Von diesem Tag an beschleunigten sich die Ereignisse in einer Weise, dass einem schwindelig werden konnte. Es begann damit, dass ich schon wieder einen versiegelten Brief von Morone hinter der Tür fand. Mit einem Blick aus dem Fenster überzeugte ich mich davon, dass der Wächter immer noch auf seinem Posten stand. Die Fackeln waren zu schwarzen Stümpfen heruntergebrannt. Schlief der eigentlich nie?
Auch diesmal hatte der Kardinal kein Wort zu viel zu Papier gebracht: Komm sofort zu meiner Gartenvilla. Das klang nicht gut.
Ich legte das Panzerwams an und machte mich unverzüglich auf den Weg. Ich hoffte, Morone würde nicht mir die Schuld dafür geben, dass ich Piero Carafa nicht hatte verfolgen können und noch nicht einmal Auskunft darüber geben konnte, ob er überhaupt das Haus verlassen hatte.
Als ich eintraf, stand Morone vor der Villa und betrachtete seinen Diskuswerfer. Er wirkte leicht gereizt, als hätte ich ihn durch meine Verspätung zur Tatenlosigkeit gezwungen.
«Und?»
Ich berichtete. Und weil es keine neuen Erkenntnisse zu Piero Carafa gab, schilderte ich umso ausführlicher den Überfall der vorletzten Nacht, um ein bisschen Mitleid zu schinden. Viel Erfolg hatte ich damit nicht. Er wirkte ungehalten.
«Wir haben die Gelegenheit verpasst. Die Dokumente wurden abgeliefert.»
«Von wem?»
«Von Piero Carafa persönlich. Sie wurden meinem Kaplan übergeben, und der hat sie mir auf den Tisch gelegt. So habe ich mir wenigstens sein triumphierendes Grinsen erspart. Und bevor du fragst: Natürlich sind sie echt.»
«Verdammt.»
«Allerdings. Du wirst nicht umhinkommen, in sein Haus einzusteigen.»
«Das wird schwierig. Es ist fast immer jemand da.»
«Ich werde ihn hinhalten. Selbst wenn ich wollte, könnte ich sein Anliegen nicht in ein paar Tagen erfüllen. Ich werde ihm sagen, dass ich Leute schmieren und Dokumente fälschen lassen muss. Er wird sich wohl oder übel gedulden müssen.»
Die Aussicht, die nächsten Tage oder Wochen auf dem Glockenturm von Santi Quattro Coronati zu verbringen, nur um die Ausgehgewohnheiten von Piero Carafa und seinem Personal zu studieren, stimmte mich nicht gerade begeistert. Ich hoffte nur, dass die Sache sich für mich lohnen würde.
Als hätte er diesen Gedanken erraten, reichte er mir einen weiteren Beutel. Damit schien das Gespräch für ihn beendet zu sein.
«Noch eine Frage», sagte ich.
«Wieder wegen dieses schwangeren Mädchens?»
«Ja.» Ich beschloss, nicht um den heißen Brei herumzureden. «Wussten Sie von diesen Festen?»
Er blickte mich erbost an. «Was soll das heißen?»
Ich nahm meinen Mut zusammen und wies mit dem Kopf in die Richtung, in der das ehemalige Anwesen der Carafa lag. «Es war fast nebenan. Wussten Sie, was da passierte?»
Meine Unverblümtheit brachte ihn in die Defensive.
«Nein. Das wollte auch niemand so genau wissen.»
Es war zum Haareraufen. Wahrscheinlich hatte Pallantieri ihm im Gefängnis erzählt, was er aufgedeckt hatte, und Morone hatte geschwiegen, wie der ganze Rest der Nachbarschaft. Wenn man etwas nicht wissen wollte, dann konnte man hinterher tatsächlich behaupten, es nicht gewusst zu haben.
Ich wandte mich zum Gehen.
«Es war falsch», sagte er.
Ja, dachte ich. Das war es wohl.
Als ich wieder zu Hause ankam, standen bei Mercuria alle Fenster offen. Ich klopfte an und stieg hinauf.
«Sie haben es alle gewusst», sagte Mercuria, nachdem ich mit meinem Bericht fertig war.
«Was willst du jetzt machen?», fragte ich.
«Abwarten. Bevor ich mit Farnese spreche, sollten wir sicher sein, dass er nicht hinter dem Anschlag steckt. Wie gesagt, ich glaube das nicht. Aber auf eine Woche mehr oder weniger kommt es nach zwölf Jahren nicht mehr an.» Sie strich sich die Haare aus der Stirn und blickte zum Fenster. «Auch wenn ich kaum an etwas anderes denken kann. Ich frage mich die ganze Zeit, welche Lügen sie ihr über ihre Mutter erzählen, damit sie nicht weiterfragt. Falls sie überhaupt fragt.»
Die letzte Bemerkung hatte unendlich niedergeschlagen geklungen. Ich konnte ihre Traurigkeit verstehen: Ihr war eine Enkelin geschenkt worden, aber sie konnte dieses Geschenk nicht annehmen, ohne enttäuscht zu werden. Ich verspürte das Bedürfnis, sie irgendwie zu trösten, aber die richtigen Worte wollten mir nicht einfallen, und Mercuria machte keine Anstalten, sich von mir in die Arme nehmen zu lassen, also ließ ich es sein und wechselte das Thema, vielleicht etwas zu brüsk, aber sie ging darauf ein.
«Wie geht’s Gennaro?»
«Gestern Abend war seine Süße da, um nach ihm zu schauen. Und den Geräuschen nach zu urteilen, ist es nicht beim Schauen geblieben, also lass ihn schlafen.»
«Und du? Kann ich dich allein lassen?»
Sie lachte bitter auf. «Meinst du, ich springe wieder von der Brücke, oder was? Dafür ist der Wasserstand ein bisschen zu hoch.»
Es war nicht unbedingt so, dass ich Gesellschaft suchte, aber die Aussicht auf einen ereignislosen Tag auf dem Glockenturm war nicht allzu verlockend, sodass ich ganz erfreut war, als mir im Innenhof der Grieche über den Weg lief und mich einlud, mit ihm zusammen der Sixtina einen Besuch abzustatten. Er hatte seine Zeichensachen dabei und war voller Tatendrang.
Auf dem Weg zum Vatikan erzählte er mir, dass er schon ein halbes Dutzend Male dort gewesen war, um den Kräften auf den Grund zu gehen, die Michelangelo angetrieben hatten. Auch für mich war es nicht das erste Mal: Vor Jahren hatte mein Vater mich an einem der wenigen freien Tage, die Salviati ihm gewährt hatte, in die Kapelle mitgeschleppt, beseelt von der Hoffnung, dass beim Anblick der gewaltigen Fresken doch noch ein Funke überspringen und die Flamme eines Talents entzünden würde, das ich nun einmal nicht hatte.
Ein Schweizer mit kindlichem Bauerngesicht begleitete uns ohne weitere Fragen hinein. Ich staunte, wie einfach es war, hier eingelassen zu werden. Eingehüllt in das leise Echo unserer Schritte, stiegen wir eine Treppe hinauf, die für Riesen angelegt schien und auf diese Weise das Gegenteil bewirkte: Selbst Botschafter und Könige sollten sich wie Zwerge fühlen, wenn sie im großen Audienzsaal ankamen, um dem Oberhaupt der Christenheit gegenüberzutreten. Salviati hatte sich mit den anderen Größen seiner Zunft um die Aufträge zur Ausmalung dieses Saals gerissen, der Grieche dagegen bewegte sich, als wäre er der Hausherr persönlich. Und wie der wahre Hausherr schien er diese Räume und ihre Gestaltung nicht besonders zu schätzen, wenn auch aus anderen Gründen: Ghislieri stieß der Prunk ab, weil er von der Botschaft des Evangeliums ablenkte und mit pompöser Willkür der weltlichen Macht sekundierte, den Griechen die Farben, weil sie von der Botschaft der Bilder ablenkten und mit billigen Effekten der Zeichnung sekundierten. Ghislieri wollte die Kirche reformieren, der Grieche die Kunst.
Durch eine Flügeltür betraten wir die Sixtina, und sofort stürzte die Pracht der Decke auf mich herab: die schillernden Gewänder der Propheten und Sybillen, die unter der Last der Gesimse ächzenden Figuren, die Nackten, die in den Nischen kauerten und sich auf den Podesten rekelten, die großen Felder mit den Geschichten von Schöpfung, Sündenfall und Bestrafung, und überall dieser schlechtgelaunte Gott in seinem rosa Gewand, herrisch hierhin und dorthin zeigend und selbst in der Rückenansicht immer noch irgendwie ungehalten, als seien die Scheidung von Licht und Finsternis und die Schöpfung von Himmel und Erde lästige Pflichten, deren Erledigung man nicht schnell genug hinter sich bringen konnte, um zum größten Ärgernis von allen zu schreiten: der Erschaffung des Menschen. Während Gottvater, hin und her gezerrt von einer aufgeregten Engelsschar, über den ausgestreckten Zeigefinger das Leben in Adam strömen ließ, schien er ihm auch gleich die Freude daran verderben zu wollen. Mach mir bloß keine Scherereien, das sagte dieser finstere Blick.
Auf der Altarwand war dann zu sehen, wohin diese mit der Ursünde begonnenen Scherereien am Tag des Jüngsten Gerichts führen würden: Verzweiflung, wohin das Auge blickte, von froher Botschaft keine Spur, noch nicht einmal bei den Heiligen, die sich, teils ratlos, teils grimmig, um einen Erlöser scharten, der viel zu sehr mit seiner Pose beschäftigt war, als dass er sich den Seelen hätte widmen können. Unter dem Geschmetter aufdringlicher Posaunenbläser wurden die besagten Seelen auf der linken Seite von Engeln nach oben und auf der rechten von Dämonen nach unten gezerrt, wo das Höllenfeuer loderte, während ein wütender Charon eine Bootsladung von Verdammten mit dem Ruder ins ewige Verderben prügelte. Der Grieche wollte wissen, was Michelangelo angetrieben hatte? Hier war die Antwort: maßlose Furcht und endlose Qualen.
Wir waren nicht allein. Ein halbes Dutzend Künstler saß auf Hockern und Schemeln herum und kopierte, was das Zeug hielt. Direkt hinter dem Altar war ein schmales Gerüst aufgebaut, auf dem ein alter Maler gerade seine Utensilien in einen Beutel packte, um sich anschließend über eine wackelige Leiter nach unten zu mühen.
Als sein Blick auf den Griechen fiel, hellte sein Gesicht sich auf.
«Na, Girolamo?», fragte der Grieche. «Hast du noch einen nackten Hintern gefunden, den die anderen übersehen haben?»
«Willst du mich ablösen, oder was?»
«Lieber nicht. Ich würde das …»
«Ja, ja, ich weiß. Ganz anders machen. Ihr Venezianer redet doch ständig von der Farbe. Also freu dich, dass es ein bisschen bunter wird.»
Ich begriff. Girolamo war einer der Maler, die die undankbare Aufgabe hatten, die Kirchenreform auch an dieser berühmten Wand durchzusetzen. Kurz vor dem Abschluss des Konzils hatten die versammelten Kardinäle, Bischöfe und Äbte sich in einer eigenen Sitzung mit dem Jüngsten Gericht befasst und beschlossen, dass dieses Werk einer Überarbeitung bedurfte. Wenige Wochen vor Michelangelos Tod war der Beschluss ergangen, die Blößen von Heiligen und Sündern überdecken zu lassen. Und das war gar nicht so einfach, weil die unerwünschten Teile an einigen Stellen immer wieder zum Vorschein kamen, als hätten die Nachbearbeiter die Farben für ihre Schleier absichtlich zu dünn angerührt, um dem Alten die Genugtuung zu geben, sich noch aus dem Grab heraus über seine Kritiker lustig zu machen. Es war wie im richtigen Leben: Die Unkeuschheit fand immer ihren Weg an die Oberfläche. Also wurde in unregelmäßigen Abständen nachgebessert.
Während Domenikos und Girolamo sich über den Stand der Arbeiten austauschten, betrachtete ich das Fresko. Bunte Tücher und Schleier wehten kreuz und quer über die Körper der Figuren, wie es gerade nötig war, um die betreffenden Stellen knappstmöglich zu verdecken. Teilweise sah es aus, als leckten Zungen aus Stoff darüber, und Johannes der Täufer trug einen winzigen Schurz aus Fell an hauchdünnen Bändern um die Lenden. Es war lächerlich.
Girolamo bemerkte meinen Blick. Unaufgefordert gab er mir eine Zusammenfassung der Argumente, mit denen die Reformer zum Sturm auf das unkanonische Werk meines unsterblichen Namenspatrons angesetzt hatten: Wie konnte es sein, dass selbst die Gerechten so ängstliche Gesichter machten? Seit wann hatten Engel keine Flügel? Was hatten Gestalten der heidnischen Mythologie in dieser heiligen Umgebung zu suchen? Warum hielt der Erlöser das Gericht im Stehen ab, noch dazu glatt rasiert wie ein zweiter Apollo? Was brachte die Gewänder der Märtyrer zum Flattern, wo doch in der Heiligen Schrift nirgendwo von Wind die Rede war?
«Aber am schlimmsten waren natürlich diese Nackten», schloss Girolamo seinen Vortrag. «Das war ein Gewimmel wie im Badehaus. Die Heilige Katharina hatte gar nichts an.» Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: «Nicht dass mir das missfallen hätte.»
«Warum machen Sie dann überhaupt dabei mit?», wagte ich zu fragen.
Der Alte betrachtete traurig das Fresko. «Du stellst vielleicht Fragen. Meinst du, es macht mir Spaß, an der Verhunzung dieses Meisterwerks mitzuwirken? Ich brauche Geld, was denn sonst? Die Aufträge sprudeln nicht gerade. Seit dem Sacco geht alles nur noch den Bach runter. Ich bin einfach vierzig Jahre zu spät geboren worden.»
Die Erwähnung der Plünderung machte mich hellhörig.
«Waren Sie damals schon in Rom?», fragte ich.
«Allerdings. Und ich hatte noch Glück, wenn ich daran denke, wie es den anderen ergangen ist. Die wurden gefoltert und ausgeraubt, und einige hatten hinterher einen Dachschaden. Die meisten sahen zu, dass sie aus der Stadt kamen, danach war ohnehin kein Geld mehr da. Aber wie gesagt, ich hatte noch Glück.»
«Inwiefern?»
«Ich fand Unterschlupf im Palast der Colonna. Ich kannte jemanden in der venezianischen Botschaft, der sich bei Isabella Gonzaga für mich verwendete.»
Mir verschlug es fast die Sprache. Was war das denn wohl bitte für ein Zufall? Und es kam noch besser.
«Hieß der Mann zufällig Antonio Francavilla?», fragte ich aufs Geratewohl.
Nun war es Girolamo, dem die Worte fehlten. Er schob sein altes Gesicht vor wie eine Echse beim Anblick eines Insekts. Der Grieche blickte mit gerunzelter Stirn zwischen uns hin und her, als verfolgte er einen Dialog zwischen zwei Schwachsinnigen.
«Ja, verdammt. Wie zum Teufel kommst du jetzt auf den?»
«Ich habe von ihm gehört», sagte ich vage. «Er hatte doch …»
«Ja, ja, ich weiß. Schon damals ritten alle immer nur darauf herum. Er hatte halt ein paar Finger zu viel.»
«Ein paar Finger zu viel?», mischte sich der Grieche ein. Er betrachtete seine schlanken Hände, als versuchte er, sich die zusätzlichen Finger daran vorzustellen.
Ich überging seine Bemerkung und fasste Girolamo am Arm. «Waren Sie mit ihm befreundet?»
«Befreundet ist zu viel gesagt. Wir kannten uns, weil ich den Botschafter einmal porträtiert hatte.»
«Venier», sagte ich.
«Genau. Du weißt ja richtig gut Bescheid. Warum die Fragerei?»
«Nur so. Die Finger.»
«Wie viele waren es denn nun?», fragte der Grieche.
«Zwölf», sagte Girolamo. «Für jeden der Stämme Israels einen. Wer weiß, was Gott sich dabei gedacht hat.»
«Wissen Sie sonst noch irgendetwas über Francavilla?»
Girolamo legte die Stirn in Falten. «Antonio hatte einen Freund», sagte er. «Einen ziemlich guten Freund, wenn du verstehst, was ich meine. Der war damals Gärtner in einer Villa auf dem Quirinal, die früher den Carafa gehört hatte und später von Farnese und dann von Este gemietet wurde. Ich hatte da mal eine kleine Aufgabe, die hatten eine Grotte mit Brunnen, die ausgemalt werden musste, darum erinnere ich mich noch.» Er blickte traurig vor sich hin und wies mit dem Kopf auf das Fresko. «Das ist wohl mein Schicksal. Immer nur Kleinkram. Als ich als Zwanzigjähriger nach Rom kam, hatte ich mir das anders vorgestellt. Und auf einmal hat man Frau und Kinder und muss jeden Auftrag annehmen. Überlegt euch das gut.»
Carafa, Farnese, Este. Ständig fielen dieselben Namen. Und ständig waren irgendwelche Gärtner, Verwalter oder Hausdiener im Spiel, die entweder Auskunft gaben oder im Weg herumstanden.
«Erinnern Sie sich noch, wie dieser Gärtner hieß?»
«Nein. Der wohnte da oben in einem Gartenhaus und stand immer im Weg herum. Aber jetzt sag mir doch endlich mal, warum du das alles wissen willst.»
«Eine Freundin hat mich danach gefragt.»
«Ach was. Eine Freundin. Ihr Brüder habt echt immer die gleichen Ausreden.»
Girolamo zwinkerte uns zu, schulterte seinen Beutel und verabschiedete sich. Der Grieche fragte nicht weiter nach, die Arbeitswut schien ihn gepackt zu haben. Er kramte seine Sachen heraus, postierte sich im Schneidersitz in der unteren rechten Ecke des Wandbildes und begann, einen alten Mann mit Eselsohren abzuzeichnen, der neben dem Höllenschlund stand und von glupschäugigen Dämonen mit ihren Einflüsterungen traktiert wurde, während eine Schlange sich in sein Gemächt verbiss. Wieder staunte ich, wie schnell der Grieche war.
«Minos», sagte er konzentriert.
Von da an war ich Luft für ihn. Die einzigen Geräusche in der Kapelle waren das Kratzen der Stifte auf dem Papier und das gelegentliche Gemurmel der Zeichner. Ich betrachtete das Gewimmel auf den Fresken, und der Raum erschien mir auf einmal wie ein Abbild der ganzen Welt: unendlich groß und unbegreiflich in seiner Verworrenheit. Ich hätte mich gern auf die Einzelheiten eingelassen, aber die Worte des Malers ließen mich nicht zur Ruhe kommen. Antonio Francavilla hatte sich zurückgemeldet.
Da der Grieche so vertieft in seine Arbeit war, dass ich ihn nicht unterbrechen wollte, machte ich mich allein auf den Heimweg. Erst als ich in unserem Innenhof den Wächter erblickte, fiel mir auf, dass ich ganz vergessen hatte, mich nach Verfolgern umzublicken. Ich wurde schon wieder nachlässig.
Gennaros Tor stand offen, also hatte er seinen Genesungsschlaf offenbar beendet. Ich trat ein in das Durcheinander aus unvollendeten Arbeiten, Modellen, Entwürfen und Zeichnungen. Aus dem Zimmer im oberen Stock drangen gedämpfte Stimmen. Ich stieg die Treppe hinauf.
Gennaro lag im Bett, das verbundene Bein auf einem Holzklotz, die Decke bis zum Kinn hochgezogen. Vor seinem Bett saß ein Mann im fortgeschrittenen Alter, stattlich, gutaussehend und gekleidet wie ein Aristokrat. Sein Blick war wohlwollend und herablassend zugleich, als hätte er in mir einen altgedienten Bediensteten vor sich, der ihn nie enttäuscht hatte, dem gegenüber er sich aber auch keine Vertraulichkeiten leistete. Wahrscheinlich behandelte er die ganze Welt wie seine Dienerschaft. Und noch bevor Gennaro uns vorstellte, wusste ich, wen ich vor mir hatte: Bonifacio Caetani, seinen Auftraggeber, den Mann, mit dessen Tochter er sich vergnügte.
Gennaro war bemüht, das Gefälle zwischen uns auszugleichen, indem er mich als besten Freund und vielversprechenden Novellanten anpries, nicht ohne meinen Onkel zu erwähnen und die Bedeutung meiner Tätigkeit aufzublähen. Es klang ein bisschen anbiedernd.
Bonifacio Caetani war augenscheinlich wenig beeindruckt, tat aber interessiert und verlor ein paar anerkennende Worte über die Arbeit von Antonietto Sparviero.
«Und jetzt halt dich fest», sagte Gennaro zu mir, als müsste er nun seinerseits ein bisschen Werbung für seinen Gast machen. «Er kennt Gabriele Sannazaro.»
Das war zugegebenermaßen ein Paukenschlag. Ich vergaß für einen Augenblick meine eigenen Neuigkeiten und blickte den Besucher erwartungsvoll an.
Bonifacio Caetani genoss es sichtlich, dass ihm die Enthüllung des Geheimnisses zukam, das Gennaro ihm entlockt hatte. «Gabriele Sannazaro», sagte er und tat ein bisschen nachdenklich. «Einer der besten Hauptleute, die Alba in seinen Diensten hatte. Ein unangenehmer Kerl, verschlagen und eitel, aber ein Draufgänger. Der hat damals bei Mühlberg den Kurfürsten von Sachsen gefangen genommen. Hat ihn übrigens zwei Finger gekostet. Und wenn Alba zehn Jahre später vor Rom keinen Rückzieher gemacht hätte, dann wäre Sannazaro wahrscheinlich als Erster über die Mauer geklettert. So einer war das.»
«Das wissen wir schon», sagte ich. «Aber was hat er nach dem Friedensschluss gemacht?»
«Er hat sich hier niedergelassen. Man erzählte sich, dass er auf der Suche nach etwas war, irgendein Schatz, der beim Sacco verlorengegangen war. Keiner hat das so richtig ernst genommen, das war ja ewig her. Kurz nach der großen Überschwemmung ist er aus dem Dienst ausgeschieden.»
«Und dann?»
«Er fand Unterschlupf bei Carlo Carafa. Die kannten sich noch aus Mühlberg und verstanden sich prächtig, obwohl sie zuletzt auf verschiedenen Seiten gestanden hatten. Aber das hieß bei einem wie Sannazaro nicht viel. Er war Söldner, für Geld machte der alles, und da traf es sich ganz gut, dass er Carafa kannte, denn der hatte ja damals noch Geld. Es heißt, dass Sannazaro eine Zeitlang die Dreckarbeit für den Kardinal erledigte. Als es dem an den Kragen ging, verschwand er von der Bildfläche. Es gibt Gerüchte, dass er sich unter falschem Namen bei irgendwelchen Verwandten der Carafa eingenistet hätte. Aber mehr weiß ich auch nicht. Ich hatte selbst genug Ärger, und es brachte nur Scherereien, mit denen in Verbindung gebracht zu werden.»
«Es kann also sein, dass er noch in der Stadt ist?», fragte ich.
«Möglich. Ich könnte mich umhören.» Mit einem gönnerhaften Kopfnicken erhob er sich und wandte sich zum Gehen.
Kaum hatten sich seine Schritte auf der Treppe entfernt, ballte Gennaro triumphierend die Fäuste und ließ einen Hagel aus übermütigen Boxhieben auf mich einprasseln.
«Er macht das Geld locker!», rief er.
Ich wusste zuerst gar nicht, was er meinte.
«Die Versuchung Christi! Er bezahlt mir den Stein! Tausendfünfhundert Scudi! Sobald das Bein wieder in Ordnung ist, fahre ich nach Carrara und suche mir den feinsten Marmorblock aus, den ich kriegen kann! Schneeweiß! Und dann fliegen hier Tag und Nacht die Splitter!»
«Musstest du dich vor ihm niederwerfen und ihn anbeten?»
Gennaro versetzte mir einen letzten Hieb, der mich beinahe von der Bettkante warf.
«Von wegen», sagte er großspurig. «Er hätte sich fast vor mir niedergeworfen, damit ich ihm die Skulptur mache. Und weißt du, was seine Bedingung ist? Der Teufel soll sein Gesicht bekommen! Der ist völlig übergeschnappt! Schert sich kein bisschen um die Zensur!»
Ich versuchte, mir Caetani mit Widderhörnern, Drachenschwanz und Ziegenfuß vorzustellen. Es war gar nicht so schwer.
«Und wen willst du für den Jesus nehmen?», fragte ich.
«Dich, mein Lieber. Du siehst aus, als hättest du vierzig Tage gefastet.»
«Ich fühle mich eher, als hätte ich vierzig Tage nicht geschlafen.»
«Oho. Hattest du nächtlichen Besuch? Gibt’s was zu berichten?»
Natürlich gab es etwas zu berichten, aber ich war nicht in der Stimmung, mir seine schlüpfrigen Kommentare dazu anzuhören, also erzählte ich, was ich beim Besuch in der Sixtina von dem alten Maler erfahren hatte.
«Ha!», rief er. «Jetzt wissen wir, wohin Francavilla unterwegs war!»
«Wir wissen gar nichts», wiegelte ich ab.
«Denk doch mal nach! Die Leiche lag zwischen dem Palast der Colonna und dem Quirinal, wo Francavillas Freund wohnte. Es ist doch völlig klar, wie das gelaufen ist! Francavilla wollte gar nicht mit Sannazaro teilen! Er ist zu Venier gegangen, hat das Versteck geleert und sich zum Quirinal geschlichen, um die Beute zu verstecken. Und hinterher wollte er Sannazaro erzählen, dass bei Venier nichts mehr zu holen gewesen war. Mein Gott, jetzt knöpf dir diesen Gärtner vor! Wenn ich laufen könnte, wäre ich schon längst da!»