Zeig mir die Farben des Regenbogens

Kapitel 51

Vignette

Mittlerweile ist es recht eng auf der Lichtung, da auch die jungen Erwachsenen von der anderen Lichtung Wind davon bekommen haben, dass die Natur wieder erblüht. Trotzdem rührt sich niemand von uns, während Nayla nun irgendetwas mit den Ho’oulu Kindern anstellt und sie alle um einen toten Baum drapiert, der neben dem steht, den Nayla hat erblühen lassen. Wir sehen, wie sie an ihnen vorbei geht und mit ihnen redet. Wie sie dann dichter an den Baum herangehen und alle ihre Hände dagegen drücken. Ein leichtes Vibrieren wandert durch die Erde unter unseren Füßen. Dann sehen wir dabei zu, wie der tote Baum mithilfe all der Ho’oulu Kinder in einer massiv kurzen Zeit wieder zum Leben erwacht.

Keiner von uns traut sich zu blinzeln, damit er nichts von diesem einzigartigen Anblick verpasst. Sekündlich verändert sich der Baum. Die versteinerte Rinde platzt einfach ab und zerfällt zu Staub. Darunter kommt ein gelblich-brauner Stamm zum Vorschein. Die Äste wuchern aus. Blätter sprießen daraus hervor und das passiert alles so schnell, dass wir es kaum begreifen können. Mehr und mehr Blätter kommen zum Vorschein. So viele, dass sich die langen Äste durch das Gewicht zu Boden senken. Das Blätterdach wird immer voller und immer kolossaler und wächst auf seine fünffache Größe an, bis der Baum gigantisch aussieht.

»Ich hab schon ewig nicht mehr so eine schöne Weide gesehen.«, flüstert Kasi ehrfurchtsvoll neben mir, aber ich wende den Blick nicht ab, nun wo sich das Blätterdach immer weiter senkt und die Ho’oulu Kinder, die immer noch am Stamm stehen, wie ein Vorhang verdeckt.

Der Wind weht um uns herum, wedelt den trockenen Sand auf und trägt gleichzeitig den frischen Geruch des Grases mit sich. Die Äste, welche bis auf den Boden hängen, kratzen über den Boden.

Dann hören wir das Lachen der Kinder, die aus dem Vorhang heraus gerannt kommen und von der Weide zurückweichen, um das, was sie erschaffen haben, von weitem zu betrachten.

Nayla lässt noch einen Baum erblühen. Eine Eiche, mit einem geteilten und dicken wulstigen Stamm und sich windenden breiten Ästen. Einer der Äste ragt weit weg vom Stamm und steht fast waagerecht in der Luft.

Nayla winkt mich irgendwann zu sich. Schelmisch grinst sie zu mir auf und kneift dann die Augen vor der Helligkeit der Sonne zusammen, die nun direkt über uns steht. Ihr Lächeln ist atemberaubender als jede Blüte, die ich in meinem Leben zu Gesicht bekommen habe. »Ich brauch deine Hilfe, Krieger.«

Eine Ranke kommt von ganz oben aus einem Ast herunter gesegelt. Einen Wimpernschlag später reicht sie schon bis auf den Boden und wird immer länger, sodass sie sich neben Naylas Füßen zu einen Haufen türmt. »Kannst du hinaufklettern und das eine Ende befestigen?«, fragt sie und bückt sich nach der Ranke, um sie mir anschließend in die Hand zu drücken. Irgendwas ist seltsam an ihrer Stimme, aber ich weiß nicht, was es genau ist. Zusammen mit ihrem schelmischen Grinsen bin ich mir aber sicher, dass es etwas Hinterlistiges ist.

Anela, die in der Nähe steht, kichert, aber als ich mich zu ihr umdrehe, blickt sie schnell weg.

Ich zucke die Schultern, nachdem ich mich wieder dem wunderschönen Mädchen zugewandt habe und knote das Ende der Ranke an meinem Gürtel. Dann mache ich mich an den Aufstieg. Zuerst gibt die raue Rinde mir ein wenig Halt, aber viel ist es nicht, denn die Hitze lässt mich schwitzen und außerdem macht sich nun noch Moos am Stamm breit. Dann erreiche ich die unteren Äste und werfe einen Blick zurück nach unten. Zum Glück bin ich schwindelfrei, aber Nayla könnte es mir ruhig einfacher machen und nicht schwieriger.

Nayla und Anela stehen nun synchron mit verschränkten Armen da und blicken grinsend herauf. »Siehst du!«, erklärt Nayla ihrer kleinen Schwester und stupst ihre Schulter gegen die ihrer Schwester. »Hab doch gesagt, er kann klettern!«

Ich klettere weiter und gluckse, als ich Anelas Erwiderung zu hören bekomme. »N’ knackigen Hintern hat er übrigens auch, wie ich sehe.«

Naylas Stimme ist mahnend. »Anela!«

»Was quasselt ihr und was macht Thien da?«, fragt Mitira, die sich nun zu den beiden gesellt. Ast für Ast kämpfe ich mich hoch, aber der Weg bis ganz nach oben dauert lange. Ich wage keinen Blick zurück.

»Ich habe mal darüber gescherzt, dass die Iho Aloha, wenn es einen von uns mal treffen sollte, wahrscheinlich mit einem vollkommenen Idioten aneinanderbinden würde, der nicht einmal einen Baum hochklettern kann. Wir testen also gerade, wie Thien sich so schlägt.«

Glucksend kämpfe ich mich weiter vor und mache mich dann kopfschüttelnd daran, das Ende um den Ast zu binden. »Weiter links, Thien!«, schreit Nayla herauf. Die Blätter und kleinen Äste piksen mir ins Gesicht.

»Setz doch einfach deine Macht ein!, rufe ich genervt runter.

»Du musst aber noch beweisen, dass du Knoten machen kannst! Anela wird sonst nie nachgeben und mich immer damit aufziehen, dass ich einen Idioten abbekommen habe!« Das unterdrückte Lachen ist deutlich aus ihrer Stimme herauszuhören.

Ich beende meine Arbeit und klettere wieder herunter, was sich noch schwieriger gestaltet, da sich nun auch noch haufenweise Efeu um den Stamm rankt.

»Wozu das alles?«, frage ich, als ich wieder unten angelangt bin. Den letzten Meter lasse ich mich einfach fallen. Dumpf pralle ich auf den Boden auf und gehe dabei in die Knie, um den Sprung abzufedern. Der Schweiß klebt wie eine zweite Haut an mir. Mit dem Unterarm wische ich mir über die Stirn, aber die Sonne ist heute gnadenlos. Nayla zwinkert, geht zu den beiden Strängen der Ranke und legt ihre Finger darum. Aus der Ranke schießen nun kleinere Stränge, die sich an- und umeinander winden. Die große Schlaufe, die durch meine Arbeit entstanden ist, wird dank Naylas Macht zu einem Sitzkissen.

Stolz wendet sie sich dann wieder an mich und hält mir einladend die Hand hin.

»Eine Schaukel? Ernsthaft? Du willst, dass ich jetzt schaukle?«

»Hast du jemals geschaukelt?«, fragt sie sanft nach, ohne eine Antwort abzuwarten. Sie weiß, dass keiner von uns jemals richtig Kind war. »Das Ding ist riesig und es macht bestimmt ganz viel Spaß«, versichert sie mir dann grinsend.

Widerwillig ist mein Blick. Neugierig ist mein Körper. Stumm setze ich mich und wage einen prüfenden Blick nach oben, weil ich nicht nur anzweifle, dass mein Knoten gut genug ist, sondern auch, ob der Ast es aushält.

Nayla verpasst mir einen Schubser gegen den Rücken, dann noch einen und noch einen und dann muss ich lachen.

»Hab ich etwa einen Laut der Freude aus deinem Mund gehört?«, höre ich sie hinter mir feixen.

Ich erwidere nichts, versuche nur das Abheben meines Magens unter Kontrolle zu halten. Da der Ast zig Meter über dem Erdboden ist und die Ranke dementsprechend lang, schwinge ich enorm weit hin und her. Die Leute müssen Platz machen, damit ich sie nicht umwerfe und bald schon steht eine lange Schlange an Kindern in der Nähe, die ebenfalls schaukeln wollen.

Ich drehe meinen Kopf zu Nayla und bei meinem glücklichen Grinsen muss auch sie grinsen.

»Los Leute, ihr könnt später noch schaukeln! Wir spielen jetzt ein Spiel!«, ruft Anela. Dann zerrt sie ein paar der Kinder mit sich.

Nayla zieht mich von der Schaukel, aber ich brauche ein paar Sekunden, bis der Boden nicht mehr schwankt. Ihr überdimensionales Grinsen, das voller Vorfreude ist, ist beeindruckender als die großen Bäume, die um uns herum in die Höhe ragen. »Wenn du das schon spaßig findest, dann warte ab! Gleich schenk ich dir einen Regenbogen, hier mitten auf der Lichtung.«

Dann lässt sie mich einfach stehen und rennt voraus. »Bildet eine Schneise! Auf jeder gleich viele Kinder, bitte!« Nayla deutet auf die linke und die rechte Seite und die Kinder laufen los. »Na los, wir wollen doch ein bisschen Spaß haben oder? Paco, Mitira, Eik und E’katarina, jetzt macht schon!«

Zwar dauert es einige Minuten, bis wir wirklich halbwegs gleich aufgeteilt sind, weil sich viele davor drücken wollen und keine Ahnung haben, was Nayla plant, aber Nayla ist wie immer stur und unnachgiebig.

Nayla wringt dann gehässig die Hände. »Wie schon gesagt, spielen wir nun ein Spiel und keiner von euch darf sich davor drücken.« Zwinkernd blickt sie kurz zu mir rüber. »Ich werde jetzt anfangen, zu zählen und wenn ich bei drei angelangt bin, dann bückt ihr euch und pflückt die kleinen Kugeln zu euren Füßen.« Unter meinen eigenen Füßen ist zwar nichts außer dem grünen Moos und unter den Füßen des gegnerischen Teams nur der trockene Boden, aber wir hören weiter zu. Nayla weicht zur Seite und stellt sich mir gegenüber auf die Seite des gegnerischen Teams. »Es ist euer Ziel das gegnerische Team zu bewerfen – keine Sorge, es tut nicht weh – und sie nicht sauber davon kommen zu lassen … Falls es jemand schafft, sauber zu bleiben, dann wird derjenige baldmöglichst mit einem Bottich voll Früchte belohnt.«

Nayla grinst wieder gehässig, dann konzentriert sie sich. »Eins«, ruft sie aus und wieder ist ein leichtes Vibrieren in der Erde zu spüren. »Zwei.« Auf beiden Seiten sprießen kleine Knospen aus der Erde. Sie schwellen an, verformen sich zu kleinen Kugeln und färben sich schließlich in so vielen Farben, wie man es sonst nur selten zu Gesicht bekommt. Wie bei einem Regenbogen.

Über die Entfernung hinweg zwinkert sie mir wieder zu und bückt sich leicht.

Ich bücke mich ebenfalls. Erwidere das Zwinkern. »Drei!«, schreit sie und alle bücken sich. Die Kugeln sind leicht abzureißen, aber die erste zerplatzt mir in der Hand und es sieht aus, als würde frische blaue Farbe über meine Hand laufen. Bevor ich es verstehen kann, trifft mich die erste Kugel an der Schulter und hinterlässt lila Farbe auf meiner Haut. Ich hebe den Kopf und sehe Nayla an, da mir völlig klar ist, wer der Werfer dieser Kugel ist.

Jedoch werfe ich nicht zurück, sondern beobachte die anderen, die sich gegenseitig mit den Kugeln bewerfen und sich gleichzeitig hinter den anderen zu verstecken versuchen, damit sie selbst nichts abkriegen. Allerdings zerplatzen die Kugeln zu leicht und sobald das passiert, spritzt die Farbe überall herum. Sie rennen hin und her, bücken sich und heben neue Kugeln auf. Sie lachen, wenn sie jemanden treffen. Sie kreischen, wenn sie selbst getroffen werden.

Wieder trifft mich eine Kugel. Wieder ist Nayla die Übeltäterin. Ich werfe zurück, aber Nayla weicht der Kugel aus und ruft schadenfroh, dass ich sie nie kriegen werde.

Das lasse ich mir nicht zweimal sagen und renne auf sie zu. Nayla kreischt auf und flüchtet Richtung Trauerweide.

Eine meiner Kugeln trifft sie am Rücken und sie wirft sofort eine zurück, die mich zum Glück verfehlt, da sie sich nur halb zu mir umgedreht hat. Bunte Farbe spritzt wie feuchter Nebel durch die Luft.

Nayla läuft durch den Blättervorhang hindurch und ich folge ihr auf dem Fuße. Ich jage sie dann ein paar Runden um den Baum herum, hinein in das Blätterdach, dann wieder hinaus. Hinter dem Blätterdach herrscht angenehme Kühle, weil die Äste und Blätter Schatten spenden. Draußen blendet mich die Sonne immer wieder.

Das Lachen meines Volkes erschallt überall um uns herum.

Naylas langen Haare schweben ihr die ganze Zeit hinterher und sie dreht sich immer wieder zu mir um, um zu sehen, wie dicht ich ihr an den Fersen klebe. Dann legt sie an Tempo zu, streckt mir die Zunge raus und läuft aus dem Blätterdach hinaus und an einer anderen Stelle wieder hinein. Ich verliere sie aus den Augen. Nach einem kurzen Moment aber höre ich ihr Lachen, welches sie sich nicht verkneifen kann und gehe dann auf Zehenspitzen vorsichtig um den Baum herum, damit sie mich nicht bemerkt.

Eine gewaltige Blätterwand hat sich verdächtigerweise am Stamm gebildet und Naylas Kichern ist daraus zu hören. Ich springe einfach hindurch und krache durch den Schwung gegen Nayla. Lachend prallt sie rückwärts gegen die Rinde. Ihr bezauberndes Lächeln brennt sich in meine Netzhaut.