tun?», fragte ich, vielleicht ein bisschen zu patzig.

«Antonietto Sparviero hatte Kontakte in höchste Kreise. Glaubst du, die haben ihn aus reiner Freundschaft mit Informationen versorgt? Und glaubst du, irgendein Kardinal gibt auch nur ein einziges Wort aus dem Konsistorium an einen Novellanten weiter, wenn es ihm selbst nicht nützt? Sei nicht so naiv! Ich weiß, dass dein Onkel an der Wahrheit interessiert war, aber diese Wahrheit musste er immer aus dem zusammensetzen, was man ihm geliefert hat. Weißt du eigentlich, warum Niccolò Franco der Prozess gemacht wird?»

«Wegen dieses Pamphlets gegen die Carafa», sagte ich. Ich fühlte mich von Bartolomeo vorgeführt. Natürlich wusste ich von meinem Onkel, wie das lief. Andererseits hatte er seine Informationen immer sorgfältig überprüft, gerade deshalb hatte er bei den Kunden ja so hoch im Kurs gestanden.

«Genau», sagte Bartolomeo. «Das war so ein Stapel Papier!» Er zeigte die Stärke des Packens mit den Fingern.

«Hast du das mal gelesen?»

«Ja, habe ich. Es wurde natürlich alles beschlagnahmt, aber es kursieren hier und da noch ein paar Kopien und Auszüge. Franco hat dort alles verarbeitet, was er gegen die Carafa in die Hände bekommen konnte, unter

«Waren Francos Informationen denn falsch?»

«Das spielt keine Rolle. Wenn der Richter befindet, dass ihre Verbreitung Hochverrat war, dann ist Franco geliefert. Der Wind hat sich gedreht, die Carafa wurden rehabilitiert. Es geht nicht um die Wahrheit, die will keiner mehr hören.»

«Was ist denn die Wahrheit?»

Bartolomeo rückte nah an mich heran. «Die Wahrheit ist, dass Carlo Carafa und die anderen Angeklagten die Todesstrafe verdient hatten», sagte er leise. «Carlo Carafa war das größte Schwein, das jemals den Kardinalshut getragen hat. Jeder weiß das. Ich schäme mich, dass die Kirche, der auch ich diene, solche Leute hat gewähren lassen. Aber gerade deshalb ist es erstaunlich, dass es mit einem Todesurteil endete. Für seine Morde aus der Söldnerzeit hatte Carafa längst eine Amnestie bekommen, und der Häresievorwurf war lächerlich. Und dann die anderen Vergehen: Amtsmissbrauch, Unterschlagung, Erpressung, Rechtsbeugung, meine Güte, das haben doch alle gemacht, vielleicht nicht in dem Ausmaß, aber das hätten Carafas Anwälte schon hingebogen. Und dasselbe gilt für die anderen, die mit ihm verurteilt wurden.»

«Was wurde denen denn vorgeworfen?»

«Carlos Bruder Giovanni hatte während des Exils seine Frau ermordet, und deren Bruder, Ferrante d’Alife, und ihr Onkel, Lionardo di Cardine, hatten ihm dabei geholfen.»

«Mag sein, aber er hatte sie mit einem anderen im Schlafzimmer erwischt, und jemand wie Giovanni Carafa kann so etwas unmöglich auf sich sitzenlassen, zumal an der Pasquinostatue schon Zeichnungen aufgetaucht waren, die ihn mit Hörnern zeigten, und dazu ein paar Gedichte, die sich über ihn lustig machten. Diesen Leuten geht ihre Ehre über alles, und die Justiz hat dafür in der Regel wenigstens ein bisschen Verständnis. Außerdem wurde ja noch gegen eine ganze Reihe weiterer Familienmitglieder ermittelt, aber die kamen alle mit heiler Haut davon. Es ist schon auffällig, dass es am Ende ausgerechnet diese vier erwischte.»

«Was willst du damit sagen?»

Bartolomeo beugte sich vor und senkte die Stimme. «Ich persönlich glaube, dass es in diesem Prozess um Dinge ging, die nicht in den Akten stehen. Der Schlag kam völlig überraschend, ein halbes Jahr zuvor hatte Carlo Carafa dem Papst noch zur Wahl verholfen. Irgendetwas muss vorgefallen sein. Carlo Carafa, Giovanni Carafa, Ferrante d’Alife und Lionardo di Cardine. Gianangelo Medici wollte genau diese vier Köpfe rollen sehen, und genau diese vier Köpfe bekam er. Sein Hass war mit Händen zu greifen.»

Ich dachte eine Weile über Bartolomeos Worte nach. Ich hatte den Eindruck, dass er das Gespräch absichtlich auf dieses Thema gelenkt hatte. Ließ sich das vielleicht zu einer Gazette verarbeiten?

«Warum erzählst du mir das eigentlich?», fragte ich.

Bartolomeo zögerte. Schließlich sagte er: «Vor kurzem ist so ein windiger Neffe von Carlo Carafa aufgetaucht. Und der macht jetzt Ärger.»

«Wem macht er Ärger?»

Was hatte das nun schon wieder zu bedeuten? Insgeheim hatte ich gehofft, dass die Sache mit Morone, die Mercuria ohne mich zu fragen eingefädelt hatte, einfach im Sand verlaufen würde. Ich wollte mich nicht ihren Erwartungen aussetzen, gefälligst auch etwas daraus zu machen, um dann gleich wieder mit den Maßstäben meines Onkels gemessen zu werden.

Doch nun war er es offenbar auf einmal der Kardinal, der etwas von mir wollte. Es war schon komisch.

Damit verschwand Bartolomeo. Und ich konnte es nicht lassen, noch einmal in den Unterlagen zu wühlen.

Rom, 8. Juni 1560

Der Fall der Neffen des verstorbenen Papstes, die nach der Wahl von dessen Nachfolger im Dezember rehabilitiert worden waren, hat eine unerwartete Wendung genommen. Papst Pius, der sich noch bis vor kurzem für die Carafa eingesetzt hatte, ließ Kardinal Carlo Carafa am gestrigen Freitag vor der Tür zum Audienzsaal verhaften und in die Engelsburg bringen. Es scheint, dass dieser Schlag bereits seit Wochen vorbereitet worden war, denn gleichzeitig stürmten die Leute des erst im März wieder in sein Amt eingesetzten Fiskalprokurators Pallantieri den Palast der Carafa an der Piazza Navona und verhafteten neben weiteren Verwandten, Freunden und Bediensteten auch Giovanni Carafa, seinen Schwager Ferrante d’Alife und den Onkel seiner im vergangenen August ermordeten Frau, Lionardo di Cardine. Dabei wurden auch zahlreiche Kisten

Ganz offensichtlich kam der Schlag für die Carafa überraschend: Giovanni war erst einen Tag vor der Verhaftung auf Einladung seines Bruders nach Rom gekommen, und wie es heißt, feierten die beiden seine Rückkehr noch am gleichen Abend in Anwesenheit einiger Damen von zweifelhaftem Ruf. Carlo selbst hatte die Monate nach seiner Rehabilitation unter Vernachlässigung seiner Amtspflichten für Jagdausflüge, Glücksspiel und ausschweifende Feiern im Kreis von Prostituierten, Freunden aus seiner Soldatenzeit und Gesindel aller Art genutzt.

Im Konsistorium wurde die Nachricht, je nach Partei, mit offener Bestürzung oder heimlicher Befriedigung aufgenommen. Während einige Kardinäle gegen das drastische Vorgehen des Heiligen Vaters protestierten, sehen andere in dem bevorstehenden Prozess eine Möglichkeit, das Ansehen der Kirche durch die exemplarische Bestrafung derer, die es in der Vergangenheit beschädigt haben, wiederherzustellen. Kardinal Ghislieri, Generalkommissar der Inquisition, hält sich bedeckt. Einerseits hält ihn die persönliche Freundschaft mit dem verstorbenen Papst davon ab, allzu deutlich Partei gegen dessen Familie zu ergreifen, andererseits scheint er bereit, Kardinal Carafa und dessen Brüder zu opfern, um den besagten Papst vor dem Vorwurf zu bewahren, von den Machenschaften seiner Neffen und ihrer Verwandten gewusst zu haben.