«Ist der von dir, dieser Scheiß hier?», schnauzte Mercuria mich zur Begrüßung an, als wir uns drei Jahre später erneut gegenüberstanden.
Eins, zwei, drei Jahre, tatsächlich. Drei Jahre waren ins Land gegangen, in denen sich bei mir nichts verändert hatte: Ich hatte mich herumgetrieben, war den Mädchen hinterhergestiegen und hatte Gazetten voller wilder Geschichten verfasst. Die Kontakte zu den Zuträgern meines Onkels waren eingeschlafen, stattdessen hatte ich sein bescheidenes Vermögen verprasst und schließlich sogar das Haus belastet. Von Antonietto Sparviero war mir nur ein Dutzend Kisten voller Notizen, Nachrichten, Flugblätter und Gazetten aus vier Jahrzehnten geblieben, die seit seinem Tod in einer Ecke standen. Sollte den Gläubigern der Geduldsfaden reißen, würde ich bald auf der Straße stehen. Das Haus musste verkauft werden, um den letzten Rest des Erbes zu Geld zu machen. Ich war vierundzwanzig, abgebrannt und nichtsnutzig. Ich wusste, dass sich in meinem Leben etwas ändern musste. Und ich brauchte eine neue Bleibe.
Ein entfernter Bekannter hatte mir erzählt, dass eine entfernte Bekannte von ihm, eine gewisse Mercuria, eine Wohnung zu vermieten hatte. Oder war es ein Haus? So genau wusste er das nicht.
«Mercuria?», hatte ich gefragt. «Die Kurtisane?»
«Genau die. Sag bloß, du kennst die?»
Die Messe in Santissimi Apostoli fiel mir wieder ein, das gerissene Kleid, der Tumult in der Kirche, meine Heimfahrt in ihrer Kutsche, die Gazette, die ich noch in derselben Nacht betrunken am Schreibtisch verfasst hatte. Sie hatte sich damals ganz gut verkauft.
Und ausgerechnet diese Gazette war es nun, die Mercuria mir gleich zum Auftakt unter die Nase halten musste, nachdem der Bekannte einen Termin zur Besichtigung des Hauses vermittelt hatte. Ich war mir nicht sicher gewesen, ob sie sich überhaupt noch an mich erinnern würde. Nun stellte sich heraus, dass sie sich offenbar besser erinnerte, als mir lieb sein konnte. Das fing ja gut an.
Mercuria erwartete mich am vereinbarten Treffpunkt in der Tordurchfahrt zu einem Innenhof in der Via dei Cappellari, zwischen den Hutmacherwerkstätten, nur einen Steinwurf vom Campo dei Fiori entfernt. Es war ein Samstag, und der Pferdemarkt auf dem Platz ging seinem Ende zu. Menschen drängelten sich an uns vorbei, Händler holten ihre in den Seitenstraßen abgestellten Karren ab und schoben sie rücksichtslos durch das Gewimmel in der ohnehin schon schmalen Straße, über der sich kreuz und quer die Wäscheleinen spannten. Ein Pferd stieg und riss dabei den Ständer eines Mützenmachers um, überall wurde geschrien, gelacht und gepfiffen, während vom Platz her das Wiehern und das Hufgeklapper der Gäule herüberschallte und über den verwinkelten Dächern ein vielstimmiges Glockengeläut wehte. Ich kannte die Gegend ganz gut, weil einer meiner Drucker seine Werkstatt am Campo dei Fiori hatte und weil ein paar Straßen weiter das Bankenviertel begann, wo mein Onkel einen guten Teil seiner Zeit verbracht hatte, um Gazetten und Berichte auswärtiger Novellanten zu kaufen, seine Zuträger zu treffen oder sich einfach nur umzuhören. Ich hatte ihn manchmal begleitet, jedenfalls in der ersten Zeit, als er noch gehofft hatte, mich zu seinem Nachfolger machen zu können.
Da stand sie also, ungezwungen an den Torpfeiler gelehnt, in den die Radnaben der durchfahrenden Wagen im Lauf der Jahre tiefe Scharten gewetzt hatten. Sie trug ein schlichtes Wollkleid und hatte die Haare lose zusammengebunden, und selbst in dieser lässigen Aufmachung war sie eine Erscheinung, ja, gerade in dieser Aufmachung, die einen so deutlichen Kontrast zu ihrem feinen Gesicht mit den strahlenden Augen darstellte. Ihr ganzer Körper war eine fließende Drehung, als posierte sie für ein Gemälde von Parmigianino, aber sie posierte eben nicht: Was andere in eitlem Bemühen einstudierten, war seit Jahrzehnten ihre natürliche Haltung, als wäre dieser abgewetzte Travertinpfeiler eine hochkant gestellte Polsterliege, auf der eine Königin die Bittsteller empfängt. Und genau das war sie: eine Königin. Und genau das war ich: ein Bittsteller.
Ihre Augen blitzten mich an, und ich vermochte nicht zu sagen, ob sie ernsthaft wütend war oder nur spotten wollte; erst später lernte ich, das zu unterscheiden. In der rechten Hand hielt sie also meine drei Jahre alte Gazette. Oben auf dem Blatt prangte ein grobschlächtiger Holzschnitt mit ein paar knienden Gestalten, die sich vor einem in einer Engelswolke schwebenden Heiland niederwarfen – eine Darstellung, die der Drucker damals in seinem riesigen Fundus von Bildern aufgestöbert, für halbwegs passend befunden und über dem Bericht eingefügt hatte, weil illustrierte Blätter sich auf der Straße nun einmal besser verkaufen. Zugegeben, alles in allem war das weder eine geistige noch eine handwerkliche Meisterleistung gewesen, aber der Text hatte die Zensur ohne Beanstandungen passiert. Wie hatte Mercuria sie ausgerechnet jetzt in die Finger bekommen, in diese Finger, die ich nun erstmals ohne Handschuhe sah, auch sie schmal und weiß, wie von Parmigianino gemalt?
Sie stieß voller Verachtung die Luft aus, holte mit dem Blatt aus, als wollte sie es mir um die Ohren hauen, um mich dafür zu bestrafen, dass ich unser damaliges Kennenlernen durch die lügenhafte Darstellung der Umstände entwertet hatte.
«Ja, dieser Scheiß ist von mir», sagte ich und versuchte meinem unbeholfenen Grinsen einen resignierten Ausdruck zu geben; als hätten höhere Mächte mich gezwungen, einen solchen Unsinn zu Papier zu bringen.
«Antonietto Sparviero würde sich im Grab umdrehen», setzte sie nach.
Ich erinnere mich sehr deutlich, dass sich bei diesen Worten ein leichter Trotz in mir regte. Was gab ihr eigentlich das Recht, meinen verstorbenen Onkel als Zeugen gegen mich aufzurufen? Ausgerechnet ihr, einer Person, die ihr Geld ja wohl mit weitaus anstößigeren Tätigkeiten verdient hatte? Später, als ich besser wusste, was ich mir bei ihr erlauben konnte, fielen mir natürlich alle möglichen Antworten ein. Allerdings begriff ich später auch, dass das Kurtisanengeschäft für sie eine durch und durch ehrenwerte Arbeit war, im Gegensatz zur gewerbsmäßigen Verbreitung von Lügen, wie ich sie betrieb.
Mercuria hatte offenbar beschlossen, mich nicht weiter zu triezen, und sie schlug einen versöhnlicheren Ton an. «Bist ein hübscher Kerl ohne dieses Kleid.»
Wie sie es sagte, klang es kein bisschen zweideutig, eher wie ein Befund als wie eine Schmeichelei. Ich darf hinzufügen, dass ich oft Komplimente dieser Art bekam, und das sage ich nicht aus Eitelkeit, sondern nur zur Erklärung.
Mit einem Nicken stieß sie sich vom Pfeiler ab und winkte mir, ihr in den Innenhof zu folgen. Wir durchquerten den Tordurchgang, Mercuria mit federleichtem Gang vorneweg. In ihrem hellen Wollkleid wirkte sie wie ein Engel, der mir durch das Dämmerlicht voranschwebte. Eine Katze, die in einer Ecke gekauert hatte, schoss als Schatten davon wie ein bei finsteren Umtrieben aufgescheuchter Dämon.
Ich war aufgeregt. Vielleicht bilde ich mir das im Nachhinein auch nur ein, aber ich glaube, ich spürte schon in diesem Moment, dass hier nun endlich ein neuer Abschnitt meines Lebens beginnen und dass Mercuria eine wichtige Rolle darin spielen würde. Die Via dei Cappellari bildete die Grenze zwischen Parione und Regola, und das gefiel mir: Parione, die gediegene Welt meines Onkels, der Stadtteil der Literaten, Notare und Verleger, der Kardinalspaläste und Botschafterresidenzen; und Regola, das im Süden bis zum Flussufer reichende Viertel der Handwerker und Tavernenwirte, wo Pilger aus allen Ländern der Christenheit auf einheimische Raufbolde, Beutelschneider und Prostituierte trafen. Streng genommen war die Via dei Cappellari nicht so sehr eine Grenze, sondern eher eine Naht, die nicht trennte, sondern verband, was ohnehin ineinanderwucherte: An Markttagen strömte das Volk auf der Piazza Navona zusammen und erinnerte die feinen Herren in Parione daran, dass die Stadt ihnen nicht allein gehörte, während der allerfeinste dieser Herren, Kardinal Farnese, die Bevölkerung von Regola im Glanz seines fast fertiggestellten Palastes baden ließ, dessen prachtvolles Gesims die verschachtelten Dächer der Umgebung überragte. Ich kannte den Palazzo Farnese und seine Umgebung aus meiner Kindheit, denn mein Vater hatte eine Zeitlang für den Kardinal gearbeitet, worauf ich gleich noch zurückkommen werde.
Mercuria geleitete mich in den schönsten Innenhof, den ich je gesehen hatte: Um die freie Fläche, die tatsächlich gepflastert und überdies sauber gefegt war, drängte sich ein halbes Dutzend Häuser. Winzige Balkone, schiefe Treppen und Anbauten auf hölzernen Stelzen. Überall Blumenkübel. Die Ziegelmauern waren an vielen Stellen mit Bruchstücken antiker Bauten ausgebessert und ergänzt worden; je länger man hinschaute, desto mehr Skulpturfragmente entdeckte man, eine Hand, ein Eierstabrelief, ein halbes in makelloser Capitalis eingemeißeltes Wort. Gegenüber der Durchfahrt lag ein flaches Gebäude, in dem sich offenbar eine Steinmetzwerkstatt befand: zwei breite verschlossene Holztore und davor ein Granitblock, auf dem ein Hammer und mehrere Meißel herumlagen, umgeben von einem bunten Gesprenkel aus Steinsplittern. Rechter Hand wurde der Hof durch ein größeres dreistöckiges Haus abgeschlossen, vor das ein auf zwei ungleiche Säulen mit nachträglich aufgesetzten Kapitellen gestützter Altan gestellt war. Ein Spalier von Blumenkübeln verriet, dass sich darüber eine Terrasse befand.
Mercuria blieb stehen und wies in die Runde. «Bitte sehr», sagte sie mit einem strahlenden Lächeln.
«Alles deins?», fragte ich.
«Alles meins, bis auf das Vorderhaus. Marcello, der alte Raffzahn, will nicht verkaufen. Ich habe schon überlegt, ob ich ihm nicht einfach ein paar Schläger vorbeischicken soll.»
Ich nahm nicht an, dass die letzte Bemerkung ernst gemeint war, obwohl Mercuria keine Miene dabei verzog.
«Du kannst dir nicht vorstellen, wie das hier vorher ausgesehen hat. Alles verfallen und heruntergekommen. Das waren zwei Jahre Arbeit. Nachdem die Ratten ausgeräuchert waren, habe ich zehn Karren Dreck aus den Kellern geholt. Dann habe ich die Wände abgestützt und ausgebessert, die Kamine aufgemauert, die Balken ausgetauscht, die Zwischengeschosse eingezogen, die Dächer gedeckt und den Hof gepflastert.»
Sie sprach, als hätte sie alle diese Arbeiten selbst erledigt. Natürlich hatte sie das nicht, aber die Art, wie sie darüber redete, sagte viel über sie aus: Sie war stolz darauf, auf niemanden angewiesen zu sein und die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Erst viel später, als ich ihr Geheimnis kannte, begriff ich, dass sie sich in dieses Vorhaben auch deshalb gestürzt hatte, weil sie nur so ihre Untätigkeit in einer anderen Sache ertragen konnte.
Sie wies auf den Altan. «Die Säulen hat Pirro von der Bauhütte abgezweigt. Du glaubst gar nicht, was sie da alles in die Fundamentgruben kippen.»
Es war nicht zu überhören, dass sie den Namen fallengelassen hatte, um mir zu zeigen, mit wem sie so verkehrte: Sie meinte nicht irgendeine Bauhütte, sondern die des Petersdoms, und Pirro war nicht irgendein Maurermeister, sondern Pirro Ligorio, der große Architekt. Trotz ihrer Selbstsicherheit hatte Mercuria gelegentlich das Bedürfnis zu demonstrieren, dass ihr in dieser Gesellschaft, die in den letzten Jahren mehr und mehr auf Distanz zu ihresgleichen ging, immer noch der verdiente Respekt entgegengebracht wurde.
«Gefällt es dir?»
«Und wie.»
Mercuria wies auf ein schmales Häuschen zur Linken: «Das da steht leer. Wenn du willst, kannst du gleich einziehen.»
Ich war sprachlos. Ein warmes Gefühl durchströmte mich beim Anblick dieses wunderschönen Innenhofes, über dessen Dächern der Palazzo Farnese in der Abendsonne glühte. Ich spürte, wie dringend ich Heilung brauchte, und ich ahnte, dass ich sie hier finden würde. Mein Onkel war trotz seiner herben Art das Fundament und der Kompass meines Lebens gewesen, auch wenn ich erst nach seinem Tod zu ahnen begonnen hatte, was ich ihm bedeutet und mit welcher Redlichkeit er mich auf den richtigen Weg zu bringen versucht hatte. In den vergangenen drei Jahren hatte ich mich schlingernd durch mein Dasein bewegt wie ein Rad mit einer Unwucht. Und jetzt hatte ich plötzlich das Gefühl, behutsam auszurollen. Es war wie ein Wunder, und Mercuria verstand das. Sie wusste, was es hieß, Heilung zu suchen, auch wenn ich das damals noch nicht ahnen konnte.
Und darum machte sie auch nicht mehr viele Worte, sondern ging voraus, die Gazette immer noch in der Hand. Sie schloss das kleine Haus auf, ließ mich eintreten und zog sich zurück, damit ich mich in aller Ruhe mit den Räumen vertraut machen konnte, die in diesem Augenblick mein Zuhause wurden, ohne dass dafür weitere Erklärungen erforderlich waren.
Das Haus war winzig. Es bestand aus zwei übereinanderliegenden Zimmern, die im hinteren Bereich über eine Treppe verbunden waren. Unter der Treppe verbarg sich eine kleine Tür, die zu einem Hinterhof mit Holzlager führte. An der Längsseite des unteren Raumes befand sich ein Kamin, dessen Schacht nach oben durchgemauert war, um die Wärme des Feuers auch in den oberen Raum abzugeben. Die Wände waren ockerfarben verputzt, der Boden bestand unten aus festgestampfter Erde, oben aus frisch abgehobelten Holzdielen. Unten standen ein Tisch, ein paar Schemel und eine Truhe, oben ein Bett und ein kleines Schränkchen.
«Die Möbel kannst du übernehmen, wenn du willst!», rief Mercuria von draußen, als hätte sie durch die Wand gesehen, was ich gerade betrachtete.
Ich blickte aus dem Fenster. Da stand sie, weiß und strahlend, zwischen den Säulen ihres Altans.
«Vielleicht verlegt Gennaro dir unten ein paar schöne Steinplatten», fügte sie hinzu. Und wie um dieses Vorhaben gleich in die Tat umsetzen zu lassen, trat sie an eins der breiten Holztore und schlug ein paarmal mit der Faust dagegen.
«Gennaro! Meinst du nicht, du könntest deinen Hintern mal langsam aus dem Bett wuchten?»
Als Antwort kam mit kurzer Verzögerung ein dumpfer Schlag, als hätte jemand etwas Schweres von innen gegen die Tür geworfen. Dann rührte sich nichts mehr.
«Ja?», fragte Mercuria, als ich wieder vor ihr stand.
«Ja», sagte ich feierlich.
Ich kann kaum beschreiben, wie glücklich ich war, als wir uns kurz darauf bei ihr gegenübersaßen, jeder mit einem kleinen Glas vor sich. Im Kamin brannte ein Feuer, die Fenster zum Innenhof und die Tür zum Altan waren geöffnet, um das letzte Tageslicht hereinzulassen. Alles in diesem Zimmer war kostbar: Der Tisch mit den Intarsien, der dazu passende Sekretär, die Stofftapeten, die Kristallkaraffe mit dem funkelnden Wein, die hüfthohe Marmorstatue eines nackten Fackelträgers in einer Ecke. An den Wänden hingen Gemälde, ein paar Votivbilder, dazu ein halbes Dutzend Porträts von Männern, allesamt hervorragend ausgeführt nach der Manier Raffaels und Sebastiano del Piombos. Während ich die Bilder betrachtete, betrachtete Mercuria mich.
Hatte ich schon gesagt, dass ich mich mit Bildern auskenne? Nein? Dann muss ich das hier noch einmal kurz erläutern. Mein Vater war Maler. Seinen Namen wird man bei Vasari vergeblich suchen, obwohl er ein ehrenwerter Künstler mit solidem Gespür für die Wünsche der Kundschaft und die Manier seines Arbeitgebers war. Dieser Arbeitgeber war jahrelang niemand Geringeres als Francesco Salviati. Die Begabung und die Anpassungsfähigkeit meines Vaters empfahlen ihn immerhin dafür, unter Salviatis Anleitung einige Nebenfiguren auszuführen; sodann folgte er dem Meister nach Florenz, wo ich geboren wurde, während mein Vater sich die Trauer über den plötzlichen Tod meiner Mutter von der Seele malte, die im Kindbett gestorben war. Bald darauf zogen wir wieder nach Rom. Salviati war sehr gefragt, ein Auftrag folgte auf den anderen, und trotz seiner Undankbarkeit und Arroganz hielt mein Vater ihm die Treue. Und so sehe ich meinen Vater in meinen frühesten Erinnerungen immer am Zeichentisch über Entwürfe gebeugt oder farbverschmiert auf den Gerüsten. Ohne Leute wie ihn hätte Salviati einpacken können; als er gekränkt nach Frankreich ging, folgten wir ihm ebenso wie knapp zwei Jahre später, als er noch gekränkter nach Rom zurückkehrte. Farnese gab ihm den Auftrag, seine Familie in einem großen Saal des neuen Palastes zu verherrlichen, und noch heute sehe ich diese Bilder in allen Einzelheiten vor mir: Schlachtgetümmel, Triumphe, Audienzen unter Baldachinen, Fahnen und Lorbeerkränze, Herren in Rüstung und Herren im Bischofsornat, umrahmt von Festons, Posaunenengeln und Muskelmännern, die in aberwitzigen Verrenkungen das Lilienwappen hochhalten. Mein Vater arbeitete wie ein Besessener, und dieses eine Mal erwies Salviati ihm eine Gunst: Auf einem der Bilder lehnt ein blond gelockter Junge an einem Pfeiler neben der Treppe zum päpstlichen Thron. Dieser Junge bin ich. Und als hätte mein Vater sein ganzes Leben lang nur darauf hingearbeitet, der Nachwelt neben seinem Sohn auch dessen Bildnis zu hinterlassen, fiel er kurz darauf von einem Gerüst und brach sich das Genick.
Es ist bezeichnend für die fast schon unheimliche Vertrautheit, die sich zwischen Mercuria und mir vom ersten Moment an einstellte, dass ich ihr an jenem Abend zwischen ihren Bildern gleich diese ganze Geschichte erzählte. Mir entging nicht, dass sie ein paarmal die Zähne zusammenpresste, als ich vom Tod meines Vaters sprach, wie jemand, dem der Verlust etwas Vertrautes ist.
«Und dann?», fragte sie behutsam.
«Mein Onkel nahm mich bei sich auf. Da war ich vierzehn Jahre alt.»
Sie seufzte und drehte ihr Glas in der Hand, als müsste sie mir möglichst schonend etwas beibringen. Schließlich griff sie nach der Gazette, die sie neben sich auf einem Schemel abgelegt hatte, und schob sie zu mir über den Tisch. Draußen war es inzwischen dunkel geworden, und das Kaminfeuer war die einzige Lichtquelle, sodass der Text kaum noch zu entziffern war und der Blödsinn, den ich da zusammengeschrieben hatte, mir nicht gleich Wort für Wort entgegensprang.
«Aber es war wohl kaum Antonietto Sparviero, der dir das hier beigebracht hat», sagte sie eher mitleidig als tadelnd. «Es wird dich wahrscheinlich wundern, aber ich habe ihn gekannt. Ich habe ihm gelegentlich Kontakte zu Mädchen vermittelt.»
«Ach was.»
«Nicht das, was du denkst. Dein Onkel brauchte Informationen, die gewisse Herren bei den Mädchen im Bett ausgeplaudert hatten.» Sie sah mich prüfend an. «Ich nehme an, er hat sich redliche Mühe gegeben, dich in sein Metier einzuführen.»
Ich nickte traurig.
«Aber es ist ja nicht zu spät.»
«Er ist tot.»
«Du aber nicht.»
Draußen rumpelte es. Angeln quietschten.
Mercuria stand auf und trat zur Tür, die auf den Altan führte.
«Und der da offenbar auch nicht. Noch so einer, der seine Begabung nicht ausschöpft.» Sie trat in die kühle Abendluft und räusperte sich. Von unten waren schlurfende Schritte zu hören. «Ah, Gennaro! Kannst du schon wieder Wein trinken?»
«Klar», schallte eine Stimme herauf.
«Na, dann komm rauf. Der Neue ist da.»
Die Treppe knarrte. Jemand mühte sich stöhnend nach oben. Dann erschien ein Riese in der Tür, der offenbar tatsächlich gerade erst aus dem Bett gekrochen war: zerzauste Haare, verquollene Augen und ein Hemd, das bis zum Bauchnabel offen stand. Er rieb sich den Kopf und stöhnte erneut. Trotz seines Zustandes schien er guter Laune zu sein. Sein Mund, der von einem kurzen Bart umrahmt war, verzog sich zu einem Grinsen, als er mich erblickte. Wie Mercuria gehörte er zu den Leuten, denen man ansah, dass sie viel und gerne lachten. Er gefiel mir sofort.
Mercuria schenkte uns ein. Gennaro setzte sich, wir erhoben die Gläser und tranken. Er hatte schwielige Pranken mit abgebrochenen Fingernägeln.
«Gennaro ist Bildhauer», sagte Mercuria. «Er hat jede Menge Talent, aber was ihm fehlt, sind Aufträge, bei denen er das beweisen kann. Er könnte der neue Michelangelo werden. Stattdessen schlägt er sich die Nächte um die Ohren, schläft bis zum Nachmittag und kopiert für ein paar Münzen antike Statuen.»
Gennaro verdrehte die Augen. Es war nicht zu erkennen, ob er geschmeichelt wegen des Vergleichs war oder peinlich berührt wegen des Tadels.
«Und dieser Michelangelo hier», sagte Mercuria und wies zuerst auf mich, dann auf das Blatt auf dem Tisch, «schreibt für ein paar Münzen Gazetten, die unter seiner Würde sind.»
«Na, ein Glück, dass wenigstens eine Person hier am Tisch ihre Talente genutzt hat», knurrte Gennaro – eine Unverschämtheit, die mir verriet, wie vertraut die beiden waren.
«In der Tat», gab Mercuria gutgelaunt zurück. «Denn sonst würden wir hier keinen feinen Grenache trinken, sondern den Fusel aus Korsika, den du da unten bei der Arbeit immer säufst.»
«Ich saufe nicht bei der Arbeit.»
«Ach, darum arbeitest du nie. Damit du immer saufen kannst.»
«Können wir das heute vielleicht mal beiseitelassen?»
«Na gut. Dann erzähl unserem Michelangelo doch mal, wer alles zu unserer kleinen Hofgesellschaft gehört.»
Gennaro grinste und nahm noch einen Schluck, offensichtlich erleichtert, dass seine Arbeitsmoral und seine Trinkgewohnheiten nicht länger das Thema des Gesprächs sein sollten. Er rieb sich erneut den Kopf, als müsste er nachdenken.
«Also», sagte er schließlich und wies mit dem Daumen hinter sich, zum Innenhof, der inzwischen in völliger Dunkelheit dalag. «Erstes Haus links: Gianluca aus Pesaro und seine Schwester Antonella.»
«Die natürlich nicht seine Schwester ist», ergänzte Mercuria. «Sie sind zusammen durchgebrannt und werden gesucht, aber niemand weiß, dass sie hier sind.»
«Inzwischen weiß eigentlich jeder, dass sie hier sind», korrigierte Gennaro.
«Pesaro ist weit.»
«Auch wieder wahr. Zweites Haus links: Michelangelo, der Gazettenschreiber.» Gennaro warf einen kurzen Blick auf die Gazette auf dem Tisch und zog eine Augenbraue hoch.
«Wer hat da eigentlich vorher gewohnt?», fragte ich schnell.
«Francesco. Ein Opfer der Residenzpflicht», erklärte Gennaro.
«Er hat eine gutdotierte Pfarrei in Gaeta», ergänzte Mercuria. «Vor ein paar Monaten haben sie ihn vor die Wahl gestellt, auf die Stelle zu verzichten oder abzureisen und sich um seine Schäfchen zu kümmern. Bis dahin hatte das ein Vikar für ihn erledigt, der nicht einmal lesen konnte. Solche Sachen gehen jetzt nicht mehr. Das hat er Ghislieri zu verdanken.»
«Er hat es einfach zu toll getrieben», warf Gennaro ein.
«Das sagt der Richtige.»
«Ich habe keine Priesterweihe.»
«Es ist ja nicht das Saufen, was sie ihm verboten haben. Ich rede von den Damenbesuchen.»
«Ach das», winkte Gennaro ab. «Da waren aber auch manchmal ein paar Früchtchen dabei.»
«Sagt schon wieder der Richtige. Aber seit sie die Frauen weggesperrt haben, war kaum noch was los. Zu meiner Zeit gab es so was nicht. Da wurde unsereins noch geachtet.»
Erneut verdrehte Gennaro die Augen. Dann fuhr er fort, an mich gewandt: «Na, jedenfalls wohnt rechts von dir gleich der nächste Priester. Bartolomeo. Einer, der seine Arbeit ernst nimmt. Der anständigste Mensch, den ich kenne.»
«Was bei dir nicht viel heißen will.»
«Schönen Dank auch. Im Haus an der Ecke, neben meiner Werkstatt, wohnt Antonio. Ein hervorragender Arzt, falls du mal einen brauchst. War früher Jude und hieß Abraham …»
«Moses», korrigierte Mercuria.
«Vielleicht auch Salomo, keiner weiß das so genau. Wir nennen ihn mal so, mal so. Jedenfalls hat er sich taufen lassen und ist hergezogen, weil er es im Ghetto nicht mehr ausgehalten hat. Alle haben ihn dafür schief angesehen, aber unsere Mercuria hat ein Herz für Geläuterte und Ungeläuterte aller Art.»
«Sei froh, sonst wärst du gar nicht hier, bei deiner Zahlungsmoral», sagte Mercuria und hob ihr Glas. Dann sah sie zu mir. «Wo wir gerade von Geld reden: vier Scudi im Monat. Kannst du das aufbringen?»
Ich musste lachen. Der Wein und das gelöste Geplauder der beiden hatten mich mutiger gemacht. Ich klopfte auf die Gazette auf dem Tisch, die damals sogar in verschiedene Sprachen übersetzt worden war. «So schlecht verdient man damit nicht.»
«Umso schlimmer. Sind wir uns einig?»
Ich nickte.
«Dann herzlich willkommen, Michelangelo.»
Wir tranken uns zu. Es war ein Augenblick, den ich nie vergessen werde. Eine unglaubliche Ruhe erfasste mich. Und ohne dass ich Mercuria kannte, verstand ich, mit welcher Sorgfalt sie die Menschen ausgesucht hatte, die rund um diesen Innenhof zusammenlebten. Die Selbstverständlichkeit, mit der ich plötzlich dazugehörte, überwältigte mich. Ich hoffe, es ist irgendwie verständlich, wenn ich sage: Alles Vorherige erschien mir unfertig. Das Leben mit Salviati, dem ungnädigen Tyrannen, die Bemühungen meines Vaters, dieses Dasein dennoch erträglich zu machen, die erdrückenden Erwartungen meines Onkels, das ziellose Herumtreiben nach seinem Tod. Dieser Ort war eine Burg, deren Eingang man leicht verteidigen konnte und die dennoch mitten in einer Umgebung voller Möglichkeiten lag.
«Kannst du ihm unten den Fußboden machen?», fragte Mercuria, an Gennaro gewandt.
«Sicher.»
«Wo kriegst du die Steine her?»
Gennaro lachte unternehmungslustig. «Die klauen wir natürlich auf irgendeiner Baustelle.»