Nachdem wir ausgetrunken hatten, verabschiedete Mercuria sich von uns. Sie gab sich Mühe, Haltung zu bewahren, aber sie war vollkommen erschöpft. Natürlich schenkte der Grieche ihr das Bild. Sie trug es hinaus wie ihren kostbarsten Besitz. Im Hof zündete unser Wächter gerade die Fackeln an.

Wir blieben in einer merkwürdigen Stimmung zurück. Der Grieche wirkte verlegen und überrumpelt durch Mercurias Offenbarungen. Kein Wunder: Ein Bild, das für ihn nichts als eine Auftragsarbeit gewesen war, hatte Mercurias Enkelin ein Gesicht gegeben.

Auch ich war wie erschlagen von den Ereignissen des Tages. Um das Thema zu wechseln, erzählte ich ihm von Piero Carafas bezaubernder Köchin und pries sie ihm als Madonna für seine Verkündigung an. Er war sofort Feuer und Flamme. Ich beschrieb ihm das Haus.

«Du solltest ihr gleich morgen deine Aufwartung machen.»

Der Grieche zog eine Augenbraue hoch. Sein Gesichtsausdruck erinnerte mich ein bisschen an Morone. «Du kannst es ja gar nicht abwarten», sagte er. «Man könnte meinen, dass du derjenige bist, der noch was mit ihr vorhat.»

Nun, so war es ja auch. Wenn der Grieche sie tatsächlich zum Posieren überreden könnte, dann würde mir das

«Na gut», sagte er. «Aber nur, wenn du den Verkündigungsengel spielst.»

«Sehr gern», sagte ich und gähnte. Besser konnte es ja gar nicht laufen.

Damit war die Sache für ihn geklärt. Er versenkte sich in die Betrachtung seiner Tempelaustreibung und schien auf einmal gar nicht mehr zufrieden damit zu sein. Mercurias Stichelei gab ihm offenbar zu denken.

«Eitle Virtuosen», murmelte er. Es war schwer zu sagen, ob er geschmeichelt war oder empört.

Trotz meiner Erschöpfung kamen meine Gedanken nicht zur Ruhe, als ich mich endlich verabschiedet hatte. Kurz überlegte ich, ob ich Gennaro noch schnell Bericht erstatten sollte, aber aus dem Zimmer über seiner Werkstatt drangen Stimmen. Vielleicht war der Arzt gerade bei ihm oder schon wieder Caetani, also verschob ich meinen Besuch auf den nächsten Tag und legte mich ins Bett.

Doch dort stürzten sogleich die Gedanken wieder über mich herein und ließen mich keinen Frieden finden. Carlo Carafa war in der Nacht von Severinas Ermordung noch nicht abgereist gewesen, und nach allem, was ich inzwischen über ihn wusste, war es wahrscheinlich, dass er an der Tat beteiligt gewesen war. Den Brief an Bentrovato hatte er nicht von unterwegs geschrieben. Er war noch in der Stadt gewesen und hatte die Sache auf seine Weise

Irgendwann dämmerte ich doch weg und schlief fast bis zum nächsten Mittag durch. Während ich die Fensterläden öffnete, betrat der Grieche mit zufriedenem Gesicht den Hof.

«Diese Köchin», rief er zu mir herauf. «Was für eine Schönheit!»

Ich eilte nach unten und bestürmte ihn mit meinen Fragen. Ob man ihn ins Haus gelassen habe? Ob er Piero Carafa oder den Verwalter gesehen habe? Nein, er hatte sie vor dem Haus abgepasst. Welch eine Anmut! Diese blonden Haare, das könne man mit Safran oder Bleizinngelb gar nicht wiedergeben, da müsse man ja fast mit Blattgold arbeiten!

«Ja, ja. Wann kommt sie?»

«Heute Nachmittag. Sieh zu, dass du bis dahin dein Gesicht in Ordnung bringst, ich will einen Verkündigungsengel für die frohe Botschaft und kein aufgequollenes Murmeltier! Was weiß ich, mach einen Spaziergang an der frischen Luft, leih dir von Mercuria ein bisschen Schminke.»

Statt seinen Rat zu befolgen, begab ich mich zu Gennaro, dessen Genesung offenbar ganz gut voranschritt, jedenfalls hatte er das Bett verlassen und machte erste Schritte an Krücken. Meinen Bericht nahm er begierig auf, und als ich bei der Statue angelangt war, schüttete er sich vor Lachen aus.

«Alberto hat gesagt, die Farnese hätten sie verkauft.»

«Vielleicht haben sie das nur verbreiten lassen, weil sie inzwischen zu anstößig war. Der alte Farnese war Papst, und sein Enkel wollte ihn beerben, was er ja bekanntlich bis heute nicht geschafft hat. Sie haben sie nicht verkauft. Sie haben sie eingelagert.»

Ich wusste, was er dachte. «Vergiss es. Ich breche da nicht noch ein drittes Mal ein.»

«Schick doch wieder den Griechen vor. Den lässt du ja neuerdings den Laufburschen für dich machen.»

Aha. Die anderen hatten sich also schon wieder ausgetauscht, während ich noch geschlafen hatte.

«Wie viele Statuen von der Sorte gibt es wohl?», fragte ich.

«Keine Ahnung. Schauen wir doch mal beim guten alten Aldrovandi nach.»

Ich rannte nach unten und holte das Buch aus dem Regal. Fieberhaft durchforsteten wir das Verzeichnis. Priapos fanden wir in fünf Ausführungen: den in Farneses Magazin, einen weiteren in seiner Gartenvilla in Trastevere, einen in der Sammlung des inzwischen verstorbenen Kardinals Carpi und zwei weitere bei Herren, deren Namen mir nichts sagten.

«Klar», sagte Gennaro. «Farnese besitzt natürlich wieder gleich zwei von denen.»

«Wer weiß, vielleicht gibt es sogar noch mehr. Aldrovandi hatte ja wahrscheinlich nicht zu jeder Sammlung Zugang.»

Gennaro grinste. «Ich weiß, wen wir fragen können.»

«Wen?»

«Bitte nicht!»

«Oh doch. Fulvio Orsini.»

«Und wie kommen wir an den heran?»

«Du hast doch inzwischen Zugang zur Familie», sagte Gennaro mit anzüglichem Lächeln. «Ist Giordana nicht vielleicht zufällig seine kleine Lieblingsnichte?»

«Du hast sie wohl nicht alle! Den Teufel werde ich tun, mich an ihre Verwandten heranzumachen. Die bringen mich um.»

Der Gedanke, mich noch einmal in den Bannkreis von Kardinal Farnese einzuschleichen, gefiel mir ganz und gar nicht, jedenfalls nicht, bevor ich nicht ganz sicher sein konnte, dass er wirklich nichts mit dem Attentat auf mich zu tun hatte. Andererseits war Fulvio Orsini wahrscheinlich wirklich derjenige, der unsere Frage würde beantworten können.

Während ich noch nachdachte, waren von unten Stimmen zu hören. Ich ging zum Fenster und blickte hinaus. Gennaro humpelte mir hinterher und machte Stielaugen.

Da war sie, die Madonna. Der Innenhof erstrahlte. Es hätte mich nicht gewundert, wenn auch noch Harfenmusik erklungen und ein Engelsreigen am Himmel erschienen wäre.

Stattdessen erschien der Grieche. Sie wechselten ein paar Worte, die Köchin lachte scheu und sah sich neugierig im Hof um, während er den lässigen Künstler gab.

Ich eilte nach unten, verfolgt von Gennaros Protest.

«Und ich?»

«Schau vom Fenster aus zu!», rief ich über die Schulter.

Laura scherzte mit dem Griechen herum und verhandelte ihm dabei eine üppige Entlohnung für ihre Dienste ab. Oben hing Gennaro im Fenster. Bald darauf klappten auch bei Mercuria die Läden auf.

Für die beiden Zuschauer wurde es eine unterhaltsame Vorführung. Der Grieche befand, dass das Licht in seiner Werkstatt nicht ausreichte, also werde man draußen für die Verkündigung posieren. Sodann schleppte er die Requisiten heran: weite Gewänder, ein Pult und ein Buch, denn Maria sollte vom Engel beim Lesen überrascht werden. Es hätte echt nur noch gefehlt, dass er mir ein Paar Flügel umgeschnallt hätte.

Auf seine Anweisung legten wir die Kleider an, die er für uns vorgesehen hatte. Anschließend schickte er Laura ans Lesepult. Und weil der Verkündigungsengel den Ort des Geschehens natürlich nicht durch die Tür betreten konnte, sondern von oben herabzuschweben hatte, wies er mich an, auf den Granitblock vor Gennaros Werkstatt zu steigen.

Dann begann er, uns herumzukommandieren wie die Arbeiter bei seinem Einzug. Von oben regnete es launige Kommentare, aber der Grieche nahm keine Notiz davon.

«Laura, das Gesicht noch ein Stück weiter nach links.»

«Greif dir mal ans Herz. Ans Herz, nicht an den Hals.»

«Ein bisschen mehr Ergriffenheit, bitte. Danke.»

«Den Kopf ein bisschen neigen.»

«Das sieht nicht aus. Stell dich mal auf ein Bein. Das andere nach hinten abwinkeln.»

«So kann ich nicht stillstehen», protestierte ich.

«Gennaro, wirf mal eine Krücke runter.»

Das Gewünschte kam im hohen Bogen geflogen. Der Grieche fing die Krücke geschickt auf und reichte sie mir.

So ging das eine Weile. Als der Grieche endlich nichts mehr an unseren Posen auszusetzen hatte, holte er Zeichenpapier und Rötelstift und machte sich an die Arbeit. Als mein Bein nach einer halben Stunde eingeschlafen war, gewährte er uns widerwillig eine Pause. Neben ihm lag schon ein halbes Dutzend Blätter mit schnell und sicher hingeworfenen Skizzen.

Ich nutzte die Gelegenheit, um Laura in ein Gespräch über ihre Tätigkeit bei Piero Carafa zu verwickeln. Ein angenehmer Arbeitgeber sei der, großzügig, höflich und korrekt. Über seine kulinarischen Vorlieben kamen wir zu seiner kleinen Hausgemeinschaft. Laura war arglos und auskunftsfreudig, also wagte ich mich weiter vor. Ob sie auch im Haus wohne? Nein, sie lebe bei ihrer Mutter. Und der Gärtner? Paolo, ja, der bewohne eine Kammer unter dem Dach. Der Verwalter? Vincenzo, ein etwas unheimlicher, wortkarger Kerl sei das, und eigentlich auch kein Verwalter, sondern ein alter Bekannter des Hausherrn, der vor ein paar Jahren auf einmal vor der Tür gestanden habe.

«Ob ihr euch vielleicht mal langsam wieder auf eure Plätze begebt?», drängelte der Grieche.

Es folgte ein zweiter Durchgang. Mercuria hatte inzwischen die Lust verloren, offenbar hatte sie ihren Vorrat

In der zweiten Pause fragte ich sie über Piero Carafas Gewohnheiten aus. Ob er viele Freunde habe? Nein, nur wenige. Ein Geistlicher besuche ihn manchmal, so ein hagerer Kerl. Ob er gern ausgehe? Nein, selten. Und die anderen? Paolo so gut wie gar nicht. Vincenzo gehe dienstags immer in den Hortaccio, so einer sei das. Ob Piero Carafa nur dieses eine Haus besitze? Nein, er habe noch ein kleines Landhäuschen an der Via Aurelia, das er aber nur in der warmen Jahreszeit nutze. Am Samstag würden sie sich alle vier dorthin begeben, um den Garten in Schuss zu bringen, ein paar Ausbesserungsarbeiten zu erledigen und die Vorräte aufzufüllen. Ach was, alle vier? Ja, alle vier, da gebe es immer allerhand zu tun.

Innerlich hüpfte ich auf und ab, aber ich nahm mich zusammen und stellte noch ein paar Fragen über belanglose Dinge, um mein Interesse am Hausherrn weniger offensichtlich erscheinen zu lassen, bis der Grieche uns erneut auf unsere Positionen scheuchte.

Nach dem dritten Durchgang hatte er genug und entließ uns. Wir schälten uns aus den biblischen Gewändern und legten sie zusammen. Dabei fragte ich Laura beiläufig, wie lange sie eigentlich schon für Piero Carafa arbeite. Sie dachte kurz nach.

«Drei Jahre sind das jetzt schon. Wie die Zeit vergeht.»

«Und wie bist du an die Stelle gekommen?»

«Meine Mutter hat früher mal für seinen Onkel gekocht, für diesen Kardinal.»

Ich musste an mich halten, sie nicht am Arm zu packen. «Für Carlo Carafa?»

Ekelhaft ist gar kein Ausdruck, dachte ich.

«Sie hat irgendwann gekündigt, und kurz darauf wurde er verhaftet und verurteilt. Ich war damals noch ziemlich klein. Sie sprach eigentlich nie über diese Jahre, aber sie blieb bei den Carafa hängen. Nach einiger Zeit bot ein Neffe des Kardinals ihr eine Anstellung an, Alfonso Carafa, der war ebenfalls Kardinal, hatte nach dem Prozess eine Zeitlang in Haft gesessen und sich freigekauft. Er hatte mit diesen anderen Sachen nichts zu tun.»

«Mit welchen anderen Sachen?»

«Na, mit denen, wegen denen Carlo Carafa und die anderen drei hingerichtet worden waren. Meine Mutter nahm die Stelle an, er war ohnehin fast nie da, also kochte sie nur für die anderen Angestellten und hielt das Haus in Schuss. Als Alfonso Carafa vor fünf Jahren starb, hörte sie ganz auf. Kurz darauf tauchte sein Cousin Piero auf und suchte eine Köchin. So kam ich in sein Haus. Meine Mutter hat ihm vorher auf den Zahn gefühlt.» Sie lachte.

Ich lachte nicht. Ich suchte eine Zeugin für die Vorkommnisse im Haus von Carlo Carafa. Und hier wurde mir ganz unerwartet eine auf dem Silbertablett serviert. Ich war fassungslos.

«Ich muss deine Mutter sprechen», sagte ich mit zitternder Stimme. «So schnell wie möglich.»

Laura sah mich entgeistert an. «Warum in aller Welt?»

«Das muss ich ihr selbst sagen.»

Laura zog die Augenbrauen zusammen. Begriff sie immer noch nicht, dass das hier keine Plauderei über ihre Person war? Glaubte sie vielleicht, ich wollte um ihre Hand anhalten?

Damit ließ sie mich stehen. Der Grieche hatte von unserem Gespräch nichts mitbekommen, weil er währenddessen seine Entwürfe in die Werkstatt gebracht und an der Wand aufgehängt hatte. Laura ging hinein und betrachtete die Blätter eine Weile, fand, dass ihre Nase nicht gut getroffen sei, und musste sich von ihm belehren lassen, dass es sich hier wohl kaum um ihre Nase drehe. Wie gesagt, wenn es um die Kunst ging, verstand er keinen Spaß. Trotzdem schenkte er ihr eine seiner Zeichnungen.

«Soll ich die Nase noch nachbessern, oder nimmst du sie so?», fragte er schnippisch.

Ich verabschiedete mich eilig und begab mich zu Mercuria. Sie hörte sich meinen Bericht mit versteinerter Miene an.

«Morgen werden wir die Wahrheit erfahren», sagte sie düster. «Ich komme mit.»

«Wer weiß, ob sie sich an diese eine Nacht erinnert», gab ich zu bedenken.

«Es war Carlo Carafas Abschiedsfeier. Am nächsten Tag ist er nach Brüssel abgereist und blieb monatelang weg. Natürlich weiß sie das noch.»

Ich war skeptisch, aber ich sagte nichts. Wir tranken noch ein Glas zusammen. Mercuria war nicht in der Stimmung für lange Gespräche, also verabschiedete ich mich und ging zu Gennaro, der inzwischen wieder im Bett lag. Ich berichtete, während er seine pochenden Schmerzen mit Wein betäubte und auch mir immer wieder nachschenkte.

Und auch dieser Tag ging nicht ohne eine weitere

Als ich bei Gennaro aufbrach, war es schon dunkel, und schwindelig war mir zu diesem Zeitpunkt nur vom Wein, den ich aus freundschaftlicher Verbundenheit mit ihm getrunken hatte. Ich spielte noch kurz mit dem Gedanken, mich der nächsten Gazette zu widmen, aber außer Marienerscheinungen fiel mir nicht viel ein. Ich heizte den Kamin an und verfügte mich ins Bett. Das Licht der Fackeln im Innenhof tanzte an der Zimmerdecke.

Offenbar wiegte die Anwesenheit des Wächters mich derart in Sicherheit, dass der Schlaf mich tiefer in sein Reich ließ als in den Nächten zuvor. Ich träumte von einer wilden Jagd über die Dächer; Hand in Hand flohen Giordana und ich vor Fulvio Orsini, der in diesem Traum ihr Vater war und mit steinernen Geschlechtsteilen nach uns warf. Irgendwann lagen wir nebeneinander im Bett. Giordanas schlanke Finger spielten in meiner Hand.

Ich schlug die Augen auf. Von draußen wehte ein kühler Windhauch herein. Giordanas schlanke Finger spielten in meiner Hand.

Ich fuhr hoch.

Sie lag neben mir und blickte an die Decke. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass sie kam und ging, wie es ihr passte, dann war der hiermit wohl erbracht.

«Ich wollte dich nicht wecken», sagte sie, als teilten wir seit Jahren dieses Bett.

Auf die Schnelle fiel mir keine gescheite Antwort ein.

«Vielleicht wird’s mal Zeit, dass ich dir etwas erkläre.»

Sie rückte ein Stück von mir ab, und ich spürte, dass es ernst wurde. Ich rechnete damit, dass sie mir erläutern

«Auf der Piazza Scossacavalli habe ich dir gesagt, dass ich alle immer nur vor den Kopf stoße. Weißt du noch?»

Ich nickte. Keine Ahnung, ob sie es im schwachen Widerschein der Fackeln im Hof überhaupt sah.

«Ich hasse diese Gesellschaft da drüben auf dem Monte Giordano. Ich hasse ihren Dünkel und ihre Selbstgefälligkeit, ihre Überheblichkeit und Ignoranz, ihre Scheinheiligkeit und Verlogenheit, ihr albernes Gebaren, ihre lächerlichen Rituale, ihre zerstörerischen Ehrenhändel. Ich will nicht, dass sie mich anschauen, ich will nicht, dass sie mich ansprechen, ich will nicht, dass sie mir Komplimente machen, während sie hinter meinem Rücken über die widerspenstige kleine Kratzbürste lästern, die nicht unter die Haube zu kriegen ist. Wenn ich könnte, würde ich diesen ganzen Palast in die Luft sprengen, mit allen seinen Bewohnern, bis auf meinen Vater. Verstehst du das?»

«Noch nicht ganz», sagte ich.

«Niemand soll mir zu nah kommen. Aber bei dir ist das anders. Ich weiß nicht, warum. In deiner Nähe gibt diese ständige Wut in mir endlich Ruhe.»

«Und warum bist du so wütend?»

Sie nahm meine Hand und schwieg lange. Der Widerschein der Fackeln waberte an der Wand vor sich hin. Der Wächter hustete.

Leise fuhr sie fort: «Ich war zwölf. Mein Vater gab ein Fest. Jede Menge hohe Herrschaften. Ich hätte längst im Bett sein sollen. Aber ich war neugierig und übermütig, also sprang ich zwischen den Gästen herum. Einer war

«Mein Gott.»

«Als er fertig war, kam die Wut.»

Den letzten Satz hatte sie mit einer Sachlichkeit gesagt, die mich an Mercuria erinnerte, nachdem sie mir die Geschichte von ihrer Tochter erzählt hatte. Es war, als würde sie sich von außen betrachten.

«Hast du es deinem Vater nicht erzählt?», fragte ich vorsichtig.

«Nein. Niccolò Franco war der einzige Mensch, dem ich es gesagt habe. Er verstand diese Wut. Er trug sie selbst mit sich herum.»

«Aber warum nicht deinem Vater?»

«Um ihn zu beschützen.»

Ich war nicht sicher, ob ich richtig verstanden hatte. «Deinen Vater?»

«Ja. Ich bin eine Orsini. Mein Vater hätte ihn sofort erschlagen, und das hätte er mit dem Leben bezahlt.»

Ich begriff immer noch nicht ganz. «Warum?»

«Gegen diese Familie war damals kein Kraut gewachsen.»

Es durfte nicht wahr sein.

«Wer war es?», flüsterte ich.

«Giovanni Carafa. Der Bruder des Kardinals.»