Zu Hause angekommen, konnte ich zuerst kaum einen klaren Gedanken fassen. Giordana hatte sich weit vorgewagt, nur um sich dann gleich wieder in ihre uneinnehmbare Festung zurückzuziehen. Natürlich missfiel es mir, dass ich kein bisschen darüber mitbestimmen sollte, wann wir uns wiedersehen würden. Gleichzeitig war es gerade das, was mich reizte. Sie war nicht durch Zufall dort auf dem Platz vor der Engelsbrücke genau vor mir aufgetaucht. Und natürlich würde sie wiederkommen.
Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, niemandem von den Erlebnissen dieses Vormittags zu erzählen, aber Gennaro, dem ich bei meiner Rückkehr im Innenhof über den Weg lief, sah mir gleich an, dass etwas im Busch war, und er bohrte so lange herum, bis ich ihm alles erzählt hatte. Immerhin war er feinfühlig genug, mir schlüpfrige Kommentare zu ersparen. Er musste wohl gemerkt haben, wie aufgewühlt ich war.
«Sie kommt wieder», sagte er zuversichtlich. «Aber natürlich wird sie dich ein bisschen warten lassen, wie sich das für eine feine Dame gehört.»
«Wer weiß, ob sie das ist.»
«Die unfeinen lassen einen auch warten. Und jetzt komm mal mit.»
Er zog mich ins Halbdunkel seiner Werkstatt, deren Boden mit Staub und Splittern bedeckt war. Auf einem hüfthohen Steinsockel stand der Gipsabdruck der Pythagorasbüste, festgeschraubt in einem Holzgestell. Dutzende von verstellbaren Halterungen waren daran befestigt und hielten filigrane Metallstäbe so in Position, dass diese den Kopf von allen Seiten umgaben, als wäre er mit Nadeln gespickt. Offenbar diente das Ganze dazu, die Proportionen des Modells auf die Nachbildung zu übertragen, die daneben auf der Werkbank thronte. Der fertige Kopf aus Marmor sah perfekt aus.
«Nicht vom Original zu unterscheiden», sagte Gennaro zufrieden.
Soweit ich das aus der Erinnerung beurteilen konnte, traf das zu.
«Und das hat mich auf eine Idee gebracht.»
Ich ahnte, womit er mir jetzt kommen würde.
«Für ein Original gibt’s natürlich viel mehr Geld als für eine Kopie. Und Geld können wir ja alle gebrauchen.»
«Ich dachte, Caetani will kein Original.»
«Weil er davon ausgeht, dass ich keins habe. Aber so wie ich ihn einschätze, würde er nicht fragen, wo die Ware herstammt, wenn sie echt wäre.»
«Und wenn niemand das Original vermisst, wird sich auch niemand beschweren.»
«Richtig. Und wo das Original steht, das wissen wir ja jetzt. Wir müssten die beiden Büsten also nur noch austauschen.»
Gennaro griff in ein Regal, zog den Aldrovandi hervor und hielt ihn mir unter die Nase.
«Wir könnten uns nach und nach durch das Buch arbeiten. Wir könnten Bestellungen aufnehmen. Wir könnten unsere eigenen Hehler werden. Und streng genommen wäre das ja noch nicht mal Diebstahl.»
«Na ja.»
«Wie, na ja? Wenn einer nicht merkt, dass er bestohlen wurde, dann ist er ja nicht geschädigt. Und wenn es keinen Geschädigten gibt, dann gibt es auch keinen Diebstahl.»
«Sagt wer?»
«Thomas von Aquin. Wenn man ihn richtig liest.»
«Du hast sie doch nicht mehr alle.»
Gennaro setzte ein gelehrtes Gesicht auf. «Wieso? Nehmen wir die Eucharistie. Ist die Hostie nach der Wandlung immer noch ein trockenes Brot oder der Leib Christi?»
«Der Leib Christi natürlich, du Ketzer.»
«Na, eben. Und warum sieht sie dann noch aus wie ein trockenes Brot?»
Darauf hatte ich keine Antwort parat.
«Weil bei der Wandlung die Substanz ihre Gestalt wechselt, wie das Konzil ja erst kürzlich bestätigt hat. Nichts anderes tun wir. Wir wandeln die Gestalt der Büste. In der Substanz bleibt sie, was sie ist.»
«Aber wir klauen sie.»
«Du leugnest die Transsubstantation? Wer ist jetzt hier der Ketzer?»
Ich winkte ab. Auf einen Einbruch mehr oder weniger kam es ja schon bald nicht mehr an. Ich erzählte Gennaro von Morones Auftrag, und während ich berichtete, klatschte er vor Vergnügen in die Hände.
«Ich bin dabei. Wann steigen wir ein?»
«Nicht so schnell. Ich weiß gar nicht, ob er die Papiere bei sich zu Hause aufbewahrt. Ich muss das Haus erst mal beobachten, um zu sehen, wie viele Leute da wohnen, wann sie kommen und wann sie gehen.»
«Gott, wie langweilig.»
«Es gibt noch ein anderes Problem. Man kann sich da nirgendwo verstecken.»
«Gegenüber von Santi Quattro Coronati, sagst du?»
«Ja.»
«Hast du ein Glück. Da wird gerade allerhand renoviert, und ich kenne die Leute, die das machen. Ich kann dich einschleusen. Du quartierst dich im Glockenturm ein, da hast du einen guten Überblick, und keiner sieht dich.»
«Was willst du denen denn erzählen?»
«Mir fällt schon was ein», sagte Gennaro ungerührt. Dann breitete sich ein anzügliches Grinsen auf seinem Gesicht aus. «Außerdem sind die Ordensschwestern da angeblich gar nicht so keusch wie sie tun.»
«Sagt wer?»
«Thomas von Aquin. Wenn man ihn richtig liest.»
Noch am gleichen Nachmittag gingen wir hin. Die Kirche, umgeben von Gärten mit Obstbäumen und Weinstöcken, erhob sich wie eine Festung auf einem kleinen Hügel zwischen dem Colosseum und dem Lateran. Während wir den Bau umrundeten, schielte ich zum Anwesen von Piero Carafa hinüber. Das Haus lag still hinter seiner Mauer da. Nichts rührte sich. Niemand war zu sehen.
Wir betraten das Kloster durch einen Torbogen, über dem ein gedrungener Glockenturm aufragte. Das Tor führte in ein Atrium, in dem zahllose antike Fragmente vermauert waren. Unter den Bögen waren Inschriften und Reliefs angebracht, die Gennaro fast lüstern betrachtete. Wahrscheinlich rechnete er schon wieder aus, wie viel Knochenleim er für die Abgüsse brauchen würde.
Ein weiterer Durchgang führte in einen zweiten Innenhof, über den wir die Kirche betraten. Die Seitenschiffe waren durch Säulen abgetrennt, von denen keine zwei aus demselben antiken Gebäude zu stammen schienen. Auf den Altären brannten ein paar Kerzen. Dämmriges Licht fiel durch die Fenster oberhalb der Emporen herein. Der Boden war eine erlesene Arbeit aus weißen, roten und grünen Ornamenten, die ineinander verschlungene Kreise und Spiralen bildeten und mich ein bisschen an das Kreismuster erinnerten, das Gennaro und ich knapp zwei Monate zuvor bei mir verlegt hatten.
Zwei Männer knieten in einer Ecke und passten Marmortafeln ein, um schadhafte Stellen auszubessern. Gennaro kannte die beiden. Sie hießen Lorenzo und Matteo, waren unrasiert und wortkarg und derart in ihre Arbeit vertieft, dass sie kaum zuhörten, als Gennaro mich vorstellte. Er erzählte ihnen, ich sei Zeichner und solle im Auftrag eines bekannten Druckers ein paar Stadtansichten anfertigen. Und wenn es einen Ort gäbe, an dem einem Tiberinsel und Colosseum in ihrer ganzen Pracht zu Füßen lägen, dann sei das ja wohl der Glockenturm dieser schönen Kirche.
«Vom Oppio aus sieht man besser», brummte Matteo.
«Blödsinn. Da hat er die Sonne im Gesicht», knurrte Lorenzo, während er eine schmale Tafel festklopfte, offenbar eine Grabplatte aus einer Katakombe, wie sie zu Tausenden in allen Kirchen der Stadt zu Ausbesserungsarbeiten wiederverwendet wurden. Die ungelenken, in windschiefen Zeilen mehr eingeritzten als ausgemeißelten Buchstaben in fehlerhaftem Latein rührten mich an: eine über tausend Jahre alte Inschrift, mit der eine Familie, die sich keinen Steinmetz hatte leisten können, den Tod ihrer im Alter von einundzwanzig Jahren verstorbenen Tochter Tertulla betrauerte.
«Für welchen Drucker arbeitest du denn?», fragte eine Stimme. Der forsche Tonfall hallte vom Gewölbe wider. Der Akzent klang venezianisch. Aber noch etwas anderes schwang darin mit, etwas, was ich nicht so recht einordnen konnte.
Hinter uns stand ein Mann mit schmalem Gesicht und Kinnbart, ein paar Jahre älter als ich. Er trug eng geschnittene Kleidung, die seine schlanke Gestalt betonte und ihn stutzerhaft wirken ließ. Er hatte einen leicht gelangweilten, affektierten Ausdruck im Gesicht, wie die jungen Aristokraten auf den Porträts von Pontormo oder Bronzino. Steinmetz war er auf keinen Fall.
«Salamanca», sagte ich und hoffte, dass er nicht zu viele weitere Fragen stellen würde. Salamanca war einer der Drucker, die ich mit Gazetten belieferte. Solange wir bei diesem Gewerbe blieben, konnte ich mithalten. Falls der Knilch ein paar Kostproben meiner Zeichenkünste sehen wollte, würde es peinlich werden.
«Der alte Halsabschneider», sagte er. «Zahlt immer mit Verspätung, dabei schwimmt er im Geld. Seine Stecher sind schlampig. Hauptsache, es wird schnell fertig.»
Er schien sich wirklich auszukennen und wollte das auch mitteilen. Aber irgendwie gefiel er mir trotzdem. Er war offenbar einer von denen, die aus gutem Grund von sich selbst überzeugt sind und dabei nur von Leuten, die selbst nichts können, für blasiert gehalten werden.
«Wollt ihr mal was sehen?», fragte er und winkte uns hinter sich her, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Gennaro und ich folgten ihm über die beiden Innenhöfe und durch zwei kleine Türen in eine prachtvolle Kapelle, die vom Boden bis zur Decke mit uralten Fresken bedeckt war. Die Konstantinslegende, leicht angegraut vom Ruß, aber immer noch kraftvoll in den Farben. Überall brannten Kerzen.
An der Stirnwand der Kapelle war ein Stück Wand überputzt worden. Ockerfarbene Grundierung schimmerte matt vor sich hin. Ein paar Farbeimer standen davor.
Wir traten näher. An der Wand zeigten Ketten von kleinen Löchern an, dass ein Maler hier den Karton angesetzt hatte, um den Entwurf für ein neues Fresko auf die Wand zu übertragen. Konturen von Figuren zeichneten sich als feine Linien ab, die die Löcher miteinander verbanden. Ich fühlte mich an meine Kindheit erinnert.
«Ist das von dir?», fragte ich.
«Nein», sagte er. «Ich würde das ganz anders machen.»
Wir betrachteten den Entwurf. Es war das übliche Gerangel aus übereinanderstürzenden Leibern: Märtyrer und ihre Peiniger, zum Himmel verdrehte Augen, ein Durcheinander aus prügelnden, abwehrenden und betenden Händen.
«Wie heißt du?», fragte ich.
«Domenikos Theotokopoulos.»
«Und woher kommst du?»
«Aus Kreta.»
Wie hätte ich ahnen können, wen ich vor mir hatte? Inzwischen ist er berühmt und wird in Spanien mit Geld zugeschüttet. Aber als ich Domenikos Theotokopoulos in dieser Kapelle zum ersten Mal gegenüberstand, kannte ihn noch kein Mensch.
Wir stellten uns ebenfalls vor. Und dann gab er uns eine beeindruckende Darbietung seiner Kenntnisse. Seine gerade noch so gelangweilt unter den schweren Lidern hervorblickenden Augen waren plötzlich hellwach. Er erklärte uns den Gegenstand des Bildes: die Märtyrer, denen die Kirche geweiht war, vier Steinmetze, die sich geweigert hatten, eine heidnische Statue herzustellen. Er erläuterte Bildaufbau, Perspektive, Tiefenstaffelung und Lichtführung und nannte die Vorbilder, aus denen der Künstler seine Figuren übernommen hatte.
«Und was passt dir daran nicht?», fragte ich. Sein abfälliger Ton war mir nicht entgangen.
«Er versteht nichts von Farbe. Wie Michelangelo und seine ganzen Nachahmer. Man sieht das auf den Zeichnungen natürlich nicht, aber ich weiß, was er vorhat. Er ist kein guter Maler.»
Gennaro lachte auf. «Und Michelangelo war auch kein guter Maler?»
«Nein», sagte Domenikos genüsslich.
Gennaro schnappte nach Luft. Es war, als hätte dieser überhebliche Grieche den Herrgott persönlich beleidigt.
«Michelangelo war ein hervorragender Zeichner, der aber leider nichts von Farbe verstand», setzte Domenikos ungerührt nach. «Er hätte bei der Bildhauerei bleiben sollen.»
«Und wer ist deiner Meinung nach ein guter Maler?»
«Tizian.»
Aha. Daher der venezianische Einschlag.
«Weil der im Gegensatz zu Michelangelo etwas von Farbe versteht, nehme ich an», sagte Gennaro schnippisch.
«Nicht etwas, sondern mehr als jeder andere. Aber das weiß hier natürlich keiner, weil alle nur die Stiche kennen.»
«Und du kennst die Bilder.»
«Allerdings.»
«Woher?»
«Aus seiner Werkstatt. Ich habe Dutzende davon kopiert. Ich war sein Gehilfe.»
Zugegeben, das machte einen ziemlichen Eindruck. Tizian wurde in ganz Europa verehrt wie ein Heiliger und in Venedig wie der Herrgott persönlich.
«Und was machst du hier in Rom?»
«Lernen.»
«Von Leuten, die angeblich nicht malen können?», fragte Gennaro spöttisch.
«Zeichnen können sie. Aus einer guten Zeichnung kann man alles machen. Man darf bloß nicht den Fehler begehen, sie einfach nur irgendwie mit Farbe zu füllen. Man muss das Bild mit der Farbe neu erschaffen. Sonst kann man auch gleich eine Skulptur danach fertigen.»
«Was soll das denn heißen?», fragte Gennaro empört.
«Ihr Bildhauer müsst euch nicht um die Farbe kümmern.»
«Woher weißt du, dass ich Bildhauer bin?»
«Schau dir doch mal deine Hände an.»
«Und du glaubst, dass das so leicht ist? Mal eben eine Skulptur machen?»
«Leicht ist es nie», sagte Domenikos versöhnlich und lächelte. «Aber ein Bildhauer bekommt den Raum mit dem Material gleich mitgeliefert. Licht und Schatten entstehen von selbst. Ein Maler muss auf einer Fläche die Illusion von Raum erzeugen, die Farbe beherrschen und Licht und Schatten erschaffen. Er hat ein paar Probleme mehr zu bewältigen. Also ist ein Bild anspruchsvoller als eine Statue.»
«Die Statue ist edler und beständiger!»
«Das liegt am Material und nicht am Können.»
«Für eine Skulptur zahlen die Kunden viel mehr als für ein Gemälde!»
«Was kann ich dafür, dass Marmor teurer ist als Leinwand?»
«Bei einer Statue muss jeder Schlag sitzen. Da kann man nicht einfach drüberpinseln, wenn was nicht passt!»
«Das ist ja wohl ein handwerkliches Problem und kein künstlerisches.»
So fochten die beiden noch eine ganze Weile den seit Jahrzehnten andauernden Streit mit altbekannten Argumenten durch. Domenikos hatte offensichtlich Freude daran, Gennaro zu reizen, und wehrte dessen Angriffe lässig ab. Ich war ganz froh, dass die beiden sich ineinander verbissen hatten, sodass meine Tätigkeit nicht mehr zur Sprache kam. Und ich merkte, dass sie sich trotz aller Streiterei mochten. Auch mir gefiel dieser Grieche, der zuerst etwas steif gewirkt hatte, nun aber immer lebhafter wurde und sich bei aller Überheblichkeit doch selbst nicht ganz so ernst nahm, wie es den Anschein gehabt hatte.
Am Ende des Gesprächs hatte ich seinen Namen schon wieder vergessen. Aber weil sich den ohnehin kein Mensch merken konnte, war er für uns von da an einfach nur der Grieche. So nennen sie ihn übrigens noch heute.
Es stellte sich heraus, dass der Grieche erst vor ein paar Wochen angekommen war und tatsächlich weder einen Auftrag in Aussicht hatte noch besonders dringend daran interessiert war, einen zu bekommen. Er war in einer nicht ganz billigen Herberge abgestiegen und lebte wohl von dem Geld, das seine Familie ihm von Kreta aus schickte. Seine Tage verbrachte er damit, durch die Stadt zu streifen und sich einen Überblick darüber zu verschaffen, was es in römischen Kirchen und Sammlungen zu sehen gab.
Schließlich trennten wir uns voneinander. Domenikos versprach, uns in der nächsten Woche zu besuchen, um die Scharmützel mit Gennaro fortzusetzen und sich dessen Entwürfe anzusehen.
«Wenn sein Talent nur halb so groß ist wie seine Klappe, dann werden wir wohl noch von ihm hören», sagte Gennaro, als der Grieche verschwunden war.
«Vielleicht sollten wir Mercuria vorschlagen, ihn bei uns einziehen zu lassen», schlug ich vor.
«Na ja. Jeden Tag muss ich diesen Klugscheißer auch nicht sehen. Was ist jetzt mit dem Turm?»
Wir verließen die Kapelle und stiegen über ein paar Treppen in den Glockenturm.
Von wegen Aussicht. Der Blick auf das Colosseum wurde durch das Querschiff der Klosterkirche verdeckt, und vor dem Tiber lag die Kuppe des Celio. Offenbar waren Lorenzo und Matteo nicht ein einziges Mal hier oben gewesen. Dafür lag das Haus von Piero Carafa kaum mehr als einen Steinwurf entfernt unter mir da.
«Gott, wie öde», sagte Gennaro. «Warum gehen wir nicht einfach rein, schlagen diesen Carafa nieder, sperren ihn gefesselt in den Schrank, stellen das Haus auf den Kopf und nehmen die Dokumente mit?»
«Ich nehme an, bei Thomas von Aquin findet sich eine Stelle, nach der das streng genommen gar kein Raubüberfall wäre? Wenn man ihn richtig liest?»
«Wahrscheinlich. Müsste ich aber noch mal nachschlagen.»
In diesem Augenblick trat dort unten ein Mann im mittleren Alter vor die Tür und schickte sich an, das Grundstück zu verlassen. Die Selbstverständlichkeit, mit der er einen Apfelrest ins Gebüsch schleuderte, zeigte unmissverständlich, dass wir hier den Hausherrn vor uns hatten.
Am nächsten Tag kehrte ich ohne Gennaro zurück, der natürlich keine Lust hatte, von morgens bis abends auf dem Glockenturm zu hocken.
Viel passierte nicht. Die schöne Köchin machte sich mit einem leeren Korb auf den Weg und kam mit einem vollen zurück. Ein paar Stunden lang werkelte der Gärtner in den Beeten herum. Der muskulöse Verwalter mit den Handschuhen erschien, drehte eine Runde um das Anwesen und verschwand wieder. Gegen Mittag verließ Piero Carafa das Haus, schleuderte wie am Vortag einen Apfelrest ins Gebüsch und ging in Richtung Colosseum davon. Ich fragte mich, ob er irgendwo ein Depot für die Unterlagen hatte, und beschloss, mich demnächst an seine Fersen zu heften. Außer diesen vier Personen sah ich niemanden.
Um nicht die ganze Zeit untätig auf das Haus zu starren, hatte ich von den Unterlagen meines Onkels einen Stapel Papiere aus den Monaten nach der großen Überschwemmung mitgenommen. Vielleicht wurde der Mord an Severina dort irgendwo erwähnt. Es dauerte nicht lange, bis ich fündig wurde.
Am gestrigen Samstag brach Kardinal Carafa nach Beichte und Kommunion und einem Abschiedsbesuch beim Papst gegen Nachmittag in Richtung Pisa auf, wo er mit dem Herzog von Florenz zusammentreffen wird. Der größte Teil seines Gefolges war bereits in der vergangenen Woche vorausgefahren. Anschließend wird der Kardinal für weitere Unterredungen mit dem Herzog von Alba nach Mailand weiterreisen. Von dort aus wird er an den Hof nach Brüssel aufbrechen, dem eigentlichen Ziel seiner Reise, um mit dem König die Bedingungen für den Frieden zu verhandeln. Kaum jemand rechnet damit, dass er viel herausschlagen wird.
Im Prozess gegen Kardinal Morone, der vor zwei Wochen in einer Sondersitzung des Heiligen Offiziums eröffnet wurde, haben die Anwälte des inhaftierten Kardinals eine erneute Befragung der Belastungszeugen angekündigt. Es ist offensichtlich, dass der Papst eine Verurteilung wünscht. Die Untersuchung wird von Kardinal Ghislieri persönlich geführt, der auch zu früheren Gelegenheiten schon gegen Morone ermittelt hat und diesem alles andere als wohlgesonnen ist. Allerdings gilt Ghislieri auch als überaus korrekt, sodass mit einem schnellen Ende des Verfahrens nicht zu rechnen ist.
Die Festnahme des Fiskalprokurators Alessandro Pallantieri sorgt weiterhin für viel Gerede. Der Gefangene wird derzeit verhört. Ihm wird vorgeworfen, sich in Ausübung seiner Ämter durch Unterschlagung bereichert zu haben, was angesichts der allseits bekannten Gerüchte über die Machenschaften der Familie Carafa im Allgemeinen und des Staatsekretärs im Besonderen eher für spöttisches Kopfschütteln sorgt.
Noch immer sind in der Stadt die Folgen der Überschwemmung zu spüren. Zahlreiche Häuser, vor allem am Tiberufer, müssen abgestützt werden. Der Schlamm liegt an vielen Stellen noch mehrere Ellen hoch in den Straßen, und die Mühlen sind noch nicht wieder in Betrieb genommen worden, sodass Mehl aus Tivoli eingeführt werden muss. Der Getreidepreis ist auf bis zu acht Scudi pro Scheffel Weizen gestiegen. Es heißt, dass demnächst schwere Strafen für Preistreiberei verhängt werden sollen.
In der gestrigen Nacht wurde auf der Straße vor dem Palazzo Farnese eine schwangere Frau gefunden, die offenbar Opfer eines Überfalls geworden war und vor Ort an ihren Stichverletzungen starb. Der im Palast anwesende Arzt wurde gerufen, konnte aber nur noch ihren Tod feststellen. Der Täter, ein deutscher Söldner, wurde bereits gefasst und unmittelbar nach seinem Geständnis am heutigen Nachmittag noch im Gefängnis hingerichtet. Die Nachricht verbreitete sich schnell und sorgte für viel Empörung über das Gesindel, das sich seit dem Ende des Krieges in Rom herumtreibt. Einige sind der Ansicht, dass man die nach dem Friedensschluss entlassenen Söldner gar nicht erst in die Stadt lassen soll. Immerhin zeigt die schnelle Verurteilung, dass die Strafjustiz sich auch nach der Absetzung von Pallantieri nicht auf der Nase herumtanzen lässt.