Achtes Kapitel

Nachdem Abby nun sicher sein konnte, Percys Nachstellungen und Erpressungsversuche nicht mehr fürchten zu müssen, trat in ihren Gedanken wieder die Sorge um Andrew in den Vordergrund. Und mit jedem Tag, der verging, wuchs ihre Unruhe. Das untätige Warten zerrte an ihren Nerven. Sie wollte irgendetwas tun. Und wenn es nur ein Ausflug zum Hawkesbury war, um sich mit eigenen Augen ein Bild von der Lage am Fluss zu machen.

Ihr Ansinnen, sich allein und zu Pferd auf den Weg zu machen, lehnten die MacGuires rundweg ab. Es nutzte nichts, dass sie beteuerte, doch wohl erst Mitte des sechsten Monats zu sein. Sie blieben in ihrer Ablehnung standhaft. Einen mehr als vierstündigen Ritt, denn so lange würde sie für Hin- und Rückweg brauchen, hielten sie in ihrem Zustand nicht für empfehlenswert – zumal dafür keine dringende Notwendigkeit bestand.

Elizabeth MacGuire hätte es am liebsten gesehen, Abby hätte sich überhaupt nicht zum Hawkesbury begeben und geduldig auf der Farm die Rückkehr ihres Mannes abgewartet. Doch dank Julias Fürsprache und Bereitschaft, sie zu begleiten, gaben die MacGuires schließlich ihre Zustimmung und erlaubten, dass sie das Gig nahmen, den kleinen, leichten Einspänner, der über eine gute Federung verfügte.

Es war der letzte Tag des Jahres, als sich Abby mit Julia an ihrer Seite auf den Weg zum Hawkesbury machte. Schon Meilen vorher stießen sie auf die Spuren der Verwüstung, die das Hochwasser angerichtet hatte.

Als sie endlich den Fluss erreichten und Abby sah, wie breit und wild er noch immer war, wie weit die Überschwemmungen noch reichten und was die reißenden Fluten alles an Treibgut mit sich führten, sank ihr das Herz. Mit einem einfachen Ruderboot und einem Seil, an dem man sein Pferd hinter sich her führte, war der Hawkesbury vorläufig nicht zu überqueren. Dafür brauchte man schon eine große, solide Fährplattform, die auf beiden Ufern mit starken Seilen gesichert war. Und solch eine Fähre gab es nur weit unten in Wiseman’s Ferry – wenn sie denn überhaupt noch existierte und nicht vom Hochwasser zerstört worden war.

Niedergeschlagen blickte Abby zum gegenüberliegenden Ufer, wo viele Büsche völlig untergetaucht waren und ausgewachsene Bäume bis zur Hälfte ihres Stammes unter Wasser standen.

»Der Fluss muss noch mindestens zehn Fuß fallen, damit man einigermaßen sicher übersetzen kann«, schätzte Julia. »Aber das dauert bestimmt noch …« Sie brach mitten im Satz ab und richtete sich auf. »Sieh mal da drüben! Ist das nicht ein Reiter?«

Abby folgte ihrem Blick und fuhr wie elektrisiert zusammen, als sie dort auf dem erhöhten Land, wo sich die Trümmer von Yulara befinden mussten, einen Reiter sah.

»Vielleicht ist das ja Andrew!«, rief sie erregt, sprang auf und winkte wild zu ihm hinüber.

Julia packte sie hinten am Kleid und hielt sie fest. »Um Gottes willen, pass bloß auf, dass du nicht vom Wagen fällst! «, warnte sie. »Und ob das wirklich dein Mann ist …«

»Doch, das ist er!«, fiel Abby ihr freudestrahlend ins Wort. »Das muss er einfach sein!«

Julia warf ihr einen skeptischen Blick zu, sagte jedoch nichts, weil sie ihr die Freude nicht verderben wollte. Dabei war die Entfernung viel zu groß, als dass man Einzelheiten hätte ausmachen können. Das Pferd, auf dem die Person dort drüben saß, war zwar auch von rotbrauner Farbe wie der Rotfuchs, den ihr Schwiegervater Andrew zur Verfügung gestellt hatte. Aber Pferde mit rotbraunem Fell waren nicht gerade eine Seltenheit in der Kolonie.

Abby jedoch ließ erst gar keine Zweifel an sich heran. Sie war außer sich vor Freude, löste hastig die Bänder ihrer Schürze und schwang sie wie eine Fahne über ihrem Kopf.

»Andrew! … Andrew! «, rief sie glücklich. »Kannst du mich hören ?«

»Natürlich kann er dich nicht hören, wer immer das auch sein mag!«, bemerkte Julia recht nüchtern. »Wir haben mehr als eine Viertelmeile Wasser zwischen uns! Du müsstest schon wie ein Berserker schreien können, damit er dich da drüben hört!«

Der Mann auf der anderen Seite ritt ins flache Wasser hinunter und winkte mit seinem Hut zurück, war jedoch noch immer viel zu weit entfernt, als dass man ihn hätte erkennen können.

Fast eine halbe Stunde verharrte er auf dem anderen Ufer und erwiderte immer wieder Abbys Winken. Schließlich drängte Julia zur Rückkehr.

»Wir kommen morgen wieder hierhin zurück! «, sagte Abby beseelt. »Und dann nehmen wir das Fernrohr deines Schwiegervaters mit.«

»Na, ich weiß nicht, ob er das so einfach herausrückt.«

»Ach, du machst das schon!«, sagte Abby fröhlich.

Als sie wieder auf Cardigan waren und das Pferd vor dem Stall ausspannten, hörte Abby, wie Matthew zu Julias Mann etwas von einer Abteilung Soldaten sagte, die sich auf dieser Seite des Flusses auf Patrouille befanden und sich auf Windermere einquartiert hatten. Die Nachricht weckte Unruhe in ihr, jedoch keine Angst, fühlte sie sich doch auf Cardigan und unter dem Schutz der MacGuires sicher.

Hätte sie gesehen, wie Percy sich zu nachtschlafener Zeit mit seinem Pferd vom Hof stahl und nach Osten ritt, sie hätte gewiss nicht schlafen können und sich bange Gedanken über ihre Sicherheit gemacht.

Am nächsten Morgen, dem ersten Tag des neuen Jahres 1809, trafen die Soldaten auf Cardigan ein. Zehn bewaffnete Rotröcke, die unter dem Kommando von Lieutenant Alan Danesfield standen.

Er kam, um Abby zu verhaften.