»Ihr könnt uns wirklich nicht sagen, was da unten passiert ist?«, fragt Anela zum gefühlt hundertsten Mal. »Kein Anhaltspunkt? Keine Idee?«
Eik und Noa schütteln gleichzeitig den Kopf. Zum hundertsten Mal. »Da war ein Summen, etwa so wie ein ganz weit entferntes Flüstern«, erklärt Noa, das Gesicht in den Händen vergraben. Wir sitzen alle bei Kasi in der Hütte an dem großen Tisch. Ich, Paco, Anela, E’katarina, Eik, Mitira, die Wachen Zoa und Kelo, Noa, Latya und ihr Freund Merea. Ihre Anwesenheit hat mich für ein paar Stunden abgelenkt, da sie zeitweilig über unverfängliche Themen gesprochen haben. Lange aber hat es nicht angehalten. »Stell dir vor, du lauscht an einer Wand. Du spürst die Vibration und hörst das Getuschel, aber du verstehst kein einziges Wort.«
Mitira klinkt sich in das Gespräch ein. »Warum hat sie sich dann die Ohren zugehalten? Denkt ihr, die Vorfahren haben mit ihr geredet? Warum nicht auch mit euch beiden? Waren nicht früher ihre Stimmen für jeden zu hören, der mit dem Wasser in Berührung kam?«
»Ist nicht viel wichtiger, warum sie sie zu einer von uns gemacht haben?«, knurrt Eik. Klingt ganz schön nach Neid, du Idiot. Hättest wohl auch gerne so viele verbundene Wellen auf der Brust, was?
Mein Bruder gibt ein maßregelndes Brummen von sich. »Sei bloß vorsichtig! Nicht, dass du noch was sagst, was meine Faust ermuntert, in deinem Gesicht zu landen.«
Nun mischt sich auch noch E’katarina ein. »Bleibt alle mal locker! Die Drei haben es überlebt und die Vorfahren haben anscheinend wieder eine Verbindung zu uns. Die Schlucht ist wieder wie früher und diese komische Leere ist verschwunden. – Das ist doch das Wichtigste.«
Zoa schnaubt. »Nicht, wenn ein taffes Mädchen wie Nayla plötzlich nur ein Häuflein Elend abgibt.« Er wirft E’katarina ein geringschätzigen Blick zu. »Ich war lange genug ihre Wache, um zu wissen, dass es kaum etwas gibt, was das Mädchen umhaut.«
Kelo gibt einen einvernehmlichen Laut von sich. Eigentlich ist er ein sehr schweigsamer Typ, aber heute beteiligt er sich vollauf an unseren Gesprächen. »N’ae, sie besitzt eine einzigartige Stärke. Ea’ iho ’mala.« Bei diesen Worten klopft er sich an den Kopf. »Um dies zu brechen, braucht es einiges.«
»Ist Nayla das schon mal passiert?«, fragt Latya an Anela gewandt. »Hatte sie schon einmal einen Nervenzusammenbruch?«
Anela zuckt deutlich unter den Worten zusammen, die Latya gebraucht hat. Fahrig schüttelt sie den Kopf. »Nicht in dieser Art, nein. Klar hat ihr Verlust sie immer mal niedergeworfen, aber sie weinte dann viel oder redete sich alles von der Seele, ließ sich zumindest von Freunden ablenken. Keanu hat es immer geschafft, sie wieder zum Lachen zu bringen und Atréju hat ihr immer gut zugeredet und ihr Mut zugesprochen. Sie war immer sehr anhänglich in solchen Zeiten und hätte nie jemanden von sich gestoßen.«
Wir verfallen in Schweigen. Jeder zermartert sich über irgendwas den Kopf. Da ich mit dem Rücken zum Eingang sitze, sehe ich nicht, wer die Hütte betritt. Dass es jemand Wichtiges ist, erkenne ich nur daran, dass alle zurückschrecken. Langsam wende ich den Kopf. Schlucke fest. Nayla und Kasi.
Ein bedeutungsschwerer Blick kommt sofort von Kasi, der uns alle dazu ermahnt, ruhig zu bleiben.
Nayla lässt ihren Blick über die versammelte Mannschaft schweifen. Sie sieht immer noch völlig fertig aus. Ihre Schnitte sind immer noch mit eingetrocknetem Blut besudelt, was wohl der Auslöser für die geschockten Blicke der anderen war. Ich habe ihnen nicht erzählt, dass Nayla sich selbst verletzt hat.
Kasi umrundet den Tisch, setzt sich in der Zeit zu uns und wartet, bis Nayla sich auf den letzten freien Stuhl neben ihn gesetzt hat. Mir fast gegenüber, aber bei dem großen Tisch kommt es mir vor, als sei ein ganzes Meer zwischen uns. Ihre Bewegungen sind unkoordiniert. Ihr Blick ist völlig abgedriftet und verschleiert. Zusammengesunken setzt sie sich hin und starrt ins Leere.
»Nayla hat mich darum gebeten, mit euch zu reden«, flüstert Kasi niedergeschlagen. So bekümmert habe ich ihn schon oft gesehen. Es ist dieser Blick, den er trägt, wenn er die Hoffnung verloren hat. Wenn es nichts mehr gibt, was uns aus der Misere locken kann. Wenn unser Tod besiegelt ist.
Angespannt blicken wir ihn an, warten darauf, dass er weiterredet. »Vorher möchte ich euch aber darum bitten, Nayla und mich nicht zu bedrängen und vor allem ruhig zu bleiben, wenn wir euch erzählen, was passiert ist. Das ist mir sehr wichtig, ansonsten dürft ihr an diesem Gespräch nicht teilhaben.« Kasi blickt uns nacheinander an und bekommt von jedem von uns ein schlichtes Nicken.
Ich lehne mich zurück, verschränke die Arme vor der Brust. Das Verhalten meines Vaters behagt mir ganz und gar nicht.
Kasi sammelt sich, aber wir warten vergebens auf seine Worte, während er die feingliedrigen Falten auf seinen Händen anstarrt. »Kasi, nun sag schon!« Es vergehen Minuten, in denen er tief einatmet, den Mund aufmacht und dann doch wieder schließt, ohne etwas gesagt zu haben. Nayla starrt die alte, verbeulte und zerkratzte Tischplatte an, damit sie von niemandem den Blick erwidern muss.
Es ist mir zu viel. Ich drehe durch. »Redet endlich!«, brülle ich und haue mit der Hand auf den Tisch. Nayla zuckt heftig zusammen und ihr schießen sofort die Tränen in die Augen. »Was verdammt noch mal ist da unten passiert? Warum haben die Vorfahren sie fast ertrinken lassen?«
»Thien!«, sagt mein Vater mahnend. »Die erste und die letzte Verwarnung!«
»Nayla ertrinkt fast, ist danach eine lebende Tote und verletzt sich selbst. Und du willst mich maßregeln, weil ich sie so sehr liebe, dass ich jeden Moment meinen Verstand verliere?«
Bedrückende Stille herrscht in der Hütte. Der Blick meines Vaters ist mehr als zornig. Ich hasse es, wenn seine bescheuerte Ader wie wild pocht.
»Sag es ihnen einfach, Kasi!«, drängt Nayla leise und wischt sich die Tränen vom Gesicht. »Erzähl es ihnen!«
Trotz ihrer Worte wirft er ihr einen Blick zu und studiert ihre Regungen. Tief einatmend wendet er sich dann an uns und legt endlich los. »Die Vorfahren haben mit Nayla gesprochen … und ihr … Bilder gezeigt. Bilder von den Dingen, die sie gesehen haben; Mithilfe ihrer eigenen Macht und mithilfe der Erinnerungen der Toten, die sie über all die Jahre aufgenommen haben.«
Vorsichtig nicken wir ihm zu, damit er weiterredet. Man merkt, dass er absichtlich langsam spricht. Er hat sich vorgebeugt und die Hände auf dem Tisch verschränkt. Sein Bein wackelt unter dem Tisch auf und ab. »Mit Worten waren sie aber sehr sparsam«, schildert Kasi. »Das meiste haben sie ihr gezeigt.« Noch einmal wirft er Nayla einen Blick zu, aber sie starrt immer noch auf die Tischplatte. »Wir waren einmal ein Volk«, beginnt er. »Ein einziges, nicht zwei. Vor ein paar Jahrhunderten trennten wir uns aber, da es einige Leute gab, denen die Differenzen zwischen den Ozeanbezwingern und den Pflanzenerschaffern zu groß waren. Ob es nun Neid, Eifersucht oder Machtgier war, sie schürten die Wut untereinander und es blieb den Vorfahren nichts anderes übrig, als sie zu trennen.«
Noch einmal atmet er tief ein. Wir anderen scheinen alle die Luft anzuhalten. »Die Insel spaltete sich in zwei einzelne. Ganze Familien wurden dabei auseinandergerissen, Brüder und Schwestern, Mütter und Väter, Liebende. Um auch die letzten Streitereien zu beenden, erschufen die Vorfahren die Iho Aloha. Wie erhofft, verschwanden die Wut und der Neid. Nach Jahrzehnten des Zorns war auf dieser Insel Ruhe eingekehrt und fortan wurden hier nur noch Moana und auf der anderen Insel die Ho’oulu geboren. Der Kontakt zwischen den Moana und Ho’oulu Vorfahren konnte über die Distanz aber nicht mehr gewährleistet werden, sodass sie nun getrennt voneinander über die Nachfahren wachen mussten. Seitdem sind sie ohne jeglichen Kontakt.«
Zoa beugt sich vor, sein Speer lehnt neben ihm an der Tischplatte. »Es ist ja nicht so, als wenn nicht jedem von uns mal der Gedanke gekommen wäre, dass wir uns einmal näher gewesen sein müssen.« Absichernd wirft er jedem von uns einem Blick zu, bevor er wieder Kasi ansieht. »Schließlich gab es damals, kurz nachdem dein Vater den Handel erstmals aufnahm, schon zu viele Gemeinsamkeiten. All die Rituale, die Lieder …«
Mein Vater nickt ihm zu. »Richtig, so überraschend ist das für uns nicht, aber wenigstens haben wir nun eine Bestätigung dafür, warum wir uns so ähnlich sind. Die Vorfahren begründeten Nayla unser Unwissen darüber damit, dass es unserem Schutz dienen sollte. Die Lebenden haben es auf Anraten der Vorfahren totgeschwiegen, bis die Erinnerung daran versiegte. Ziemlich bescheuert, meiner Meinung nach, denn ich denke, dass uns das mehr Probleme bereitet hat, als wenn wir die Wahrheit gewusst hätten. «
»Was ist da unten noch passiert?«, knurre ich, da mir langsam der Geduldsfaden reißt. Nayla ist bestimmt nicht so fertig, weil wir früher mal ein gemeinsames Volk waren.
»Das ist nicht so einfach zu erklären, wie du dir das vorstellst«, flüstert nun Nayla. Ihr Blick hebt sich langsam zu meinem. Ich breche unter ihren geröteten Augen, die so aussehen, als hätten sie noch Dutzende unterdrückte Tränen parat. Nur deswegen halte ich mich zurück und spreche kein Wort mehr. Balle meine Hand auf dem Tisch schlicht zur Faust.
Nun wendet sich Nayla an ihre kleine Schwester. »Anela?« Aus Naylas Blick spricht reine Vorsicht. Angst mischt sich auch darunter. »Du siehst immer mehr als andere und erkennst oftmals die Wahrheit viel früher als ich, deswegen will ich dich etwas fragen.« Ihr Blick senkt sich kurz wieder auf den Tisch, aber sie bemüht sich den Blick ihrer kleinen Schwester standzuhalten. »Wer ist dein Vater?«
Ich bin verwirrt, so wie die meisten anderen. Anela aber erstarrt innerhalb eines Wimpernschlags. Nayla nickt wissend. »Es ist nicht schlimm, dass du es mir nicht gesagt hast, Sommersprosse. Ich bin dir nicht böse, möchte nur sichergehen, dass ich alles richtig verstanden habe.«
Anelas Stuhl schabt über den Boden, als sie sich vom Tisch abstößt. Sie will aufstehen und der Situation entfliehen, aber Paco greift nach ihrer Hand und hält sie zurück. Ohne ihn anzusehen, erwidert sie den Druck seiner Hand. Wahnsinn, wie eng die beiden mittlerweile befreundet sind, wo Nayla mir doch erzählt hat, dass Anela kaum jemanden an sich heranlässt. Außer mit Paco unterhält sie sich fast mit niemandem hier. Lauscht immer nur den Worten der anderen und sitzt stillschweigend daneben, sodass man meist ihre Anwesenheit vergisst. Obwohl wir seit Tagen gemeinsam in einer Hütte schlafen, ist unser Verhältnis eher unterkühlt, auch wenn Nayla mir selbst erzählt hat, dass Anela sie dazu überreden wollte, die Iho Aloha zu akzeptieren. Es ist keinesfalls so, dass sie mit niemandem redet, weil sie diejenigen nicht mag. Es ist eher eine Basis des Vertrauens, schätze ich. Vielleicht auch die Angst davor, zu viele Gefühle für zu viele Menschen zu haben, die man eh irgendwann unweigerlich verliert.
Als Anela ihrer Schwester antwortet, ist es ein reiner Vorwurf. »Du weißt, dass er es war!«
Nayla zieht die Unterlippe zwischen ihre Zähne und wägt ihre Worte ab. »Ich wusste schon eine Weile, dass er dein Vater ist, aber erst durch die Erinnerung der Toten, die die Moana bei sich aufgenommen haben, konnte ich alles andere sehen.«
Ich setze mich weiter auf, strecke den Rücken und atme tief ein, um meine Aufmerksamkeit zu verbessern. Irgendwas Entscheidendes entgeht mir hier gerade. Ich blicke nicht mehr durch und bin wieder kurz davor meine Faust auf den Tisch zu donnern.
Ich warte darauf, dass Nayla weiterspricht, aber nun bricht es aus Anela heraus. »Lange Zeit habe ich es nicht verstanden, weil ich noch so klein war. Wir waren nicht mehr sehr weit vom Festland entfernt, als mir schummrig wurde, und ich wurde erst wieder wach, als wir schon längst auf dem Rückweg waren. Nur Norbu und ich auf dem Einbaum, von meiner Mutter keine Spur. Während er mich in den Arm nahm und mir erzählte, dass die Garde uns angegriffen hat, lagen meine Augen nur auf seinen Wunden.«
Tief einatmend gestikuliert Anela mit ihren Händen. »Die Kratzer, die seinen Oberarm überzogen. Ein Bissabdruck auf seiner Handfläche. Seine geplatzten Fingerknöchel. Dann, als wir zurück waren, brachte er mich zu dieser Familie, die mir eine heile Welt vorgaukeln wollte, obwohl alles um mich herum zerstört war und ich niemanden mehr hatte, der mir wichtig war.« Anelas Gesicht ist ausdruckslos und das macht mir mehr Sorgen, als wenn sie weinen, schreien und toben würde. »In der ersten Nacht kamen die Albträume und ich sah die ganze Zeit nur ihn. Sein scheußliches Gesicht, seine Wunden. Dann hörte ich eine Stimme, die um Hilfe schrie. Die um Gnade schrie. Die um ihre Tochter schrie.«
Anela verbirgt ihr Gesicht in den Händen. Paco legt ihr eine seiner Pranken auf die Schulter und Anela nimmt den Trost an. Jetzt erst sehe ich Tränen aus ihren Augen kullern. Ihre Stimme ist immer so erwachsen, genauso wie ihr Blick. Ganz so als hätte sie ihre Kindheit übersprungen und wäre schon als Erwachsene geboren. Zum ersten Mal klingt ihre Stimme anders. Tief verletzt und hilfsbedürftig. »Ich war noch so klein, Nayla. Ich habe es nicht verstanden, aber sobald ich ihn sah, hatte ich Angst in mir. Und alle anderen gehorchten ihm und waren mir keine Hilfe meine innere Zerrissenheit darüber zu verstehen, ob er nun böse war oder gut. Nur du warst da. Nur du standest da und hast genug Kraft gehabt, um gegen ihn anzugehen und du hast mir bewiesen, dass meine Angst keine Einbildung war und ich nicht falsch lag. Du warst mein sicherer Hafen, denn du warst die Einzige, die mir die Angst vor ihm nehmen konnte.«
Paco zieht sie auf seinen Schoss und tröstet sie. Sie stößt einen erleichterten Seufzer aus. Wenn ich in meinem Inneren nicht so betäubt wäre, dann würde ich mich darüber wundern, dass Anela jemanden so sehr an sich heranlässt und gleichzeitig Paco dafür bewundern, dass er so herzlich ist wie früher, bevor er seine Frau und sein Kind verloren hat. Sein großer Bruderstatus hat sehr gelitten, seitdem er beide an die Vorfahren zurückgeben musste, einfach weil er keine Kraft mehr hatte, sich um die anderen zu kümmern und für sie da zu sein. Nur für mich war er noch ein Bruder, nur für mich riss er sich am Riemen.
In Naylas Innerem scheint es zu brodeln. Ihre Worte sind voll unterdrückter Wut, während sie ihr Gesicht in den Händen vergräbt. »Wie naiv bin ich mein ganzes Leben lang gewesen, dass ich das nicht gesehen habe? Ich habe zu Anfang gedacht, als ich von alldem nichts wusste, dass du nur einen großen Bogen um Norbu machst, weil er die Erinnerungen an den Vorfall auf dem Festland wieder heraufbeschwört und du damit nicht umgehen konntest. Später dann, als ich wusste, dass er dein Vater ist, habe ich gedacht, dass du ihn verabscheust, weil er nie Interesse an dir und eurer Verbindung hatte. Ich wusste nicht, dass es Angst war.«
Paco ist fassungslos und verarbeitet erst jetzt die Worte. »Dieser Widerling ist Anelas Vater?«
Anela nickt, lehnt sich mit ihrem Rücken an seine Brust. »Meine Mutter hatte eine Affäre mit Norbu, direkt nach dem Tod von ihrem Mann. Sie hat sich in ihrer Trauer in seine Arme geflüchtet und sich auffangen lassen, aber kaum einer hat diese kurze Liaison mitbekommen. Es wurde angenommen und nicht infrage gestellt, dass ein anderer außer der Mann meiner Mutter mein Vater ist, und keiner von ihnen beiden hat das je richtiggestellt.«
»Du hast es bei einer deiner Lauschattacken herausgefunden«, mutmaßt Nayla.
»Wie hast du es herausgefunden?«, forscht Anela nach, der die Tränen immer noch im Gesicht kleben.
»Genauso wie du.«
»Wartet mal – wollt ihr sagen, dass er deine Mutter getötet hat?«, erkundigt sich Latya, die es immer noch nicht begriffen hat.
»Das ist das, was mir meine Träume zumindest sagen.« Anela wischt sich die Haare aus dem Gesicht, die mit ihren Tränen an den Wangen kleben. »Nachdem du mich bei dir aufgenommen hast und ich verstand, woher meine Angst rührte und was ich in meinen Träumen sah, da hatte ich nie wieder Angst vor ihm um meinetwillen, weil ich wusste, dass du mich beschützen würdest … aber dafür hatte ich Angst vor ihm um deinetwillen, denn du hättest nicht die Klappe halten und dich ihm trotz deines Alters entgegengestellt. Du hättest alles verraten, damit er bestraft wird. Und zu diesem Zeitpunkt konnte ich nicht mehr ohne dich, und ich wusste, dass du nicht als Siegerin hervorgehen wirst. Du hättest nichts ausrichten können! Du warst selbst noch ein Kind!«
Nayla nickt ihrer Schwester zu. »Ich weiß. Ich verstehe, warum du geschwiegen hast.«
Kasi übernimmt die nächsten Worte. »Die Vorfahren haben Nayla gezeigt, was passiert ist. Norbu hat dich betäubt, Anela, deine Mutter getötet und dann mit sich gehadert, ob er dich nicht auch noch töten soll. Wir denken, dass er wusste, dass sein Blut in dir steckt und er es deshalb nicht über sich brachte. Die Vorfahren haben Nayla nämlich auch gezeigt, dass Norbu alle anderen Flüchtlinge getötet hat und selbst vor den Kindern nicht haltgemacht hat. Er hat nicht ein einziges Mal gezögert.«
»Er hat alle Flüchtlinge getötet?«, ruft E’katarina schrill aus.
Latya quietscht fassungslos. »Sie haben dir das alles gezeigt?« Ihre Hand ist Halt suchend mit der von Merea verschränkt.
Nayla schnaubt angewidert. »In seinen Augen waren sie Verräter, weil sie uns andere im Stich ließen und nur an ihrem eigenen Überleben interessiert waren, dabei war er der Verräter. Er hat unser ganzes Volk ins Verderben gestürzt.«