Die Nacht verbrachte ich auf dem Boden vor Gennaros Bett, im Zimmer über dessen Werkstatt. Fieber bekam er nicht, aber nachdem er eine Stunde lang fest geschlafen hatte, wachte er stöhnend auf, sodass ich ihm schließlich einen großen Becher mit Wein einflößte. Danach dämmerte er wieder weg. Die ganze Nacht über warf er sich hin und her und murmelte dabei vor sich hin. Erst als die Sonne aufging, wurde sein Atem ruhiger.

Ich dachte über das Gespräch zwischen dem Kardinal und seinem Chirurgen nach. Was zum Teufel hatten sie zu verbergen? Wussten sie etwas über den Mörder? Deckten sie ihn? Hatte Farnese am Ende selbst damit zu tun? Nachdem meine Gedanken sich eine Weile im Kreis gedreht hatten, kam mir eine Idee, die so verwegen war, dass ich sie eigentlich gleich wieder verwerfen wollte, aber sie setzte sich in meinem Kopf fest: Was, wenn Severina gar nicht tot war? Hatte irgendjemand außer dem Chirurgen die Leiche gesehen?

Ich musste mit Mercuria darüber reden. Seit meinem Gespräch mit Pallantieri im Gefängnis hatte ich sie noch gar nicht getroffen, es gab also ohnehin einiges zu erzählen.

Mercuria war keine, die lange schlief. Sie saß am Tisch, frisch wie der Morgen selbst, angezogen, frisiert und geschminkt wie für eine zwanglose Gesellschaft, bei der sie

«Du siehst aus, als hättest du überhaupt nicht gut geschlafen», sagte sie mitfühlend.

Ich wusste gar nicht, ob ich überhaupt geschlafen hatte. Ich hatte mich auf der Suche nach einer halbwegs bequemen Position auf dem harten Boden herumgewälzt und dabei die meiste Zeit über Gennaros vom Bett herunterhängende Hand gehalten.

«Was habt ihr wieder getrieben, du und Gennaro? Reichen euch die Mädchen nicht mehr? Seid ihr so unzertrennlich, dass ihr jetzt auch schon das Bett miteinander teilt? Du bist doch gerade bei ihm rausgestolpert, oder?»

«Gennaro ist verletzt.»

«Haha! Hat der alte Caetani ihm ein paar Klopffechter auf den Hals gehetzt, damit er seine Tochter in Frieden lässt?»

«Nein. Er hat sich das Bein gebrochen.»

«Mist. Hat sich das jemand angesehen?»

«Ja. Der Leibarzt von Kardinal Farnese.»

Bei diesem Satz wäre ihr fast das Messer aus der Hand gefallen.

Und dann berichtete ich ihr alles, was in den letzten beiden Tagen passiert war: mein Besuch im Gefängnis, unser erneuter Einbruch bei Farnese, der Unfall und das Gespräch zwischen dem Kardinal und seinem Chirurgen. Schließlich erzählte ich von meiner Idee. Sie schüttelte entschieden den Kopf.

«Unmöglich.»

«Hast du sie danach noch einmal gesehen?», fragte ich vorsichtig. Es widerstrebte mir, den Finger in die Wunde zu legen, aber es musste sein.

«Ja. Beim Bestatter. Sie lag schon im Sarg.»

«Und kann es sein …»

«Nein, verdammt. Sie war eiskalt und fahl wie eine Wachspuppe.» Mercuria barg das Gesicht in den Händen und schluchzte auf. Dann gab sie sich einen Ruck, blickte wieder auf, sammelte sich und schob mir den Teller über den Tisch. «Du solltest was essen.»

Ich nickte und griff zu. Den unerhörten Gedanken, dass der Bestatter ihr tatsächlich eine Wachspuppe präsentiert hatte, verwarf ich als zu abwegig und vor allem als zu verletzend, um ihn ihr gegenüber überhaupt zu äußern. Sie wollte das Bild ihrer toten Tochter nicht mehr vor sich sehen.

«Aber was haben sie dann zu verbergen? Vielleicht wissen sie etwas über den Mord. Vielleicht haben sie mitgeholfen, irgendwas zu vertuschen.»

Mercuria schüttelte wieder den Kopf. «Das kann ich mir nicht vorstellen. Farnese ist skrupellos, wenn es um seine Karriere geht. Aber Severina hat er sehr geliebt, obwohl er die Verbindung geheim gehalten hat. Ich habe ihn am Tag danach getroffen. Er war außer sich und hat den ganzen Gouverneurspalast zusammengebrüllt, um an dieses Protokoll zu kommen. Niemals hätte er Severinas Mörder gedeckt.»

Der Hinweis, den Pallantieri mir zum Abschied gegeben hatte, fiel mir wieder ein.

«Was ist mit diesem Sebastiano Bentrovato? Der war für die Verhöre zuständig. Ist der Name mal gefallen?»

«Nein. Aber Farnese hat sich jeden Beamten vorgeknöpft, der in dieser Behörde eine Schreibfeder richtig

«Vielleicht sollte man trotzdem noch mal mit Bentrovato reden.»

«Dann finde ihn. Einer, der so heißt, muss ja irgendwann auftauchen, wenn man nach ihm sucht.» Sie lächelte traurig. Viel schien sie sich nicht davon zu versprechen.

«Aber was zum Teufel hat Farnese zu verbergen?», insistierte ich.

Sie dachte eine Weile angestrengt nach, ordnete ihre Gedanken und begann schließlich zu sprechen. «Farnese ist am Tag nach dem Mord nach Rom zurückgekommen. Die Carafa waren nicht gut auf ihn zu sprechen.»

«Warum nicht?»

«Weil er während des Krieges auf der Seite der Spanier gestanden hatte. Es war wohl kaum Zufall, dass er genau zu dem Zeitpunkt nach Rom zurückkehrte, als Carlo Carafa die Stadt verlassen hatte.»

«Und was soll das mit dem Mord zu tun haben?»

«Wahrscheinlich gar nichts. Aber vielleicht gibt es in den Unterlagen deines Onkels irgendeinen Hinweis, was er damals getrieben hat und ob er mit irgendjemandem Ärger hatte. Vielleicht ist da irgendetwas vorgefallen, was er bis heute vertuschen will. Ich würde mir die Dokumente gern noch mal selbst anschauen. Vielleicht stolpere ich über irgendeinen Namen. Bist du so gut und holst mir die Kisten mal rüber?»

«Gerne.»

Eine Viertelstunde später standen die Kisten mit den Papieren sauber gestapelt neben Mercurias Tisch.

«Lass mich mal damit allein. Such Bentrovato, wenn du dir was davon versprichst.»

«Eins noch.»

«Ja?»

«Euer Grieche hat sich vorgestern bei mir vorgestellt, als ihr weg wart. Ich finde, der passt zu uns.»

Ich dachte an Gennaro. Die beiden Streithähne, Wand an Wand. Das konnte ja heiter werden.

Bevor ich mich auf die Suche nach Bentrovato begab, machte ich einen Abstecher zum ehemaligen Anwesen der Carafa an der Via Settimiana, das nur einen Steinwurf von Morones Grundstück entfernt lag. Das Tor war verrammelt. Durch das Gitter sah ich einen verwilderten und schmucklosen Garten. Alles, was an die ehemaligen Bewohner erinnerte, war entfernt worden. Die Villa lag verlassen da, ein paar Fensterläden hingen schief in den Angeln, und auf dem Dach waren etliche Ziegel verrutscht. Es war ein trostloser Anblick.

Als ich mich gerade wieder zum Gehen wenden wollte, schlurfte ein alter Mann an mir vorbei und schickte sich an, das Tor zum Nachbargrundstück aufzuschließen. Im Laufschritt holte ich ihn gerade noch rechtzeitig ein. Er zuckte zusammen, als rechnete er mit einem Überfall.

«Darf ich Sie kurz was fragen?»

Seine Augen waren klar wie Wasser, die Lider gerötet.

«Was denn?»

«Wie lange wohnen Sie schon hier?»

Sein misstrauischer Blick taxierte mich von oben bis unten. Der Schlüsselbund klimperte.

«Ich wohne gar nicht hier. Ich kümmere mich um den Garten. Die Herrschaften und ihre Gäste mögen es sauber und gepflegt.»

«Und wie lange machen Sie das schon?», insistierte ich.

Er wandte sich wieder dem Tor zu. Der Schlüssel knirschte im Schloss.

«Mich interessiert das Grundstück nebenan», beeilte ich mich. «Vor zehn Jahren gehörte das mal den Carafa.»

«Es gehörte ihnen nicht. Sie hatten es gemietet.»

Der Alte öffnete das Tor, schlüpfte hindurch und schloss von innen eilig wieder zu. Wieder musterte er mich, diesmal durch die Gitterstäbe. Der Garten dahinter war tatsächlich tadellos gepflegt.

«Man erzählt sich, dass dort gewisse Feste stattfanden», sagte ich vorsichtig.

«Soso, erzählt man sich das. Allerdings fanden da gewisse Feste statt. Deswegen war ja auch die ganze Nachbarschaft heilfroh, als diese furchtbare Familie endlich rausflog.»

«Wissen Sie etwas darüber?»

«Kaum. Wie gesagt, ich wohne nicht hier. Aber es kam vor, dass die noch gar nicht fertig waren, wenn ich morgens ankam, um den Garten zu machen. Da wurde gesoffen und geschrien, Kutschen rein, Kutschen raus, und ständig kreischten irgendwelche Frauen. Manchmal prügelten sie sich oder schossen in der Gegend herum. Es war widerlich, aber natürlich traute sich niemand, den Mund aufzumachen, solange Carlo Carafa Staatssekretär war. Am schlimmsten war es, wenn der seine Söldnerfreunde zu Besuch hatte. Wenn die feierten, zogen alle die Köpfe ein.» Er blickte mich jetzt etwas freundlicher an. Es tat ihm offenbar gut, seiner Empörung Luft machen zu können. «Warum fragst du danach?»

Ich zögerte, beschloss dann aber doch, bei der Wahrheit zu bleiben.

«Vor zwölf Jahren wurde eine junge Frau ermordet.»

«Es könnte sein, dass das etwas mit diesen Festen zu tun hat.»

Er schüttelte den Kopf. «Da wurde niemand ermordet. Die waren durch und durch verdorben, das schon. Soweit ich weiß, ließen sie sich Frauen kommen, wenn es hoch her ging, aber warum hätten sie die umbringen sollen?»

«Haben Sie das mal mitbekommen? Das mit den Frauen?»

«Nein, und das ist auch ganz gut so. Und wie gesagt, die Nachbarn haben sich verkrochen, wenn die ersten Kutschen kamen.»

«Gibt es irgendjemanden, der sich vielleicht noch erinnert?»

Er blickte sich um, als wären die möglichen Zeugen irgendwo hinter den Büschen verborgen.

«Nein. Nachdem die Carafa erledigt waren, stand das Anwesen eine Weile leer, dann kam ein anderer Mieter, den man nie zu Gesicht bekam. Irgendwann zog der auch wieder aus, und seitdem hat sich dort nichts mehr getan.»

«Und die Angestellten?»

«Keine Ahnung. Das ist über zehn Jahre her. Die sind in alle Winde zerstreut. Sonst noch was? Ich müsste jetzt nämlich mal an die Arbeit.»

Enttäuscht machte ich mich auf den Rückweg, nachdem ich einen letzten Blick zur Mauer von Morones Grundstück geworfen hatte. Vielleicht sollte ich den Kardinal bei der nächsten Gelegenheit mal nach den Festen fragen. Doch fürs Erste würde ich mich an Sebastiano Bentrovato halten. Ich beschloss, im Palast des Gouverneurs nach ihm zu fragen. Also wieder zurück über den Ponte Sisto, vorbei am Palazzo Farnese und über den Campo dei Fiori in die Via di Parione.

Beim Palast des Gouverneurs war wenig los. Zwei Wachen standen gelangweilt vor dem Eingang, pulten in ihren Zähnen herum und spuckten auf den Boden. Niemand behelligte mich, als ich eintrat.

Gleich im Gang lief ich drei jungen Beamten in die Arme, die nebeneinander an der Wand lehnten und sich gackernd über irgendetwas amüsierten, das garantiert nichts mit der Arbeit zu tun hatte.

«Habt ihr den Neuen schon gesehen?»

«Vergiss es, der ist verlobt.»

«Das arme Mädchen. Hast du gesehen, was der …»

«Ausgestopft. Sieht man doch sofort.»

Als ich auf ihrer Höhe angekommen war, verstummte das Gekicher.

«Noch so ein Hübscher.»

«Kann man helfen?»

«Wir helfen immer gerne.»

Ich beschloss, gleich zur Sache zu kommen. «Ich suche Sebastiano Bentrovato.»

Der mit dem Blick für ausgestopfte Hosen legte die Stirn in Falten. «Der ist schon seit Ewigkeiten aus dem Dienst. Warum sucht er ihn denn?»

Ich ging nicht auf seine Frage ein. «Weißt du, wo er wohnt?»

«Ich weiß, wo er zu finden ist. Was will er denn nun von ihm?»

Seine penetrante Art, mich in der dritten Person anzureden, ging mir jetzt schon auf die Nerven, außerdem hatte ich nicht die Absicht, die Pferde scheu zu machen,

«Er will ihm eine Frage stellen, sonst nichts.»

«Vielleicht können wir die auch beantworten.»

«Könnt ihr nicht», sagte ich. «Also, wo finde ich ihn?»

Der Angesprochene kicherte und sah seine beiden Kollegen an. «Der wird ja richtig bissig.»

«Jetzt sag’s ihm halt.»

«Na schön. Sebastiano Bentrovato ist im Ruhestand derselbe Langeweiler, der er auch im Dienst immer war. Und darum ist ihm in all den Jahren nie was anderes eingefallen, als fischen zu gehen. Fischen, kann man sich das vorstellen? Jeden verdammten Tag steht er beim Hafen von Ripetta am Fluss und hält die Angel rein. Keine Ahnung, was er mit den ganzen Fischen macht.»

«Schönen Dank», sagte ich und ging.

«Jetzt warte mal!»

«Lass ihn doch.»

«Gott, ist der verklemmt.»

Bis Ripetta war es nicht weit. Beim Monte Giordano warf ich einen sehnsüchtigen Blick zu den Fenstern des Palastkomplexes hoch. Saß Giordana irgendwo dort oben am Tisch und brütete über einem gedichteten Nachruf auf ihren alten Freund Niccolò Franco? Dachte sie noch an mich?

«Was glotzt du? Geh weiter!», fauchte mich der Wachposten vor dem Tor an.

Im Hafen herrschte der übliche Betrieb: schaukelnde Boote, wippende Masten, auf dem Kai alles voller Ballen, Kisten, Säcke, ein Wald von Kränen mit Treträdern, knarrende Seilwinden, klirrende Ketten. Arbeiter luden Ware aus, Zollbeamte prüften die Plomben, Matrosen standen herum und rissen ihre derben Seemannswitze.

Sebastiano Bentrovato erkannte ich sofort. Er war der einzige Angler weit und breit, stand regungslos wie eine Statue etwas abseits des Treibens und starrte auf die Stelle, an der die Angelschnur ins Wasser stach. Er war um die siebzig Jahre alt, hatte graue Haare und Hunderte von kleinen Fältchen im Gesicht.

Neben ihm standen ein Eimer und ein kleiner Kasten. Ich trat dazu und stellte die dümmste Frage, die man einem Angler stellen kann.

«Beißen sie?»

Er wies mit dem Kopf auf den leeren Eimer. «Sieht das aus, als ob sie beißen?»

Ich habe selten einen Menschen erlebt, mit dem ins Gespräch zu kommen derart mühselig war. Merkwürdigerweise schien Sebastiano Bentrovato aber gar nichts gegen meine Gesellschaft zu haben, jedenfalls machte er keinen

«Der sitzt jetzt ein», sagte er und wies mit dem Kopf flussabwärts in Richtung Tor di Nona.

«Ich weiß», sagte ich. «Ich war neulich bei ihm.»

«Ach was?»

«Ich brauchte eine Auskunft.»

«Soso.»

«Er nannte Ihren Namen.»

«Aha.»

So ging es eine Weile weiter. Einen Köder nach dem anderen warf ich ihm hin, aber Sebastiano Bentrovato biss nicht an, wie die Fische. Schließlich fragte ich ihn geradeheraus nach dem Fall der ermordeten Schwangeren.

Endlich zeigte er eine Regung. Er holte die Angel ein, wickelte umständlich die Schnur um die Rute, legte sie auf den Boden und sah mir zum ersten Mal direkt in die Augen. «Warum willst du das wissen?», fragte er leise.

«Ich will die Wahrheit herausfinden.»

«Ich kann nur mit der Lüge dienen.» Sebastiano Bentrovato rang mit sich. Er fuhr sich durch die Haare und blickte

«Ich wollte mich nicht zum Komplizen machen lassen», sagte er schließlich. «Aber ich hatte keine Wahl. Ich musste mitmachen.»

Erneutes Haareraufen. Ich spürte, dass die letzten Widerstände wegbrachen, mit denen er sein Gewissen jahrelang in Schach gehalten hatte.

«Wer schickt dich? Farnese?»

Interessant, dass das seine erste Vermutung war. «Nein. Eine Freundin.»

«Verstehe.»

«Wobei mussten Sie mitmachen?», nahm ich den Faden wieder auf.

«Einen Unschuldigen an den Galgen zu bringen, um einen Schuldigen davonkommen zu lassen.» Wieder blickte er auf den Fluss, als müsste er alle Kraft zusammennehmen, um seine Erinnerungen in die richtige Reihenfolge zu bringen.

«Das war alles ziemlich merkwürdig. Das Mädchen wurde in der Nacht vor dem Palazzo Farnese gefunden. Man holte sie herein, und der Arzt des Kardinals stellte ihren Tod fest. Am nächsten Morgen wurde uns das gemeldet, aber den Leichnam bekam niemand zu Gesicht. Stattdessen erhielt ich einen Brief mit genauen Anweisungen, wie in dem Fall zu verfahren war. Dem Schreiben lag ein vollständiges Verhörprotokoll mit Geständnis bei. Der Henker hatte Anweisung bekommen, den Beschuldigten hinzurichten, und als ich mich in Tor di Nona danach erkundigte, war es

«Kam der Kardinal auch zu Ihnen?»

«Natürlich.»

«Und was sagten Sie ihm?»

«Dass ich von nichts wüsste.»

Er zögerte kurz, bevor er weitersprach. Ich spürte, dass er sich schämte.

«In dem Brief war mir angedroht worden, mich ins Gefängnis zu werfen, wenn ich aus der Reihe tanzen würde. Mein Bruder war damals in Schwierigkeiten, so eine blöde Unterschlagungssache, und ich hatte ein paar Beweise gegen ihn verschwinden lassen. Damit erpresste man mich. Ich musste mitspielen.»

«Von wem kam dieser Brief?», fragte ich.

Sein Blick suchte auf dem gegenüberliegenden Ufer nach Halt. Und spätestens in diesem Augenblick wusste ich, was er antworten würde.

«Vom Staatssekretär.»

«Aber Carlo Carafa war doch gar nicht mehr in der Stadt.»

«Kann sein, aber der Brief war von ihm. Sein Siegel, seine Unterschrift.»

«Haben Sie den Brief noch?»

«Den habe ich sofort verbrannt. So lautete die Anweisung.»

«Nein. Aber warum die Täter? Wer sagt, dass es mehrere waren?»

«Der Arzt des Kardinals.»

«Dann weißt du mehr als ich. Wie kommt er darauf?»

«Sie wurde vergewaltigt. Er muss Spuren von mehreren Männern gefunden haben.»

«Gott, das ist ja furchtbar. Jetzt wird mir einiges klar.»

«Was wird Ihnen klar?»

Erneut zögerte er kurz. «Pallantieri ging damals Hinweisen wegen einer Reihe von Vergewaltigungen nach. Die Frauen beschuldigten Carlo Carafa und einige seiner Verwandten, Freunde und Gäste. Und dann wurde Pallantieri plötzlich abgesetzt und inhaftiert, angeblich wegen Bestechlichkeit und Amtsmissbrauchs. Aber das war nur ein Vorwand. Man wollte ihn fertigmachen, um seine Ermittlungen gegen Carafa abzuwürgen.»

«Warum wissen Sie das so genau?»

Diesmal blickte er noch länger über den Fluss. Schließlich sagte er fast unhörbar leise: «Weil ich ihn damals verraten habe.»

Aus dem Augenwinkel sah ich, dass er weinte.

«Ich konnte nicht anders. Sie hatten mich in der Hand wegen meines Bruders. Der hat schon als Kind immer nur Mist gemacht. Ständig musste ich ihn raushauen.» Bentrovato wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. «Mehr weiß ich nicht. Vielleicht hilft dir das irgendwie weiter.» Er bückte sich, hob seine Angel wieder auf, rollte den Faden ab und warf den Köder mit einem geübten Schwung ins Wasser, um mir zu zeigen, dass es nichts mehr zu sagen gab. Und genau in diesem Augenblick biss tatsächlich einer

Auf dem Nachhauseweg dachte ich über seine Worte nach. Im Grunde hatte der alte Bentrovato nur bestätigt, was ich ohnehin schon wusste und was Mercuria die ganzen Jahre über geahnt hatte: Severinas Mörder waren ungeschoren davongekommen. Wer sie waren, das würde vielleicht gar nicht mehr herauszufinden sein. Wie hätte ich auch wissen sollen, dass ich auf dem Weg zur Beantwortung dieser Frage schon viel weiter war, als ich ahnen konnte?

Mercuria war nicht da, also sah ich gleich nach Gennaro. Er lag im Bett und lächelte schwach, als ich eintrat. Auf einem Schemel am Kopfende standen ein Teller mit Obstresten, eine halbvolle Karaffe mit Wein und ein Glas. Mercuria hatte ihn versorgt.

«Wie geht’s?»

«Schlechten Leuten geht’s immer gut.»

«Morgen muss das neu verbunden werden.»

«Schade, dass Antonio nicht mehr da ist.»

«Apropos. Hat Mercuria es dir schon gesagt?»

Gennaro verdrehte die Augen. «Ja, der Grieche.» Er zwinkerte mir zu. «Pass bloß auf, vielleicht wird der ja ihr neuer Liebling.»

Ich ging nicht darauf ein. Stattdessen erzählte ich Gennaro von meinem Gespräch mit Bentrovato.

«Keine Ahnung.»

«Was ist mit Piero Carafa?»

«Da müsste ich mal wieder hin.»

Gennaro gähnte. «Dann verpasse ich ja nichts.» Er richtete sich auf und brachte stöhnend sein Bein in eine andere Position. «Übrigens war vorhin jemand da. Ich habe Schritte im Hof gehört, aber es ging keine Tür. Da ist jemand herumgelaufen. Hörte sich fast an, als hätte er sich umgesehen.»

Ich dachte an Kardinal Farneses Anweisung an seinen Chirurgen. Er hatte wissen wollen, wo wir wohnten. Vielleicht ließ er uns beobachten. Die Vorstellung war nicht gerade beruhigend.

Als ich mein Haus betrat, fand ich auf dem Boden einen Zettel vor, der unter der Tür durchgeschoben worden war. Mir war sofort klar, von wem er stammte. Verdammt, warum war ich nicht zu Hause gewesen? Giordana mal wieder. Tatsächlich, sie hatte ihrem Freund einen Nachruf geschrieben.

Sonett

 

Ihr Schulmeister, euch soll der Teufel holen,

Ihr, die ihr euch die Finger danach leckt,

Die süßen kleinen Hintern zu versohlen,

In die ihr sonst doch so viel Liebe steckt!

 

Ihr Priester habt wohl zu viel Wein gesoffen,

Dass ihr, betrübt von all den Sünden, weint,

Im Beichtstuhl, Augen zu und Hose offen,

So war das Kindleinkommenlassen nicht gemeint.

 

Dass ihr die Keuschheit köpft, die Unschuld hängt,

Die Tugend vierteilt und die Wahrheit steinigt?

 

Tut, was ihr tun müsst! Aber ihr sollt wissen:

Hier hängt mein Körper. Den kriegt ihr geschenkt.

Es ist mein Geist, der euch für alle Zeiten peinigt.