Die Kosten für Lebensmittel und Kleidung sind in den vergangenen Jahren massiv gestiegen. Das hat fast jeder Haushalt in Deutschland gespürt. Wie oft habe ich schon gehört: „Der Wocheneinkauf im Supermarkt ist bei uns um 20 bis 40 Euro teurer geworden. Wir achten jetzt ganz genau auf die Preise.“ Und das sagen Menschen, die bei uns als Normalverdiener gelten. Nur wie sieht es dann erst bei den ohnehin schon abgehängten Bevölkerungsgruppen aus?
Wir haben die Zahlen bereits genannt: 40 Prozent der Deutschen haben keine Ersparnisse und etwa 25 Prozent der Deutschen gelten als arm. Das heißt, sie haben monatlich weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens auf dem Konto. Und das in einem so reichen Land wie Deutschland. – Wie kommt diese Bevölkerungsgruppe mit der schon lange anhaltenden Inflation und den überteuerten Preisen klar? Das fragen wir uns in den Archen jeden Tag aufs Neue.
Doch es gibt auch Zyniker, die sich in diesen schwierigen Zeiten zu Wort melden, sodass die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ titelt: „Der Staat hilft manchen Familien wohl mehr als nötig“, und bezieht sich damit auf eine Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.51 Diese Damen und Herren unter den „Top-Verdienern“ machen sich Sorgen, dass der Staat den Abgehängten zu viel des Guten zukommen lasse. Die drei Entlastungspakete der Bundesregierung zur Abfederung der hohen Energiepreise haben dieser Analyse zufolge einige Haushalte finanziell mehr unterstützt, als es nötig gewesen wäre. Das ist wohl das Ergebnis dieses Gefälligkeitsgutachten. Hätte man das Geld, das die Untersuchung gekostet hat, doch besser den Geringverdienern zur Verfügung gestellt. Da wäre es besser angelegt gewesen. So entlaste der Staat eine beispielhafte Familie mit zwei Kindern, die ein geringes Jahreseinkommen von 40 000 Euro brutto hat, stärker, als die Energiekosten sie belasten, heißt es in der Studie. Für diese Aussage gibt man beim IW schon mal richtig Geld aus. Doch damit nicht genug.
„Ein beispielhafter Single-Haushalt mit niedrigem Einkommen“, hier bezieht man sich auf ein Jahreseinkommen von 25 000 Euro brutto, „wird ebenfalls überkompensiert, mit 1386 Euro“, heißt es weiter. Man befürchtet, dass Menschen, die rund 2000 Euro brutto im Monat verdienen, ein paar Euro zu viel ausgezahlt bekommen. Wenn man sonst keine Sorgen hat …
Das Fazit der Studien-Autoren lautet: „Trotz einer im Grundsatz angemessenen sozialen Staffelung der staatlichen Hilfen lässt sich kritisch anmerken, dass verschiedene Maßnahmen weder zielgenau noch bedarfsorientiert sind und daher erhebliche Streu- und Mitnahmeeffekte entstehen.“
Eine solche Aussage ist schlichtweg empörend und widerlich. Solche Gefälligkeitsstudien zeigen die Verachtung der Besserverdienenden gegenüber den Geringverdienern. Dass die Kinder der Geringverdiener – unverschuldet – mitleiden müssen, scheint den Autoren und ihren Auftraggebern gleichgültig zu sein. Demnächst muss ich sicher noch in einer Studie lesen, dass das Rauchen von Zigaretten und das Trinken von zu viel Alkohol keine gesundheitlichen Nachteile mit sich bringe. Na, dann Prost!
Die Energiepreiskrise seit Ende 2021 und insbesondere ihre Verschärfung durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine haben die Menschen in Deutschland spürbar getroffen. Das merken wir ganz besonders in den Archen. Vor allem die Nachfrage nach Lebensmitteln ist deutlich gestiegen. Allein in einer Berliner Arche stehen über eintausend Familien Schlange, wenn wir Lebensmittelpakete im Wert von rund 60 Euro verteilen. Medienschaffende, die eine Familie bei einer dieser Ausgaben immer wieder begleiten, sagten uns: „Freiwillig macht das keiner. Zwei bis drei Stunden anstehen ist nervenaufreibend und eine Tortur für die Menschen. Aber sie tun es für ihre Kinder.“
Die Experten sind sich einig. Die Inflation wird auch in diesem Jahr weiter steigen. Wir als Arche warnen angesichts der Preissteigerungen vor allem vor wachsender Kinderarmut. Wir spüren hier seit Jahren eine deutliche Verschärfung, die durch die ökonomischen Folgen des Krieges in der Ukraine noch einmal verstärkt wird.
Die Inflation trifft Familien, die nur wenig Geld zur Verfügung haben, besonders hart. Lebensmittel, die bislang preiswert waren, haben sich überdurchschnittlich verteuert. Die Kinderarmut wird dadurch noch einmal deutlich zunehmen.
Wir können nur davor warnen, dass Familien mit Kindern im laufenden Jahr mit den Regelsätzen des Bürgergeldes nicht auskommen werden. Die leichten finanziellen Erhöhungen der Transfergelder werden durch die Inflation sofort wieder aufgezehrt. Die Erhöhung des Mindestlohns sorgt in diesen schwierigen Zeiten zumindest dafür, dass der finanzielle Absturz für Menschen mit geringem Einkommen nicht ganz so schlimm ausfällt.
Wir sehen die Regierung in der Verantwortung für die steigende Kinderarmut. Die Kinderarmut nimmt massiv zu. Auch immer mehr Rentner müssen sich bei den Tafeln anstellen. Und einige wenige Menschen in Deutschland wissen nicht wohin mit ihrem Geld und leben im Überfluss. Wir brauchen ein soziale, christliche Wertegesellschaft, die alle Menschen am Erfolg teilhaben lässt. Wir sehen keine Alternative. Sonst wird es zu sozialen Unruhen kommen, die vieles in unserem Land zerstören werden.
Armut in Deutschland ist ein komplexes und vielschichtiges Thema, das uns Menschen und die Gesellschaft vor große Herausforderungen stellt. Die Bekämpfung von Armut ist letztlich auch ein globales Zukunftsziel und nicht nur ein Ziel für uns Deutsche. Aber Armut und soziale Ausgrenzung, Armutsgefährdung, die Einkommensverteilung sowie materielle und soziale Entbehrungen, Kinderarmut und die finanzielle Gefährdung – gerade junger Familien – sind von besonderer Bedeutung. All dies muss in den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung einfließen. In der Praxis ist das nicht der Fall.
Wie viele Menschen sind in Deutschland von monetärer Armut bedroht und wo liegt die Armutsgrenze? Einmal sind es diese weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens, mit denen die betroffenen Familien auskommen müssen. Bei den Familien, die wir aus den über 30 deutschen Archen kennen, geht es vor allem um materielle und soziale Entbehrungen, denen insbesondere die Kinder dieser Familien ausgesetzt sind. Die Betroffen sind zum Beispiel nicht in der Lage, ihre Rechnungen für die Miete oder andere Dinge zu bezahlen. Dazu gehören auch technische Geräte, Urlaub oder einfach mal mit Freunden essen zu gehen. Teilhabe am Leben nennt man das. Manche Eltern wissen sich nicht anders zu helfen und kaufen Dinge auf den Namen ihrer minderjährigen Kinder im Internet ein. So haben Jugendliche beim Start in ihr Erwachsenenleben bereits einen hohen Schuldenberg vor sich. Das sind keine Einzelfälle. Das passiert häufig.
Die Inflation setzt die Familien zusätzlich unter Druck. Die Erwartung, dass der Sozialstaat Armut bekämpft und gute Startchancen für alle Kinder fördert, ist hoch. 70 Prozent der Bevölkerung sehen die Familienpolitik in der Pflicht, gegen Kinderarmut vorzugehen. Doch es passiert wenig. Das liegt derzeit an einem neoliberalen Finanzminister, der auf Kosten benachteiligter Kinder sparen will. Unter dieser falschen – und wie wir meinen kriminellen – Politik werden kommende Generationen leiden müssen. Nicht oder schlecht geförderte Kinder werden später nicht aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Sie werden vor allem nicht lernen zu lernen und später zu arbeiten. So schaffen wir Generationen von Versagern. Die Kinder treten in die Fußstapfen ihrer gescheiterten Eltern.
Wenn Arche-Eltern heute sagen: „Ich habe im Moment kein Geld für einen Kühlschrank, und vor allem gebe ich zu viel Geld aus für ein gesundes Essen“, dann ist das eine Schande für Deutschland und spiegelt ein kriminelles Verhalten derer wider, die dafür verantwortlich sind. Auch hier stellen wir fest: Wer Armut bekämpfen will, muss den Reichtum antasten. Einen alternativen Weg gibt es nicht.
„Nicht oder schlecht geförderte Kinder werden später nicht aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Sie werden vor allem nicht lernen, zu lernen und später zu arbeiten. So schaffen wir Generationen von Versagern.“
Wolfgang Büscher