Nur zwei Tage später zog der Grieche bei uns ein. Wie ein Feldherr kommandierte er die Träger, die seine Sachen ins Haus von Antonio schleppten.
«Gott, du hast ja mehr Zeug als der Papst», sagte ich.
«Zeug?», fragte er, als könnte er meine Ignoranz nicht fassen.
Das Gebäude füllte sich mit jeder Fuhre, die sie hineintrugen. Der Grieche, ganz in Schwarz gekleidet, stand lässig an den Türrahmen gelehnt und strich sich über den Kinnbart, während er die Arbeiter hierhin und dorthin dirigierte. Das Haus war etwas größer als meins, hatte aber ebenfalls nur zwei übereinanderliegende Zimmer. Das untere hatte er offenbar als Werkstatt vorgesehen.
«Nicht aufeinanderstapeln. Das sind Gemälde und keine Bauhölzer. Danke.»
«Das da bitte vorsichtig an die Wand lehnen. Herrgott, ist das vorsichtig?»
«Nicht schräg halten, das läuft aus.»
Er schüttelte fassungslos den Kopf und ging hinein, um selbst Hand anzulegen.
«Willst du mir helfen?»
«Gern.»
Wir packten Kisten aus, stellten Regale und Staffeleien auf, sortierten Farbtöpfe, Tiegel, Leinwände, Papier, Pinsel, Zeichenkohle und Rötelstifte ein und stellten eine Armee von kleinen Gipsfigürchen auf, die der Grieche verwendete, um seine Kompositionen zu arrangieren und die Wirkung des Lichteinfalls zu überprüfen, wie er mir erklärte.
«Tintoretto hat das auch immer so gemacht.»
«Aha.»
Während wir einräumten, erzählte er mir seinen Werdegang: Er war auf Kreta zum Ikonenmaler ausgebildet worden und hatte nach und nach über die zwischen den Künstlern der Insel herumgereichten Stiche der venezianischen Meister entdeckt, welche Möglichkeiten Perspektive und Komposition einem boten, wenn man bereit war, sich aus den Fesseln der Traditionen zu lösen. Am Ende war er nach Venedig aufgebrochen, wo er die Macht der Farbe kennengelernt hatte, Tizians Purpurrot, Tintorettos Azurblau, Bassanos Smaragdgrün. Tizian hatte ihn in seine Werkstatt aufgenommen und ihm einzelne Figuren und schließlich sogar ganze Aufträge anvertraut.
«Und warum bist du nach Rom gekommen?»
«Um die Antike zu studieren und von Michelangelo zu lernen.»
«Ich dachte, von dem kann man nichts lernen?»
Er lachte. «Ich sagte nur, dass man von ihm nichts über Farbe lernen kann.»
«Was dann?»
«Ich will begreifen, was ihn angetrieben hat.»
«Und?»
«Bisher habe ich nur gesehen, was seine Nachahmer daraus gemacht haben: bunte Muskelprotze vor beliebigen Kulissen. Und weil ihnen nichts eingefallen ist, haben sie immer neue Verrenkungen erfunden, um Einfallsreichtum wenigstens vorzutäuschen. Michelangelo hat sich gequält, und sie haben die Früchte vom Boden aufgelesen. Inzwischen erregt ja praktisch alles Anstoß, also trauen sie sich gar nichts mehr. Und weil ihnen weiterhin nichts einfällt, gehen sie zurück zu Raffael, anstatt voranzuschreiten. Aber selbst den verstehen sie nicht.»
«Inwiefern?»
«Ja, schau dich doch mal um in den Kirchen! Harmlose Spielereien, liebliche Gefälligkeit, immer schön nach den neuen Regeln, um bloß nicht bei der Zensur anzuecken. Was ich bisher gefunden habe, zeigt mir nur, was ich nicht will. Keine Hingabe, keine Ideen, perfekte Formen ohne Inhalt, überall erzwungene Harmonie. Das ist keine Kunst, das ist Bibelunterricht für Analphabeten. Die Welt ist nicht harmonisch. Was Michelangelo vor zwanzig oder dreißig Jahren geschaffen hat, das würden sie ihm heute um die Ohren hauen. Du kannst mich ja mal bei Gelegenheit in die Sixtina begleiten, dann zeige ich dir, was ich meine.» Er ließ sich auf einen Stuhl fallen. «Deswegen liebe ich Tizian. Der ist jetzt über achtzig und immer noch auf der Suche, genau wie Michelangelo damals, nur auf anderen Wegen. Der malt sogar mit den Fingern, wenn es ihm in den Sinn kommt.»
Er stand wieder auf, ging zu einem hochkant gestellten Stapel mit gerahmten Gemälden, die an der Wand lehnten, zog eins hervor und hielt es mir vor die Nase. Aus der Nähe konnte ich nur ein schäumendes Meer von Farben erkennen. Dann trat der Grieche ein paar Schritte zurück, und das Bild sprang mich an: Tarquinius, der mit dem Dolch in der Hand über Lucrezia herfiel, eine Darstellung von wütender Brutalität. Ich musste an Severina denken und war froh, als er es wieder einsortierte.
So verbrachten wir die nächsten drei Stunden. Die Arbeiter hatten sich längst getrollt, und er redete ohne Unterlass immer weiter, während er seine Utensilien sortierte. Angestachelt von meinen Zwischenfragen brachte er mir sein Verständnis von Kunst nahe. Er zeigte mir Stiche von den Werken seiner Vorbilder, Gemälde, die er mit eigener Hand im verkleinerten Format kopiert hatte, und eigene Entwürfe, in denen er die Figuren aus den Stichen neu zusammengestellt oder gleich gruppenweise übernommen hatte, um sie mit kraftvollen Farben zu füllen: Himbeerrot, Zitronengelb, Malachitgrün, Ultramarinblau, überzogen von Lichtblitzen aus Bleiweiß. Seine Meisterschaft im Umgang mit den Farben war beeindruckend, aber die Ungeniertheit, mit der er sich aus den Schöpfungen anderer bediente, befremdete mich, und das merkte er.
«Ich brauche Modelle», sagte er.
«Die kriegst du hier», sagte ich. «So viele du willst.»
«Was ist mit dir?», fragte er. «Ich hätte da eine Idee.» Ohne weiter nachzufragen, drückte er mich auf einen Stuhl, holte blaues Zeichenpapier und Kohle und nahm mir gegenüber Platz.
«Kopf etwas nach rechts.»
«Blas mal die Backen auf.»
«Stillhalten, ist gleich fertig.»
Als er zum Abschluss gekommen war, zeigte er mir das Blatt. Ich war beeindruckt, wie schnell und treffend er mein Bildnis auf das Papier gebracht hatte. Mein Kopf tauchte aus einem dunkel schraffierten Hintergrund auf. In die linke Hand hatte er mir einen glühenden Holzspan gegeben, den ich anpustete, um eine Kerze anzuzünden. Am beeindruckendsten war die Sicherheit, mit der er Licht und Schatten verteilt hatte: Alle Helligkeit ging von der Glut aus, deren Widerschein mein Gesicht, meine Hände und meine Brust beleuchtete, während Schultern und Haare im Dunkeln lagen. Gennaro hatte recht gehabt. Sein Talent war so groß wie seine Klappe. Und inzwischen hat der Rest der Welt das ja auch begriffen.
Der Grieche nahm mir das Blatt aus der Hand und betrachtete es kritisch.
«In Öl könnte das richtig gut aussehen.»
Während er ein paar Nachbesserungen vornahm, flog auf einmal die Tür auf, und überfallartig platzte die gesamte Hausgemeinschaft herein: Mercuria vorneweg, dahinter Antonella, gefolgt von einem sperrigen Gespann aus Bartolomeo, Gianluca und Gennaro, der seine Arme über die Schultern der beiden anderen gelegt hatte und wie ein lahmer Vogel kleine Hüpfer mit dem gesunden Bein machte. Bei jeder Erschütterung verzog er den Mund.
Mercuria machte ein feierliches Gesicht. «Es ist bei uns Tradition, neue Mitbewohner mit einer kleinen Feier zu begrüßen.»
Man konnte deutlich sehen, dass der Grieche gerührt war, eine Regung, die gar nicht zu seinem sonst so kühlen und überheblichen Gesichtsausdruck passte. Ich fühlte mich an meinen eigenen Einzug erinnert. Vielleicht verspürte er dasselbe wie ich damals: das Gefühl, ein Zuhause gefunden zu haben, auch wenn er so tat, als wäre er nirgendwo und überall zu Hause.
Speisen und Getränke wurde hereingetragen, Tische und Stühle zusammengerückt. Bartolomeo hatte ein paar Forellen aufgetrieben, Gianluca eine Lammschulter. Mercuria hatte einen spanischen Wein aus ihren Beständen beigesteuert und Antonella einen Korb mit ofenwarmem Brot besorgt.
Für Gennaro bauten wir aus Kisten und Polstern eine Liege, auf der er sich mit viel lustvollem Gestöhne bettete, um sich für den Rest des Abends bedienen zu lassen wie ein Sultan.
Die Feier nahm den vorhersehbaren Verlauf: Der Wein floss in Strömen, die Bäuche wurden voller, die Anekdoten deftiger; Bartolomeo stritt sich mit Gennaro über dessen angebliche lutherische Neigungen und anschließend mit dem Griechen über die Vorzüge von Skulptur oder Malerei. Antonella gab eine Kostprobe ihrer neuesten Besessenheitsnummer, die den Griechen sichtlich beeindruckte. Nur Mercuria war an diesem Abend in sich gekehrt. Ich spürte, dass sie angespannt war, auch wenn sie es ganz gut überspielte.
Auch Gianluca sagte mal wieder nicht viel. Besonders oft machte er ja ohnehin nicht den Mund auf, aber an diesem Abend schien ihm zusätzlich die offensichtliche Tatsache zu missfallen, dass der Grieche seiner Antonella schöne Augen machte. Auch er gefiel ihr offensichtlich, und ich fragte mich, was wohl passieren würde, wenn Gianluca das nächste Mal im Auftrag eines zahlungskräftigen Sünders zu einer fernen Pilgerstätte aufbrechen würde. Würde Mercuria wieder ihre Pelzkappe auf irgendeinem Stuhl vergessen müssen, um gerade rechtzeitig reinzuplatzen, weil sie keinen Zirkus wollte?
Zu Gianlucas großem Missbehagen kündigte Antonella dann auch noch an, die Runde bald verlassen zu müssen, weil sie für eine kleine Teufelsaustreibung im privaten Rahmen zu mitternächtlicher Stunde gebucht worden war. Die Veranstaltung finde im Freien statt, und der Auftraggeber habe sicherlich nichts dagegen, wenn sie ein paar Freunde mitbrächte. Ob irgendjemand Interesse habe?
Mercuria winkte ab. Gennaro zeigte auf sein Bein. Bartolomeo gähnte. Der Grieche aber war begeistert, wohl wegen der Aussicht auf neue Erkenntnisse im Hinblick auf Lichtführung und Kolorit am Beispiel von Antonellas Körper.
Ich für meinen Teil war nach den Enttäuschungen der letzten Tage genau in der richtigen Stimmung für ein bisschen Theater. Um Gianluca keine Gründe für weitere Eifersucht zu liefern, behauptete ich, eine Teufelsaustreibung sei eine gute Inspiration für meine nächste Gazette – eigentlich kein besonders überzeugender Vorwand, zumal ich dieses Thema in den letzten Jahren schon mausetot geritten hatte.
Gianluca blieb nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen und sich anzuschließen, wenn er Antonella nicht allein mit uns losziehen lassen wollte. Seinen Ärger spülte er mit Wein herunter. Bald darauf machten wir uns auf den Weg.
Antonellas Kunde, ein reicher Antikenhändler, hatte für die Vorführung eine ganz besondere Kulisse ausgewählt: die Ruinen der Trajansthermen. Religiöser Eifer schien ihn nicht anzutreiben; das Duo, das aus Antonella und dem Exorzisten bestand, hatte er nur engagiert, um seinen Gästen nach einem Festmahl ein unterhaltsames Spektakel zu bieten.
Als wir bei den Ruinen eintrafen, war schon alles vorbereitet: Ein paar gemietete Schläger hatten das Gelände von Herumtreibern gesäubert und mit Fackeln einen großen Kreis abgesteckt. Das flackernde Licht leckte in der Kassettendecke eines halb eingestürzten Gewölbes. Die Schatten der ringsum wuchernden Sträucher tanzten an den Ziegelwänden der Thermen. Dahinter ragte das Colosseum als gewaltiges Schattengebirge auf. Die Luft war angenehm und mild.
Antonella wies uns an, beim Fackelkreis zu warten, dann verschwand sie. Wir standen ein bisschen herum und redeten nicht viel. Gianlucas Missmut war mit Händen zu greifen.
Zum Glück tauchten bald darauf die Zuschauer auf, eine kleine Schar aus gutgekleideten Damen und Herren, die offenbar gerade ausgiebig getafelt hatten, jedenfalls wirkten sie sattgegessen und angeheitert.
Angeführt wurde die Gruppe vom Gastgeber, einem Fettsack mit einer Vorliebe für wallende Gewänder, zu dessen Marotten es gehörte, sich außergewöhnliche Haustiere zu halten. Als er herangewackelt kam, konnte ich kaum glauben, was ich sah: Er führte einen Dachs an der Leine.
«Antonella sagt, ihr wollt zuschauen?»
Wir nickten.
«Kein Problem. Aber quatscht nicht dazwischen. Das ist eine ernste Angelegenheit.» Und mit einem schmierigen Lächeln fügte er hinzu: «Obwohl ich nicht glaube, dass man der wirklich den Satan aus dem Leib treiben kann.»
Er zwinkerte uns zu, während der Dachs hierhin und dorthin watschelte und im Gebüsch herumschnüffelte. Gianluca machte ein Gesicht, als würde er den Dicken gleich niederschlagen.
Die Gäste, eine Schar von vielleicht zwanzig Leuten, standen in kleinen Gruppen herum und brachten sich mit schlüpfrigen Andeutungen in Stimmung. Ein paar gleichgültige Blicke streiften uns.
Und dann begann die Vorführung. Der Dicke trat in die Mitte des Kreises und bat mit einem Handzeichen um Ruhe. Der Dachs zog an der Leine, als wäre die Aufmerksamkeit ihm unangenehm.
«Wie ihr alle wisst, leben wir in Zeiten, in denen der Satan wieder sein keckes Haupt erhebt und seine Dämonen in die Welt hinausschickt, um die Christenheit zu verderben!», rief der Dicke.
Zustimmendes Gemurmel kam aus der versammelten Christenheit. Einer schlug das Kreuz. Zwei andere kicherten.
Der Dicke brachte seine Einleitung mit ein paar launigen Worten zu den Unbillen und Bedrängnissen der Zeit zum Schluss und kündigte an, was bevorstand: Seine Bediensteten hätten an diesem Abend in seinem Garten eine offensichtlich vom Teufel besessene Frau aufgegriffen. Als man sie angesprochen habe, habe sie zu toben begonnen, und man habe sich nicht anders zu helfen gewusst, als sie in den Keller zu sperren. Glücklicherweise habe man in der Zwischenzeit einen Priester herbeirufen können, der nun den Versuch unternehmen werde, den Satan aus dem Leib der jungen Frau zu treiben, die, nebenbei gesagt, von außerordentlicher Schönheit sei.
Zwei finstere Gesellen mit Kapuzenmänteln kamen hinter einer Ecke hervor. Sie führten Antonella in ihrer Mitte, die in der Zwischenzeit ein halb durchsichtiges Gewand aus fließendem Stoff angelegt hatte. Sie hatte die Augen niedergeschlagen. In der Mitte des Kreises blieben sie stehen. Die Zuschauer drängten heran. Wir stiegen auf einen herumliegenden Steinblock, um besser sehen zu können.
Der Exorzist trat auf. Wenn er wirklich Geistlicher war, dann nahm er es mit den Vorschriften für das Ritual nicht allzu genau, denn was nun folgte, war die stark abgekürzte Variante einer Teufelsaustreibung.
Der Exorzist baute sich vor Antonella auf und hielt ihr das Kruzifix unter die Nase. Sie blickte verstockt zu Boden. Er sprach ein Gebet. Sie riss die Arme hoch und hielt sich die Ohren zu. Schließlich holte er eine Flasche mit Weihwasser hervor und begann, sie zu besprenkeln. Zur Freude der Zuschauer wurde ihr Kleid dadurch noch ein bisschen durchsichtiger, gleichzeitig kam Bewegung in ihren Körper, sie zuckte und zitterte wie in Krämpfen und hob langsam den Kopf.
Ein Schreckensschrei kam aus der Zuschauermenge. Ich weiß bis heute nicht, wie Antonella das machte, aber sie schaffte es tatsächlich, ihre Augen so zu verdrehen, dass man nur noch das Weiße sah, dann entrang sich ihrer Kehle ein unverständliches Gebrüll, das wahrscheinlich Altbabylonisch sein sollte; sie zerrte an ihrem Kleid, der Stoff riss, ihre prachtvollen Brüste erschienen, ihr Bauch hob und senkte sich; spuckend, schnappend und schreiend attackierte sie den Priester, der etwas auf Lateinisch zurückschrie. Die beiden Männer an ihrer Seite hatten einige Mühe, sie davon abzuhalten, ihm an die Gurgel zu springen.
«Wie ist dein Name?», schrie der Priester.
Die mit tiefer Stimme gebrüllte Antwort hatte eine Menge Vokale und klang nach irgendeinem Götzen aus alttestamentarischer Zeit. Antonella war wirklich gut.
Es folgte ein längeres Wortgefecht zwischen dem Dämonen und dem Exorzisten, der sich mächtig ins Zeug legte, mit dem Erfolg, dass ein Schauer durch Antonellas Körper ging und sie plötzlich mit lieblicher Stimme und zum Himmel verdrehten Augen zu singen begann. Aber der Priester durchschaute die satanische Finte, verspritzte noch mehr Weihwasser und fuchtelte noch heftiger mit dem Kruzifix herum, wobei sein Gewand verrutschte und offenbarte, dass der Anblick des teuflischen Wirkens nicht nur seine geistliche Seite in Erregung versetzte. Antonella erschauerte erneut. Der Dämon rumorte herum, als kramte er im Inneren ihres Körpers nach einer neuen Requisite, um die Austreibung abzuwehren, während der Priester mit einer schnellen Handbewegung sein Gewand zurechtrückte. Gleich darauf folgte der nächste vorhersehbare Akt: Antonella riss sich die Reste ihres Kleides von den Schultern, wölbte sich ihm entgegen, leckte sich über die Lippen, fiel mit offenem Mund vor ihm auf die Knie und forderte ihn mit lockendem Singsang auf, ihn ihr in den Mund zu stecken. Was er auch tat. Allerdings nur den Finger.
«Beiß zu, wenn du stärker bist als Gott!», schrie der Priester. «Wenn nicht, befehle ich dir zu entweichen! Fahr heraus aus diesem Leib und such dir einen anderen!»
Ein letztes Aufbäumen, ein letzter Schrei, dann brach Antonella zusammen. Auf ihrer Haut glitzerten die Tropfen des Weihwassers im Fackelschein.
Während die Zuschauer zu raunen begannen und der Priester den reglosen Körper mit grimmigem Gesicht und gezücktem Kruzifix in Schach hielt, erhob sich plötzlich Unruhe am Rand des Geschehens. Alle Köpfe fuhren herum.
«Napoleone!», schrie der Dicke. «Mein Gott, der Dämon ist in meinen Dachs gefahren!»
Ein schwarzweißes Geschoss aus Fell stob fauchend hin und her, überkugelte sich und raste, die Leine hinter sich herschleifend, in die Dunkelheit davon. Der Dicke raufte sich die Haare, watschelte hinterher und rief immer wieder den albernen Namen, den er dem Vieh verpasst hatte. Ich fragte mich, ob das auch zu der Inszenierung gehörte.
«Den Teil kannte ich noch gar nicht», murmelte Gianluca neben mir.
Damit war die Vorführung beendet. Einer der beiden Helfer warf eine Decke über Antonella, hob sie behutsam auf seine Arme und trug sie weg. Der Gastgeber tat noch ein bisschen entsetzt über den Verlust seines Dachses, richtete dann ein paar abschließende Worte an seine Gäste und bat sie, zu seinem Haus zurückzuwandern, wo noch ein kleiner Imbiss gereicht werden würde. Kurz darauf waren wir allein im Schein der herunterbrennenden Fackeln.
«Potz Blitz», sagte der Grieche anerkennend. «Das war beeindruckend.»
«Komm bloß nicht auf Ideen», knurrte Gianluca. «Als Modell kriegst du sie nicht.»
Der Grieche lächelte. «Schade. Ich brauche noch eine Madonna für eine Verkündigung.»
In diesem Augenblick erschien Antonella wieder im Fackelschein.
«Lasst uns nach Hause gehen», sagte sie. «Ich brauche was zu trinken. Dieser Dämon saugt mich jedes Mal aus.»
Auf dem Rückweg hakte sie sich demonstrativ bei Gianluca unter, was ihn ein bisschen versöhnlicher, aber immer noch nicht gesprächiger stimmte. Was sie an diesem Holzklotz fand, würde ich wohl nie begreifen.
Im Innenhof verabschiedeten wir uns voneinander.
Als ich mein Haus betrat, merkte ich gleich, dass etwas nicht stimmte. Ich weiß nicht, ob es der Hauch eines fremden Geruchs war, ein fast nicht wahrnehmbares Geräusch oder eine Stuhllehne, die meine Hand auf der Suche nach Feuerstahl und Zündwolle nicht mehr an der erwarteten Stelle ertastete – von einem Augenblick auf den anderen spannten sich alle meine Muskeln gleichzeitig an.
Das war meine Rettung. Denn als die schwarze Gestalt wie ein Geschoss aus der Dunkelheit auf mich zuflog, gelang es mir gerade noch, beiseite zu springen, sodass der Angreifer ins Leere lief und krachend über einen Stuhl fiel. Ich riss die Haustür wieder auf und rannte schreiend ins Freie, hinter mir wurde der Stuhl durch den Raum geschleudert, dann stürzte die Gestalt mir nach, und spätestens als im Mondlicht eine Klinge aufblitzte, war mir klar, dass ich hier nicht nur verprügelt werden sollte. Zum Glück kam in diesem Augenblick Gianluca aus dem Haus, ein schwacher Lichtschein fiel auf den Hof, sodass der Angreifer zögerte, vielleicht aus Angst, sein Gesicht könnte unter der Kapuze erkannt werden, oder weil er nicht mit einem zweiten Gegner gerechnet hatte, jedenfalls unternahm er keinen weiteren Versuch, sondern zog es vor, durch den Tordurchgang auf die Straße zu fliehen. Seine Schritte verhallten in der Via dei Cappellari.
«Wer war das denn?», fragte Gianluca.
«Ich weiß nicht», keuchte ich. «Der wollte mich umbringen.»
Gianluca lachte trocken auf. «Vielleicht bist du seiner Verlobten zu nahe getreten.»
Er überlegte kurz und schien sich überwinden zu müssen.
«Na, komm rein. Du schläfst heute Nacht mal lieber bei uns.»