»Doch, wirklich«, versichere ich Mitira mit Lachtränen in den Augen. »Sein Hintern hat mir in seiner ganzen Pracht entgegen gestrahlt.«
Anela hält sich kichernd die Hand vor den Mund. Mitira gluckst und blickt Noa schadenfroh an. Latya sitzt auf dem Schoß ihres Freundes und diesmal kann ich mit dem Anblick besser umgehen, denn eigentlich stört es mich gar nicht mehr. Jeder hier auf der Lichtung ist unschuldig und hat sich mit Thien und Paco zusammengetan, um gegen Kasis Wellen zu agieren. Sie wachsen mit ihnen auf. Sie sind ihre Freunde, ihre Leidensgenossen. Was sollte also dagegen sprechen, mit einem Moana zusammen zu sein?
»Ich weiß gar nicht, warum ihr alle lacht«, wehrt Noa ab, mit einem selbstbewussten Grinsen. Während seiner Worte tauchen auch noch Thien und Paco in der Hütte auf, hinter ihnen E’katarina und Eik. »Mein Hintern ist einer der tollsten auf der Welt.«
Ich nicke pflichtbewusst. Mein Herz pocht warm in meiner Brust, weil ich Spaß habe. Richtigen Spaß. Ich kann lachen, aus vollem Halse, mit Tränen in den Augen. Vor wenigen Wochen war mein Leben noch so ein Scherbenhaufen, dass ich sterben wollte. Nun sitze ich hier und kichere dümmlich. Auch wenn es wahrscheinlich nur für einen einzigen Abend ist. Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. »Das ändert nichts daran, dass dieser Anblick mir lieber hätte verschont bleiben sollen.« Ich kriege mich kaum noch ein. »Nun werde ich als verzweifelte Jungfer enden, weil niemand deinem Po das Wasser reichen kann und ich mich sonst immer nur mit dem Zweitbesten zufrieden geben müsste.«
Mitira lacht schallend auf und Noa stupst mir spielerisch gegen die Schulter.
»Also wenn du die nächste Runde Pflicht wählst, dann weißt du, dass wir die Bestätigung für deine Worte sehen wollen«, sagt Anela keck und ich muss mich zusammenreißen, sie nicht aus der Hütte zu schmeißen, weil dies absolut keine Themen für Mädchen ihres Alters sind.
Paco setzt sich mit zu uns in die Runde, direkt neben mir, neben ihm dann E’katarina. Thien setzt sich gegenüber, wo Anela und Mitira, Latya und ihr Freund sitzen. Nur Eik bleibt am Eingang der Hütte stehen. Auch wenn ich ihn nicht beachte, so spüre ich doch die ganze Zeit seinen Blick in meinem Rücken.
»Tja, Noa, leg los«, spotte ich, aber er bleibt ganz locker und erwidert mein Grinsen nur.
»Pflicht«, erwidert er doch tatsächlich und steht auf und zieht sich, während er uns die Kehrseite zuwendet, die Hose herunter. Mitira legt sofort die Hände über Anelas Augen, welche augenblicklich gegen ihre Erblindung protestiert. Ich selbst lache brüllend los. Eifrig klatschen wir danach alle in die Hände und applaudieren ihm für seinen Mut.
Nachdem er sich wieder hingesetzt hat, ist Anela dran.
»Wahrheit.«
»Gib ein Geheimnis preis«, fordert Noa zwinkernd von ihr und Anela wirft mir einen kurzen Blick zu.
»Kann es irgendein Geheimnis sein, oder muss es speziell mich betreffen?« Wieder fliegt ihr Blick kurz zu mir.
»Es muss nicht dich betreffen.«
Mir wird kotzübel. »Wag es nicht!«, drohe ich mit erhobenem Finger. »Wag es ja nicht!«
Anela beißt sich vor Lachen auf die Lippe und Noa drückt mir die Hand auf den Mund, damit ich schweige. Sofort beiße ich ihm die Hand, aber Anela quatscht schon los, bevor ich ihr erneut drohen kann. »Nayla hat mal an einem giftigem Frosch geleckt – es war eine Mutprobe und eine saudumme Idee, aber natürlich macht meine überaus reizende Schwester jeden Mist mit.«
Zweifelnd sehe ich sie an, beruhige mich aber wieder. »Es ist nichts passiert. Ich bin irgendwann eingeschlafen und die anderen haben gedacht, ich wache nicht mehr auf. Ansonsten hatte es keine Auswirkungen.«
Anela prustet los. »Das ist das, was sie dir erzählt haben, weil sie wussten, dass es dir total peinlich wäre.«
Geschockt reiße ich die Augen auf und vergrabe dann den Kopf in den Händen, da Anelas Gesicht vor Erheiterung schon hellrot leuchtet.
»Nayla hat an dem Tag gedacht, dass sie ein Schmetterling wäre«, erklärt Anela. Ich wage einen Blick hinter meinen Händen hervor, als ich höre, dass sie sich erhebt. Tränen des Spotts laufen ihr über die Wangen, als sie mich nun versucht nachzumachen. »›Ich bin ein Schmetterling‹«, fiepst sie. »›Ein bunter, großer Schmetterling.‹« Anela hebt die Arme wie Flügel und schwenkt sie auf und ab und vor und zurück und hüpft dabei leichtfüßig durch die Hütte. Alle fangen an zu lachen. Gackernd erzählt sie weiter. »Nayla lief über die halbe Insel und die anderen sind ihr die ganze Zeit hinterhergerannt und haben versucht, sie wieder einzufangen, aber Nayla ist ihnen immer wieder entwischt und war dann sogar ein paar Minuten wie vom Erdboden verschluckt.« Sie hüpft weiter durch die Hütte und nun muss auch ich lachen. Wenn ich Atréju und Keanu das nächste Mal sehe, dann werde ich sie umbringen.
»Als wir Nayla dann wiedergefunden haben, war sie splitterfasernackt und hüpfte engelsgleich über eine Wiese und sang dabei immer wieder, dass sie ein Schmetterling sei.«
Das Gegröle ist nun nicht mehr aufzuhalten. Mein eigenes Lachen ist auf einen Streich verschwunden. Ich werde sie wirklich umbringen! Wieso haben sie das zugelassen und wieso haben sie mir nie davon erzählt?
Es dauert eine schiere Ewigkeit, bis alle sich wieder erholt haben, denn so etwas witziges, hat sich noch keiner von ihnen geleistet – zu meiner eigenen Schande.
Bei meinen Ahnen, wie viele Menschen haben mich damals nackt über die Insel rennen sehen? Ich befürchte, die Röte wird nie wieder aus meinem Gesicht verschwinden.
Mitira ist an der Reihe und wählt Wahrheit. Da Anela die Menschen hier zu wenig kennt und nicht weiß, was sie Privates fragen kann, erkundigt sie sich, wie die Moana eine Verbindung miteinander eingehen. »Wenn man eine Verbindung miteinander eingehen und seinen Partner zu seinem Eigen erklären lassen wollte, dann ist man zusammen in die Schlucht hinunter gesprungen.« Ich reiße die Augen auf. Die Schlucht ist echt gruselig. Wer würde da freiwillig hinunterspringen? Derjenige muss ja echt wahnsinnig sein.
Mitira ist eine gute Geschichtenerzählerin und wenn ich ihr zuhöre, dann rausche ich immer direkt mit ihr in die Geschichte hinein, so ist es auch jetzt. »Ich habe mir immer versucht vorzustellen, wie das wohl ist«, erzählt sie verträumt, aber auch bedrückt, weil es diese Tradition seit Kriegsbeginn nicht mehr gibt. Der Ozean ist schließlich nicht mehr mit der Schlucht verbunden und ihre Vorfahren haben keinen Zugriff mehr auf sie. »Ich habe mir vorgestellt, dass ich dort stehe, mit dem Mädchen meiner Träume. Sie auf der einen Seite der Schlucht und ich auf der anderen. Die Sonne scheint. Unsere Füße versinken im Gras und im Moos. Die riesige Öffnung steht zwischen uns, aber dennoch sind wir zusammen und zeigen der Welt, dass wir es ewig sein werden und uns nichts trennen kann.«
Mein Blick fliegt unbewusst zu Thien, aber er starrt auf eine der Kerzen, die in der Hütte brennen und als einziges Licht spenden. Seine Haltung macht deutlich, dass er nicht zuhört, aber seine gespitzten Ohren und seine ruhelosen Augen, strafen ihn Lügen. »Dann sagt sie voller Inbrunst die Worte: ›Ich springe für dich, ich gebe mein Leben für dich.‹ Ich lächle und ich sehe ihr über die Schlucht hinweg geradewegs in ihre leuchtenden Augen und sage dieselben Worte … Und dann springen wir gemeinsam hinunter und lassen uns einfach in die Tiefe fallen. Wir spüren den Luftzug, unsere kribbelnden Mägen und landen im Wasser, welches uns auffangen wird, wie eine weiche Wolke.«
Mitira scheint völlig in dieser Vorstellung festzuhängen. Ihre strahlend blauen Augen blicken einen Moment lang in die Ferne. Dann wandern ihre Augen zu mir und ihr Lächeln ist so ehrlich und einnehmend, dass ich den Blick nicht abwenden kann. »Immer habe ich davon geträumt und nun – dank dir – ist diese Vorstellung gar nicht mehr so weit weg. Die Schlucht war immer nur ein schwarzer Abgrund auf dieser toten Insel, aber früher war er wie der Eingang direkt ins Herz des Ozeans hinein. Das Wasser war klar und rein. Man konnte die Fische und die Seesterne, die sich darin tummeln, sehen. Es soll so wunderschön gewesen sein, weil die Sonnenstrahlen von der Oberfläche reflektiert wurden und die Steinwände zum Glitzern gebracht haben.«
Ich bin erleichtert, als E’katarina sich dann erkundigt, ob es jemanden gibt, den Mitira für eine Verbindung infrage zieht. Die Röte in ihrem Gesicht verrät sie, dennoch schüttelt Mitira den Kopf.
Ein hinterhältiges Grinsen kann ich nicht aufhalten. »So wie du Hana immer hinterher starrst, denke ich doch.« Es ist gemein, etwas zu verraten, was Mitira wohl geheim halten wollte, aber manchmal bin ich auch echt fies. Vor allem, wenn ich mich in die Ecke gedrängt fühle.
E’katarina reißt die Augen auf. »Was? Wer ist Hana?«
Mitira glotzt mich an wie ein Reh, was einem Berglöwen gegenübersteht. »Ja, wer ist Hana? Nicht einmal ich weiß ihren Namen.«
Latya bekommt nun auch gieriges Interesse. »Ha! Also hat Nayla recht!«
»Ja, Nayla hat recht, aber sie weiß bestimmt nicht, wen ich meine. Außerdem habe ich sie immer nur von weitem gesehen und ich weiß gar nichts über sie. Nicht ihren Namen, nicht ihren Stand und ich weiß auch nicht, wo ihre Hütte liegt.«
Ich lache. Hinterhältig. »Ich weiß das alles aber.«
Sekundenlange Stille herrscht in der Hütte, Eiks Schnauben löst dann die Anspannung wieder. »Tja eine Kriegerin, die fürs Ausspionieren ausgebildet wurde, weiß das alles natürlich.«
Ich verdrehe die Augen. E’katarina keift ihn an, trotz ihrer Gefühle für ihn. »Hör bloß auf, mit deinem ewigen Rumgenörgele! Nayla hat bewiesen, auf wessen Seite sie steht, also reiß dich am Riemen.« Ihre sonst kleinlaute Stimme ist richtig boshaft und weist Eik tatsächlich in seine Schranken.
Mitira wird noch röter im Gesicht und fühlt sich sichtlich unwohl. Latya und E’katarina hingegen kommen gerade so richtig in Fahrt. »Erzähl uns alles, was du weißt.«
Abwehrend hebe ich die Hände. »Ich sammele keine Steckbriefe, oder so. Ich habe alle nur ein wenig beobachtet und gesehen, wie Mitira ihre Augen nicht mehr von ihr lösen konnte. Vorsichtshalber hab ich das Mädchen dann nur beschattet und mir grobe Informationen besorgt. Sie heißt Hana, ist alleinstehend und wohnt in der Hütte, die zum Strand führt. Die zwanzigste von rechts.«
Alle sehen mich mit ihren offen stehenden Mündern an. Nur Anela lacht. »Wie viele Namen hast du schon abgespeichert in deinem Kopf?«
»Knapp zweihundert«, gebe ich leise zu. »So viel Zeit hatte ich ja auch noch nicht.«
Pacos verwunderter Blick trifft mich von der Seite. In letzter Zeit ist er gar nicht mehr so angsteinflößend und einschüchternd, dennoch gehen wir uns beide eigentlich gegenseitig aus dem Weg. Noch mehr Streitereien brauchen wir schließlich nicht. »Also ist das nicht nur ein Gerücht, dass du dir alle Namen merken kannst?«
Aufrichtig sehe ich ihn an, entscheide mich dann aber für ein Schulterzucken, um der Information über mich die Verwunderung zu nehmen. »Jop, das ist nicht weiter schwer. Einmal gehört, vergesse ich den Namen nicht. Einmal gesehen, vergesse ich das Gesicht nicht.«
»Wie viele leben auf eurer Insel?«, hakt er neugierig nach. Er versucht immer noch hinter meine Fassade zu blicken, so wie ich hinter seine. Wir beide haben kaum Erfolg damit.
»Elftausend.«
Seine Augenbrauen wandern bis zum Haaransatz. »Du willst mir jetzt nicht weismachen, dass du die Namen all der Menschen kennst?«
Meine folgenden Worte sind mehr als trocken. »Nö, weismachen will ich dir nur, dass du Mundgeruch hast und er mich an ein verwesendes Tier erinnert.« Ich grinse selbstgefällig und alle brechen in Gelächter aus.
Wir spielen nun das eigentliche Spiel weiter und nur wenige Minuten später klage ich schon über Bauchschmerzen und hänge nicht mehr in Mitiras Vorstellungen der perfekten Verbindung fest. Auch wenn es fies war, ihr Geheimnis preiszugeben, hatte ich keine andere Wahl, denn während ihrer Worte habe ich nicht irgendjemanden in meiner Fantasie dort an der Schlucht stehen sehen, sondern Thien und mich selbst. Bilder, die meinen ganzen Plan zum Einsturz bringen und mich zweifeln lassen. Etwas, was ich nicht zulassen kann.
Während des ganzen Abends weicht Eiks Blick nicht einmal von mir, das weiß ich genau, auch wenn ich mit dem Rücken zu ihm sitze. Von wegen, er musste die letzten Zweifel ausräumen, denn seine Zweifel an mir, werden immer bestehen bleiben. Genauso wie ich weiß, dass er mir weiterhin gefährlich werden wird, weiß ich auch, dass diese Sache nicht gut ausgehen wird.