Zitternd vor Kälte machten wir uns auf den Heimweg. Es war unglaublich. Sannazaro war offenbar dreißig Jahre nach dem Sacco tatsächlich noch einmal in der Stadt gewesen. Was auch immer Francavilla in jener Nacht in Veniers Keller gesucht und vielleicht auch gefunden hatte: Ein halbes Menschenalter später war es immer noch so wertvoll oder so bedeutend gewesen, dass Sannazaro deswegen zurückgekommen war.

«Warum fängt er nach so langer Zeit wieder an zu suchen?», fragte Gennaro, als wir den Ponte Sisto überquerten.

«Vielleicht war es sehr viel Geld», sagte ich nachdenklich.

«So viel kann es nicht gewesen sein. Padovano hat nichts gesehen.»

«Er war schwerverletzt und benebelt.»

«Trotzdem. Das ganze Haus war voller Soldaten. Wenn da einer mit einem klimpernden Sack über der Schulter rausspaziert wäre, hätten sie ihn aufgehalten.»

«Also war es etwas anderes. Klein und wertvoll. Edelsteine vielleicht?»

Wir überquerten den Campo dei Fiori. Auch hier roch es nach Rauch. Der Pferdemarkt war in vollem Gange, sodass wir unser Gespräch unterbrachen, weil man sein eigenes Wort nicht verstand. Händler und Käufer schrien um die Wette. Ein Pferd scheute, schlug nach hinten aus und hätte

«Und warum ist Sannazaro dann nicht gleich am nächsten Tag zu Veniers Haus gegangen, um sich zu erkundigen?», fragte Gennaro schließlich, als wir durch den Torbogen zu unserem Innenhof traten.

«Vielleicht hat er das ja versucht. Aber er fand nur Betrunkene vor, die ihm keine vernünftige Auskunft gaben.»

Wir setzten uns nebeneinander auf den großen Granitblock vor Gennaros Werkstatt.

«Und dann wartet er dreißig Jahre?», zweifelte Gennaro. «Obwohl er zwischendurch noch mal hier war, nachdem er mit Alba in Deutschland die Protestanten besiegt hatte? Das stand doch in der Meldung deines Onkels!»

«Vielleicht musste er damals bald wieder weg und hatte keine Zeit, um Padovano aufzustöbern. Der Krieg in Deutschland war vorbei, aber in Italien stand schon der nächste bevor. Zehn Jahre später war Sannazaro vielleicht nicht mehr im Dienst. Das hat Padovano doch auch gesagt: Er war nicht wie ein Soldat gekleidet. Außerdem spielt es keine Rolle, warum er so lange gewartet hat. Tatsache ist, er war da, und er hat etwas gesucht.»

Ich dachte an Padovanos Worte. Kurz nach der großen Überschwemmung.

«Kannst du dich eigentlich noch an diese Überschwemmung erinnern?», fragte ich.

«Nein. Ich war damals in Florenz in der Lehre. Aber Mercuria hat mir mal davon erzählt.»

Mercuria blickte vom Fenster ihres Schlafzimmers in der Via Giulia auf den Fluss. Gott, dieses Wasser, das war ja noch schlimmer als damals, ein paar Monate nachdem dieser kleine Frechdachs sie in der Gartenvilla des Bankiers gezeichnet hatte, um dann schnurstracks wieder nach Bologna abzureisen und seine Aufträge für die Reichen und Mächtigen abzuarbeiten!

Noch am Morgen hatte die ganze Stadt gefeiert. Kardinal Carlo Carafa hatte Frieden mit den Spaniern geschlossen, und Rom war noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen, denn nur zwei Wochen zuvor hatte der Herzog von Alba nachts plötzlich vor der Porta Maggiore gestanden, Sturmleitern im Gepäck und ein paar Kanonen im Schlepptau, ein Wald von Helmen im Fackelschein, und um ein Haar hätte es ein böses Ende genommen. Alle, die den Sacco noch erlebt hatten, hatten beim Klang des Trommelwirbels das große Zittern bekommen. Schon wieder ein göttliches Strafgericht? Wofür denn diesmal?

Am derzeitigen Papst, diesem Ketzerschreck, hatte es ja wohl nicht liegen können. Dann wohl eher an seinem verkommenen Neffen, dem besagten Kardinal, der diesen verdammten Krieg mit den Spaniern angezettelt hatte, um noch mehr Besitz für sich selbst und seine parasitären Brüder zusammenzuraffen, während sein Onkel alles abgenickt hatte, weil er glaubte, Carlo Carafa würde es schon richtig machen. Nichts hatte der richtig gemacht: unfähige Kommandeure eingesetzt, die Stadt nicht vernünftig gesichert und selbst die ganze Zeit Orgien gefeiert, anstatt sich um die Verteidigung zu kümmern. Aber dann hatten die Spanier ohne ersichtlichen Grund auf den Sturmangriff verzichtet und waren wieder abgezogen. Und der Kardinal hatte in letzter Minute diesen Vertrag geschlossen, den Alba ihm diktiert hatte und der sie alle

Und nun stieg dort unten das Wasser in atemberaubender Geschwindigkeit. Der Ponte Sisto war an den Zugängen bereits überspült; die braune Brühe leckte an den Fundamenten der Häuser am Ufer und schwappte schon in die ersten Fenster. Mercuria hatte den ganzen Nachmittag damit verbracht, die Vorräte aus dem Keller nach oben zu tragen. Ihrem Diener, dem Kutscher und der Köchin hatte sie gestern zur Feier des Tages freigegeben, und danach hatten sie sich nicht mehr blickenlassen. Severina war vor ein paar Tagen mit der Hebamme aufs Land gefahren, der besseren Luft wegen. Gott sei Dank.

Mercuria war also allein in ihrem großen Haus, und unter normalen Umständen hätte sie das genossen, aber jetzt war niemand da, der ihr half, das ganze Zeug hochzutragen. Wie immer, wenn es darauf ankam, war sie auf sich selbst gestellt. Sie beschloss, kein Risiko einzugehen und alles in den zweiten Stock zu bringen. Damals hatte der Tiber das ganze Erdgeschoss überschwemmt, aber so schnell wie das Wasser diesmal anstieg, war es nicht ausgeschlossen, dass es noch schlimmer kommen würde. Die schweren Möbel hatte sie schon abgeschrieben, aber den Rest der Einrichtung, die Bücher, die Bilder, die Stiche, den Schmuck, die vielen

Sie war inzwischen fünfzig Jahre alt, aber so fühlte sie sich nicht, und so sah sie auch nicht aus. Die vielen Spaziergänge an der frischen Luft, das Lachen in unterhaltsamer Gesellschaft, der sorgenfreie Schlaf, den ihr Geld ihr ermöglichte, das alles hatte dazu beigetragen, dass ihr auch jetzt noch Angebote gemacht wurden, die sie lächelnd ausschlug. Vor über zehn Jahren hatte sie sich zur Ruhe gesetzt, und immer noch drehte man sich nach ihr um, immer noch machte man ihr Anträge, immer noch wollte man sie malen. Einem dieser schmachtenden Meister hatte sie das sogar mal gestattet. Das Gemälde hing jetzt in irgendeiner Sammlung und würde wahrscheinlich eines Tages als Bildnis einer unbekannten Dame inventarisiert werden. Als sie die Kisten mit den Erinnerungsstücken aus diesen Jahren nach oben getragen hatte, hatte sie der Versuchung nicht widerstehen können, die Vorzeichnungen hervorzuholen, die der Maler ihr damals geschenkt hatte: In tadelloser Haltung saß sie da in ihrem Brokatkleid, die Perlenkette um den Hals, die schlanken Hände auf den Stuhllehnen, keine einzige Falte im Gesicht, die Augen aufmerksam und ein bisschen spöttisch auf den Betrachter gerichtet. Das Kleid war knallrot gewesen, das wusste sie noch.

Aber jetzt war wohl nicht der richtige Moment für Erinnerungen an vergangene Tage. Ein Blick aus dem Fenster genügte: Der Fluss hatte die Brücke inzwischen auf ganzer Länge überspült und strömte bedrohlich schnell dahin. Eine der schwimmenden Mühlen hatte sich losgerissen und war gegen das Geländer gekracht. Überall bildeten sich wandernde Strudel. Ein paar Tierkadaver trieben kreiselnd dahin.

Als sie nach zwei Stunden endlich alles nach oben gebracht hatte, strömte das blasige Wasser von beiden Seiten rasend

Während sie hin und her überlegte, stieg der Fluss in der Straße auf Kniehöhe. Das Rauschen und Gurgeln der in alle Kellerlöcher strömenden Wassermassen war ohrenbetäubend. Im Erdgeschoss wurden die ersten Stühle angehoben und dümpelten durch die Räume. Wenn sie jetzt ging, würde sie mit einem ruinierten Kleid durch die Stadt irren. Was für ein Bild, nein danke. Also blieb sie.

Nach einer weiteren Stunde, in der sie die kleineren Möbel im obersten Stock auf die größeren gestapelt und die Kisten mit den Papieren auf den Dachboden gebracht hatte, hatte die Flut das Erdgeschoss bis zur Decke angefüllt. Am gegenüberliegenden Ufer des Flusses versank lautlos ein Haus, ganz langsam verschwand ein Stockwerk nach dem anderen im Strom. Schon bei der letzten Überschwemmung waren einige Gebäude eingestürzt, weil Fundamente weggesackt waren und morsche Balken dem Druck nicht widerstanden hatten. Das konnte hier auch passieren. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, rechtzeitig das Weite zu suchen.

Plötzlich klopfte es laut und vernehmlich an eins der straßenseitigen Fenster. War das möglich? Mercuria riss sich vom Anblick des versinkenden Hauses los und eilte nach drüben. Sie konnte kaum glauben, was sie sah: Da stand ein bärtiger Kerl mit vor Anstrengung verzerrtem Gesicht schwankend in einem Ruderboot, hielt sich mit der einen Hand am Fensterladen fest und hämmerte mit der anderen gegen die Scheibe. Sie öffnete.

«Steigen Sie ein, bevor es zu spät ist!», schrie er gegen das Getöse an. «Der Baron erwartet Sie auf dem Monte Cavallo!»

Dunkle Wolken trieben über den Himmel und erzeugten eine unheimliche Dämmerung, die den Anblick der Stadt noch verstörender machte. Sie passierten überflutete Straßen, Gassen und Plätze; überall trieb Hausrat umher, Menschen mit panischen Gesichtern hingen in den Fenstern, und an einigen Stellen waren sie schon auf die Dächer geklettert.

Beim Palazzo Venezia wurde das Wasser seichter. Immer öfter überholten sie Männer und Frauen, die mit Bündeln und Kindern auf dem Arm in Richtung der höher gelegenen Stadtviertel wateten. Der Anblick erinnerte sie an den Sacco. Wer gewusst hatte, wohin er fliehen konnte, der hatte zumindest seine Haut retten können, wenn schon der Besitz verloren war. Und sie? Welcher Baron denn nun?

Vor der Einmündung einer Seitenstraße parkte eine Kutsche. Der Bärtige hielt keuchend und schwitzend darauf zu, und dann sah sie das Wappen auf dem Wagenschlag. Sie unterdrückte ein Lächeln. Santacroce, der alte Kavalier. Noch so ein Verehrer aus vergangenen Zeiten, der sie nicht vergessen hatte. Sie war gerührt.

Als hätten der Ruderer und der Kutscher sich mit der Flut abgesprochen, setzte das Boot genau vor dem geöffneten Wagenschlag auf. Mit einem großen Schritt stieg sie um. Samtpolster, Seidenvorhänge. Santacroce hatte es immer noch gern bequem.

Hier oben war es ruhiger. Mercuria stieg aus, die Kutsche drehte eine Runde in dem weitläufigen, von Fackeln erhellten Garten und fuhr durch das Tor wieder hinaus. Inzwischen war es so dunkel geworden, dass man meinen konnte, die Nacht sei bereits hereingebrochen. Ein paar Leute eilten hin und her.

Graziano Santacroce erwartete sie im Eingang der Villa. Das Kreuz durchgedrückt, den Hut in der Hand, so stand er da und lächelte ihr entgegen, als wären seit ihrer letzten Begegnung nur ein paar Wochen vergangen. Als sie auf ihn zutrat, breitete er etwas steif die Arme aus. Den schmalen Schnurrbart hatte er behalten, und die Lippen spitzte er immer noch genauso süßlich und affektiert wie damals. Nur seine hinter die Ohren gekämmten Locken waren dünner geworden.

«Mercuria.»

«Graziano. Wie lange ist das her? Fünfzehn Jahre?»

«Fünfzehn Monate, sagt mir dein Anblick.»

«Fünfzehn Tage, sagt mir dein Gesäusel.»

«Fünfzehn Jahrhunderte, sagt mir meine Sehnsucht.»

Er bot ihr den Arm und führte sie hinein. Im Haus herrschte reger Betrieb. Offenbar hatte Graziano Santacroce viele Gäste an diesem Abend. Aber er tat, als gäbe es nur sie.

«Hunger?»

«Durst.»

Eine Viertelstunde später standen sie am Fenster des Zimmers im oberen Stock, in das er sie geführt hatte. Ein Diener schenkte ein und zog sich zurück.

Zu ihren Füßen lag die Stadt im Licht des Halbmonds, der dann und wann durch die schnell und tief dahinziehenden

Sie gähnte. Graziano Santacroce verstand.

«Das Zimmer gehört dir.»

«Und der Gastgeber?»

«Auch.»

Am nächsten Morgen erwachte sie früh. Sie schälte sich aus den Laken und trat zum Fenster. Die Sonne warf ihre ersten Strahlen auf die Stadt. Der Anblick war deprimierend. Die Flut hatte ihren höchsten Punkt irgendwann in der Nacht überschritten, aber noch immer standen die tiefer gelegenen Stadtviertel unter Wasser. Von einigen Gebäuden ragten nur noch die Giebel heraus, und an manchen Stellen waren halbe Häuserzeilen fortgeschwemmt worden. Der Ponte Santa Maria war weggerissen worden, und überall trieben dunkle Punkte auf dem Wasser; aus der Entfernung war nicht zu unterscheiden, ob es sich um die Kadaver von Tieren oder um die Leichen von Menschen handelte. Weit im Nordwesten ragte der Petersdom aus einem riesigen See auf, davor dümpelte ein Boot.

Mercuria betrachtete die Wolken, die im scharfen Wind über der verwüsteten Stadt dahinzogen. Dahinter war der Himmel tiefblau, als wäre nichts geschehen. Sie würde so schnell wie möglich zu ihrem Haus zurückkehren müssen, um es vor Plünderern zu schützen. Wieder dachte sie an den Sacco.

«Bringt Alba die Landsknechte mit?», fragte sie.

«Gott bewahre. Nur ein paar verdiente Hauptleute. Er macht seinen Diener beim Papst, um die Demütigung erträglicher zu machen. Und dann fährt Carlo Carafa an den Hof nach Brüssel, um beim König zu retten, was zu retten ist.»

«Der sollte mal lieber seine eigene Haut retten.»

«Apropos Haut», sagte Graziano Santacroce und küsste ihre Schulter. Sie wandte sich um und blickte ihn an. Ein bisschen magerer und grauer als damals. Aber frech wie sonst was war der immer noch.

«Das passt zu ihr», sagte ich, als Gennaro geendet hatte. «Sie kommt immer allein zurecht.»

Gennaro wiegte den Kopf und nickte schließlich widerwillig. «Schon. Aber wenn es hart auf hart kommt, findet sie einen, der ihr aus der Patsche hilft. Della Porta, Santacroce, oder wie sie sonst heißen mögen.»

Auf den abfälligen Unterton seiner Bemerkung ging ich nicht ein. Ein anderer Name hatte meine Aufmerksamkeit erregt.

«Stimmt», sagte Gennaro. «Wahrscheinlich war Sannazaro einer der Hauptleute, die nach der Überschwemmung mit Alba zur Audienz beim Papst gegangen sind.»

«Meinst du, er ist danach in Rom geblieben?», fragte ich. «Padovano hat gesagt, dass er erst Wochen nach der Überschwemmung bei ihm vor der Tür stand.»

Gennaro überlegte. «Vielleicht ist er nach diesem Friedensschluss einfach aus dem Dienst ausgeschieden. Der Krieg war vorbei, und er war nicht mehr der Jüngste.»

«Was, wenn er immer noch hier ist?»

Die Vorstellung war merkwürdig. Wenn Sannazaro tatsächlich noch in der Stadt war, dann würde man ihn an seiner verunstalteten Hand erkennen können.

«Du meinst, er hat sich zur Ruhe gesetzt? Weil er gefunden hatte, was er suchte?»

«Könnte doch sein, wenn es wirklich so wertvoll war.»

«Oder er sucht immer noch danach», wandte ich ein. «Von Padovano hat er jedenfalls nicht mehr erfahren als wir. Was hättest du an seiner Stelle als Nächstes getan?»

«Ich hätte versucht, herauszufinden, wo Francavilla nach dem Besuch bei Venier gewesen ist. Er kehrte nicht zum Palast der Colonna zurück. Denk an den Fundort des Skeletts! Francavilla wollte vielleicht gar nicht mit Sannazaro teilen. Stattdessen hat er das, was er geborgen hatte, irgendwo auf dem Quirinal versteckt.»

«Könnte sein», sagte ich. «Und Sannazaro wusste nichts davon. Francavillas Leiche hatte noch seine Kleider an, also haben sie sich wahrscheinlich nicht mehr getroffen, sonst hätten sie doch wieder zurückgetauscht.»

Darauf hatte ich auch keine Antwort. Während wir angestrengt nachdachten, klopfte es an die Tür.

«Herein!»

«Bin schon drin.» Bartolomeo.

«Sag mal, hast du da irgendwo ein Loch zum Horchen reingebohrt?», fragte Gennaro und wies auf die Wand zwischen meinem und Bartolomeos Haus.

«Um Gottes willen! Ich will gar nicht hören, was du hier für lutherische Reden führst!»

«Ich bin kein Lutheraner!»

«Würdest du’s denn zugeben, wenn du einer wärst?»

«Natürlich nicht.»

«Aha. Aristoteles würde dazu sagen …»

«Es interessiert mich nicht, was Aristoteles dazu sagen würde.»

Bevor sie wieder beginnen konnten, sich zu streiten, schenkte ich uns Wein ein. Und weil Bartolomeo ja ohnehin schon über das Skelett im Bilde war, berichtete ich dem Priester alles, was wir über Francavilla und Sannazaro erfahren hatten. Die Namen sagten ihm nichts, und zur Zeit der großen Überschwemmung war er nicht in der Stadt gewesen.

«Fragt Mercuria. Die war hier.»

«Wo steckt die eigentlich?», fragte Gennaro.

Bartolomeos Gesicht verfinsterte sich. «Ich habe den Eindruck, sie geht uns in den letzten Tagen aus dem Weg», sagte er. Er blickt eine Weile vor sich hin, dann schüttelte er seufzend den Kopf. «Hoffentlich geht das nicht wieder los», murmelte er.

Wieder seufzte er. «Es gibt da so eine alte Geschichte, die sie manchmal einholt», sagte er leise. «Dann schließt sie sich tagelang ein. Das hatten wir schon öfter.»

Gennaro blickte mich fragend an, und ich zuckte mit den Schultern.

«Habt ihr’s eigentlich schon gehört?», fragte Bartolomeo, der das Gespräch offenbar in eine andere Richtung lenken wollte.

«Was?»

«Du bist mir ja ein schöner Novellant. Franco ist zum Tode verurteilt worden, und Pallantieri wird der Nächste sein. Aber das scheint die Dichter nicht abzuschrecken. Neulich ist mal wieder eins dieser hübschen Sonette aufgetaucht, über Parisani.»

Wenn du wüsstest, dachte ich.

«Das ärgert euch Priester natürlich», schaltete sich Gennaro ein.

Bartolomeo sah ihn an und zog die Augenbrauen hoch. «Warum sollte es mich ärgern, wenn es einem alten Hurenbock wie Parisani an den Kragen geht? Jeder weiß, was er getrieben hat.»

«Angeblich hat diese Frau ja nur Näharbeiten für ihn gemacht», stichelte Gennaro weiter.

«Näharbeiten! Den Mund hätte sie ihm mal lieber zunähen sollen! Parisani redet sich im Verhör um Kopf und Kragen und schwärzt auch andere an. Und wenn ich deine Schadenfreude richtig deute, dann sind wir uns ja ausnahmsweise mal einig. Dass die Kirche solche Zustände nicht mehr duldet, ist das Verdienst des Heiligen Vaters. Einen Mann wie Parisani hätte Ghislieri niemals zum Bischof gemacht.»

«Eines Tages werden sie ihn zur Ehre der Altäre erheben», sagte Bartolomeo und erhob sich ächzend von seinem Stuhl. «Denk an meine Worte.»

«Hoffentlich muss ich das nicht mehr erleben», murmelte Gennaro.

Bartolomeo war schon fast zur Tür hinaus, als er sich noch einmal umdrehte. «Weshalb ich eigentlich gekommen war …»

«Morone?»

«Genau. Nächste Woche hat er Zeit für dich. Wenn du klug bist, dann lässt du dir nicht anmerken, dass du keine Lust auf dieses Gespräch hast.»

Und weg war er. Ob ich Zeit für Morone hatte, das fragte er gar nicht erst.